Weil den meisten Frauen in der Gewerkschaftsführung der Tag nicht ausreicht, arbeiten sie bis tief in die Nacht hinein, um den mannigfaltigen Schwierigkeiten zu meistern, die die verschiedenen Rollen im Beruf, in der Familie und in der Gewerkschaft ihnen aufbürden. Dieser Mehrfachbelastung zum Trotz, sind sich diese Frauen darüber einig, daß das weibliche Geschlecht in der Gewerkschaftsführung unerläßlich ist, und daß sie stärker vertreten sein sollten.
Judith Rubio, Gewerkschaftsvorsitzende von Provida (= eines der wichtigsten privaten Rentenversicherungsunternehmen), Rosita Novoa, Mitglied der Gewerkschaft der ChemiearbeiterInnen, Liliana Gaete, Gewerkschaftsvorsitzende von Sodimac und Marcela Corneja, die Gewerkschaftsvorsitzende bei Protección war, bis dieses Rentenversicherungsunternehmen von Provida aufgekauft und sie arbeitslos wurde, haben vieles gemein und zusammen vertreten sie mehr als 3000 ArbeiterInnen.
Auf ihre je eigene Weise haben sie gelernt, mit viel Enthusiasmus ihre soziale Tätigkeit mit ihrem Privatleben zu vereinbaren. Judith ist ledig und kann sich deswegen nahezu unbeschränkt der Gewerkschaftsarbeit widmen. Rosita, die Mutter zweier Kinder ist, und Marcela, die vier Kinder zu versorgen hat, sind beide geschieden. Liliana, die ihr drittes Kind erwartet, kann sich in puncto Erziehung und Haushalt der Unterstützung ihres Mannes sicher sein.
Welcher Beitrag, können Frauen leisten, um die Probleme der geschwächten und eingeschränkten Gewerkschaftsbewegung zu überwinden?
Judith: Wir Frauen können einen wesentlichen Beitrag leisten, da wir einen anderen Zugang zur Macht haben. Wir sind uns sehr bewußt, daß wir unabhängig von unserem Posten für diejenigen zu arbeiten haben, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Dahingegen spielt bei den Männern der Posten eine weitaus gewichtigere Rolle. Ich bin überzeugt davon, daß es zu einem schnelleren Wandel kommen würde, wenn wir Frauen innerhalb der Organisationen mehr Kräfte zu bündeln imstande wären.
Liliana: Durch unsere Mehrfachbelastung in Beruf und Familie verfügen wir über ausgeprägtere Organisationsfähigkeiten und sind uns unserer Ziele bewußter als die Männer. Wir gehen methodischer vor und sind im allgemeinen ordentlicher. Dies verleiht uns eine andere Vision von dem, was eine Gewerkschaftsführung sein sollte und welche Veränderung vonnöten sind.
Rosita: In Führungspositionen sind wir nur dann eine Bereicherung, wenn wir die Stellung einer Frau vertreten, die über ihre Professionalität hinaus noch imstande ist, affektive Beziehungen aufzubauen. Es kann nicht darum gehen, mit den Männern in Konkurrenz zu treten, um danach deren machistische Positionen zu übernehmen.
Marcela: Ein Generationswechsel reicht leider nicht aus. Auch auf der Ebene der Geschlechterverhältnisse muß eine Erneuerung stattfinden. Die Frau engagiert sich mehr im Gewerkschaftsbereich als ihre männlichen Kollegen, weil sie einen anderen Zugang zum Leben hat und nicht darauf erpicht ist, im Zentrum der Öffentlichkeit zu stehen. Wenn die Stunde der praktischen Arbeit schlägt, treffen wir nur jüngere Männer an und deswegen glaube ich, daß jene Führungskaste, die seit 18 bzw. 20 Jahren die Geschicke der Gewerkschaften lenkt, überaltet ist. Zwar stimmt es, daß sie die schlimmsten Zeiten der Diktatur zu ertragen hatten, aber das ist kein Grund dafür, den Platz für die Neuen nicht räumen zu wollen.
Immer mehr Frauen drängen auf den Arbeitsmarkt. Wie empfängt dieser Markt die Frauen?
