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Aracelly Moreno, die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft UNE, berichtet über Hintergründe der Massenproteste in Ecuador und Erfahrungen bei ihrer Deutschlandreise

Moreno, Lehrergewerkschaft UNE in Ecuador

Generalstreiks, Massendemonstrationen, Straßenblockaden – das für südamerikanische Verhältnisse kleine und in den Massenmedien kaum erwähnte Land ist von tiefer Unruhe erfasst. Von den knapp 13 Millionen Einwohnern sind besonders die Arbeiterinnen und Arbeiter und kleine Bauern in den Kämpfen aktiv. Darunter sind auch viele Einwohner indigener Abstammung, die von der unter dem IWF-Diktat betriebenen Hungerpolitik der Regierung besonders betroffen sind und dagegen, wie gegen ihre kulturelle Diskriminierung rebellieren. Mit an der Spitze der Massenaktionen stehen die Lehrerinnen und Lehrer. Zusammen mit Eltern und Kindern wehren sie sich gegen die geplante Privatisierung des Schulwesens. Solche Projekte zur »Sanierung des Staatshaushalts« verlangt der Internationale Weltwährungsfonds (IWF) – derzeit unter Leitung des Deutschen Horst Köhler. Während ihrer Deutschlandreise hatten wir Gelegenheit, mit Aracelly Moreno, der Vorsitzenden der Lehrergewerkschaft UNE, ein ausführlicheres Hintergrundgespräch, insbesondere zur Situation in den Schulen, zu ihren eigenen Erfahrungen mit Unterdrückung und Verhaftung zu führen und sie auch zu ihren Reiseeindrücken zu befragen.

?Vielleicht können Sie unseren Leserinnen und Lesern zunächst etwas über die gegenwärtige Situation im Schulwesen sagen. Woher rührt die vehemente Gegenwehr gegen die geplante Privatisierung?

Aracelly Moreno: In Ecuador ist die Situation im Erziehungswesen schon jetzt sehr schlimm. Nur 7,9 Prozent des Staatshaushalts werden für Erziehungsfragen ausgegeben, während 30 Prozent fürs Militär ausgegeben werden und 48 Prozent für die Bezahlung der Auslandsschulden.

Viele Schulräume in den ländlichen Gebieten haben weder einen Boden noch ein Dach. Nur 60 Prozent der Kinder waren in diesem Jahr eingeschrieben in der Schule. Von den restlichen 40 Prozent hatten die Eltern nicht genug Geld, um die Einschreibegebühren zu zahlen oder die Schulmaterialien. Zwischen 40 und 50 Prozent der Kinder von ein bis fünf Jahren sind unterernährt. Häufig schlafen diese Kinder in der Schule ein oder werden sogar ohnmächtig. Statt mehr dafür auszugeben, besteht die Regierung darauf, das Erziehungswesen zu privatisieren. Gegenwärtig gibt es ein Gesetz zur Privatisierung, das im Parlament vorgelegt wird. Es wird "garniert" mit Reden von Selbstverwaltung, Mitbestimmung, Dezentralisierung, Autonomie.

Das war ein Grund für die Streiks im Mai und Juni. Darauf hin musste der Präsident ein Dokument unterschreiben, in dem er erklärte, dass das Erziehungswesen nicht privatisiert wird. Wenige Monate später hatte er »vergessen«, was er unterzeichnet hatte.

Es wird gesagt, dass die Eltern, die Nicht-Regierungs-Organisationen und die Gemeinden Verantwortung für die Erziehung übernehmen sollten. Wir sagen: Das ist eine Lüge! Sie wollen vielmehr die Verantwortung für die ganze Erziehung auf die Eltern abladen.

?Sie wurden während der Protestaktionen selbst verhaftet?

Aracelly Moreno: Während des Streiks und der ganzen Aktivitäten im Mai und Juni 2000 waren alle Lehrer dabei. In allen Provinzen des Landes gab es tägliche Mobilisierungen, Versammlungen und Straßensperren. Zuletzt versammelten sich 30 000 Lehrer und Eltern in Qutio. Und das konnte die Presse nicht mehr verschweigen. Sie mussten sagen, die Lehrer haben Quito eingenommen.

