letzte Änderung am 30. Sept. 2002

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SIMECA, die "unabhängige Gewerkschaft der Motorrad- und Fahrradkuriere"

Artikel von Gaby Weber für das LabourNet Germany

Es gibt sie schon seit drei Jahren, SIMECA, die "unabhängige Gewerkschaft der Motorrad- und Fahrradkuriere". Doch seit dem 20. Dezember letzten Jahres, als eine breite Volksbewegung den regierenden Präsidenten der Radikalen Partei aus dem Amt jagte, sind sie berühmt. Damals schlängelten sie sich auf ihren Motos und Bicis durch die Reihen von Polizei und Demonstranten, verteilten Zitronen gegen Tränengas und transportierten Verletzte in die Krankenhäuser. Einer von ihnen wurde dabei selbst von der Polizei getötet.

Seitdem ist das ohnehin gespannte Verhältnis zur Polizei auf den Nullpunkt gesunken. "Sie hassen uns mehr als wir sie", meint Maxi, offensichtlich besorgt. Denn eigentlich wollen er und seine Freunde sich dem Aufbau einer neuen gewerkschaftlichen Struktur widmen und nicht alle Kräfte in den täglichen Reibereien mit den Uniformierten verlieren. "Aber nach jeder Demonstration, nach jedem neuen Polizeiskandal, lassen sie ihre Wut an uns aus. Dann lauern sie uns an den Parkplätzen und vor den Agenturen auf, verteilen Strafzettel, überprüfen die Zulassung und schikanieren uns" (Maxi).

Fast 60.000 Boten gibt es in Argentinien, die auf ihren Motorrädern Briefe und Dokumente abholen und übergeben, Behördengänge übernehmen, kleine Waren und Muster transportieren. SIMECA war der erste gewerkschaftliche Verbund, der sich um diese neue Berufsgruppe kümmerte, inzwischen versuchen die eingesessenen Gewerkschaftsapparate, die unter die Fittiche zu nehmen.

SIMECA ist vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires aktiv, weniger im Landesinneren. Wie viele Anhänger sie haben, verraten sie nicht, wahrscheinlich wissen sie es selbst nicht. Der harte Kern dürfte aus einer Handvoll Aktivisten bestehen, bei Aktionen kommen hunderte, manchmal tausende, dazu.

Kuriere sind klassische Scheinselbständige. Das Motorrad gehört ihnen, für Reparaturen und Benzin müssen sie selbst aufkommen. Und der Arbeitgeber geht davon aus, daß sie sich selbst versichern. Doch niemand ist in der Lage, diesen "monotributo", Steuern und winzige Rente, wirklich aufzubringen. Maxi rechnet vor: Ein "motoquero" verdient im Durchschnitt für einen Fulltime-Job 600 Pesos. Brutto. Davon zahlt er Benzin, Reparaturen, Handy und Mautgebühren. Übrig bleiben etwa 400 Pesos, umgerechnet 110 Euro. Zuwenig, um davon 30 Euro "monotributo", Steuern und Rentenbeitrag, zu zahlen, vor allem weil doch der Staat die Steuern der Bürger verpulvert und Renten werden die Argentinier, davon sind sie überzeugt, ohnehin keine bekommen.

Die meisten Motoqueros tragen Uniform der Agentur und haben feste Arbeitszeiten, einige werden pro Fahrt bezahlt, fünfzig Prozent von dem, was der Kunde zahlt. Feste Regeln gibt es nicht, denn der Beruf des "Kurieres" ist vom Arbeitsministerium nicht definiert, juristisch existiert diese Berufsgruppe nicht. Jeder Arbeitgeber legt selbst die Regeln fest. Die Arbeitslosigkeit ist immens, wem es nicht paßt, kann ja gehen. Wird der Kurier aber krank, dann muß er nicht nur selbst den Arzt bezahlen, er erhält auch keine Lohnfortzahlung. Bezahlten Urlaub gibt es nicht, und stirbt einer im mörderischen Straßenverkehr von Buenos Aires, dann müssen seine Witwe und die Kinder zusehen, wie sie über die Runden kommen.

