Das folgende Interview stammt aus der unabhängigen linken (nominell sogar kommunistischen) italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 14.3.2000. Wir veröffentlichen es nicht, weil wir die strategische Konzeption des interviewten CCOO-Funktionärs teilen, sondern weil es einige interessante Hinweise enthält und einen Einblick gewährt, wie die politische Analyse und Orientierung der Führung der ehemals kommunistischen Arbeiterkommissionen heute aussieht.
Das von den Linken in Spanien erreichte Abkommen war auch von vielen Gewerkschaftern unterstützt worden, wenn auch auf individueller Ebene, wie Andres Gomez (Verantwortlicher für die internationalen Beziehungen der Metallarbeiter-Föderation der Comisiones Obreras(1)) erinnert.
Gomez, einen Sozialisten (2), haben wir gefragt, welches die Gründe für das Wahlergebnis vom Sonntag sind. Er antwortet uns, indem er von 3 Faktoren spricht: "Erstens glaube ich, daß es eine Reaktion auf den baskischen und katalanischen Nationalismus ist, weil im Staat und in Teilen der Bevölkerung die Überzeugung existiert, daß die Abhängigkeit von den Nationalisten um regieren zu können, ihnen erlaubt viel ökonomischen Ausgleich zu erreichen. So ist eine Strömung zugunsten der absoluten Mehrheit für die Regierungspartei gewachsen. Zum Sieg des PP (3) hat an zweiter Stelle auch die ETA beigetragen: Der Terrorismus schlägt jegliche politisch komplexe Position und die baskische Frage ist nicht einfach, daher die entschiedenere Position der Volkspartei. Daher denke ich, daß das Votum eine Reaktion auf die Situation des Baskenlandes ist, auch wenn ich nicht denke, daß die Wahl des PP eine Lösung der baskischen Frage repräsentiert. Drittens: Der PP hat seine Stimmenzahl nicht sehr erhöht es ist die Linke, die viele Stimmen verloren hat. Und die Demobilisierung der linken Wählerschaft hat viele Ursachen. Für den PSOE zählt die interne Situation der Partei, wo es an der Eröffnung einer Debatte gefehlt hat, die fähig ist, die Erneuerung zu begünstigen und einen selbstkritischen Prozeß einzuleiten, ohne die Modernisierung des Landes oder die Maßnahmen zum sozialen Schutz zu vergessen."
Und Izquierda Unida ?
"Es ist ein ähnliches Phänomen (eine Abnutzung der Führung und ein wenig glaubwürdiger Diskurs), weil nach 6 bzw. 7 Jahren die Linke, auch aufgrund der Weigerung von IU Kandidaten des PSOE zu wählen, wichtige Machtpositionen verloren hat. Das Abkommen der Linken kam spät und mit Schwierigkeiten nach einer Periode der Auseinandersetzungen. Deshalb wird es mit vielen Grenzen durchgeführt. Die Allianz erweist sich als wenig glaubwürdig. Es läßt keinen Raum für Illusionen und daher mobilisiert es nicht."
Was wird nach dieser Niederlage die Zukunft des Abkommens sein ?
"Die Gefahr ist, daß dieses Ergebnis dazu verleitet das Projekt der Einheit der Linken nicht mehr für gültig zu halten. Ich denke dagegen, daß man es rekonstruieren muß, um es glaubwürdig zu machen. Aber ich sehe, daß auch die der Linken am nächsten stehenden Medien eine Lesart des Ergebnisses geben , die das PSOE-IU-Abkommen zum Sündenbock macht. Es ist klar, daß es den ökonomisch Mächtigen nicht gefallen würde, wenn der Pakt sich konsolidieren würde. Also tun sie alles was möglich ist, um das zu verhindern. Der linke Pakt hat nicht funktioniert, aber er ist nicht verantwortlich für dieses Ergebnis. Es ist nötig neu nachzudenken. Wir können nicht bei den alten sozialdemokratischen Konzeptionen oder denen des Kommunismus stehenbleiben. Wir müssen das Beste aus der sozialdemokratischen und der Tradition des Kommunismus aufgreifen/vereinen, um ein Projekt der Linken auf neuen Grundlagen zu rekonstruieren."
Und die Rechte, was wird die nun mit der absoluten Mehrheit machen ?
