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Nach wie vor ist Chile ein Paradies für Unternehmer, mit extrem niedrigen Steuersätzen (selbst andere lateinamerikanische Länder verlangen wenigstens das Doppelte) und einer äußerst arbeitgeberfreundlichen Gesetzgebung. Dieses schöne Erbe aus den Zeiten der Diktatur möchte man natürlich gerne behalten, und so hat man zehn Jahre lang mit Hilfe der rechten Parlamentsopposition entscheidende Reformen der Arbeitsgesetze erfolgreich verhindern können. Gegen Ende seiner Amtszeit, Ende 1999, hatte es der damalige Präsident Eduardo Frei plötzlich eilig mit einer Reform. Er selbst Unternehmer, hatte er sich jahrelang nicht gerade als Gewerkschaftsfreund ausgezeichnet, auch wenn im Februar 1999 Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert wurden, die das Streikrecht und die kollektiven Tarifverhandlungen betreffen. Der Vorstoß Ende 1999 erfolgte denn auch in erster Linie aus wahltaktischen Motiven: Im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen hatten der Kandidat des regierenden Parteienbündnisses Concertación, Ricardo Lagos, und der oppositionelle, rechte Kandidat von RN (Renovación Nacional) und UDI (Union Demócrata Independiente), Joaquin Lavín, fast gleichauf gelegen, und nun galt es, den Wählern die Reformfeinde vorzuführen. Die Regierung rechnete durchaus mit einem Scheitern des Reformprojekts, zumal sogar in den eigenen Reihen Kritik laut wurde nicht nur von seiten der Christdemokraten (zum Beispiel der jetzige Wirtschaftsminister José de Gregorio), sondern auch von Teilen der sozialdemokratischen PPD (Partido por la Democracia). Letztendlich gab es ein Patt im Senat nicht auszudenken, wenn die Gesetzesvorlage tatsächlich durchgekommen wäre. Auf jeden Fall hätte man sich das Tauziehen erspart, das das gesamte erste Jahr der Regierung Lagos begleitete. Dabei hatte Lagos extra einen "Tisch des sozialen Dialogs" (Regierung, Arbeitgeber, Gewerkschaften) ins Leben gerufen, um die Prozedur zu beschleunigen. Eine neue Arbeitsgesetzgebung und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung standen auf der Prioritätenliste obenan.
Am 21. Mai hielt Präsident Lagos in der Kupfermine Chuquicamata eine Rede, die in dieser Form auch ein Gewerkschaftsfunktionär zwanzig Tage zuvor am "Tag der Arbeit" hätte präsentieren können. Ort und Publikum sorgten dafür, daß der Präsident sich eindeutig für eine Stärkung der Gewerkschaften aussprach: "In Hinblick auf kollektive Arbeitsbeziehungen sind wir rückständig", gab er zu, sprach von der Anpassung der Arbeitsgesetze an "moderne" Erfordernisse und kritisierte die "schlechten Unternehmer, die sich nicht auf der Höhe eines Landes befinden, das voranschreitet". Lagos forderte für die Saisonarbeiter Sozialversicherungen und das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen und unterstrich, daß eine Arbeitslosenversicherung angesichts der unvermeidlichen "Flexibilität" am Arbeitsmarkt hilfreich sei.
Flexiblere Bestimmungen zu den Arbeitszeiten waren sozusagen der Bonbon, den die Regierung den Unternehmern zuwerfen wollte, um ihnen das Schlucken der arbeitnehmerfreundlichen Kröten zu erleichtern. So verfuhr der Arbeitsminister Ricardo Solari das ganze Jahr über zweigleisig. Im Rahmen des "sozialen Dialogs" mit Arbeitgebern und Gewerkschaften stellte Solari schließlich Anfang Juni das Konzept der Regierung vor. Es beinhaltet folgende fünf Kriterien:
Erstens: Erfüllung der Gesetzesnorm (es geht weniger um eine " exzessive" Stärkung der Dirección de Trabajo, sondern um nicht näher beschriebene "Mechanismen der Selbstkontrolle" mit Hilfe eines Forums für "Arbeitsgerechtigkeit"). Zweitens: Erweiterung der kollektiven Verhandlungen (die Mehrheit der Arbeitnehmer soll miteinbezogen sein mit der bemerkenswert offenen Begründung: "In Chile ist die Einkommensverteilung brutalerweise regressiv.") Drittens: Vermehrung der gewerkschaftlichen Organisierung (einhergehend mit stärkeren Sanktionen bei antigewerkschaftlichen Praktiken). Viertens: Regulierung der Arbeitsverträge (z.B. Verbesserungen bei Subunternehmen. Die Flexibilität, die die Unternehmen wünschen, d.h. immer weniger unbefristete Arbeitsverträge, soll laut Solari kompatibel sein mit dem Schutz der Arbeitnehmer). Fünftens: Flexibilität, gerade in Hinblick auf die "Neue Ökonomie". Bezüglich des letzen Kriteriums hat sich die Regierung etwas Besonderes ausgedacht, um sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu ködern: das Zauberwort von der "vereinbarten Flexibilität", d.h. als Ergebnis eines Pakts zwischen Arbeitgeber und Betriebsgewerkschaft. Der zentrale Aspekt der Reform soll darin bestehen, soziale Gleichheit mit der Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu verbinden.
