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aus: AK Nr. 457 vom 20.12.01
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
Der Sieg der bürgerlichen Parteien bei den dänischen Kommunal- und Parlamentswahlen war keine Überraschung. Wie er zustande kam, hat dennoch Empörung ausgelöst. Selbst die liberalen Schwesterparteien in Skandinavien kritisierten den Wahlkampf der dänischen Venstre, die mit Anders Fogh Rasmussen den neuen Regierungschef stellt, ungewöhnlich scharf. Die europäische Presse von Le Monde bis zur taz und PolitikerInnen der meisten Regierungsparteien inklusive der deutschen Grünen stimmten in die Klage über den Rassismus im dänischen Wahlkampf ein. In der Tat war der Wahlkampf eine geschmacklose Angelegenheit. Nur ist die Kritik daran verlogen. Denn diese Geschmacklosigkeit war und ist stärker von Tony Blair als von Jörg Haider inspiriert.
Der nun ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Nyrup Rasmussen rief die Wahl bewusst kurz nach dem 11.9. aus, weil die katastrophalen Umfrageergebnisse der Sozialdemokratie sich zu dieser Zeit etwas verbessert hatten. Damit bewegte sich die sozialdemokratische Wahlkampfstrategie von vornherein auf dem Gipfel einer autoritären Welle, die die Anschläge des 11.9. und die darauf folgende Militarisierung der öffentlichen Diskussion zwar nicht ausgelöst, aber doch verschärft haben. Auf dieser autoritären Welle brachte die alte sozialliberale Regierung ein Antiterrorgesetz ein, das ermöglicht, fast jegliche Solidaritätsbewegung mit fast jeglicher politischer Strömung im Ausland als "terroristisch" zu kriminalisieren. Die Ausformung des entsprechenden Paragraphen erinnert stark an den deutschen §129a StGB. Grundlage der Verschärfungen ist die nahezu einhellige Befürwortung des Krieges in Afghanistan durch das dänische Establishment. Aktuell hat sich sogar die linke Sozialistische Volkspartei (SF) einer "maßvollen" Kriegsführung angeschlossen, während nur noch die kleine linke Einheitsliste und eine ebenso kleine Friedensbewegung konsequent gegen den Krieg eintritt.
Sind schon die Antiterrorparagraphen und die Befürwortung des Krieges Beispiele dafür, dass Rasmussen und Rasmussen austauschbar sind, so gilt dies um so mehr für die dänische "Einwanderungsdiskussion". Von der Dänischen Volkspartei (DFP) angetrieben, schaukelte sich dieser Diskurs anlässlich des Wahlkampfes in ungeahnte Tiefen. Der Anfang machte die ehemals linksradikale Innenministerin der alten Regierung im Herbst 2000, die "kriminelle Einwanderer" auf eine "einsame Insel" verbannen wollte. In der Folge wurde das Motiv des "kriminellen Einwanderers" immer wieder bemüht. Die DFP veröffentlichte klischeeartige Bilder von "Moslems" mit der Aufforderung, zu verhindern, dass die furchteinflössenden Gestalten "Dänemark übernehmen". Venstre schloss sich im Wahlkampf mit einer Kampagne an, die einen "ausländischen Vergewaltiger" zur Abschreckung und Besinnung des Stimmviehs präsentierte.
Im Ergebnis haben die chauvinistischen Töne des Wahlkampfes gefördert, dass zum erstenmal seit 1921 Venstre die SozialdemokratInnen als stärkste Partei im dänischen Parlament ablösen konnte. Die SozialdemokratInnen bekamen nur noch 29,1% der Stimmen. Auch die SF konnte nicht von der Krise der Sozialdemokratie profitieren und verlor rund 20% ihrer WählerInnen. Da auch die Einheitsliste einige Stimmen verloren hat und gerade noch eben im Parlament vertreten ist, muss konstatiert werden, dass es ihr in dieser Hinsicht nicht geholfen hat, eine konsequente linke Oppositionspolitik beizubehalten. Die Gruppe ist vor allem ein Kopenhagener Phänomen, wo sie trotz Verluste im Stadtparlament mit ca. 8% der Stimmen vertreten. Auf der rechten Seite hat sich Venstre mit etwas über 30% der Stimmen eindeutig als hegemoniale Partei im bürgerlichen Sektor etabliert. Die Konservative Partei ist nunmehr Juniorpartner einer von Venstre geführten Minderheitsregierung. Die Dänische Volkspartei hat, trotz des rassistischen Wahlkampfes, nicht den Durchbruch geschafft. Der Zuwachs auf 12% der Stimmen relativiert sich dadurch, dass die rassistische Fremskridtsparti nicht mehr im Folketing vertreten ist. Insgesamt ist der Anteil beider Parteien um etwas mehr als 2% gestiegen. Die DFP wird zwar nicht in der neuen dänischen Regierung vertreten sein, ist aber potentielle Mehrheitsbeschafferin, vor allem für die Flüchtlingspolitik der neuen Rasmussen-Regierung.
