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Stillstand in Lebu

Vom Kohlebergbau zum Fischfang

Patricia I. Bravo

Seitdem Anfang der 90er Jahre die Kohleminen eine nach der anderen geschlossen wurden, begann die Provinzhauptstadt von Arauco in der VIII. Region in eine langsame Agonie zu verfallen. Nachdem die Minen in Lebu geschlossen wurden, blieben von den ehemals 3.000 Minenarbeitern nur 470 übrig, die heute unter äußerst schlechten Bedingungen arbeiten. Der Rest fristet sein Dasein, so gut es eben geht. Im Augenblick bewahrt der Fischfang diese Stadt vor dem Hunger. Hunderte der ehemaligen Minenarbeiter, die gezwungen waren ihre Untertage - Arbeit aufzugeben, gehen jetzt zur See. Sie gehören zu denjenigen, die freiwillig auf Kleinfischerei umgestiegen sind. Glücklicherweise hat das reichliche Vorkommen der Seezunge (span. reineta; d.R.) verhindert, dass die Töpfe in Lebus Haushalten leer bleiben. Wenn es einen Ort gibt, wo das Herz dieser berühmten Stadt mit mehr als 20.000 Einwohnern noch schlägt, dann ist es die Mole im Hafen. Aber der Fisch bringt wirtschaftlich gesehen nicht viel - den eigentlichen Gewinn machen die Zwischenhändler. Die reale Arbeitslosigkeit, keine gefälschte Statistik, erreicht 30%.

 

"Die Leute mussten sich umstellen"

In Schwager, Curanilahue, Trongol und Lebu sind die Umstrukturierungen komplett fehlgeschlagen, erklärt Jorge Garrido, ehemaliger Gewerkschaftsführer im Kohlebergbau und heutiger Vorsitzender der Fischer und Muscheltaucher– Gewerkschaft, unabhängig davon, dass einige Leute sich aus eigener Kraft durchschlagen, wie es in Lebu der Fall ist. Garrido wußte so gut wie nichts vom Reichtum des Meeres, hatte aber zum Sohn einen Fischer, der ihn an die Arbeit heranführte. Nichts desto trotz ist er mehr denn je entschiedener Gewerkschafter und erläutert seine Erfahrungen in der Verteidigung ihrer Rechte, der 2.400 Fischer aus Lebu. "Die Leute mußten sich umstellen, wie sie eben konnten," fügt Garrido hinzu. "Im Fischfang gibt es jetzt viele umgeschulte Minenarbeiter, die durch ihre Organisations- und Kampferfahrung die Fischereigewerkschaft gestärkt haben." Die zahlreichen ohne Arbeit gebliebenen Minenarbeiter, die weder über eigene Ressourcen noch spezielle Fähigkeiten verfügten, um etwas Neues zu beginnen, sind weggegangen. Von den Umschulungsprogrammen der Regierung bleibt nur die Erinnerung an eine Reihe von Kursen für Gasinstallation, die aber nicht dem Bedarf in der Region entsprachen und nur ein Überangebot produzierten.

Luis Vergara, ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft CARVILE gehört zu denjenigen, die weggehen mußten, um Arbeit zu suchen. Er wanderte einige Jahre sowohl im Norden als auch im Süden und übte verschiedene Arbeiten aus. Einmal wurde er von einer Papierfabrik unter Vertrag genommen, aber sie entließen ihn, weil er eine Gewerkschaft gründete. Seine Frau und seine drei Kinder, ein Mädchen leidet unter einen schweren chronischen Krankheit, blieben in Lebu. "Ich begriff, dass ich so nicht weitermachen konnte, für so lange Zeiträume weg zu sein. Mehr als das Geld, das ich ihnen regelmäßig schickte, hätten sie mich zu Hause gebraucht. Meine Kinder brauchen einen Vater, der bei ihnen ist. Und jetzt bin ich hier - dazu gezwungen nur sporadisch arbeiten zu können - während ich verzweifelt mit ansehen muss, wie sich die Schulden für das Haus laufend erhöhen," sagt Vergara. Wie viele ehemalige Minenarbeiter wohnt er in einem Haus der ENACAR (Nationales Kohleunternehmen), das er in Raten abbezahlen muss. Wenn man nicht den Stichtag für die Zinszahlung einhält, nehmen sie einem das Haus, und die Familie sitzt auf der Straße. Das beängstigende dieser Situation begegnet heute hunderten seiner ehemaligen Kumpel. Deshalb gründeten sie das Arbeitslosenkomitee von Lebu, dessen Vorsitzender er ist.