Die Diskussionen angesichts dieses Vorschlags waren vorhersehbar: die Arbeitgeber fürchten um Einschränkungen ihrer unternehmerischen Freiheit, den Gewerkschaften gehen die Reformen nicht weit genug. Letztere fordern die Möglichkeit von überbetrieblichen Tarifverhandlungen und verlangen insbesondere die Abschaffung einer chilenischen Spezialität: Im Falle eines Streiks können die Arbeitgeber ohne weiteres Arbeitskräfte als Ersatz für die Streikenden verpflichten. Die Unternehmerverbände stimmten das monatelange Klagelied an, daß die anhaltende Debatte über die Reform für "Unsicherheit" im Arbeitgeberlager sorge und dementsprechend Neuinvestitionen zur Wiederbelebung der Wirtschaft bremse. Die Wirtschaftskrise 1998/99 hat sich zwar leicht abgeschwächt, aber im Winter lagen die Arbeitslosenzahlen erneut in zweistelliger Höhe. Vor diesem Hintergrund verzichtete die Regierung auf genau die zwei Reformpunkte, die den Gewerkschaften ein zentrales Anliegen waren, aber wahrscheinlich starke Konflikte mit den Arbeitgebern heraufbeschworen hätten: die überbetrieblichen Verhandlungen und die Verpflichtung von "Streikbrechern". Gerade diese Punkte hatten das vorherige Reformprojekt von Eduardo Frei zum Scheitern gebracht. Auch jetzt sprachen sich nicht nur oppositionelle Parlamentarier, sondern auch einige einflußreiche Christdemokraten dagegen aus. Obwohl für die Regierung die überbetrieblichen Verhandlungen von Bedeutung sind, um den "Transfer der Produktivitätsgewinne zu den Einkommen der Arbeitnehmer zu garantieren", möchte man die problematische Situation der kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigen, die immerhin achtzig Prozent der Arbeitsplätze stellen. Daher optierte man für die Erleichterung der Gewerkschaftsgründung nur auf betrieblicher Ebene, indem die erforderliche Mindestzahl von Arbeitnehmern reduziert wird. Auch das Thema der sogenannten "Streikbrecher", die vor allem den Sozialisten ein Dorn im Auge sind, sollte erst in einer möglichen zweiten Etappe der Arbeitsreform aufgenommen werden. Solari dementierte, daß diese Aspekte erst auf der Agenda der nächsten Regierung erscheinen würden (das wäre erst im Jahre 2006, und wer weiß, ob sich nicht die Rechte unter Führung von Lavín beim nächsten Mal durchsetzt...), wie von den Unternehmen und einigen Parlamentariern der Concertación gewünscht.
Während sich die Arbeitgeber über den Erfolg ihrer Lobby freuen konnten und die Eliminierung der "konfliktiven Punkte" begrüßten, wurde das Vorhaben der Regierung vom zentralen Gewerkschaftsverband CUT entschieden kritisiert. Für CUT- Präsident Arturo Martínez ist es unverständlich, daß in einem Land mit einem der flexibelsten Arbeitsgesetze der Welt die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse noch zunehmen soll. Er beanstandete, daß die Bestimmungen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) bezüglich der freien Gewerkschaftsbildung und der kollektiven Verhandlungen kein Bestandteil der Reform seien, ungeachtet ihrer Ratifizierung 1999 durch die Regierung Frei. Daher kündigte er eine Klage wegen "Sozialdumping" an, gerichtet an die ILO, deren Vorsitzender ausgerechnet ein Chilene ist. Den Arbeitgebern, die von einer Reform positive Signale für die Schaffung von Arbeitsplätzen erwarten, entgegnete Martínez, daß die neuen Arbeitsgesetze in erster Linie der sozialen Gerechtigkeit und stärkerer Ausgeglichenheit in den Arbeitsbeziehungen dienen sollten. Auf keinen Fall sei die CUT bereit, "die Ausbeutung als Lösung zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu legalisieren." Desillusioniert angesichts der Regierungspläne, schlug Martínez sogar vor, die Arbeitsgesetze lediglich in bilateralen Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften zu beraten.
