letzte Änderung am 19. Januar 2004

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Abbruchkommission für das Arbeitrecht legt ihre Demontagevorschläge vor

Am vergangenen Donnerstag, 15. Januar legte die Regierungskommission zur "Vereinfachung des Arbeitsgesetzbuchs" ihren Abschlussbericht vor, der eine Serie von insgesamt 50 (bedeutenden und weniger bedeutenden) Vorschlägen enthält. Die Kommission unter Vorsitz von Mirchel de Virville, seines Zeichens Personaldirektor der Automobilwerke Renault, hatte am 7. Oktober 03 ihre Arbeit aufgenommen.

Neuer Zeitvertrag: "Projektvertrag"

Unter den "Reformvorschlägen" mit Abstand die größte Beachtung erfuhr jener zur Einrichtung eines neuen Typs von Zeitvertrag. Bisher kennt das französische Arbeitsgesetzbuch (der Code du travail) unbefristete Arbeitsverträge, CDI genannt, und als CDD bezeichnete befristete Verträge. Letztere dürfen nur aus bestimmten Gründen abgeschlossen werden (u.a. Vertretung eines erkrankten Beschäftigten, kurzfristiger Produktionsüberhang, für Saison-Arbeitsplätze) und sind "normalerweise" auf eine Höchstdauer von 18 Monaten begrenzt. Dabei gibt es Ausnahmen: Bestimmte Gründe rechtfertigen eine Ausdehnung bis auf maximal 24 Monate (etwa wenn der Arbeitsplatz, nachdem der CDD zu Ende geht, abgebaut wird). Ferner unterliegen die CDD im Falle krankheitsbedingter Vertretung keiner vorab festzulegenden Befristung, sondern der Arbeitsvertrag ist so lange gültig, bis der/die zu vertretende (kranke) Beschäftigte zurück am Arbeitsplatz ist.

Seit langem lautete eine zentrale Forderung der Arbeitgeberverbände und der Wirtschaftsliberalen, dass zwischen beiden Vertragsdauern ­ unbefristet einerseits, höchstens 18/24 Monate andererseits ­ eine neue Vertragsform "mittlerer Länge" einzuführen sei. Im Sinne verstärkter Flexibilität eingefordert wurde eine Vertragsform mit einer vorgesehenen Dauer von rund 5 Jahren. Damit wäre allerdings der Abschluss von unbefristeten Verträgen (CDI) in vielen Fällen sinn- und gegenstandslos. Denn welches Unternehmen plant heute schon über mehr als 5 Jahre hinaus? Die Frage wäre dann nur noch, welche Rechtfertigungsgründe den Abschluss eines solches Vertrages erlauben.

Im Kern ist dieser alte Wunsch der Arbeitgebern nun durch die Kommission erfüllt worden. Denn letztere schlägt vor, für die höheren und leitenden Angestellten (cadres genannt) sowie "für qualifiziertes Personal, etwa für Experten" einen so genannten contrat de mission einzuführen. Eine mission bezeichnet hier einen Auftrag. - Das wäre ein Arbeitsvertrag, dessen frei zu vereinbarende Länge sich völlig nach dem Projekt, an dem die Angestellten- oder Fachkraft jeweils arbeitet, ausrichtet. Sobald das Projekt zu Ende ginge, wäre auch der Arbeitsvertrag ausgelaufen. Dabei sieht die Kommission keinerlei Höchstdauer für diesen "Projektvertrag" vor. Lediglich eine, dem Beschäftigten garantierte Mindestbeschäftigungsdauer soll dabei festgeschrieben werden. Ansonsten sollen die Vertragsparteien frei schalten und walten können, was ihre Vereinbarungen bezüglich der zeitlichen Dauer des Arbeitsvertrags betrifft. Einzige Bedingung: Der betreffende Sektor soll vorher einen Branchen-Kollektivvertrag abgeschlossen haben, in dem die näheren Bedingungen für den Abschluss solcher Verträge definiert werden. Der Gesetzgeber soll lediglich - neben der garantierten Mindestdauer - noch die betroffenen Beschäftigtenkategorien sowie die Natur der betroffenen "Projekte" festlegen.

Reaktionen auf den "Projektvertrag"

Die öffentliche Debatte um die Vorschläge der Virville-Kommision hat sich weitgehend auf die Einrichtung des neuen Zeitvertrags fokussiert. Im politischen Bereich sprachen sich die Sozialdemokraten vom Parti Socialiste (PS) und die Parteikommunisten vom PCF, neben der radikalen Linken, gegen den "Projektvertrag" aus. Beim PS sprach man von einer "Granate in’s Arbeitsgesetzbuch" und beim PCF (durch den Mund seiner Parteichefin Marie-George Buffet) von einer "totalen Prekarisierung der Beschäftigten". Der blasse sozialdemokratische Parteisekretär (also -vorsitzende) François Hollande regte sogar ­ für kurze Zeit ­ eine "soziale Mobilisierung" gegen den Vorstoß an. Was allerdings auch damit zu tun haben könnte, dass der PS sich zur Zeit im Wahlkampf befindet (im März werden sämtliche französischen Regionalparlamente gewählt) und man bisher noch nicht viel von ihm gehört hat.