Der Einbruch der Sozialdemokratischen Parteien Skandinaviens, zunächst im September mit der Niederlage der Stoltenberg-Regierung in Norwegen, jetzt auch in Dänemark, sowie das Scheitern linker parlamentarischer Alternativen erinnert an die Entwicklung in anderen europäischen Ländern. Das Horrorszenario eines Siegeszuges der Neuen Rechten, der in Österreich und Italien begann und, mit einem kleinen Umweg über Hamburg, sich nun in Skandinavien fortzusetzen scheint, wird immer realitätsnaher. Es stellt sich also die Frage, wie die Fortsetzung dieses Siegeszuges verhindert werden kann. Erkenntnisse über die soziale Zusammensetzung der Wähler von DFP bis Schillpartei führen dabei in der Linken oft dazu nicht, dass die sozial(n) Fragen im allgemeinen für ein geeignetes Feld gehalten werden, auf dem die "Neue Rechte" bekämpft werden sollte. Viele Linke beschränken sich mehr oder weniger darauf, die Äußerungen dieser oder jener PolitikerInnen als rassistisch zu verurteilen und in moralischer Indignation zu verharren. Während die linke Restöffentlichkeit sich mit der Welle der "Dänischkeit" (=danskhed) beschäftigte, machte die Rechte die Sozialpolitik zum vermutlich entscheidenden Schwerpunkt ihres Wahlkampfes.
Im Gegensatz zu anderen Parteien der Neuen Rechten wie Forza Italia, der dänischen DFP oder der Schillpartei ist Venstre keine Neugründung. Charakteristisch ist allerdings, dass der Wahlkampf der ehemaligen Bauernpartei von einem Reklamefeldzug geprägt war, der die politischen Unebenheiten in einer Partei, in der es früher auch einen humanistisch-liberalen Flügel gab, reduziert hat. Die Spindoctors der Partei verfahren dabei nach einem System, das in den USA und Großbritannien erfolgreich ausprobiert wurde. Im Wahlkampf erschien hauptsächlich der "Präsident" in spe, begleitet durch eine Schar Cheerleaders die, in den Farben der Partei gekleidet, schrieen, dass "Dä-ne-mark ei-ne li-be-ra-le bür-ger-lich-e Po-li-tik" brauche. Bei dieser Gelegenheit wurde auch das neoliberalen Outfit abgelegt. In ihrer Koalitionsvereinbarung versprachen Venstre und die Konservativen, die Leistungen der Krankenhäuser, der Volksschulen, der Altenversorgung zu verbessern. Mit diesem Versprechen ist, wird es eingelöst, eine Expansion der öffentlichen Ausgaben verbunden. Da gleichzeitig ein "Stop den Steuer- und Abgabenerhöhungen" geplant ist, ist die Politik der neuen Regierung angesichts der sich auch in Dänemark abzeichnenden Rezession kaum realistisch. Doch solche Versprechen treffen sich mit einer innerhalb der Bevölkerung stark verbreiteten Kritik. Die Unbeliebtheit der alten Regierung wurde vor allem durch Warteschlangen in den Krankenhäusern, unzureichende Pflege von alten Menschen und die Kürzungen im Bereich der Frühverrentung des Jahres 1998 ausgelöst.
Die Politik Fogh Rasmussens orientiert sich weniger an Berlusconi als an Tony Blair. Jenseits der Wahlreklame verspricht diese Politik keineswegs Armen wie Reichen das Blaue vom Himmel, sondern nur denjenigen, die bereit und in der Lage sind, sich in die arbeitsame Mittelschicht zu integrieren. Das politische Projekt von Venstre kann man am ehesten als Versuch der Modernisierung des Wohlfahrtsstaates auf der Grundlage forcierter sozialer und ethnisierter Ausgrenzung einer gesellschaftlichen Minderheit bezeichnen. Die Fortsetzung der "Recht- und Pflicht-Aktivierung", die für SozialhilfeempfängerInnen und einen Teil der Erwerbslosen den Entzug der Existenzgrundlage vorsieht, wenn sie die Arbeits- oder "Bildungs"angebote nicht wahrnehmen, ist auch unter dem neuen Rasmussen garantiert. Die sozialen Verbesserungen im Bereich der Bildung, der Gesundheits- und der Altenversorgung soll u.a. durch Kürzungen des Arbeitslosengeldes finanziert werden. Auch hier ist die alte Regierung bereits mit schlechtem Beispiel voran gegangen, indem sie u.a. die Anspruchdauer um fast die Hälfte reduzierte.