Die Regierung hielt an ihrer Linie fest, ein Gleichgewicht zwischen dem notwendigen Wirtschaftswachstum und den Rechten der Arbeitnehmer zu erreichen, und knüpfte die Einbeziehung der umstrittenen Punkte an einen Konsens zwischen allen Beteiligten. Der am 17. November im Senat präsentierte Gesetzesvorschlag wurde jedoch nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch aus Unternehmerkreisen kritisiert. Der den Gewerkschaften nahestehende Christdemokrat Rodolfo Seguel sprach von einer "Reform light", und CUT-Präsident Martínez stellte schlicht fest: "Diese Reform ist keine Reform." Während aus Sicht der Gewerkschaften vorrangige Anliegen unberücksichtigt blieben und stattdessen die Regierung in erster den Unternehmern Gehör schenkte, waren auch die Arbeitgeber enttäuscht von dem Regierungsprojekt. Im Mittelpunkt die alte Frage: Was ist eigentlich "Modernisierung"? Der Präsident der Unternehmervereinigung Confederación de la Producción y del Comercio (CPC), Walter Riesco, wünscht sich eine "moderne" Arbeitsgesetzgebung in Übereinstimmung mit der Wirtschaft "entwickelter Länder und Unternehmen". Welche Länder und Firmen sind gemeint? Er fordert mehr Flexibilität als die bereits bestehende und als die im Gesetz vorgeschlagene, die in Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft ausgehandelt werden soll. Wie so ziemlich allen Unternehmen sind Riesco die Gewerkschaften an sich ein Greuel (dabei hat vor einigen Monaten eine Untersuchung gezeigt, daß in vielen Firmen die Existenz von Gewerkschaften zum Betriebsfrieden beiträgt und die Arbeitgeber vor Ort sich durchaus mit den Interessenvertretungen ihrer Arbeitnehmer arrangiert haben). Der Verbandsfunktionär Riesco hingegen nörgelt über die Stärkung der kontrollierenden Arbeitsinspektion und möchte mehr Unabhängigkeit des einzelnen Arbeitnehmers bei Verhandlungen über die jeweiligen Arbeitsverträge. Mehr gewerkschaftliche Freiheit heißt für ihn paradoxerweise mehr Freiheit des Individuums gegenüber dem "Monopol" der Interessenvertretungen.
Die Gewerkschaften möchten natürlich die Rechte wiedererlangen, die ihnen während der Pinochet Diktatur genommen wurden, und betrachten das "Reförmchen" von 1991 als ungenügend. Die Unternehmer hingegen sehen auf diesem Gebiet überhaupt keinen Reformbedarf, geht es doch um ihre einzigartige Vormachtstellung. Sie verstecken ihre handfesten Interessen hinter gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen, die eine Arbeitsgesetzreform unterstützen sollte: die Reaktivierung der Konjunktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Angesichts der unterschiedlicher Prämissen, die derart weit auseinanderliegen, dürfte es schwerlich zu einem von der Regierung angestrebten breiten Konsens kommen. Und die Frage ist erlaubt, was der monatelange Dialog der Gehörlosen eigentlich gebracht hat, wenn die Gesetzesinitiative keines der beiden Lager zufriedenstellt.
