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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Das nahende Ende der 35-Stunden-Woche Am 5. Februar fanden die größten, von den Gewerkschaften
initiierten Demonstrationen seit dem Frühsommer 2003 statt. An diesem
Tag gingen Beschäftigte aus den öffentlichen Diensten und aus
der Privatwirtschaft - etwa aus den Automobilfabriken Citroën und
Renault, aus vielen Banken und Erneuter Aufschwung sozialer Proteste? Rückblick
auf eine Periode bleierner Die jüngsten Demonstrationen waren die breiteste Protestmobilisierung
seit dem Juni 2003: Auf die damalige Streikwelle gegen die regressive
"Reform" der Rentensysteme folgte eine schwere Niederlage und
eine längere Phase der Demoralisierung sozialer Protestkräfte.
Der Entwurf der Regierung zur "Rentenreform" wurde durch die
Abgeordneten in einer Sondersitzung während Zuvor hatten die großen Gewerkschaftsbünde, namentlich
die sozialdemokratisch-neoliberale CFDT und die "postkommunistische"
CGT, auf unterschiedliche Weise die Streikbewegung desorientiert und gelähmt.
Die CFDT hatte bereits am 15. Mai 2003, nur 48 Stunden nach der ersten Vor diesem Hintergrund herrschte auf dem Gebiet der sozialen
"Reformen" bzw. Rückschritte, und der Widerstände
dagegen, anderthalb Jahre lang eine spürbare Resignation vor. Einzige
positive Ausnahme bildeten die nicht abreißenden Aktivitäten
der "intermittents du spectacle", der prekären Die jüngsten Demonstrationen markieren vielleicht das vorläufige Ende dieser Periode bleierner Lähmung, auch wenn es noch zu früh ist, dies eindeutig zu affirmieren. Infragestellung der 35-Stunden-Woche Anlass für diese Protestmobilisierung boten die Regierungspläne zur Verlängerung der Arbeitszeiten. Ein entsprechender Gesetzentwurf der konservativen Regierungspartei UMP wurde am 9. Februar in erster Lesung durch die französische Nationalversammlung angenommen. Es handelte sich um die größten, von den Gewerkschaften initiierten Demonstrationen seit dem Frühsommer 2003: Auf die damalige Streikwelle gegen die regressive "Reform" der Rentensysteme folgte eine schwere Niederlage und eine längere Phase der Demoralisierung sozialer Protestkräfte. Dabei war es keineswegs selbstverständlich, dass gerade
die angekündigte Infragestellung der 35-Stunden-Woche durch die Rechtsregierung
zum Stein des Anstoßes für größere Proteste werden
könnte. Denn die damalige Reform der Vorgängerregierung unter
dem Sozialdemokraten Lionel Jospin, mit der vor sechs Jahren schrittweise
die 35-Stunden-Woche als theoretische Die 35-Stunden-Woche à la Jospin: Die Verkürzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit
bildete damals vor allem den Zuckerguss, der die gleichzeitig verabreichte
bittere Pille in Gestalt von Jahresarbeitszeiten und nach Bedarf der Betriebe
variierenden Arbeitswochen überdecken sollte. Doch was die jetzige
Regierung plant, Dass eine scheinbare Verteidigung der unter der Jospin-Regierung
verabschiedeten Arbeitszeitgesetzgebung, die bereits selbst Bestandteil
der neoliberalen "Modernisierung" war, nicht unbedingt Begeisterung
hervor rufen würde, befürchteten freilich auch viele Gewerkschaften.
