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"Kolumbien: 150 Dollar Monatslohn statt 600"

Ein - aus Sicherheitsgruenden namentlich nicht genannter - Coca Cola Gewerkschafter antwortet den Fragen von Dario Azzellini

 

Die kolumbianische Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal verlor während der vergangenen acht Jahre sieben ihrer in verschiedenen Coca-Cola-Werken aktiven Gewerkschaftsführer. Sie wurden, meist im Umfeld von Streiks, von paramilitärischen Todesschwadronen entführt, gefoltert und ermordet. Im vergangenen Jahr reichte Sinaltrainal in den USA eine Klage gegen den Konzern ein. Viele Unternehmen gehören zu den Finanziers der rechtsextremen Paramilitärs, die den Betriebsfrieden mit Waffen durchsetzen. Der Paramilitärchef Carlos Castaño gibt unumwunden zu: "Wir töten Gewerkschafter weil sie die Leute vom Arbeiten abhalten".

F: Unter welchen Bedingungen arbeiten Gewerkschafter in Kolumbien?

A: In keinem Land der Welt sterben so viele Gewerkschafter eines gewaltsamen Todes wie in Kolumbien. Drei von vier Gewerkschaftsangehörigen die weltweit aufgrund ihrer Aktivitäten ermordet werden stammen aus dem südamerikanischen Land. Fast 160 waren es allein im vergangenen Jahr. Nahezu 4000 im Laufe des vergangenen Jahrzehnts. Auffällig ist dabei die Zunahme der Morde während Arbeitskämpfen und Betriebskonflikten. D.h. Gewerkschaftsführer sind meist bewaffnet, haben auf jeden Fall bewaffnete Leibwächter und gepanzerte Fahrzeuge und auch die Gewerkschaftszentralen sind gepanzert und mit Kameras ausgerüstet. Darüber hinaus darf ein Gewerkschafter niemals in Routine verfallen, das wäre sein sicherer Tod. Das bedeutet er darf nie zweimal hintereinander den gleichen Weg gehen, er darf keine regelmäßigen Termine oder Zeitabläufe haben und er muss immer sehr aufmerksam beobachten was um ihn herum passiert. Aber selbst das kann sie meistens nicht vor dem Tod retten. Als z.B. Anfang Dezember vergangenen Jahres Aury Sará Marrugo, Vorsitzender der Erdölgewerkschaft USO in Cartagena, entführt, brutal gefoltert und ermordet wurde, waren daran 15 bestens bewaffnete und ausgerüstete Paramilitärs beteiligt. Gegen eine solche Übermacht kann man nicht viel unternehmen.

F: Wann begann der organisierte militärische Angriff auf die Gewerkschaften?

A: In den 80er Jahren. Führend daran beteiligt sind transnationale Unternehmen wie Coca Cola und Nestlé. Bei Coca Cola kam es in den letzten Jahren immer wieder zu verschiedenen Übergriffen gegen gewerkschaftlich organisierte Firmenarbeiter. Die Methoden reichen von Drohungen, Verschleppungen und Folter bis hin zu Mord. Bei einer Feier 1996 mit viel Alkohol verkündete Mario Mosquera, Firmenleiter von Panamco (der kolumbianische Coca Cola-Abfüller) in Carepa lauthals, dass er mit Hilfe der Paramilitärs der Gewerkschaft ein Ende setzen wird. Seitdem sind in Carepa mehrere Gewerkschaftsaktivisten ermordet worden und die Paramilitärs bewegen sich ungestört auf dem Werksgelände. Von der kolumbianischen Regierung ist keine Hilfe zu erwarten. Bisher blieben alle diese Verbrechen ungeahndet. Schlimmer noch. Als Coca-Cola einmal fünf Gewerkschaftsführer des Terrorismus anklagte, wurden sie anderthalb Jahre lang inhaftiert. Dann wurden sie einfach freigelassen, da der Vorwurf absurd war. Aber sie bekamen keine Entschädigung und es wurde auch nicht erklärt warum sie überhaupt 18 Monate lang fest gehalten wurden.

F: Was steht hinter diesen Angriffen auf Gewerkschafter?

