Dieser Beitrag wurde für die niederländische Zeitschrift Solidarität im September 1999 verfaßt.
Die CUT (Central Unica dos Trabalhadores, gewerkschaftlicher Dachverband) Brasilien wurde 1983 gegründet. Ihre Entstehung und schnelles Erstarken sind Ergebnis der machtvollen Streiks und Demonstrationen der Arbeiter, die Brasilien am Ende der 70-er und Anfang der 80-er Jahre erschütterten. Diese Kämpfe brachten die Militärdiktatur zum Wanken und bildeten den Anfang einer Entwicklung, die wenige Jahre später zu ihrer Niederschlagung führte. Sie stellten außerdem die derzeitigen offiziellen Gewerkschaften grundlegend in Frage. Diese Kritik betraf die bürokratische Struktur der Organisation, ohne jegliche Kontrolle durch die Basis, wie auch den politischen Charakter der gewählten Funktionäre dieser Organisation. Sie waren gelbe Gewerkschafter, von der Militärregierung kontrolliert und praktizierten eine Politik der Kollaboration mit den Arbeitgebern.
Die CUT konstituierte sich als Opposition zu all dem, proklamierte die Notwendigkeit von gewerkschaftlicher Demokratie, kontrolliert von der Basis. Sie vertrat ein Klassenkonzept, ein kämpferisches und keines der Klassenkollaboration, verbunden mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. Diese Prinzipien, die Leitgedanke bei der Gründung der CUT waren, waren außerdem Ausdruck der starken Massenbewegung, die zur Entstehung der CUT geführt hat.
Die CUT wächst und festigt sich als Werkzeug und als Bezugspunkt des Kampfes für die brasilianischen Arbeiter und übernimmt so während der gesamten 80-er Jahre eine führende Rolle. Sie wird mit ca. 2800 Mitgliedsgewerkschaften (in Brasilien sind die Gewerkschaften auf örtlicher oder regionaler Ebene nach Sparten organisiert) zum größten brasilianischen, und zu einem der demokratischsten und kämpferischsten Dachverband in der Welt.
Bei ihrer Gründung brach die CUT ausdrücklich jede formale Beziehung zu einem der bestehenden Weltgewerkschaftsbünde ab. Mit dem Weltgewerkschaftsbund wegen seiner Funktion als Transmissionsriemen von Regierungen und stalinistischen und bürokratischen Parteien, mit dem Bund Freier Gewerkschaften als Ausdruck sozialdemokratischer Ausrichtung, die sich dadurch auszeichnet, daß sie für die Partnerschaft mit dem Kapital steht. Und mit dem Christlichen Weltgewerkschaftsbund ebenfalls wegen seiner Politik des Klassenkompromisses und der absoluten Profillosigkeit.
Seit Ende der 80-er Jahre ist ein Abflauen der Kämpfe zu verzeichnen. Dies ist die Auswirkung von verschiedenen Niederlagen verbunden mit der zunehmender Arbeitslosigkeit und einer stärkeren Fragmentierung der Arbeiter als Folge der neoliberalen Politik. Dieser Prozeß geht einher mit, und begünstigt in gewisser Weise, eine(r) sehr negativen Entwicklung der Articulação, der Mehrheitsfraktion innerhalb der CUT (gewerkschaftliche Strömung der Mehrheitsfraktion innerhalb der PT, der Arbeiterpartei).
Diese Strömung, die traditionell etwas über 50 % der Stimmen auf dem Bundeskongreß erhält (52% in 1991, 53% in 1997), wird mehr und mehr zur Vertreterin des Klassenkompromisses, jetzt Partnerschaft oder sindicalismo propositivo (gestalterische Gewerkschaftspolitik, im Unterschied zu den "Nein-Sagern" d.Ü.) genannt. Die Grundannahme der Kollegen ist, daß die neoliberale Globalisierung "unvermeidbar" sei. Damit bleibe den Gewerkschaften nur übrig, auf dem Verhandlungswege innerhalb der neoliberalen Logik zu Verbesserungen oder Abschwächung der damit einher gehenden Verschlechterungen zu kommen. Die Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der CUT und ihrer inneren Verfassung sind gravierend.