Es war vereinbart, dass ich auf jeden Fall versuchen sollte bis zu den Toren des Präsidentenpalastes vorzudringen, um dort die Forderungen vorzutragen. Das gelang auch auf Schleichwegen. Der Präsident empfand es als eine freche Herausforderung, dass die Vorsitzende der UNE vor seiner Tür steht. Die Regierung konnte das nicht ertragen. Den ganzen Tag haben sie mich verfolgt. Aber wir waren den ganzen Tag im Gewerkschaftslokal zusammen mit Eltern, Lehrern und Schülern, und die ganze Presse aus dem Land war da.

Um acht Uhr abends, als dann die meisten Lehrer weg waren, bin ich in einem Auto mit einem Kollegen zusammen weggefahren. An der Ecke stand dann die ganze Polizei, Spezialeinheiten, weibliche Polizei und Militäreinheiten verschiedenster Art. Sie versuchten, unser Auto umzukippen und Tränengas einzuleiten. Sie hatten Gasmasken um. Schließlich haben sie alle Fensterscheiben zerschlagen.

Ich hatte wirklich keine Angst. Ich war sehr empört und wütend und fühlte mich beleidigt, war sogar enttäuscht, weil ich hier für das ecuadorianische Volk stand, eine Frau aus dem Volk. Ich hab’ sie angeschrien und gefragt, wie sie dazu kommen, mich zu verhaften und wie sie dazu kommen, mich zu einem Ort zu bringen, wo die Rauschgifthändler und die Kriminellen hingebracht werden. Ich bin weder Rauschgifthändler noch kriminell, sondern eine Lehrerin aus dem Volk.

Sie haben dabei gleichzeitig eine andere, sehr junge Lehrerin verhaftet, die mit mir im Auto war. Sie hatte ziemlich große Angst. Sie hat ans Gitter gepackt und geheult: "Ich bin nicht Aracelly Moreno! Laßt mich los!" - Es war das erste Mal, dass sie in so einer Sache drin war. Ich hab’ sie in den Arm genommen und gesagt, sie sollen sie frei lassen, "ich bin Aracelly Moreno. Das ist eine junge Lehrerin...". Ich habe sie getröstet und sie in eine Ecke mitgenommen. Das war noch bei der Verhaftung, ich habe sie raus gelassen. Sie haben erst mal nicht reagiert. Ich habe ihr gesagt, sie soll ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Sie war so nervös, dass sie nicht zum Taxi gehen konnte, weil ihr die Knie schlotterten. Sie hatte kein Geld. Ich gab ihr meine Handtasche und sagte: "Nimm das Geld raus und geh’!" Und weil sie so nervös war und nicht gehen konnte, hab’ ich zu den Polizisten gesagt, sie sollen ihr helfen, ihr ein Taxi holen und sie nach Hause bringen. Und das haben sie dann auch tatsächlich gemacht - so verblüfft waren sie (lacht).

Dann bin ich mitgegangen, durch die ganzen Gänge der Polizeistation. Ich habe gefragt: Warum bin ich hier? Warum haben sie nicht die räuberischen Bankiers hier gefangen genommen. Mein Verfehlen ist, dass ich eine Lehrerin bin und das Erziehungswesen verteidige, das sie privatisieren wollen, und das Recht, dass die Lehrer einen gerechten Lohn bekommen. Und ich habe gefragt: Wer hat euch eigentlich Lesen und Schreiben beigebracht? – Das waren wir, die Lehrer. Und eure Kinder unterrichten wir auch. Sie haben sich entschuldigt und gesagt: Das ist ein Befehl des Präsidenten der Republik …

Der Staatsanwalt, der mich anchließend verhörte, konnte nicht einmal einen Haftbefehl vorlegen. Ich bin illegal verhaftet worden. Am nächsten Tag waren Tausende von Lehrern und Journalisten dort, und der Präsident hat festgelegt, dass ich in ein Gefängnis kommen soll, wo Kriminelle und Leute wegen Drogendelikten verhaftet werden. Am nächsten Tag kam dann ein Riesenaufgebot von Polizisten und brachte mich zum CTP, dem Untersuchungsgefängnis. Das ist eins der schlimmsten Gefängnisse, die es in Ecuador gibt. Es ist etwa 200 Jahre alt. Von da aus wollte der Präsident, dass ich in ein anderes Gefängnis komme, in dem nur Kriminelle sind. Das andere Gefängnis war auch schon schlimm genug, in den Zellen waren acht Betten, es war sehr kalt. Es gab keine Fensterscheiben. Die Leute hatten Handtücher vor den Fenstern aufgehängt, aber das war’s dann. Aber ich war sicher, dass mir hier nichts passiert. Ich wurde dann krank und hatte Bronchitis, weil es so kalt war. Aber die anderen haben auf mich aufgepasst. Ich will diese hohe menschliche Qualität hervorheben.