Judith: Der Markt berücksichtigt keine Geschlechtsunterschiede, sondern nur sein Interesse der Kapitalverwertung. Wenn die Frauen kostengünstiger arbeiten und darüber hinaus zu Mehrarbeit bereit sind, dann sind sie für den Markt lukrativ. In meiner Dienstleistungsbranche sind mehr als 75% der Beschäftigten Frauen und ca. 40% davon sind zusätzlich für den Haushalt verantwortlich. Deswegen können sie nicht so einfach ihren Job aufs Spiel setzen. Wenngleich wir im Vergleich mit unseren Kollegen eher bereit sind, uns aufzulehnen, so sind Frauen doch bedachter, wenn es darum geht, die Grenzen ihres Widerstandes ausfindig zu machen, um ihre Anstellung nicht zu riskieren. Bei uns in Provida konnten wir einige Erfolge im Bereich des Mutterschutzes erzielen. Dies alles mußte aber schwer erkämpft werden.
Rosita: Ich glaube, daß die Frau eines der schwächsten Glieder in der Kette der Arbeitswelt ist. Wir genießen weniger Ansehen, sind häufig Opfer von Übergriffen und werden im Vergleich zu unseren männlichen Kollegen schlechter entlohnt. Als die Frau das Haus verließ, entledigte sie sich nicht einer Aufgabe, sondern es kam eine weitere hinzu.
Warum gibt es so wenige Frauen in der Gewerkschaftsführung?
Liliana: Es sind die wenigen, die sich getraut haben, eine dominierenden Rolle einzunehmen. Bei Sodimac sind ca. 50% der ArbeiterInnen Frauen, aber die wenigsten lassen sich aufgrund vielfältiger Hürden für ein Gewerkschaftsengagement begeistern. Wenn die Frauen am eigenen Leibe erfahren, daß es keine Kinderbetreuung gibt, weil sich das angeblich nicht gehört, beginnen sie sich darum zu kümmern und sich für solche Ziele einzusetzen.
Rosita: Es gibt viele Frauen, die an der Basis engagiert sind, weil sich diese Arbeit in einem geschützteren Rahmen abspielt, der den Frauen vertrauter ist. Gegenwärtig tun sich die Frauen schwer, diesen Bereich zu verlassen und sich bewußt zu werden, daß sie über weitaus größere Fähigkeiten verfügen. Der Dachverband erfreut sich eines wachsenden Frauenzuwachses, aber es ist schwierig mit den Frauen Gewerkschaftsarbeit anzugehen. Es ist schwierig, daß sie an einer Sitzung teilnehmen, wenn gerade der Haushalt nach ihnen verlangt. Eben aus diesem Grund haben wir eine Frauenstelle eingerichtet, die sich mit diesen Fragen der Geschlechterverhältnisse beschäftigen soll. Wir wollen Werkstätten für Handarbeit einrichten, die nicht nur die Möglichkeit anbieten, zu einer inneren Befriedigung zu gelangen, sondern uns die Chance eröffnen, mit vielen Frauen überhaupt ins Gespräch zu kommen.
Welche sind die größten Schwierigkeiten, mit denen Ihr als Gewerkschaft zu kämpfen habt?
Judith: "Nachdem die Corp Group ihre Provida-Gesamtbeteiligung an die Bilbao Vicaya-Bank verkauft hat, wurde uns zugesichert, daß es keine fusionsbedingten Kündigungen geben würde. In Wirklichkeit jedoch wurden seit der Demonstrationswelle von 1997 mehr als 16.000 Angestellte der AFP (private Rentenversicherungsunternehmen; d.Red.) entlassen. Und für diejenigen, die ihre Arbeitsstelle behalten haben, nimmt der Streß am Arbeitsplatz kontinuierlich zu, weil die Bedingungen für einen Wechsel der Pensionskassen und die Anforderungen der Unternehmen selbst, die Arbeitsweise merklich verändert hat. Heute kommen nämlich fast keine neuen Versicherten hinzu, sondern die einzelnen AFP kaufen sich die Versicherten mit ihren jeweiligen Ersparnissen jeweils gegenseitig ab. Die Möglichkeiten für die Versichertenübernahme sind vielfältig, aber sie werden letztlich alle auf Kosten der ArbeiterInnen durchgeführt, was eine enorme psychologische Belastung nach sich zieht. Die Betriebe versuchen diese Wechsel einzugrenzen, indem sie die Gehälter der Angestellten senken, damit sich diese nicht den Wechsel, der ja bekanntlich mit Kosten verbunden ist, leisten können. Insgesamt sehen wir zur Zeit erneut einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsverhältnisse entgegen.