Die erste Konsequenz bezüglich der gewerkschaftlichen Aktion war die Schwächung der Rolle der Organisation als Impulsgeber für die Mobilisierung der Arbeiter. Die Tendenz ging immer mehr zu einer Verfestigung der "CUT der Verhandlung", die Vorschläge macht und bis zur Erschöpfung verhandelt. Mit der Zeit gewann auch die Vertretung in drittelparitätischen Einrichtungen an Bedeutung, (Warenzeichen des Bundes Freier Gewerkschaften, dem die CUT 1992 dann auch konsequenterweise beitrat), wie auch die Suche nach gemeinsamen Lösungen, und Verträgen, die für alle (Unternehmer, Arbeiter und Regierung) von Vorteil seien. Der erste Vertrag in diesem Sinne wurde von der Metallgewerkschaft im ABC (der wichtigsten Gewerkschaft innerhalb der CUT) mit der Automobilindustrie und der Regierung abgeschlossen. Danach kam die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Einführung von Arbeitszeitkonten etc..
Die Weiterentwicklung dieser Orientierung verwandelt unsere Gewerkschaften und selbst die CUT angesichts der Erpressung durch die Unternehmer, die immerfort die Globalisierung und die Notwendigkeit der Konkurrenzfähigkeit anführen, um von den Arbeitern immer neue Zugeständnisse zu verlangen, in wehrlose Opfer. Die Metallgewerkschaft des ABC hat 1992 Konzessionen an die Unternehmer gemacht mit dem Argument, daß damit die Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen würden. Jetzt, sieben Jahre danach, macht sie immer noch Zugeständnisse (wie kürzlich der Vertrag bei Volkswagen, bei dem der Lohn um 15% gekürzt wurde); und die Zahl der Beschäftigten in den Automobilwerken sinkt seit 1992 kontinuierlich und bedrohlich weiter.
Ein weiterer Ausdruck dieser Orientierung ist die stärkere Hinwendung zum Staat. Durch Abkommen mit der Regierung, die Geld für Vorhaben der CUT (wie z.B. berufliche Qualifizierung) zur Verfügung stellt, läuft sie Gefahr, in finanzielle Abhängigkeit zu geraten, die natürlich politische Konsequenzen hat.
Die Auswirkung davon auf die gewerkschaftliche Struktur zeigen sich in den Bemühungen der derzeitigen Mehrheit, die innergewerkschaftliche Demokratie zu beseitigen oder auf ein Minimum zurück zu schrauben. Nichts anderes ist der Charakter der geplanten Bildung einer nationalen Gewerkschaftsstruktur, die die gewerkschaftliche Articulação einzuführen versucht. Es würden nationale Gewerkschaften werden, mit der Entscheidungsbefugnis auf die bundesweite Führung konzentriert. Damit würde ein fundamentales Prinzip der CUT ins Gegenteil verkehrt, nämlich, daß die Basis entscheidet und der Vorstand ausführt. Die Notwendigkeit einer strukturellen Änderung der Organisation ist offenkundig und völlig unstrittig bei allen Fraktionen innerhalb der CUT. Sie enthält immer noch viele Merkmale der alten offiziellen Gewerkschaftsstruktur. Aber die Veränderungen dürfen den jetzigen Status nicht verschlechtern, sondern müssen ihn verbessern.
Der beschriebene Prozeß verläuft natürlich nicht ohne Widerstand, und ist auch noch nicht abgeschlossen. Er findet eindeutig unter dem Einfluß der europäischen Gewerkschaften statt, zuerst unter italienischem und nun auch oder vorwiegend unter deutschem. Aber die CUT ist noch weit entfernt davon, ein italienischer Dachverband oder wie der DGB zu sein. Es handelt sich um einen sehr widersprüchlichen Prozeß: aufgrund der Verbundenheit der CUT mit den noch vor kurzem stattfindenden, heftigen kämpferischen Auseinandersetzungen in Brasilien, ihrer traditionellen Militanz, die in den Kämpfen gegen die "Gelben Gewerkschaften" der alten Pelegos gewachsen ist, regt sich Widerspruch gegen das neue Konzept, selbst an der derzeitigen Mehrheitsbasis. Außerdem gibt es einen starken linken Flügel, der fast die Hälfte der CUT umfaßt und sich der Annahme intern widersetzt hat.
