letzte Änderung am 06.Januar 2003 | |
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(Übersetzung leicht gekürzt)
Wie beurteilen Sie die Vorschläge der Kandidaten zur Präsidentschaftswahl zur Agrarreform? Wer hat den besten, wer den schlechtesten Vorschlag?
In Wirklichkeit sind die Unterschiede gering. Und diese Ähnlichkeit verdankt sich der Tatsache, dass das Klima des Wahlkampfes nicht dazu geführt hat, dass die wirklichen Gründe der brasilianischen Probleme zur Debatte standen. So haben es eben bei der Agrarreform alle vorgezogen mildernde Lösungen für die Armut hervorzuheben, ohne mit Klarheit sich der Frage zu stellen, dass die brasilianische Gesellschaft, um demokratisch zu sein, den Grossgrundbesitz abschaffen muss - wie es im übrigen alle modernen und entwickelten Gesellschaften getan haben. Die brasilianische Gesellschaft muss offen diskutieren, dass wir mit dem Grossgrundbesitz nicht koexistieren können. Man kann nicht von Demokratie sprechen, wenn 1% der Landeigentümer 46% des Bodens besitzen. Wenn irgendein Multi das recht hat, 20 oder 30.000 Hektar unseres Landes zu besitzen. Oder ein Unternehmen wie die CR Almeida über 2 Millionen Hektar besitzt. Deshalb hat das "Nationale Forum zur Agrarreform" vertreten, dass es nötig ist, in der Gesellschaft zu das Recht diskutieren, Landbesitz zu begrenzen. Eine Begrenzung auf rund 1.500 Hektar - wobei mit einer solch grossen Fazenda immer noch jeder produktive Fazendeiro reich sein kann.
Wie beurteilen Sie die bisherigen Stellungnahmen der Kandidaten zur Agrarreform? Ist die Einbeziehung des Themas ein Erfolg der sozialen Bewegungen oder bewerten Sie das als blosse Marketing-Massnahme?
Im Volk gibt es das Bewusstsein, dass der Grossgrundbesitz asozial ist. Deswegen sind alle für die Agrarreform. Deswegen sehen sich die Kadidaten gezwungen davon zu sprechen - ohne sich indes auf irgendwelche Formen festzulegen. (...) Wir befassen uns nicht mit den stellungnahmen der Kandidaten, unser Interesse gilt den sozialen Kräften, die ein jeder vertritt. Dabei ist es leicht zu sehen, dass Serra (der Kandidat der bisher regierenden PSDB - A.d.Ü) die Kontinuität dieses perversen Modells vertritt, das wir haben. Ciro (Gomes - PSB, A.d.Ü) vertritt Kräfte, die kleinere Veränderungen wollen, aber das Wesentliche beibehalten. Garotinho war nicht in der Lage, um seine Kandidatur irgendwelche repräsentativen Kräfte zu sammeln. So ist Lula der einzige Kandidat, der Kräfte vertritt, die wirkliche Veränderungen in diesem Land wollen.
Im Juni hat die PT ein Dokument verabschiedet, in dem die Ansiedlung von 500.000 Familien in vier Jahren als Ziel angegeben wurde. Um Polemik zu vermeiden, wurde dies zurückgezogen. 1994 hatte Lula versprochen, 800.000 Familien anzusiedeln. Wie beurteilen sie diesen Rückzug?