Deswegen nahmen sie auch mehrere weitere Anliegen in die Demonstrationsaufrufe
für den 5. Zugleich sollte damit der Regierungspropaganda der Wind
aus den Segeln genommen werden. Letztere versuchte, die Geldnot vieler
Lohnabhängiger auszunutzen, um ihnen als Rezept anzubieten: "Mehr
arbeiten, um mehr Geld zu verdienen". Die Kaufkraft der Beschäftigten
im privaten Wirtschaftssektor sank seit 2000 um bis zu 12 Prozent (gegenüber
5 Prozent im öffentlichen Dienst), da es kaum noch kollektive und
stattdessen überwiegend individuelle Darauf fielen die meisten Beschäftigten dann aber doch
nicht herein, da sie wohl wussten, dass es der rechten Regierung weniger
um ihr Wohl, sondern eindeutig um das der Arbeitgeber geht. In einer Umfrage,
welche die Sonntagszeitung JDD am 30. Januar 05 veröffentlichte,
äußerten 77 Prozent sich gegen eine Ausdehnung der bestehenden
Arbeitswoche(n), wie die Rückblick auf die 35-Stunden-Reform unter Jospin Zum besseren Verständnis soll ein kurzer Rückblick auf die Modalitäten der Einführung der 35-Stunden-Woche vor nunmehr 5 bis 6 Jahren geworfen werden. Die Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden
wöchentlich ist bereits eine ältere gewerkschaftliche Forderung;
in den späten 60er und frühen 70er Jahren wurde sie durch die
beiden größten Gewerkschaftsbünde gefordert: die seinerzeit
KP-nahe Gewerkschaft CGT und die damals eher links-undogmatische CFDT.1972
wurde sie in das Programm der "Linksunion", der Allianz aus
Sozialistischer und Kommunistischer Partei, aufgenommen. Nach dem Es war der sozialliberale Wirtschaftspolitiker Dominique
Strauss-Kahn ("DSK"), der ab 1993 eine Lobbygruppe der französischen
Privatindustrie bei der EU-Kommission in Brüssel (den "Cercle
de l¹industrie") leitete und später Wirtschaftsminister
unter Lionel Jospin werden sollte, der die Idee "DSK" war es, der deswegen die Forderung nach
Einführung der 35-Stunden-Woche "entstaubte" und in das
Programm des damaligen Präsidentschaftskandidaten Lionel Jospin zur
Wahl des Staatschefs im April/Mai 1995 hineinschreiben ließ. Seine
Parteikollegin Martine Aubry war Es ist daher eine Ironie der Geschichte, dass die ab 1998
etappenweise eingeführte Gesetzgebung, die den von DSK konzipierten
"Deal" umsetzen sollte, heute unter dem Namen "Aubry-Gesetz
1 und Aubry-Gesetz 2" bekannt ist. Denn die Dame, heute Oberbürgermeisterin
von Lille, amtierte damals als Arbeits- und Sozialministerin der Regierung
Jospins und wurde mit der Am 10. Oktober 1997 vereinigte Premierminister Lionel Jospin seine Regierung, die Arbeitgeberverbände und die größeren Gewerkschaften an seinem Amtssitz zu einem "Sozialgipfel". Das Gipfeltreffen sollte den Startschuss für die Umsetzung der zuvor angedachten Reform im "sozialpartnerschaftlichen" Konsens abgeben. Dieser Plan scheiterte jedoch: Der oberste Chef des Arbeitgeberverbands CNPF (der heute in MEDEF umbenannrt ist), Jean Gandois, weigerte sich strikt, einem solchen "Deal" zuzustimmen. In seinen Augen handelte es sich um eine unzulässige Einmischung der Politik in die "Angelegenheiten der Unternehmer". In der Folgezeit setzte die Regierung durch die beiden "Aubry-Gesetze",
die im Juni 1998 und im Januar 2000 in Kraft traten, die "Reform"
dennoch um. Der Zeitabstand zwischen der Verabschiedung der beiden Gesetzeswerke
sollte dazu dienen, dass in den einzelnen Unternehmen Betriebsvereinbarungen
angenommen würden, in denen die Modalitäten des angedachten
"Deals" festgeschrieben würden. Als mögliche "Gegenleistungen"
für die Verkürzung Eine vorläufige Bilanz der 35-Stunden-Reform Als vorläufige Bilanz der damaligen Reform lässt
sich (erstens) festhalten, dass der Beschäftigungseffekt vergleichsweise
gering ist oder jedenfalls geringer ausfällt als erwartet. Nach Angaben
des Commissariat au Plan, einer staatlichen Wirtschaftsbehörde, aus
dem Jahr 2001 wurden in der letzten Wachstumsperiode (1997 bis 2000) in
Frankreich insgesamt 1,375 Millionen Was die Auswirkungen auf die abhängig Arbeitenden betrifft,
so ist je nach sozialer Situation und Beschäftigungslage zu differenzieren.
Am 15. Mai 2001 fasste die Tageszeitung France Soir eine Studie aus dem
Arbeitsministerium folgendermaßen zusammen : "Je nachdem, ob
man cadre (höherer, leitender Angestellter) oder aber ’einfacher
ArbeiterŒ ist, fallen die Auswirkungen Ferner hieß es in dem Artikel: "Bei den einfachen
Angestellten oder Arbeitern klingt das anders. So zeigt eine Studie des
Gewerkschaftsbunds CFDT im Bausektor von Anfang des Jahres, dass sich
die Bedingungen im Arbeitsleben verschlechtern. (...) Die Beschäftigten
des Sektors legen einen Die Wirtschaftszeitung ’La TribuneŒ vom 19. Juni
01 sah aber auch für die leitenden Angestellte Nachteile: "Stress
und Müdigkeit für die cadres" lautete die Überschrift.