So haben sich z.B. die Demokratische Metallarbeiterföderation von Minas Gerais (organisiert in der CUT) und die Mehrheit ihrer Mitgliedsgewerkschaften geweigert, Verträge über die Flexibilisierung oder Verschlechterung von Bedingungen für die Arbeiter abzuschließen. Diese Haltung wurde auch von unzähligen anderen Gewerkschaften innerhalb der CUT eingenommen. Und es gab in den Gremien der CUT eine immer stärker werdende Debatte, die forderte, die Dynamik umzukehren. Die Position der genannten Gewerkschaften reflektiert auch die zunehmende Unzufriedenheit der Arbeiter an der Basis mit dieser Orientierung, auch bei den Gewerkschaften, die mehrheitlich von der Articulação geleitet werden. So hat bei VW, welches der größte Betrieb im Zuständigkeitsbereich der Metallgewerkschaft im ABC ist, eine oppositionelle Liste, die die partnerschaftliche Politik kritisiert hatte, bei einer internen Wahl 42% der Stimmen erhalten.
Es gibt eine neue und sehr positive Entwicklung, die einen Fortschritt in der Überwindung der Zersplitterung der Linken darstellt. Beim letzten CUT-Kongreß 1997 kandidierten drei Fraktionen gemeinsam auf einer Liste und erhielten 30% der Stimmen. Diese Strömungen sind: MTS Movimento por uma Tendencia Socialista (Bewegung für eine Sozialistische Strömung) angelehnt an die PSTU (Partido Socialista dos Trabalhadores Unificados, etwa Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei), und zwei Strömungen verbunden mit der Linken innerhalb der PT (Arbeiterpartei), die ASS (Alternativa Sindical Socialista, Sozialistische Gewerkschaftsalternative) und die AE (Articulaçao de Esquerda, die Linke Articulaçao). Eine weitere Liste aus dem Lager der neo-Stalinisten (PC do B – Partido Comunista do Brasil, Kommunistische Partei Brasiliens) erhielt ca. 13% und weitere kleinere Gruppen erhielten insgesamt um die 4% der Stimmen. (Hervorhebung d. Ü.)
Die Bemühungen um die Vereinigung der Linken dauern an. Sie dürften noch zunehmen angesichts des Wiederaufnahme der Kämpfe in Brasilien (so hat im August ’99 eine große Demonstration mit 100.000 Teilnehmern in Brasilia stattgefunden). Die CUT hat aufgrund des großen Drucks an der Basis die Forderung "Weg mit FHC" (dem Präsidenten Fernando Henrique Cardoso), was den Kampf für das Ende der neoliberale Regierung symbolisiert, und einen Generalstreik für November beschlossen.
Gleichzeitig suchen wir weltweit Kontakt zu oppositionellen Kräften, die gegen den Neoliberalismus kämpfen. Wir möchten gerne ein Solidaritätsnetz von Aktivisten, die kämpfen wollen und die Partnerschaft mit dem Kapital ablehnen, aufbauen. Wir sind fest davon überzeugt, daß unser Widerstand nicht einzigartig sind, sondern nur ein Beispiel von unzähligen Bemühungen ist, die auch in anderen Ländern unternommen werden. Und wir wollen diese Anstrengungen bündeln.
Im nächsten Jahr findet der 7. CUT-Kongreß statt. Das ist ohne Zweifel ein entscheidender Moment in der Geschichte des Dachverbandes. Dieser Kongreß beinhaltet die Herausforderung, die beschriebene Orientierung, die der CUT aufgezwungen wurde umzudrehen. Falls dies nicht gelingt, wird die Tendenz, unseren Dachverband in einen weitere großen, bürokratischen Apparat im Dienste der Zusammenarbeit mit dem Kapital zu verwandeln gestärkt, und die Organisation unbrauchbar werden für die Kämpfe gegen die kapitalistische Ausbeutung. Wir arbeiten sehr hart. Diese Schlacht dürfen wir nicht verlieren.
José Maria de Almeida
Metaller, Mitglied des Bundesvorstandes der CUT/Brasilien und des Vorstandes
der Demokratischen Metallarbeiterföderation von Minas Gerais, Bundesstaat
in Brasilien.
Übersetzung BEA