Frankreich

Phase II – partiell nachgebessert

Zum 1. Februar 2000 trat – nach dem ersten Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung vom Mai 1998, das im Wesentlichen eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten nach sich gezogen hatte – das "zweite Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung" in Kraft, nachdem der Verfassungsrat Mitte Januar seine Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Ausführungsbestimmungen bekannt gegeben hatte.

Das Gesetz beinhaltet nun im Unterschied zum Entwurf vom Oktober letzten Jahres (s. express 10/99) folgende Regelungen: Für alle Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten wird die gesetzliche Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden bzw. 1.600 Stunden im Jahr festgelegt. Unternehmen, die noch keinen entsprechenden Tarifvertrag abgeschlossen haben und weiterhin die 39-Stunden-Woche praktizieren, müssen nun – ebenso wie diejenigen Unternehmen, die bereits die 35-Stunden-Woche eingeführt haben –, 25 Prozent Überstundenzuschläge zahlen; diese werden ab der 36. Wochenstunde bzw. ab der 1.601. Stunde bei Jahresarbeitszeitmodellen fällig. Die 35-Stunden-Woche wird also über finanzielle Anreize, nicht aber organisatorisch eingeführt.

Die rund 2,3 Millionen leitenden Angestellten, über die in dem 2. Gesetz nachverhandelt wurde, werden künftig in drei Kategorien eingeteilt, für die unterschiedliche Regelungen gelten.

Durch staatliche Ausgleichszahlungen wird auch der bisherige Verdienst nach dem geltenden gesetzlichen Mindestlohn SMIC garantiert. Dabei wird nicht der Mindeststundenlohn selbst erhöht, sondern nur die Differenz zum bisherigen Lohn bei einer 39-Stunden-Woche ausgeglichen. Dieser Zuschlag wird maximal für die kommenden fünf Jahre gewährt und wird durch gezielte staatliche Subventionen finanziert. Aufgrund der Überprüfung durch den Verfassungsrat wird dieser staatliche Zuschuss nun auch Teilzeitkräften, die ebenfalls zum Mindeststundenlohn beschäftigt sind, zugute kommen, wobei sich der Anspruch – nach einer komplizierten Staffelung – im Verhältnis zur Wochenarbeitszeit realisiert. Dabei sollen längere Beschäftigungszeiten tendenziell honoriert werden.

Nach dem Gesetz soll jeweils in Tarifvereinbarungen die Zahl der durch das Gesetz zur Senkung der Arbeitszeit geschaffenen oder erhaltenen Arbeitsplätze festgehalten werden; gesetzlich gibt es hier keinerlei Anhaltspunkte oder Vorgaben. Die Unternehmen werden daher im Rahmen der Tarifverhandlungen mit Sicherheit darauf verweisen, dass das Gesetz keine verpflichtenden Vorgaben enthält. Bei Streitigkeiten obliegt es also einer aus der staatlichen Arbeitsvermittlung (Agence National Pour Emploi/ANPE) und der zentralen staatlichen Arbeitslosenkasse bestehenden Behörde, zu entscheiden, ob ein Tarifvertrag die gesetzlichen Vorgaben einhält oder nicht.

Erholzeiten und Essenspausen werden nun doch, entgegen den ursprünglichen Plänen, zur Arbeitszeit gerechnet, die Ankleidezeiten dagegen nicht – es sei denn, eine besondere Arbeitskleidung ist vorgeschrieben. Zusätzlich zu einer Reihe von Prämien und Subventionen, die schon im ersten Gesetz vereinbart waren, erhalten die Unternehmen nun eine Unterstützung in Form einer Senkung des Arbeitgeberanteils an den Sozialabgaben für Einkommen bis zum 1,8-fachen des Mindestlohnes.

Die Akzeptanz der 35-Stunden-Woche in der Öffentlichkeit ist trotz Kritik der Unternehmer, aber auch seitens eines Teils der linken Gewerkschaften, nach wie vor gegeben. Der für 1999 spürbare Rückgang der Erwerbslosenzahlen wird neben der konjunkturellen Lage vor allem den Effekten der ersten Phase der Einführung der 35-Stunden-Woche nach 1998 zugeschrieben. Allein im Dienstleistungsbereich und in der Industrie wurden im letzten Quartal 1999 ca. 88.000 neue Stellen geschaffen bzw. erhalten (1999 insgesamt: 262.000 Stellen).

Allerdings gehen sowohl die Gewerkschaften SUD und CGT als auch leitende Stellen der staatlichen Arbeitsvermittlung ANPE davon aus, dass ein Großteil der neuen Stellen als prekäre Beschäftigungsverhältnisse bezeichnet werden müssen. So ist insbesondere eine starke Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse festzustellen, da die Unternehmer im Gegenzug zur Einführung der 35-Stunden-Woche einige Möglichkeiten erhielten, die Beschäftigungsverhältnisse und das Arbeitszeitregime flexibler und auf das Prinzip der "Abrufbereitschaft" umzustellen.

Die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften werde, so Generaldirektor Bernard von der ANPE, besonders BerufsanfängerInnen und Arbeitssuchenden über 50 Jahre zugute kommen. Während früher die wich tigsten Einstellungskriterien Berufserfahrung und Ausbildungsabschlüsse gewesen seien, würden künftig verstärkt Fähigkeiten gefordert, die am jeweiligen Arbeitsplatz orientiert seien. Die Ausbildung erfolge dann als "training-on-the-job". Nach diesem Prinzip wurden bisher mehr als 5.000 Personen eingestellt.

Besonders mittlere und kleinere Unternehmen sehen dagegen in den letztjährigen Lohnzuwächsen und der Einführung der 35-Stunden-Woche eine Gefährdung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Während die Zahl der abhängig Beschäftigten steigt, nimmt die der selbständigen Handwerker immer weiter ab. Immer mehr Kleinbetriebe geben auf oder sind auf Aufträge großer Unternehmen angewiesen.

U.W.

Erscheint in express 3/2000

Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit"
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