Liliana: In unserem Falle ist es erforderlich, einen Dialog zwischen der Betriebsführung und den Gewerkschaften zu erreichen. Wir schaffen es zwar immer wieder mit den Geschäftsführern der einzelnen Personalabteilungen zu sprechen, aber da diese Personalabteilungen alle getrennt voneinander ihre Maßnahmen durchführen, ist es für uns GewerkschaftsführerInnen schwierig, einen Gesamtüberblick zu behalten.
Wie geschwächt ist die Gewerkschaftsbewegung?
Liliana: Sie ist in der Tat stark angeschlagen. Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung, weil vielerorts die Menschen versuchen, etwas zu unternehmen. Was mich in diesem Zusammenhang am meisten beschäftigt ist die Tatsache, daß wir als Gewerkschaftsbewegung sehr gespalten sind, da jede Gewerkschaft ihre je eigene Vision von dem hat, was die Gesamtbewegung sein sollte. Wir müssen diesem Zersplitterungsprozeß ein Ende bereiten.
Rosita: Wir durchleben zur Zeit einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitsbeziehungen. Dieser Wandel lähmt die Gewerkschaftsbewegung. Heute sehen wir uns einer anderen Art von Unternehmen und einer Art der Unternehmensführung konfrontiert. Hinzu kommen noch die mehr als veraltete Verfassung und die Ausrichtung der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften haben es bis heute noch nicht geschafft, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Wie kann es uns gelingen, gültige VertreterInnen der HeimarbeiterInnen oder der in den informellen Sektor Beschäftigten zu sein? Wie ist die Vertretung der ArbeiterInnen zu organisieren, die nur einen zwei- bis dreimonatigen Vertrag haben bzw. mittlerweile arbeitslos geworden sind? Nach wie vor ist das Bild der in einem Betrieb fest angestellten ArbeiterIn vorherrschend.
Gehört ihr irgendeinem Dachverband an?
Judith: Ich bin Mitglied bei der Gewerkschaftskoordinationstelle Multisindical, die sich der Initiative einiger GewerkschaftsführerInnen verdankt. Wir haben diese Koordinationsstelle ins Leben gerufen, weil wir sahen, daß die Betriebe kein Interesse an eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen hatten bzw. stets an deren Verschärfung interessiert waren. Nur wenige Betreibe bildeten diesbezüglich eine Ausnahme. Die Multisindical verstehen wir als eine autonome Instanz, die sowohl finanziell als auch politisch vollkommen unabhängig ist. Im Augenblick arbeiten wir an einer territorialen Vernetzung mit weiteren GewerkschaftsvertreterInnen. Wir gehören der Gruppe Santiago-Mitte an, die sich vierzehntägig trifft, um die Lage in den einzelnen Gewerkschaften unseres Gebietes zu analysieren und Erfahrungen auszutauschen. Zur Zeit beschäftigen wir uns mit dem Arbeitsgesetz, aber noch viel mehr setzen wir uns mit unserer eigenen Unfähigkeit, uns nicht gegen das uns bedrohende System wehren zu können, auseinander. Deswegen bin ich der Überzeugung, daß an erster Stelle unsere Organisationen gestärkt werden müssen.