Ein anderer ehemaliger Kohle-Gewerkschaftsführer, Héctor Jaramillo, verheiratet, sieben Kinder, bezog sich nach seiner Entlassung 1992 auf das Gesetz 19.129 "Abfindung im Kupferbergbau". Nach 20 Jahren Arbeit bei CARVILLE und im größten Arbeitskampf, den sie in der Region gemacht haben, inklusive einer Besetzung der Regional- und Kommunalverwaltung, haben sie Erfolg gehabt. Denn diejenigen, die in dieser Zeit entlassen wurden, haben mehr bekommen, als die, die später entlassen wurden. Das war einer der "Erfolge" der Taktik vom staatlichen Unternehmen ENACAR: die Entlassenen isolieren, allmählich die Gewerkschaftsbasis dezimieren, um so den Kampf um die Arbeitsplätze zu schwächen und am Ende immer knausigere Abfindungen durchzusetzen. So erhielt auch Jaramillo 600.000 Pesos (ca 2350 DM). Die Minenarbeiter waren gewohnt, Darlehen auf ihre Abfindungssumme aufzunehmen, wenn eine Extra-Ausgabe in der Familie, die sie nicht mit ihren Gehältern bezahlen konnten, anstand, wie die Erstkommunion eines Kindes, eine schwere Krankheit oder irgendeine wichtige Umbaumaßnahme im Haus. Deshalb erhielt eine große Anzahl der Minenarbeiter nur sehr kleine Abfindungen. Andererseits wurden einige mit dem berüchtigten Gesetz 19.129 zur Übergangsrente entlassen und müssen zusehen, wie sich ihre Renten verschlechtern. Da die Mehrheit von ihnen entlassen wurde, als sie noch jung waren, haben sie Kinder im schulfähigen Alter und wachsende Ausgaben noch vor sich. Als er arbeitslos wurde, fand Héctor Jaramillo Arbeit als Straßenhändler und Zeitungsverkäufer, bis es ihm gelang, ein Taxi zu kaufen, womit er zur Zeit sein Geld verdient. Er ist nicht der einzige, der diese Idee hatte: "In Lebu gibt es 80 Autos, die als Taxi zugelassen sind und mehr als 70 Sammeltaxis, was für diese Stadt zuviel ist", meint er.

Letztendlich, egal wo man in dieser Gegend hingeht, trifft man einen ehemaligen Minenarbeiter. So zum Beispiel Feliciano Lagos, Vorsitzender der Marktbeschicker-Gewerkschaft. Der Markt findet täglich im Zentrum von Lebu statt. Seit mehr als zwei Jahren werden dort Früchte und Gemüse vom Großmarkt von Concepción verkauft. "Hier wird wenig Geld umgesetzt, nicht mehr als 30.000 Pesos (ca 120 DM) am Tag, weil das Geld in dieser Stadt den Leuten nicht so locker in der Tasche sitzt," sagt er. "Es gibt viel Unzufriedenheit mit der Regierung, die Leute kommen, labern herum und reisen von einem Ort zum anderen. Den Minenarbeitern wurden viele Versprechen gemacht, die nicht erfüllt wurden. Jetzt gibt es keine Arbeit, und die Jugend weiß nicht, was sie machen soll." Viele jungen Leute gehen nach Santiago und kommen verzweifelt zurück. "Die Leute gingen nie von hier weg, weil sie immer hofften, hier in der Mine Arbeit zu finden. Daher ist Santiago für sie wie ein Urwald," erklärt Jaramillo. Außer den größten Kohleminen hat man in Lebu zwei andere wichtige Arbeitsquellen aus purer Gleichgültigkeit der Regierung geschlossen: Eine Gerberei und den Gemeindeschlachthof. Dafür verbreiten sich Alkoholismus, Drogenkonsum, Kriminalität und Prostitution. Es ist nichts Besonderes, um elf Uhr vormittags an einem Feiertag eine Gruppe Jugendlicher mit einer Flasche Wein auf einer Plaza die Zeit totschlagen zu sehen.