A: Anfang der 90er Jahre arbeiteten in den verschiedenen Coca-Cola-Niederlassungen Kolumbiens etwas über 10.000 Arbeiter, sie verfügten alle über unbefristete Verträge und ein durchschnittliches Einkommen von 600-700 US-Dollar. Heute, nach einer grundlegenden Umstrukturierung des Unternehmens, haben nur noch etwa 2.500 Arbeiter Verträge von Coca-Cola, aber nur 500 davon feste Verträge, weitere 7.500 sind über Subunternehmer beschäftigt. Ihr durchschnittliches Monatseinkommen beträgt nur noch etwa 150 US-Dollar. Die einst im kolumbianischen Vergleich guten Arbeitsbedingungen bei Coca-Cola veränderten sich in nur zehn Jahren allesamt zum Schlechten. Dazu musste auch die Gewerkschaftsbewegung zerschlagen werden, die diese Bedingungen erkämpft hatte und sich auch gegen die Umstrukturierung zur Wehr setzte. Im Umfeld zweier Streiks wurden bei Coca-Cola Kolumbien 1995/1996 sieben unserer Gewerkschaftsführer ermordet, über 50 mussten ihre Regionen verlassen und über 6000 der insgesamt 10.000 Beschäftigten wurden während des vergangenen Jahrzehnts ausgetauscht. Die Zahl unsrer Mitglieder bei Coca-Cola sank von ehemals 2.500 auf nur noch knappe 500. Doch auch den mit Hilfe des Unternehmens gegründeten neuen Mini-Gewerkschaften, die im Sinne von Coca-Cola handeln sollen, ergeht es nicht gut, sobald sie zu viel fordern. Im vergangenen Jahr musste die Unternehmertreue Kleinstgewerkschaft Sinaltrainbec diese Erfahrung machen, als zwei ihrer Vertreter von Paramilitärs ermordet wurden.

F: 2001 reichte die Gewerkschaft Sinaltrainal eine Zivilklage gegen den Konzern in Florida ein. Wie sieht es aktuell aus?

A: Die Klage wurde zugelassen und befindet sich in der Phase der Beweisaufnahme. Wir wollen erreichen, dass die Verantwortung des Konzerns für die Übergriffe und Morde an Gewerkschaftern festgestellt werden, eine moralische und ökonomische Entschädigung für die Opfer erfolgt und auf die Situation der Gewerkschaften in Kolumbien aufmerksam gemacht wird. Unterstützt werden wir dabei von dem 20 Millionen Mitglieder fassenden US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO, den Transportarbeitern der Teamsters, der Metallarbeitergewerkschaft, der internationalen Union der Lebensmittelarbeitergewerkschaften (IUL). Doch die Klage allein ist unserer Ansicht nach nicht ausreichend. Gemeinsam mit den genannten Gewerkschaften und dem kanadischen Gewerkschaftsdachverband WCA, vielen schwarzen Gemeinden, protestantischen Kirchen und zahlreichen weiteren Organisationen bereiten wir für den 22. Juli in Atlanta / Georgia, wo sich die Coca-Cola-Firmenzentrale befindet, ein öffentliches Tribunal gegen Coca-Cola vor. Solche Tribunale wollen wir dann auch am 10. Oktober in Brüssel und am 5. Dezember in Bogotà veranstalten. Coca-Cola soll mit dieser globalen Kampagne gezwungen werden einen Verhaltenskodex mit den Gewerkschaften zu unterschreiben, der derartige Menschen- und Arbeitsrechtverletzungen wie in der Vergangenheit ausschließt.

F: Wie hat den Coca-Cola auf die Klage reagiert?

A: Coca-Cola scheint sehr um das eigene Image besorgt zu sein. Sie streiten jede Verantwortung und Verwicklung in die Geschehnisse ab und haben eine Klage wegen Verleumdung und üble Nachrede gegen uns eingereicht. Auch die US-Regierung hat sich sehr für den Fall interessiert. Jetzt bekommen wir ständig Besuch von Vertretern des US-Außenministeriums und der US-Botschaft in Kolumbien, die uns sagen die Weltlage sei nicht so wie wir sie sehen und wir sollten noch einmal überlegen, ob es nicht aussergerichtliche Alternativen gibt, um Probleme zu lösen. Im Januar wurde in Bogotà auch ein ehemaliger Coca-Cola-Arbeiter von Paramilitärs entführt und bedroht. Es wurde ihm gesagt wenn er seine Aktivitäten fortsetze, würden sie ihn töten und liessen zwei weiteren Ex-Coca-Cola-Arbeiter, die in dem Verfahren als Zeugen auftreten sollen, sie würden von ihnen gesucht werden um sie zu ermorden. Und der Konzern soll damit nichts zu tun haben?