Das ist kein Rückzug, das sind nur differenzierte Formen, Ziele in einem Programm zu quantifizieren - oder nicht. Ich wiederhole: Es interessiert uns nicht, was in Programmen steht. In Brasilien sind Wahlprogramme lediglich Übungen in politischer Rhetorik. Vergleichen Sie doch, was im Programm von FHC (Fernando Henrique Cardoso, Präsident seit 1994 - A.d.Ü) steht mit dem, was er in den 8 Jahren gemacht hat. Für die Eliten ist es ein unterhaltsames Spiel, im Wahlkampf das Volk mit Programmen und Reden zu täuschen. Wir haben niemals irgendeinem Kandidaten und viel weniger noch der PT konkrete Ziele bei der Ansiedlung abgefordert. Wir wollen nicht über Zahlen diskutieren. Wir wollen diskutieren, dass es nötig ist, Landbesitz in Brasilien zu demokratisieren und das gegenwärtige Agrarmodell zu verändern, das nur Grossgrundbesitz und Exportlandwirtschaft bevorzugt. Dank der Politik von FHC hat die Konzentration des Landbesitzes in den letzten 10 Jahren zugenommen. Die Grossgrundbesitzer, die mehr als 2.000 Hektar haben, haben die Gesamtfläche ihre Besitzes von 121 auf 178 Millionen Hektar ausgeweitet. Ungefähr 900.000 kleine Bauernhöfe mit weniger als 100 Hektar sind pleite gegangen, 2 Millionen Landarbeiter haben ihre Arbeit verloren. Armut und Elend auf dem Lande sind noch mehr gewachsen. Wir müssen das Agrarmodell verändern und die Landwirtschaft auf den inneren Markt reorientieren, zur Verteilung von Einkommen und Land. Nur so werden wir Armut und Ungleichheit beseitigen. Und dafür müssen zwei grundlegende Faktoren zusammenwirken: Es muss eine Volksregierung geben, die die Kräfte vereinigt, die diese Veränderung wollen und es muss organisierte und starke Bewegungen der Landbevölkerung geben, die in der Lage sind, Druck zu erzeugen. Auf der ganzen Welt haben sich die Verhältnisse auf dem Land nur geändert, wenn diese beiden Bedingungen zusammenkamen.
(...)Wie beurteilen Sie Lulas Wahlkampf? Sind sie enttäuscht?
Nun, Lula hat eine Strategie im Rahmen der Parameter eines Wahlkampfes. Natürlich ist dies keine Strategie, die ein linkes Programm verteidigt oder der radikalen Veränderungen, die unsere Gesellschaft braucht. Es ist, ideologisch gesehen, eine Position der Mitte. Aber, wie schon gesagt, die Reden sind nicht das Wichtige. Das wichtige sind die sozialen Kräfte, die sich um diesen oder jenen Kandidaten sammeln. Die Menschen wissen, wenn Lula gewinnt, wird es Veränderungen geben. Und dass er, unter den Vieren, der Einzige ist, der wirklich diese Kräfte für die Veränderung zusammenbringen kann.
Was halten Sie von den Wahlbündnissen der PT mit der PL (rechte wirtshaftsliberale Partei -A.d.Ü) und Politikern wie Sarney, Quércia, Luiz Antonio de Medeiros? Was halten sie von Lulas Lobrede auf das Wirtschaftswachstum während der Militärdiktatur?
Das ist eine Frage des PT Wahlkampfes. MST hat genügend eigene Probleme, ohne sich in die anderer einzumischen. Obwohl man als Aktivist natürlich weiss, dass damit der Tradition der Linken und dem Zusammenhalt der Partei geschadet wurde. Das wird positive und negative Konsequenzen haben und nur die Geschichte wird zeigen, welche gewinnen.
Haben sie vor, Lula zu wählen? Warum? Warum macht die MST keine offene Kampagne für Lula? Gab Verhandlungen über ein Stillhalteabkommen, Landbesetzungen auszusetzen, um den PT Wahlkampf nicht zu hindern?
Erstens gibt es immer in Wahlkampfzeiten in der Gesellschaft ein Klima, da die Hauptfrage die Wahlen werden. Als Folge davon gehen alle sozialen Kämpfe alle zwei Jahre etwas zurück, nicht nur auf dem Land, auch in der Stadt. Dass die Zahl der Landbesetzungen abgenommen hat, ist also nicht typisch für 2002, noch steht es für irgendein Abkommen. Landbesetzungen geschehen nicht wegen des Willens von Führern, sondern durch die Lage und das örtliche Kräfteverhältnis.
Ich werde Lula wählen und, obwohl es keine Empfehlungen von Kongressen oder Organen gibt, sind alle unsere Aktivisten, sowohl der MST wie auch anderer Bewegungen der Via Campesina, im Wahlkampf und für einen Wahlsieg Lulas aktiv. Die Gründe habe ich schon erklärt. (...)