Es erscheint fast unglaublich, dass an einem so schrecklichen Ort Frauen unter den Wärterinnen gibt, die solidarisch sind. Obwohl ihre Arbeit schrecklich ist, mit den ganzen Kriminellen. Ich hatte auch Kontakt mit kriminellen Frauen, auf dem Hof, aber sie haben mich respektiert. "Ich habe selbst Kinder" sagten sie und ich bin schließlich Lehrerin ..... Ich möchte darauf hinweisen, dass die einfachen Leute bis hin zu den Kriminellen sich solidarisch verhalten haben und sich auch dem Volk zugehörig fühlen.

? Auf abenteuerlichem Weg – sozusagen über eine Entführung aus einem Krankenhaus sind Sie nach einigen Tagen ja wieder freigelassen worden. Aber das hätte das Regime doch sicherlich nicht ohne entsprechenden Druck zugelassen.

Aracelly Moreno: Ja, es gab in Ecuador heftige Proteste gegen meine Verhaftung und dann kamen aus der ganzen Welt Solidaritätserklärungen. Das machte dem Präsidenten große Sorgen. Er war sauer. Es würde Papier für E-Mail-Ausdrucke verschwendet, hat er der Presse erzählt. Er sagte, ich würde sechs Jahre im Gefängnis bleiben.

Diese Bedrohung führt dazu, dass die Eltern, die Bauern, die Ureinwohner, verschiedenste Kreise eine Kampagne starteten. Egal, wo der Präsident hin kam, wurde er aufs unfreundlichste empfangen. In einer Provinz wurde er sogar mit Eiern beworfen, in einer anderen mit faulen Tomaten und Kartoffeln. In Quito haben die katholischen Schulen einen Gedenktag für einen Heiligen gefeiert und da der Präsident Katholik ist, haben sie ihn eingeladen. Darüber war er sehr zufrieden, weil er dachte, da sind jetzt die katholischen Lehrer, die katholischen Eltern. Das war in einem ganz großen Stadion. Kaum war er angekommen, bekam er Orangenschalen ab, Stöcke und Steine. Er wurde dann von den Schildern der Polizei geschützt. In dem Moment, wo er die Hostie bei der Kommunion empfangen wollte, bekam er wieder einiges ab. Das fand er sehr ungemütlich. Das Volk hat gerufen: Noboa, du bist eingesetzt worden, das Volk hat dich nicht dahin gewählt!

Mir wurde unterstellt, dass ich diese Aktionen veranlasst hätte, obwohl ich im Gefängnis war. Es gab aber zum Beispiel über hundert Lehrer, die in Hungerstreik getreten waren, um meine Freilassung zu erreichen. Das hat das Volk noch mehr mobilisiert. Ich habe mich an diesem Hungerstreik auch beteiligt. Da ging es mir nicht sehr gut, weil ich schon einmal einen Hungerstreik durchgeführt hatte und seitdem eine Gastritis (Magenschleimhautentzündung) habe. Im Gefängnis gab es zwar einen Arzt, aber der hatte nicht einmal ein Stethoskop zum Abhören, er war ganz schlecht ausgerüstet. Da haben dann die Kollegen einen Arzt mitgebracht. Der hat empfohlen, dass ich aus dem Gefängnis rausgeholt werde, sonst würde ich dort sterben. Dann wurde ich ins Krankenhaus eingewiesen. Es waren ganz viele Leute vor dem Gefängnis, als ich verlegt wurde. Am nächsten Tag haben mich Freunde aus dem Krankenhaus rausgeholt und haben mich zu einer großen Versammlung gebracht, um den Hungerstreik allgemein zu beenden. Danach sind wir zum Sitz der UNE. Da war viel Polizei, mit Riesenaufgebot, mit Hubschraubern, aber war etwas schwierig für die Polizei, weil die Presse verbreitete, die Lehrer hätten Aracelly Moreno "geklaut".