F: Wie sieht den die Verwicklung des Staates in diese Verbrechen aus?

A: Die Paramilitärs sind integraler Bestandteil staatlicher Strategien. Die Verbindungen der Armee zu den Paramilitärs sind so eng, dass die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" im vergangenen Jahr die Paramilitärs als die "VI. Division der Streitkräfte" bezeichnete. Ein sehr konkretes Beispiel: Im Dezember 2000 wurde ein Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Gewerkschaft der staatlichen Angestellten Wilson Borja verübt. Er entging dem Tod nur knapp und bei dem Feuergefecht zwischen seinen Leibwächtern und den Attentätern wurde ein Paramilitär erschossen. In seinem Mobiltelefon waren die Telefonnummern mehrerer hoher Repräsentanten der Sicherheitskräfte und der Armee gespeichert und mittlerweile wird gegen einen Polizeikapitän und Militärangehörige ermittelt.... Doch vermutlich wird auch dieses Verbrechen ungestraft bleiben.

Frage: Welche Folgen wird der Abbruch der Gespräche mit der Guerilla FARC durch den kolumbianischen Präsidenten Andrés Pastrana für die Gewerkschaften und für soziale Bewegungen haben?

Antwort: Der Paramilitarismus hat nun noch freiere Hand bei Angriffen auf soziale Bewegungen und Gewerkschaften. Der Abbruch der Gespräche wird als Vorwand dienen. Die Offensive gegen uns wird sicher intensiver werden. Das heisst für müssen unsere Einheit stärken und nach Arbeitsweisen suchen, um der Situation entgegenzutreten. Wir müssen auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung den Kampf gegen die extreme Rechte aufnehmen. Es gibt ja bereits einige Gewerkschaften die von den Paramilitärs übernommen wurden, nachdem ihre alte Führung ermordet oder ins Exil gezwungen wurde, und diese Gewerkschaften treten in Kolumbien wie international als Arbeitervertretungen auf. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Führer in der Gewerkschaftsbewegung isoliert werden.

Letztlich müssen wir dazu kommen eine linke soziale und politische Bewegung aufzubauen, die Alternativen und Vorschläge für die Lösung des Konflikt entwickeln kann.

F: Für die Präsidentschaftswahlen Ende Mai kandidiert unter anderem auch der ehemalige Vorsitzende eures Gewerkschaftsdachverbandes CUT, Lucho Garzón. Er wird von der breit gefächerten "Gesellschaftlichen und politischen Front" unterstützt. Wie steht Sinaltrainal zu der Kandidatur?

Antwort: Wir unterstützen als Gewerkschaft den Aufbau der "Gesellschaftlichen und politischen Front". Es ist ein wichtiger Freiraum, der gestärkt werden muss. Wir sehen aber auch die Gefahr einer Bürokratisierung und denken der Aufbau sollte stärker von Unten erfolgen. Die Wahlkampagne selbst führen wir allerdings nicht mit. Wir gehen davon aus, dass in Kolumbien die Voraussetzungen dafür nicht existieren.

F: Welche Vorschläge hat Sinaltrainal für die Zukunft Kolumbiens?

A: Aus unserer Sicht als Gewerkschaft im Lebensmittelsektor denken wir, dass es notwendig ist die Monopole aufzulösen, eine Landreform durchzuführen, das Land zu demokratisieren, den Zentralismus des Staates abzuschaffen und den Regionen mehr Entscheidungsspielräume zu geben, die Produktion sollte darauf ausgerichtet sein eine regionale und nationale Lebensmittelsouveränität zu erzielen ... Wir wollen ein Modell demokratischer Entwicklung was dem neoliberalen Modell entgegensteht. Kolumbien gehört zu den reichsten Ländern der Welt was Bodenschätze, Wasser, Anbauflächen, Biodiversität usw. betrifft und gleichzeitig leben 26 der 43 Millionen Einwohner unterhalb der Armutsgrenze, acht Millionen von ihnen gelten als mittellos und vier Millionen sterben an Hunger. Trotz seines immensen Reichtums gehört Kolumbien zu den zehn Ländern der Erde in denen am meisten Menschen hungern.


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