Lula hat folgendes erklärt: "Wenn der Genosse João Pedro Stedile im Wahlkampf 2002 wiederholt, was er 1998 gesagt hat, wird er mir nicht helfen. Er sagte: Wenn der Genosse Lula die Wahlen gewinnt, werde ich bei seinem Amtsantritt nicht dabei sein, sondern werde dabei sein, alle Ländereien Brasiliens zu besetzen. Er hat nicht geholfen." Wo werden Sie am 1.Januar sein, wenn Lula gewinnt?
Ich habe das doch nicht gesagt, um einer Regierung Lula eins auszuwischen, oder sie herauszufordern. Das war pädagogisch gemeint, um unserer Mitgliedschaft und dem leidenden Volk klar zu machen, dass es nicht reicht, eine neue Regierung zu wählen. Das Volk muss sich organisieren und für soziale Veränderung kämpfen. Keine Regierung wird Veränderungen aus blossem eigenen Willen schaffen. Alle Veränderungen der Menschheitsgeschichte waren Ergebnisse sozialer Mobilisierungen. (...)
Sie haben schon einmal folgendes gesagt: "Um gerecht zu sein, helfen uns die Kritiken von Delfim (Netto - ehemaliger Wirtschaftsminister der Militärdiktatur - A.d.Ü) mehr, als uns die PT geholfen hat." Können Sie das erklären?
Was ich gesagt habe war, dass in letzter Zeit der Volkswirtschaftler Delfim Netto dem Agrarmodell und seinen perversen Ergebnissen für die brasilianische Gesellschaft gegenüber kritischer war, als manche Ökonomen der PT. (...) So tief sind wir gesunken, dass die Linke die Ökonomen der Rechten nutzen müssen, um eine geschlosene Kritik am Modell zu üben - das sage ich jetzt als Ökonomie-Lehrling...
(...)Im selben Interview sagten Sie, die Linke habe die Verhandlungen bevorzugt, um den Druck der Klasse zu kanalisieren. Wenn es nicht Verhandlungen sein sollen - wo ist dann der Ausweg?
In diesem Interview kritisiere ich der Institutionalisierung der linken Parteien, die nur an Wahlen denken. Die Rolle einer linken Partei ist es, das soziale Bewusstsein der Arbeiter anzuheben. Sie müssen dazu beitragen, sozialen Bewegungen zu organisieren, den sozialen Kampf führen helfen. Dabei helfen, das Volk für seine Interessen und Rechte zu mobilisieren. Die Wahlen sind lediglich ein Aspekt des demokratischen Spiels einer Gesellschaft.Die Bourgoisie und ihre Medien machen beständig eine Propaganda, die die Demokratie auf die Wahl reduziert. Das tun sie, weil das die Art ist, wie sie das Volk kontrollieren können, es täuschen mit falschen Hoffnungen auf die Wahlen. Wahre Demokratie ist es, wenn sich das Volk seiner Lage bewusst ist, und kämpft und sich organisiert um das Funktionieren der Gesellschaft in jeder Beziehung zu verbessern. (...)
In der Volksabtimmung 2000 haben Sie die Nichtbezahlung der Auslandsschulden vertreten, und Sie haben auch schon gesagt, dass Sie für eine Begrenzung der Zinszahlungen auf die Inlandsverschuldung sind...