"Zunächsteinmal: Was ist der PP ? Warum gibt es keine extreme Rechte in Spanien ? Es gibt diejenigen, die behaupten, daß der PP den Raum der extremen Rechten besetzt. Ich glaube das nicht, auch wenn er Sektoren umfaßt, die nicht demokratisch sind, Reste des Francismus und Positionen wie die des Bürgermeisters von El Ejido (4), die von denen Haiders nicht weit entfernt sind. Dieses Ergebnis stärkt jedoch die liberaleren Teile der Partei, die demokratisch, aber was die Wirtschaft angeht sehr konservativ sind. Daher wird jetzt die Versuchung da sein, die Politik der Privatisierungen zu beschleunigen und dies hätte Auswirkungen auf die Sozialpolitik. Bis jetzt ist die Regierung nicht sehr aggressiv gewesen. Sowohl weil der PP nicht die absolute Mehrheit hatte und daher mit den Nationalisten verhandeln mußte, die auf sozialem Gebiet moderater sind, als auch deshalb, weil sie sich auf der Ebene der Demokratie legitimieren mußte, hat die Regierung Abkommen mit der Gewerkschaft erreicht, indem sie einige Zugeständnisse (z.B. bei den Kleinrenten) machte. Dies ist möglich gewesen dank des wirtschaftlichen Wachstums. Aber wenn man die Zahlen vom Gesichtspunkt der Verteilung des Reichstums analysiert, stellt man fest, daß die großen ökonomischen Mächte und die neue Oligarchie, die sich um die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen herum herausbildet, vom Wachstum mehr profitiert haben."
Apropos Wachstum, ist das mehr der internationalen Situation oder dem sogenannten "spanischen Wunder" geschuldet ?
"Das spanische Wachstum ist höher als der europäische Durchschnitt, aber Spanien bekommt öffentliche Mittel von der Europäischen Union, die fast der Wachstumsdifferenz zum Rest der EU entsprechen. Der Tourismus hat sein Wachstum wegen der Situation, die in Nordafrika, in der Türkei und auf dem Balkan entstanden ist, verdoppelt. Der Beitritt zum Euro hat Teile der Schattenwirtschaft veranlaßt, die Kapitale vor dem Verschwinden der Peseta zu legalisieren. Aber die von der guten Situation und anderen, durch die Erhöhung des Erdölpreises betonte, Faktoren geschaffene Euphorie haben das Handelsdefizit seit 1998 verstärkt. Und es gibt neue Inflationsschübe und ein hohes Niveau von Arbeitslosigkeit (16% - die höchste Rate in der EU), die den Enthusiasmus nicht rechtfertigen."
1) Die Comisiones Obreras (Arbeiterkommissionen - CCOO) standen lange Zeit der spanischen KP (PCE) und ihrer Wahlfront Izquierda Unida (Vereingte Linke - IU) nahe. Sie sind aus den Arbeiterkämpfen der 60er und 70er Jahre gegen das Franco-Regime entstanden, waren ursprünglich sehr basisdemokratisch und kämpferisch, sind inzwischen aber auf das in Westeuropa übliche sozialpartnerschaftliche und bürokratische "Normalmaß" abgesunken und stehen seit einigen Jahren deutlich rechts des PCE und der IU. Seitdem das der Fall ist, gibt innerhalb der CCOO einen organiserten linken Flügel, den sogenannten "Kritischen Sektor", der ca. 30% der Mitglieder hinter sich, aber auch mit erheblichen bürokratischen Repressalien seitens der CCOO-Führung zu kämpfen hat.
2) Will heißen: Mitglied der sozialdemokratischen PSOE.
3) PP = Partido Popular = die konservative "Volkspartei" von Ministerpräsident Aznar, die aus der francistischen Staatspartei hervorgegangen ist, sich inzwischen aber mehrmals reformiert und umgruppiert hat.
4) In dem kleinen südspanischen Ort El Ejido (und der näheren Umgebung) kam es am 5.Februar 2000 zu pogromartigen Ausschreitungen der spanischen Bevölkerung gegen marokkanische und schwarzafrikanische Arbeitsimmigranten und Ladenbesitzer, die als Reaktion darauf zweimal für längere Zeit in den Streik traten.
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