Das Arbeitsreformprojekt enthält folgende Punkte:
Das neue Arbeitsgesetz schaffe mehr Arbeitsplätze, rechtfertigte Arbeitsminister Solari seinen Vorschlag. Mit dem vollmundigen Versprechen während des Präsidentschaftswahlkampfs, 200.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, hatte sich die Regierung selbst in Zugzwang gebracht und geriet dementsprechend unter Druck, als die Arbeitslosenzahlen sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verbesserten trotz eines Wachstums von über fünf Prozent. Man munkelt schon von einer Art "Investitionsboykott" der Arbeitgeber, deren starke Position auf zahlreichen Helfershelfern beruht: Seitens der Presse, die weitgehend der rechten Opposition nahesteht, und der überwältigenden Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler wird das gleiche Klagelied gesungen, als hätte man es mit bezahlten Claqueuren zu tun. Vor diesem Hintergrund kann man den lauen Regierungskompromiß nachvollziehen. Geholfen hat es letztendlich nichts, denn umgehend kamen die "Dolchstöße" von den Parlamentariern der Regierungskoalition. Im Streit um die Gehaltserhöhung im öffentlichen Dienst (letztlich wurde eine Minderung durchgesetzt, denn der Prozentsatz lag unter der Inflationsrate) hatte die Regierung ihre Reihen noch geschlossen halten können, doch jetzt kam nicht nur von PPD und Sozialisten, sondern auch von einflußreichen Christdemokraten deutliche Kritik. Der Abgeordnete Eugenio Tuma (PPD) bezeichnete die Reform als "pyrotechnisches Kunstwerk", das nicht alle Arbeitnehmer ausreichend schütze und nicht die erforderlichen Garantien gewährleiste, falls ein Prozeß vor dem Arbeitsgericht angestrengt werde. Rodolfo Seguel (DC) erinnerte an die nicht aufgenommenen Wahlkampfversprechen. Von Bedeutung war vor allem die Haltung der Senatoren aus den Reihen der Concertación, die in dem Ausschuß für Arbeit die Mehrheit stellen. In deren Namen erklärte José Ruiz de Giorgio, daß das Streikrecht ein Verfassungsgrundsatz sei und nicht durch die Verpflichtung von Vertretungen ausgehöhlt werden dürfe. Außerdem vermisse er Regelungen, die zum Beispiel die Sozialversicherungen von Leiharbeitern und Arbeitnehmern von Subunternehmen festlegen. Angesichts des Widerstands einer Reihe von Parlamentariern vollzog die Regierung einen Schwenk, der auch mit der kritischen Bestandsaufnahme nach dem Kommunalwahlen zu erklären ist. Das Erstarken der Opposition stärkte die Lust zur Gegenattacke, die Differenz zum rechten Lager sollte deutlicher werden. Mit der Nichtberücksichtigung der überbetrieblichen Verhandlungen und des vollen Streikrechts war man zuvor den Weg des geringeren Widerstands gegangen, vor allem auf Druck der Sozialisten sollten diese Punkte jetzt in dem Gesetzesentwurf enthalten sein. Allerdings ist dieses Vorgehen innerhalb der Concertación noch umstritten, gerade bei den "liberalen" Ministern von Finanzen, Wirtschaft und Arbeit. Die Frage stellt sich, was Arbeitnehmer und Gewerkschaften von einem solchen Arbeitsminister erwarten können.
Nicht zu Unrecht bemängelte der Vorsitzende der Bergbauunternehmer die zwei verschiedenen Visionen in der Regierung: zum einen die nach seiner Ansicht "antiquierte" Position des regulierenden Staates, zum anderen die "moderne" Variante, die auf mehr Flexibilität zielt (der Markt verlangt es, basta so der rigide Kommentar des jüngst mit einem Preis ausgezeichneten Ökonomen Guillermo Pattillo von der Universidad de Santiago). Ein anderer Verbandsfunktionär spricht von einer "politisierten Debatte" (als ob sich die Arbeitgeber im ideologiefreien Raum bewegten typisch dazu auch die Kommentare zum Fall Pinochet, dessen unklarer Ausgang ebenfalls zur "Verunsicherung" beitrage und die Investitionsbereitschaft mindere). Ein Funktionär des Verbandes für kleinere und mittlere Unternehmen wird geradezu pathetisch und sieht den Widerstand gegen die erweiterte Reformversion als "Kampf David gegen Goliath".