 

Nachlässigkeit der Behörden

Sowohl der Bürgermeister, Aldo Pinto (PPD) als auch der Provinzgouverneur von Arauco, Carlos González (DC) haben durch ihre Apathie und Initiativlosigkeit gegenüber den Problemen der Bevölkerung an Ansehen verloren. "Wir haben das Komitee gegen die Arbeitslosigkeit genau wegen der Tatenlosigkeit der Behörden und ihr fehlendes Interesse gegründet," erklärt Vergara. "In den fast zehn Jahren, die er im Amt ist, hat der Gouverneur außer einem Haus am Strand, das er sich gebaut hat, nichts für die Leute gebracht. Lebu darf sich als einzige Stadt über diesen Luxus freuen. Er widmet sich nur politischem Ränkespiel und Cliquenbildungen." Die Meinung über den Bürgermeister ist nicht weniger lapidar. Man wirft ihm Vetternwirtschaft vor und dass er im Arbeitsvermittlungsbüro seine persönlichen Interessen verfolgt, indem nur 200 Personen im speziellen Arbeitsprogramm aufgenommen wurden, obwohl es insgesamt 700 Einschreibungen gab. "Die Gemeinde manipuliert die Arbeitslosenzahlen, indem sie jeden Monat eine neue Liste von Arbeitssuchenden anfertigen lassen, so dass diejenigen, die sich im Monat vorher eingeschrieben hatten, und nicht noch einmal kommen, in der aktualisierten Liste nicht vorkommen und es nicht bemerken. Deshalb können die Behörden behaupten, es gibt hier zwischen 5% und 7 % Arbeitslosigkeit." Der Gemeindeverwaltung waren angesichts des Problems der Nichtbeschäftigung die Händen gebunden, bis man den staatlichen Arbeitslosen-Beschäftigungsplan ankündigte. Im allgemeinen handelt es sich um öffentliche Aufträge mit Verträgen über drei Monate zum Mindestlohn. Die Verwaltung mußte einige Projekte improvisieren, die sie schnell im September in die Tat umsetzten.

Der Bürgermeister Pinto wird auch wegen seines Verhaltens gegenüber dem Arbeitslosenkomitee und anderen sozialen Organisationen kritisiert. In einer Versammlung im August hatte man ihm sein fehlendes Engagement für die Gemeinde vorgeworfen. Danach legte das Arbeitslosenkomitee einen Vorschlag vor, auf den es bisher keine Antwort bekam. Der Vorschlag enthält verschiedene Forderungen, die keine höheren Ausgaben, sondern eine größere Sensibilität des öffentlichen Dienstes gegenüber den weniger gut situierten Leuten verlangen. Zum Beispiel wünscht man statt der bisherigen diskriminierenden Behandlung im Krankenhaus einen flexibleren Umgang mit den Versicherungskarten, die kostenlose Behandlung für die Arbeitslosen bedeuten. Ein anderer Vorschlag war, ein oder zwei gemeindeeigene Backöfen einzurichten, damit die Hausfrauen ihr Brot mit weniger Kosten für Brennmaterial backen können "Der Bürgermeister ist mit anderen Dingen beschäftigt, das wissen alle in Lebu. Er wahrt nicht einmal sein Image als Behörde", sagt der stellvertretende Vorsitzende des Arbeitslosenkomitees.

Sowohl Garrido als auch Jaramillo stimmen ihm zu. Ein schlechtes Image haben auch die Mitglieder des Gemeinderates. Etwas Hoffnung gibt es auf einen Wechsel nach den Kommunalwahlen im nächsten Jahr, auch wenn die Wahlkampagnen in dieser Gegend wie in alten Zeiten ablaufen, d.h. es gibt Weinausschank in den Armenvierteln und Sportklubs. "Darin zeigt sich dann die Stärke der Kandidaten, und so machen es alle Parteien sowohl der Opposition als auch die der Concertación. Das ist die Art Politik, wie sie in diesem Ort betrieben wird," kommentiert der Vorsitzende der Fischergewerkschaft.

 

"Hunger wird es geben..."

Niemand kann vorhersagen, wie lange das Fischvorkommen bleiben wird, dessen Aufkommen das einzig Gute ist, was in den letzten Jahren nach Lebu gekommen ist. "Im Moment gibt es weniger Fisch, was mit der Laichzeit zu tun hat. Aber da es eine bewegliche Ressource ist, könnten klimatische Veränderungen den Fisch veranlassen, in andere Gegenden zu ziehen," erklärt Jorge Garrido. "Es gibt überhaupt keine Sicherheit, wie lange man ihn hier halten kann, ob vier Jahre, zehn Jahre oder mehr. Eines Tages wird es Hunger geben." Außerdem ist der Fisch auch kein Allheilmittel. Nach Hector Jaramillo, "ermöglicht der Fisch das Überleben, denn vom sechsjährigen Kind bis zum Ältesten im Haus arbeiten sie mit, um den Hunger zu stillen." Die kleinen Fischer bekommen keine Rente und ihre Kinder vernachlässigen die Bildung, um ihren Familien zu helfen.