Ich wollte wieder zurück ins Krankenhaus, weil die Polizisten, die mich bewacht hatten, sonst Schwierigkeiten bekämen. Wichtig war, dass der Hungerstreik beendet war. Es war zu dem Zeitpunkt auch schon klar, dass die Regierung mich frei lassen muss. Die Rechtsanwälte berichteten, dass es den Befehl dazu schon gab. Deshalb bin ich zurück ins Krankenhaus.

Auf Grund der Solidarität der Lehrer und des ganzen Volkes und international hatte die Regierung keine andere Wahl, als mich frei zu lassen, und auch die beiden anderen Lehrer aus der Provinz, die ebenfalls verhaftet gewesen waren. Der Präsident hat unterschrieben, dass es keine Privatisierung der Schulen geben werde, dass die Gehälter der Lehrer angehoben werden und dass der Haushaltsposten für das Erziehungswesen des Landes angehoben wird. Das war ein großer Sieg für das Volk von Ecuador und für die internationale Solidaritätsbewegung.

? Sie waren zum ersten Mal in Deutschland, haben Gewerkschaften, Schulklassen und den 4. Frauenpolitischen Ratschlag in Duisburg besucht. Was waren wichtige Eindrücke für Sie?

Aracelly Moreno: Ich möchte mich bedanken bei den Lehrern, den Kollegen, den Arbeitern, die es ermöglicht haben, dass ich nach Deutschland, in dieses große Land kommen konnte. Das ist das erste Mal, dass ich so lange und so weit weg war von zu Hause, aber ich fühlte mich wie zu Hause. Etwas ganz besonderes waren die Kinder an den Schulen. Sie zeigen sehr viel Zuneigung, sind sehr herzlich aber auch von einer großen Reife. Sie stellen sehr viele Fragen, sind sehr direkt und auch sehr kritisch. Sie fragten zum Beispiel, warum die Regierung und die Reichen von Ecuador sich nicht um die Kinder kümmern. Sie sind davon überzeugt, dass es eine Pflicht der Regierung ist, dass sie sich um die Kinder kümmert.

Und dann hatte ich sehr eindrucksvolle Erlebnisse. Zum einen eine mächtige Demonstration des deutschen Volkes in Köln gegen den Faschismus. Tausende von Jugendlichen, alte Leute, Mütter mit ihren Kindern im Kinderwagen. Musikgruppen waren dort, es gab Reden – und es war wirklich sehr eindrucksvoll. Das war wirklich das genaue Gegenteil von dem, was bei uns in der Presse berichtet wird. Es wird da immer gesagt, die Leute in Deutschland sind reich und haben keine Probleme, sie neigen dem Faschismus zu. Ich habe gesehen, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Das andere, was mich sehr beeindruckt hat, waren die Arbeiter. Ich war an verschiedenen Orten mit Kollegen aus Betrieben zusammen und bin in Betrieben gewesen. Bei Bosch, bei Opel, bei Siemens, bei Voith und Daimler und da habe ich auch erlebt, wie die Wirklichkeit hier ist. Ich habe mit den Arbeitern sprechen können, ihre Probleme kennen gelernt. Wir haben ausgetauscht, was hier und in Ecuador mit den Arbeitern passiert.

Und ich werde das Beispiel vom Opel-Streik in Bochum in mein Land mitnehmen und davon berichten. Dort haben die Arbeiter im Juni zwei Tage lang gestreikt, als deutlich wurde, dass es Massenentlassungen geben soll, weil Opel mit Fiat zusammen ging, und es war zu erwarten, dass 4000 Arbeiter entlassen würden. Es war eine sehr mutige Entscheidung, in den Streik zu treten, und es hat die Unternehmer gezwungen, zurückzugehen. Und das müssen wir in der Welt bekannt machen. Ich möchte euch auch beglückwünschen zum 4. Frauenpolitischen Ratschlag. Besonders gut fand ich, dass es nicht nur ein Frauentreffen war, sondern auch sehr viele Männer teilnahmen. Das hat mich alles sehr beeindruckt und ich werde zu Hause darüber berichten.

Das Gespräch führte Anna Bartholomé


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