Der Untersuchung zufolge zeigte sich dennoch die Mehrheit der Befragten
global mit der Arbeitszeitverkürzung einverstanden: 58 Prozent der
Befragten betrachten sie als Verbesserung des täglichen Insofern lässt sich das Fazit ziehen, dass die damalige
Reform der gesetzlichen Arbeitszeit zwar einerseits von vielen Menschen
insofern als Erleichterung erlebt wurde, als sie ihnen erlaubte, für
längere Zeiträume als bisher dem Arbeitsleben und seinen Zwängen
zu entfliehen. Andererseits Nicht alle Arbeitgeber spielen mit Jene Unternehmen, die das "Spiel" mitspielten
und entsprechende Vereinbarungen mit mindestens einem Teil "ihrer"
Gewerkschaften abschlossen, wurden dafür üppig belohnt. Für
die Dauer von 5 Jahren erhielten sie kräftige Nachlässe bei
den abzuführenden Sozialabgaben, und zwar für die Gleichzeitig setzte aber derjenige Teil der Kapitalistenverbände,
der den "Deal" wegen einer zu starken "Einmischung der
Politik" ablehnte, eine stark ideologisch aufgeladene Kampagne dagegen
fort. Im Dezember 1999 konnte der Arbeitgeberverband MEDEF so mehrere
tausend Unternehmer zu einer "Protestversammlung" mobilisieren.
Der MEDEF forderte, dass künftig Bis zum Regierungswechsel hatte die CFDT sich als "die
35-Stunden-Gewerkschaft" strategisch positioniert: Von allen Gewerkschaften
hat diese Organisation die meisten Betriebsvereinbarungen zur Umsetzung
der Arbeitszeitreform unterschrieben, und ist häufig den Wünschen
der In Paris beispielsweise stellte die CFDT maximal 4.000 Demonstranten.
Davon zählte ein Teil zu den ohnehin linksoppositionellen, kämpferischen
Sektionen innerhalb der CFDT (wie die Pariser Metallindustrie). Andere
Teile der Demo vom 5. Februar hingegen kamen auch aus den traditionell
rechten, ja "gelben" CFDT-Verbänden wie dem Dienstleistungsverband
(CFDT Services), der Was die jetzige Regierung plant Unmittelbarer Anlass für den Protest war die Offensive der rechten Parlamentsmehrheit, die Teile der Gesetzgebung zur 35-Stunden-Woche aus den Jahren 1999/2000 rückgängig machen will. Der Gesetzentwurf der konservativen Regierungspartei UMP sollte ursprünglich am 3. Februar in erster Lesung verabschiedet werden, doch aufgrund der zähen Hinhaltetaktik der parlamentarischen Opposition verzögerte sich die Abstimmung um mehrere Tage. Die Annahme in erster Lesung erfolgte am vorigen Mittwoch in der Nationalversammlung. Seit zwei Jahren war es innerhalb der UMP heftig umstritten,
ob man die beiden "Aubry-Gesetze" zur 35-Stunden-Woche einfach
abschaffen solle, um das "hässliche Symbol" zu entfernen,
oder aber ob man dessen Grundstruktur beibehalten und vorzugsweise die
in ihm enthaltenen Flexibilitäts-Spielräume ausweiten solle.
(Letztere Variante hat sich durchgesetzt.) Dieser Streit Doch "freiwillig" mehr arbeitende Lohnabhängige
können diese gesetzliche Maximalgrenze für Überstunden
zukünftig auch überschreiten, was bisher unzulässig war.
Die einzigen legalen Grenzen sind dann noch die Vorschriften, wonach abhängig
Beschäftigte höchstens 48 Stunden (oder in begründeten
Ausnahmefällen vorübergehend 60 Stunden) pro Woche arbeiten Wie geht es weiter? Welche möglichen Konsequenzen die derzeitigen Auseinandersetzungen
und Proteste haben werden, ist im Moment noch nicht abzusehen. Premierminister
Jean-Pierre Raffarin hat in den Tagen nach dem 5. Februar verkündet,
400.000 bis 500.000 Demonstranten seien nicht so wichtig, und die Protestzüge
gehörten eben zum Ritual der Gewerkschaften; eine funktionierende
"soziale Allerdings genügten bereits 100.000 demonstrierende
SchülerInnen der Oberstufen eine Woche später, um die von Bildungsminister
François Fillon geplante Abiturreform zu Fall zu bringen. Ein hoher
Beamter des Pariser Bildungsministeriums wurde in der französischen
Presse mit den warnenden Worten zitiert: "Schüler und Studenten
sind wie Zahnpasta. Wenn sie einmal Vielleicht sollten auch die abhängig Beschäftigten sich öfter "wie Zahnpasta" verhalten. Bernhard Schmid, Paris |