Bei den Gewerkschaften protestierte die CGT, die davon sprach, dass "Virville den (Arbeitgeberverband) Medef bedient" ­ was allerdings niemand verwundert, da Virville leitender Manager eines Unternehmens ist. Auch die Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten, die CFE-CGC, wandte sich scharf gegen das Vorhaben. Es handele sich um ein "Gesetz gegen die cadres", erklärte ihr Generalsekretär Jean-Luc Cazettes. Die CFE-CGC steht historisch der bürgerlichen Rechten nahe, kann jedoch zwischendurch auch sehr radikale Töne anschlagen, wenn es um die Verteidigung der spezifischen Interessen ihrer Klientel geht. Und da diese ganz besonders im Visier steht, wenn bürgerliche Politiker und Arbeitgeber nach maximaler "Flexibilität" rufen, gibt es da schon Reibungspunkte.

Seitens der sozialliberalen CFDT hörte sich der Tonfall hingegen anders an. Ihr Generalsekretär François Chérèque brüllte wie ein Löwe, dass es nicht in Frage komme, ein solches Vorhaben per Gesetz durchzusetzen ­ sondern "es nur Gegenstand der Verhandlung zwischen Sozialpartnern sein kann" (laut einem Interview in Le Parisien). Das trifft sich gut: Es sei an das Abkommen zur "Reform" der Arbeitslosenkasse UNEDIC erinnert, das im Sommer 2000 insbesondere durch die CFDT und die Arbeitgeberverbände unterzeichnet wurde. (Die CFDT verwaltet die in paritätischer Hand befindliche Kasse UNEDIC.) Dessen Text sieht bereits vor, dass "die Sozialpartner" künftig über die Einrichtung von "Projektverträgen" verhandeln könnten, deren Modalitäten bezüglich der Arbeitslosenversicherung dann zu regeln seien. Steht da jemand schon in den Startlöchern?

Die Arbeitgeberverbände zeigten sich zunächst hoch zufrieden. Da es aber einerseits taktisch unklug ist, das allzu offen zu zeigen, man aber andererseits ohnehin den Hals nie voll genug kriegen kann, krittelte der Medef dann doch noch an dem Vorhaben herum. Warum es denn künftig Branchen-Kollektivverträge für den "Projektvertrag" brauche, beschwerte er sich. Ferner forderte er, dieser solle gleich auf alle Beschäftigten ausgedehnt werden, und nicht nur auf cadres und Fachkräfte. Na, was nicht ist, kommt vielleicht bald.

Die anderen Vorschläge der Kommission

In geringerem Maße Gegenstand öffentlicher Diskussion waren die anderen Vorschläge der Kommission. Dazu gehören unter anderem die folgenden.

Künftig soll das Günstigkeitsprinzip (das ohnehin durch die Reform der Kollektivverhandlungen, welche Arbeitsminister François Fillon kurz vor Weihnachten 2003 auf den Weg brachte, stark angeknackst ist) noch einen weiteren Dämpfer erhalten. Es sieht vor, dass dort, wo ein Gegenstand sowohl durch das Gesetz (Arbeitsgesetzbuch) als auch einen Kollektivvertrag geregelt wird, jeweils derjenige Text Anwendung findet, der aus Sicht der Lohnabhängigen "günstiger" ist. Das nennt man principe de faveur. Es soll nunmehr nicht mehr so gelten. Falls ein Kollektivvertrag oder eine Kollektivvereinbarung abgeschlossen wird, dann soll die Vereinbarung künftig gelten ­ auch dann noch, wenn später der Gesetzgeber eingreift und der geänderte Gesetzestext nunmehr "günstiger" ausfällt. Damit werden "sozialpartnerschaftliche" Vereinbarungen festgeschrieben, auch wenn sie hinter spätere gesetzliche Regelungen zurückfallen und die Rechte der Beschäftigten vermindern.

Ferner soll der Richter, der einen Kollektivvertrag oder eine Kollektivvereinbarung auszulegen hat, künftig obligatorisch die so genannten "Sozialpartner" einschalten müssen. Letztere sollen damit das letzte Wort haben. Bisher konnte der Richter immer noch die Rechte der Beschäftigten sichern, indem er notfalls etwa ein vom Gesetz abweichendes Abkommen zur Seite schob oder es anders auslegte. Berücksichtigt man die Entwicklung, welche die Kollektivverhandlungen in jüngster Zeit nehmen (mit der Entwicklung der CFDT, und der Instrumentalisierung von Kollektivverträgen als Mittel der "Flexibilisierung"), dann ist klar, dass es sich in der Mehrzahl der Fälle nicht um einen Gefallen für die Lohnabhängigen handeln wird. Es kann natürlich auch mal anders herum sein.