Die Auslandsverschuldung ist doch keine moralische Frage: In der Art, wer schuldet, zahlt. Die Auslandsverschuldung ist ein Mechanismus, den das internationale Kapital geschaffen hat, um die Länder der dritten Welt auszubeuten. Zur Kolonialzeit haben sie uns ausgebeutet, indem sie unsere natürlichen Ressourcen stahlen. Im 20.Jahrhundert haben sie uns ausgebeutet, indem sie hierher kamen mit ihren Fabriken, um unsere Arbeitskraft auszubeuten. Und jetzt tun sie es mit Krediten und zinsen - die Beweise liegen vor. Als FHC an die Regierung kam, betrug unsere Auslandsschuld 128 Milliarden Dollar. Wie Delfim Netto entlarvt hat, haben wir in diesen 8 Jahren 200 Milliarden Dollar mehr ins Ausland geschickt, als hereinkamen - und trotzdem ist unsere Verschuldung auf 258 Milliarden explodiert! Das heisst: Unser Land wird sich nicht entwickeln, wird nicht mit der Armut brechen, eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft hervorbringen, wenn sie diesen Transfer der Reichtümer des Volkes ins Ausland nicht verhindert. Wie - das können wir diskutieren. Zunächst muss es ein Moratorium geben und eine öffentliche Bestandsaufnahme, wie es die Verfassung vorsah, um zu sehen, was wir schulden, was wir schon bezahlt haben.... Ich weiss auch gar nicht, warum sich die Medien so wegen eines Moratoriums aufregen, das vertritt die Kirche, der Papst, konservative Ökonomen und sogar Tancredo Neves (erster Präsident nach der Militärdiktatur - A.d.Ü) hatte angekündigt, dass er die Schulden nicht mit dem Hunger des Volkes bezahlen würde. Was die Inlandsschuld betrifft, ist es fast daselbe. Die Banken haben den Staatshaushalt als Geisel genommen. 140 Milliarden Reais (aktuell ca 40 Mrd Dollar - A.d.Ü) werden jedes Jahr an Zinsen bezahlt... Warum zum Beispiel, ist der Zinssatz hier in Brasilien - 19,75% - nicht derselbe, wie auf dem internationalen Finanzmarkt: 0,2% in Japan oder 2,5% in New York?
Die MST ist Mitorganisator der Volksabstimmung über die ALCA (englisch FTAA - Amerikanische Freihandelszone -A.d.Ü). Wie kann diese Aktion den Vertrag verändern - oder geht es nur um Marketing? Wie bewerten Sie die Abwesenheit der PT?
Die ALCA ist nicht irgendein Handelsabkommen, das beiden Seiten Vorteile bringen wird. Das ist ein strategischer Plan der 200 grössten US-amerikanischen Unternehmen und ihrer Regierung, unsere Reichtümer, Investitionen, Inndustrien, Markt, Technologie, Kommunikationsmittel, unsere Währung und unsere Kultur zu übernehmen. So werden sie ihre Profitrate erhöhen und ihre Konkurrenzbedingungen gegenüber Europa und Asien verbessern. Es gibt neun Verhandlungsgruppen um die ALCA und nur eine befasst sich mit dem Handel. Deswegen haben die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Kirchen aus ganz Lateinnamerika eine koninentale Kampgane des Kampfes gegen die ALCA organisiert - ein Kampf gegen die Rekolonisierung Lateinamerikas. Und davon ist die brasilianische Kampagne nur ein Teil. Die Volksabstimmung war ein Erziehungswerkzeug, nicht um Stimmen zu zählen, sondern um unser Volk bewusst zu machen. Millionen von Brasilianern haben das zur Kentniss genommen, haben sich engagiert, sich beteiligt. Und wir werden das weiterhin tun, das Volk erziehen, bis wir den Kampf um die Verhinderung der ALCA gewonnen haben.
Wir von der brasilianischen Kampagne haben vertreten - und erwarten - dass die neue brasilianische Regierung sofort aus den Verhandlungen austritt. Man muss der US-Regierung sagen: "Wir wollen die ALCA nicht, fertig." Das ist kein Radikalismus, das vertritt auch der Botschafter Pinheiro Guimarães, und selbst das Abgeordnetenhaus hat einen Beschluss gefasst, mit dem die Regierung FHC aufgefordert wurde, sofort die Verhandlungen einzustellen... Die Kräfte, die die Volksabstimmung über die Auslandsschulden organisiert haben und jetzt in der Kampagne gegen die ALCA aktiv sind, sind eine riesiege Zusammenballung von über 100 Organisationen der brasilianischen Zivilgesellschaft. Die Parteien haben als Organisationen niemals teilgenommen. Deswegen kann auch die PT nicht ausgetreten sein, weil sie nie eingetreten war. Aber die aktiven Parteimitglieder der PT, wie auch der PDT, PSB, KPB, PSTU und an einigen Orten auch der PMDB haben die ganze Kampagne aktiv mitgetragen. ........................LabourNet Germany | Top ^ |