Marcela: Wir haben die Gruppe Santiago-Mitte mit der Absicht ins Leben gerufen, Gewerkschaftsarbeit voranzutreiben. Einige KollegInnen beharrten jedoch darauf, daß die Organisation erweitert werden sollte und zwar bezüglich der gesamtgesellschaftlichen Diskussionen. Diese Diskussion nahm dann im Verlauf der Gespräche immer mehr Raum ein und wir gelangten so zu allgemein politischen Themen, die eine ganze Menge Konflikte mit sich brachten. Es gab beispielsweise unterschiedliche Meinungen hinsichtlich des Verständnisses von dem, was gewerkschaftliche Arbeit und ihre Methode sein sollte. Die Jüngeren unter uns waren für alle Aufgaben offen, während sich die Erfahrenen eher auf die Diskurse konzentrierten. Diese Diskussionen kosteten uns sehr viel Kraft und zogen eine lange Diffamierungswelle nach sich. Daraufhin zog sich ein Teil der Gruppe zurück, um eine Evaluierung unserer Arbeit vorzunehmen und nach einem langen Arbeitsprozeß kamen wir zu dem Schluß, daß wir uns in Zukunft verstärkt und hauptsächlich der Basisarbeit widmen sollten. Aus dieser Evaluierungsarbeit entstand ein ArbeiterInnenkollektiv, das sich stark an den studentischen Vorbildern orientiert (vgl. SOLIDARIDAD Nr. 202, S.5-10). Das Ziel dieses neuen Kollektiv ist es, den ArbeiterInnen im privaten Sektor bei ihren Organisationsaufgaben zur Seite zu stehen. Hierbei wollen wir alle ArbeiterInnen ansprechen, vom Angestellten bis zum Putzpersonal, wobei ein wesentliches Augenmerk darauf gerichtet wird, ein neues Bewußtsein über das zu schaffen, was einE ArbeiterIn sein soll. D.h. wir grenzen uns bewußt vom klassischen ArbeiterInnenbewußtsein mit Helm oder Schürze ab, nicht zuletzt weil heutzutage mehr als 400.000 der ArbeiterInnen im Dienstleistungssektor Anzug- und KostümträgerInnen sind. Ihnen und ihren schlechterverdienenden KollegInnen ist jedoch gemein, daß sie alle ausgebeutet werden, ein atomisiertes Gesellschaftsbewußtsein haben und zu großen IndividualistInnen erzogen worden sind. U.a. wollen wir Workshops durchführen, um der ArbeiterInnenkultur (Lieder, Demosprüche, usw...) neue Impulse zu verleihen. Wir werden von einem technokratischen Diskurs, der klassistisch und egozentrisch ausgerichtet ist, übersättigt und das Schlimme dieses Diskurses ist, daß die normale ArbeiterIn diesem Diskurs kaum etwas entgegenzustellen hat bzw. ihn nicht gänzlich begreift. Vergessen dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht, daß ca. 99% der arbeitenden Bevölkerung dieser Gruppe zuzurechnen sind. Und auch wenn es zunächst verräterisch klingen mag, so haben wir auch versucht, das Wort 'Gewerkschaft' in unserem Diskurs so wenig wie möglich zu verwenden, da dieser Begriff nicht die Gesamtheit des Lebens der ArbeiterInnen zu umfassen vermag.
Liliana: Als Gewerkschaft gehören wir dem Gewerkschaftsdachverband, der CUT, an. Obwohl sie nicht die Gesamtheit aller ArbeiterInnen hinter sich bringen kann, wird sie jedoch vom kollektiven Bewußtsein des Volkes anerkannt. Was mich anbelangt, so habe ich in verschiedenen Gruppen mitgearbeitet, ohne der großen gesellschaftlichen Spaltung Entscheidendes entgegengestellt haben zu können. Was die ArbeiterInnen m.E. heutzutage wirklich brauchen, ist eine neue Einrichtung, die imstande sein sollte, die ArbeiterInnen überparteilich zu vereinen, damit sie die Problematik der Arbeitsgesetze (Streikrecht, etc.) in ihrer Gesamtheit angehen können.
Rosita: Die ArbeiterInnenvertretung, der ich angehöre, ist ebenfalls an die CUT sowie an die internationalen Gewerkschaftsverbände der Chemieindustrie angeschlossen. In diesem Zusammenhang erscheint mir die Kooperation mit ausländischen KollegInnen von größter Wichtigkeit zu sein, da die Globalisierung vor keiner Staatsgrenze Halt macht.
Was ist zur Zeit mit der CUT los?
Judith: Nach meiner Einschätzung ist die gegenwärtige Ausrichtung der CUT heute besser als vor einem Jahr. Aber solange die politischen Parteien in der Führung das Sagen haben, wird sich m.E. nicht viel verändern. Wir GewerkschaftsführerInnen müssen oft Entscheidungen des Gremiums mittragen, weil politische Kompromisse nicht umsonst zu haben sind.
Liliana: Die CUT sollte ihre Arbeit mit den GewerkschaftsführerInnen auf der Basisebene wieder aufnehmen und sich um eine echte Alternative kümmern. Ich sehe bereits Zeichen für einen solchen Wandel.