Was die Interessenvertretung der Beschäftigten betrifft, so schlägt die Kommission eine radikale "Vereinfachung" vor. In den mittleren Betrieben, von 50 bis 250 Beschäftigten, sollen alle Institutionen der Interessenvertretung in einer einzigen zusammengefasst werden können. Das bedeutet, dass per Vereinbarung die Gewerkschaftsvertretung im Betrieb (die délégués syndicaux, die in gewissen Grenzen freigestellt sind), die gewählten betrieblichen Vertrauensleute (délégués du personnel) und die bisherige französische Entsprechung zum deutschen Betriebsrat (der comité d’établissement, oder "Betriebs-Ausschuss") in einer einzigen Instanz zusammengefasst werden. Diese soll künftig Conseil d’entreprise heißen, was eine wörtliche Übersetzung des deutschen Worts "Betriebsrat" ist.

Dieser neue Conseil soll der Verhandlungspartner des Arbeitgebers beim Abschluss von betrieblichen Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen sein. Das war bisher den Gewerkschafts-Delegierten (délégués syndicaux) vorbehalten. Dagegen konnte der "Betriebs-Ausschuss" bisher nicht verhandeln, zumal im französischen Modell der Arbeitgeber (oder einer seiner Vertreter) den Vorsitz im Comité d’établissement innehat. Bisher wurde im französischen Recht klar getrennt zwischen der Gewerkschaft als "echter" Interessenvertretung, die im Namen der Beschäftigten verhandeln kann, einerseits und den betrieblichen Vertretungsorganen andererseits. Letztere, besonders der "Betriebs-Ausschuss", musste in bestimmten Dingen (etwa beim Personalabbau, um nur ein Beispiel zu nehmen) vom Arbeitgeber unterrichtet und in Beratungen einbezogen werden. Letztere Regel war eine Garantie für den Informationsfluss und zudem eine Verfahrensregelung, die es im Streitfall dem Richter erlaubte, die Argumente des Arbeitgebers zu überprüfen ­ dafür konnte die vorherige Debatte im Comité d’établissement herangezogen werden. Diese Grenze zwischen Interessenvertretung und bloßer betrieblicher Vertretung soll nunmehr zunehmend eingerissen werden. Natürlich deswegen, weil man möglichst viele betriebliche Vereinbarungen unterzeichnet sehen will, die auf Betriebsebene "im Sinne der Wahrung von Arbeitsplätzen" ungünstiger ausfallen können.

Ein weiterer Vorschlag läuft darauf hinaus, dass in allen Betrieben die Vertretungsorgane (seien es Gewerkschafts- oder betriebliche Vertreter) nur noch alle vier statt bisher alle zwei Jahre neu gewählt werden. Das bedeutet für die Unternehmen, Geld zu sparen (weniger Wahlen!), und für die Beschäftigten weniger Einfluss auf ihre Vertreter.

In Sachen Arbeitszeit schlägt die Kommission vor, keine größeren Veränderungen am bestehenden System vorzunehmen, trotz 35-Stunden-Woche. Immerhin ist das bestehende System flexibel und voll von Ausnahmen genug. Allerdings soll die Pauschal-Arbeitszeitregelung, die nach geltendem Recht auf Führungskräfte Anwendung findet (ihr zufolge werden diesen nicht mehr die Stunden, sondern nur noch die Arbeitstage abgerechnet) auch auf "wanderndes Personl" ausgedehnt werden. Das sind all diejenigen Beschäftigten, die bei wechselnden Kunden zum Einsatz kommen ­ etwa als Informatiker, um mal hier und mal dort die Computer-Einrichtungen zu reparieren.

Dagegen hat die Kommission keine Vorschläge zum Thema der betriebsbedingten Entlassungen vorgelegt. Ursprünglich hatte sie auch in dieser Richtung gearbeitet. Beispielsweise wollte sie den Anwendungsbereich der Regelung, die Sozialpläne auszuarbeiten vorschreibt, einschränken. (Statt ab 10 betriebsbedingten Kündigungen pro Monat sollte es einen Sozialplan künftig erst ab 20 geben müssen.) Doch zu diesem Thema verhandeln die "Sozialpartner" ohnehin - nachdem die Regierung einige bisherige gesetzliche Regelungen zum Thema betriebsbedingte Kündigungen eingefroren und ihre Neuverhandlung den "Sozialpartnern" überantwortet hat. Daher brauchte die Kommission sich an dem Punkt gar nicht die Hände schmutzig zu machen.

Bernhard Schmid (Paris)

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