Vielleicht eher Grund zum Klagen hätten die kleineren, von der Wirtschaftskrise besonders betroffenen Firmen im Fall eines anderen Gesetzes: die Einführung einer Arbeitslosenversicherung (in einer regierungsfreundlichen Zeitung als "Sternprojekt" bezeichnet, aber im Gegensatz zu den strahlenden Himmelskörpern verbreitet es eher bescheidenes Glimmen). Wie die Arbeitsgesetzreform hat auch die Arbeitslosenversicherung viele Jahre über auf der langen Parlamentsbank gelegen: Schon 1993 gegen Ende der Regierung Aylwin sollte ein solches Gesetz verabschiedet werden. Aber zu Hochzeiten des Wirtschaftsbooms schien es nicht so dringend zu sein, man glaubte sich ja auf dem direkten Wege in den "Garten Eden", der in der Nationalhymne als Umschreibung des Landes dient. Wie so oft in Chile wartet man mit der Problemlösung, bis das Kind schon ziemlich lange im Brunnen liegt. Da der Wirtschaftspatient Chile noch rekonvaleszent ist, hat der Chor aus Arbeitgeberverbänden und alternden Chicago Boys im Parlament sowie in Zeitungsredaktionen und Universitäten natürlich die notwendige Resonanz, wenn die Mehrkosten für die Unternehmen beklagt werden (wenn CPC Präsident Riesco mit seinem endlos traurigen Buster Keaton Gesicht erscheint, möchte man ihm am liebsten alle Steuern erlassen). Dementsprechend wurde monatelang um die Prozentpunkte hinter dem Komma gefeilscht, bis der zunächst vom Arbeitsminister vorgesehene Prozentsatz 3,9 auf drei Prozent gesenkt wurde. Der individuelle Versicherungsanteil setzt sich aus 0,6 % des Arbeitnehmers und 1,6 % des Arbeitgebers zusammen; der Arbeitgeber zahlt außerdem 0,8 % in einen "Solidarfonds" ein, der wiederum von staatlichen Geldern aufgestockt wird. Erst nach heftigem Drängen bequemte sich der Finanzminister, den Staatsanteil zu erhöhen, dennoch bleibt der Beitrag bescheiden "den Bedingungen in Chile angemessen", wie Arbeitsminister Solari meint. Da verweist sogar die regierungsfreundliche Zeitung La Nación darauf, daß in Europa der durchschnittliche Beitrag des Staates 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts beträgt, 115 Mal höher als in Chile. Entsprechend knapp fällt die Versorgung der Arbeitslosen aus: 50 % des letzten Einkommens, mindestens 65.000 (254 DM) Pesos und maximal 125.000 Pesos (490 DM). Das Arbeitslosengeld wird höchstens fünf Monate gewährt, zudem mit einem monatlichen Abschlag von 5 % - im fünften Monat sind Minimum und Maximum auf 30.000 (117 DM) bzw. 65.000 Pesos geschrumpft. Keinesfalls Summen, die zum Mißbrauch durch Faulenzer einladen (auch in Chile fehlen solche Stimmen nicht). Entscheidend ist vor allem, daß die Gesundheitsversorgung zumindest für einige Monate gesichert ist.
Die Arbeitslosenversicherung ist zwar nicht bis zum Jahresende verabschiedet worden, wie der Präsident erwartete, aber in diesem Fall zeichnet sich ein breiter Konsens ab. Es bleibt zu hoffen, daß das Gesetz nicht erst dann in Kraft tritt, wenn sich der Arbeitsmarkt womöglich schon entspannt hat (das ist noch nicht in Sicht, aber acht Prozent würde schon als Erfolg gefeiert, und sechs Prozent gelten sogar als Vollbeschäftigung).
Die Zukunft der Arbeitsgesetzreform ist hingegen offener denn je. Ende Dezember versuchte Arbeitsminister Solari, eine Bresche in die rechte Blockadefront zu schlagen (vor dem Hintergrund, daß er sich nicht einmal aller Stimmen der Concertación Parlamentarier sicher sein kann), und traf sich mit einigen als gemäßigt bekannten Politikern der Renovacíon Nacional. Die Glaubenskrieger von UDI wollten sich gar nicht erst auf solche Kontakte einlassen, durchschauten die Absicht der Regierung, der Opposition unter Umständen den "Schwarzen Peter" zuzuschieben. Angeblich gibt es Kompromißvorschläge: Die Einstellung von "Streikbrechern" soll zwar nicht verboten, aber etwas erschwert werden, und die überbetrieblichen Tarifverhandlungen sollen möglich sein, falls es ein Übereinkommen der Arbeitgeber und Gewerkschaften gibt. Die Regierung startet einen Versuch wie 1991, als eine Mini Reform mit RN und ohne UDI vereinbart wurde. Auch diesmal dürfte ein ähnlich fauler Kompromiß herauskommen. Die Concertación hat zwar die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses (angenommen, es gäbe keine Abweichler), aber angesichts der durchwachsenen Wirtschaftslage ist der Zeitpunkt für eine offene Konfrontation mit Opposition und Arbeitgebern ungünstig. Fatalerweise konnte man die Boomjahre nicht für eine Reform nutzen, die die gewerkschaftsfeindliche Politik der Diktatur korrigiert hätte. Damals sicherten designierte Senatoren den rechten Parteien die Mehrheit (die Regierung hat erst jetzt eine Stimme mehr im Senat, seit Pinochet aus dem Verkehr gezogen wurde). Es gibt Stimmen in der Concertación, die an die Adresse der Rechten gerichtet mit der Ausnutzung der neuen Mehrheitsverhältnisse drohen. Aber es erscheint fraglich, ob sich die Regierung auf eine solche Kraftprobe einläßt. Lange Jahre war die Konsenspolitik mehr oder weniger erzwungen, irgendwie scheint sich die Concertación darin eingerichtet zu haben. Jetzt locken erst einmal die Ferien, und das Projekt ist auf März verschoben worden. Da bleibt noch viel Zeit zum Kungeln hinter den Kulissen.
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