An dieser Stelle wird der Zusammenhang zwischen sozialer und rassistischer Spaltung der Gesellschaft am deutlichsten. Bereits in den letzen Jahren lag Dänemark im EU-Vergleich bezüglich der Integration von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt kontinuierlich an letzter Stelle. Die Maßnahmen der neuen Regierung werden daran nichts ändern, auch wenn sie als "Arbeitsförderung" daherkommen. So soll Flüchtlingen für die ersten sieben Jahre ihres Aufenthaltes das Recht auf Einkommen außerhalb von Arbeit sowie dem damit verbundenen Arbeitslosengeldanspruch verweigert werden. Diese Verschärfung des Arbeitszwangs wird zur weiteren Spaltung des Arbeitsmarktes führen. Ein Durchbruch wäre aus Sicht des Kapitals, wenn, wie von PolitikerInnen der neuen Regierung gefordert, der Mindestlohn de facto abgeschafft würde. In Dänemark stehen gesetzliche Bestimmungen der Entwicklung eines Niedriglohnsektors entgegen. Die Absenkung der Löhne und die potentielle Illegalisierung von Arbeit, wäre ein Bruch mit dem in Dänemark etablierten Arbeitsregime. Die BRD ist hier Vorbild. Ebenso einschneidend ist die Abschaffung von sozialen Ansprüchen von MigrantInnen. Das nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschaffte Prinzip der "Bedürftigkeitsprüfung" soll für diese Gruppe wieder eingeführt werden, ohne dass es festgelegte Prinzipien für das Vorliegen von Bedürftigkeit oder die Höhe der Almosen gibt. Was für bundesdeutsche Verhältnisse normal erscheint, ist für dänische ein historischer Einschnitt.
Die Politik der Rechtskoalition wird mehr sein als eine bloße Fortsetzung der Politik ihrer Vorgänger. Obwohl es der Eingriff in die gewerkschaftlichen Rechte war, der der alten Regierung einen großem Teil ihrer Unterstützung gekostet hat, setzt die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag auf eine harte Konfrontation mit der Arbeiterbewegung. Dabei werden auch Ladenhüter aus der neoliberalen Mottenkiste wieder hervorgekramt. Dass dies in der Öffentlichkeit nicht besonders ankommt, haben schon die ersten Reaktionen gezeigt. So wurde die Ankündigung, das Recht der Gewerkschaften, Tarifverträge ohne Beteiligung der winzigen "gelben" Gewerkschaften abzuschließen, selbst von den Unternehmerverbänden kritisiert, die um den sozialen Frieden fürchten. Ein Vorstoß, die "freiwillige" außertarifliche Vereinbarung über flexible Arbeitszeiten möglich zu machen, wurde bereits von den Gewerkschaften abgelehnt. Die weiteren Privatisierungen öffentlicher Unternehmen werden von den Kommunen zum Teil abgelehnt, weil diese häufig teurer als staatliche Unternehmen sind. Dennoch ist zu erwarten, dass die neue Regierung im Gegensatz zur Alten versuchen wird, die Privatisierung "weicher" Bereiche (Krankenhäuser, Altenpflege etc.) zu forcieren.
Wichtig für die Differenzierung des Horrorszenarios ist: Die vorgesehenen Projekte sind noch nicht durchgesetzt. Und es gibt durchaus die reale Chance, dass sie scheitern könnten. Bereits die erste Maßnahme der Regierung - die Durchsetzung von einkommensabhängigen Ansprüchen in einem Teil der Rentenversorgung- stieß auf heftigen Protest in Teilen der Gewerkschaften. Und selbst das versprochene Ende der Steuer- und Abgabenerhöhungen konnte schon einige Tage nach der Wahl nur noch mit viel Kosmetik eingehalten werden. Bis zur Verabschiedung des nächsten Haushaltes werden sich die Widersprüche vermutlich verschärfen. Angesichts der Haushaltslage und dem Wunsch der Regierung, insbesondere hohe Einkommen "zu entlasten", wird kaum zu gewährleisten sein, dass sich die Kürzungen nur auf einen bestimmten Teil der Bevölkerung begrenzen werden. Offen ist, ob sich die zu erwartenden Proteste gegen die neue Sozialpolitik nur an Angriffen in einzelnen Sektoren orientieren werden oder ob es ein erfolgreiches linkes Projekt geben kann, das die Gesamtheit der skizzierten Angriff ins Visier nimmt.
Im Parlament wird es darauf ankommen, ob der neue Rasmussen, wenn sich die Versprechungen des Wahlkampfes als blaue Luft erweisen, die Hilfe von der DFP oder der Sozialdemokratie erwarten kann, auf die er angewiesen ist. Es ist möglich, dass die DFP auf die Zuspitzung der Forderung nach einem "nationalen Wohlfahrtsstaates" setzt. Zu konstatieren, dass das Konzept des "nationalen Wohlfahrtsstaates" eine rassistische Veranstaltung ist, wird in dieser Situation ebenso richtig wie unzureichend sein. Als ersten Ansatz einer Opposition auch in den sozialen Fragen ernannte die Einheitsliste eine "Robin-Hood-Beauftragte". Diese Parlamentarierin soll "sich darauf konzentrieren, von den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben". Wenn dieses Projekt nicht wieder in einer Volksballade über eine kleine Schar von Getreuen im tiefen Sherwood Forest enden soll, hat die dänische Linke noch einiges zu tun. Was sie sicherlich mit der Linken in der BRD gemeinsam hat.
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