Rosita: Wir sind Mitglied bei der CUT, weil dies der einzige Dachverband im Lande ist und wir alle seine Arbeit respektieren. Aber schon immer waren wir überzeugt, daß wir Druck mit unseren Mitgliedern machen müssen. Die größte Schwierigkeit bei der CUT sind die Ringkämpfe um die Macht, die sehr stark von den Parteiinteressen bestimmt sind. Diese internen Machtkämpfe werden von den UnternehmerInnen ausgenutzt, um die GewerkschaftsführerInnen und deren Tätigkeit in der Öffentlichkeit zu diffamieren.
Marcela: Die Veränderungen an der Spitze der CUT sind positiv zu bewerten, da die Linke mehr an Boden hat gewinnen können, wir sind jedoch der Überzeugung, daß sich diese Linke nicht so sehr von der alten Führungslinke innerhalb der CUT unterscheidet.
Angesichts der im Dezember 1999 stattfindenen Präsidentschaftswahlen: Was glaubt Ihr, wie sehr sich die Lage der Gewerkschaftsbewegung unter dem neuen Präsidenten verändern könnte?
Judith: Hinsichtlich der Gewerkschaftsbewegung bin ich gegenüber allen Präsidentschaftskandidaten gleich skeptisch. Wenn ein wahres Interesse zur Verfassungsveränderung oder zugunsten der Interessen des Volkes spürbar wäre, dann hätten wir einen Grund zur Hoffnung. Aber es sieht so aus, als würden sich einmal mehr nur die Interessen der Wirtschaft durchsetzen. Ich glaube, daß Chile noch zwei bis drei Perioden braucht, damit die ArbeiterInnen von ihrem Schlaf wachgerüttelt werden und sie sich zu organisieren beginnen. Was mich angeht, so bereiten mir diese Wahlen einige Kopfschmerzen, weil ich nicht weiß, wen ich wählen soll. Mein Trost ist, daß es der Mehrheit der ChilenInnen ähnlich ergeht.
Liliana: Keiner der Präsidentschaftskandidaten vermag mich zu überzeugen, weil ihre Programme nicht mit den Interessen von uns ArbeiterInnen zu vereinbaren sind. Die Politiker machen sehr viele Wahlversprechen und in diesem Zusammenhang ist es sehr ärgerlich , daß sie sich den Arbeitslosenschutz auf die Fahnen schreiben. Dem ist so, weil dieses Gesetz im besten aller Fälle gemäß dem gültigen Recht erst nach einem Jahr seines Erlasses in Kraft treten könnte. Hinzu kommt noch, daß z.Zt. erneut darüber nachgedacht wird, daß jene Fonds von Privatunternehmen verwaltet werden sollte, d.h. daß weder die Unternehmer selbst geschweige denn die ArbeiterInnen eine unmittelbare Kontrolle über diese Gelder hätten. Wenn wir weiter so verfahren wie bis jetzt, dann wird sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärfen und eine Mehrheit der ArbeiterInnen wird keinen Zugang zu diesen Fonds haben können. Ich frage mich oft, was den nächsten Generationen so alles widerfahren wird.
Rosita: Egal was für ein Kästchen ich am Wahltag ankreuze, so wird sich die Lage des Landes nicht großartig verändern. Die Präsidentschaftskandidaten können viel über das Recht auf Bildung, auf Gesundheit, usw. sprechen, aber die letzten Jahre haben gezeigt, daß diese Rechte nicht für alle im gleichen Maße Gültigkeit haben. In der ArbeiterInnenwelt wirkt sich die Angst vor dem Stellenverlust sehr lähmend aus. Wir müssen uns daher bemühen, mindestens die Fähigkeit zur kritischen Reflexion zu bewahren. Unsere Arbeit muß sich einerseits darauf konzentrieren, den Menschen ihre Welt verständlicher zu machen und andererseits ihnen argumentative und rechtliche Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie sich selber Respekt verschaffen können. Vielleicht sind wir in zwei oder drei Generationen dann soweit, daß Menschen den Mut haben, sich auf den Weg tiefgreifender Veränderung aufzumachen.
Vorabdruck aus: SOLIDARIDAD - Berichte und Analysen aus Chile.
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