So wichtig wie der Fisch in den letzten Jahren gewesen ist, ist auch die Zahl der Todesfälle. "In einer Versammlung, die wir mit dem Bürgermeister hatten, hob er die Tonnen von Fisch, die von Lebu aus in den Export gehen, hervor, aber mit keinem Wort, auf wessen Kosten dies geht," kommentiert Vergara. "Es gibt Leute, die sind ertrunken, andere sind durch irgendwelche Unfälle gestorben und einige, die man gerettet hat, sind so traumatisiert, dass die ganze Familie in Mitleidenschaft gezogen wurde." Jorge Garrido fügt genauer hinzu, dass Lebu zwar den nationalen Seehecht-Fang-Rekord 1999 hatte, aber eben "auch den traurigen Rekord von Toten". Innerhalb eines Vierteljahres starben zwölf Fischer auf hoher See und zwei auf Land. "Beides ist fatal, denn dieser große Seehechtfang hat sich weder im Portemonnaie noch im Haushalt der Fischer niedergeschlagen," fügt der Gewerkschaftsführer hinzu.

Das größte Problem ist, dass die Zwischenhändler den Fisch für einen Hungerlohn abkaufen, um sie hauptsächlich in Santiago für das Vier- oder Zehnfache zu verkaufen. Im vergangenen Sommer bekamen sie zwischen 150 und 180 Pesos pro Kilo (0,60 - 0,70 DM), und es gab Momente, wo die Fischer nicht mehr als 60 Pesos pro Kilo erhielten. Die Gewerkschaft versucht einen gerechten Preis zu erreichen und kollektiv zu verteidigen, um nicht mehr der Gnade der Spekulanten ausgesetzt zu sein. Auch kümmern sie sich darum, die Kontinuität des Fischfangs zu sichern und sich um das Überleben dieser Naturressource zu kümmern, denn der Fischreichtum hat Fischer aus anderen Gebieten, hauptsächlich aus der Zentralzone, angezogen, wodurch die Existenz der Einheimischen in Gefahr gerät.

 

Opfer des Modells

Die drei ehemaligen Minenarbeiter sind sich darüber im Klaren, dass die Strategie des Staates, als sie abgewickelt wurden, darin bestand, die Gewerkschaftsbewegung mit ihrem Kampf um die Minen handlungsunfähig zu machen. Die Versuche heute, den Fischfang zu organisieren, stößt auf Schwierigkeiten jeden Typs, angefangen von Intrigen bis hin zu Ausschlüssen. Auf den Vorschlag des Arbeitslosenkomitees gab es keine andere Reaktion als das staatliche Arbeitsprogramm, um das Problem abzufedern. "Die Strategie ist, die Leute zu vereinzeln, so dass sich jeder mit sich selbst beschäftigt und solidarisches Handeln bei Seite läßt, was früher immer die Stärke der Kohlearbeiter in der Region war," kommentiert Jaramillo.

Ein Vorschlag, den die alten Kohlegewerkschaften vor der Schließung der Minen der Regierung gemacht haben, bestand darin, eine Freihandelszone in Lebu und einen Industriehafen zu schaffen. "Doch die regionale Regierung und die nationalen Behörden zogen es vor, die Zukunft Lebus den Investitionsmöglichkeiten des privaten Fischereisektors und des Dienstleistungsbereichs zu überlassen. Es gibt keinen Versuch seitens des Staates, irgendetwas zu schaffen," bestätigt Garrido. "An so verlassenen Orten wie Lebu, die so weit von den Konsumzentren entfernt sind, ist es schwer etwas aufzubauen. Deshalb räumt der Staat durch CORFO (staatliche Entwicklungsgesellschaft) ausländischen Unternehmen Darlehen ein, tätigt riesige Investitionen in U-Boot-Käufe, erhöht die Gehälter der Streitkräfte und die Ausgaben im Prozess gegen Pinochet. Er sollte in die Kommunen investieren, um die Probleme der Kommunen zu regeln," ergänzt Luis Vergara. Lösungen sind nicht in Sicht. Die weitreichende Kritik an den Behörden richtet sich gegen das ökonomische Modell, das von zwei Regierungen der Concertación und dem von der Diktatur vererbten politischen System gestärkt wurde.

 

Übersetzung: Barbara Imholz

Aus: SOLIDARIDAD Berichte und Analysen aus Chile. 21.Jg., Nr.212, Jan-Feb. 2001; Bezug: KSHG, Frauenstr. 3-7, 48153 Muenster. Tel: 0251-41300; soli@muenster.de Jahresabo/ 6 Ausgaben: 24,-DM


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