SIMECA hat neulich zu einem "escrache", einer lautstarken Protestdemonstration vor einer Agentur aufgerufen. Ein Kollege war während seiner Arbeit tödlich verunglückt und seine Arbeitgeber wollten seinen Hinterbliebenen keinen Peso zahlen. Nach dem "escrache" ließ er sich "überzeugen" und zahlt eine kleine Abfindung. "Bei Kündigungen müssen wir klagen", sagt Maxi, "wir müssen nachweisen, daß wir nicht selbstständig sondern scheinselbständig sind." Der Papierkrieg dauert lange, niemand hat einen Arbeitsvertrag, sie brauchen einen Anwalt, das Verfahren ist mühsam".

Die Gruppe trifft sich Mittwochs im Büro von "Hijos", den Kindern der während der Militärdiktatur Verschwundenen. Ein eigenes Büro haben sie nicht, sie lehnen auch bürokratische Strukturen und das Funktionärswesen ab. Lediglich der Telephonistin ihrer Kooperative zahlen sie ein kleines Gehalt, um die Aufträge zu koordinieren. "Alle arbeiten, niemand lebt von der Gewerkschaft. Und das soll auch so bleiben", meint Murga, einer der Sprecher der Motoqueros.

Inzwischen haben die anderen Gewerkschaften attraktive Angebote in ihre Richtung gestreut. Insgesamt gibt es in Argentinien drei Dachverbände. Da ist die klassische CGT um den Peronisten Daer, ein vertikaler, autoritärer Verein, deren Anführer teilweise mit den Militärs kollaboriert haben und deren Anführer Millionäre sind. Der Dachverband der "oppositionellen" CGT um Moyano, ebenfalls Peronist, ist nicht weniger reaktionär und korrupt, die Differenzen liegen eher in Streitereien, wer der eigentliche Caudillo sein will. Sie sind verrottete Übrigbleibsel der fordistischen Industriegesellschaft, die es in Argentinien schon lange nicht mehr gibt. Dann gibt es die CTA, die vor allem die Angestellten im öffentlichen Dienst vertritt. Ihr Anführer Victor de Gennaro stammt aus dem christsozialen Bereich, bei ihr sind aber auch Trotzkisten und andere Kader-Organisationen untergekommen. Die CTA stellt sich gerne als erste politische Kraft der Opposition dar, viele Militante und Basisbewegte lehnen sie aber als "sozialdemokratische Bremser" ab. Wirklich neue Strukturen hat sie bisher nicht entwickelt.

"Wir planen, wogegen wir kämpfen müssen, was uns missfällt. Und dann kämpfen wir. Wir mauscheln nicht hinter dem Rücken unserer Kollegen mit der anderen Seite herum. Unser Ziel ist es, den Konflikt zu gewinnen" (Murga). Auch die CTA ist für Murga eine "bürokratische Organisation", deren Anführer "mehr Energie darauf verwenden, im Fernsehen zu erscheinen als den Kampf voranzutreiben". Mit ihr haben die Motoqueros nichts im Sinn.

Wirklich in Versuchung gerät SIMECA bei den verführerischen Angeboten der CGT von Moyano. Der will sie in seine Reihen aufnehmen, die großen Kurier-Agenturen haben dort bereits ihre Mitglieder eingeschrieben, was meist nicht die Arbeitnehmer sondern die Chefs bestimmen. Würde SIMECA auf das Angebot eingehen, dann wären die Mitglieder im gewerkschaftseigenen Sozialwerk krankenversichert. Bisher hat niemand von ihnen eine private Versicherung, werden sie krank oder ihre Frauen schwanger, dann müssen sie im öffentlichen Hospital stundenlang anstehen. Und auch dort muß für Operationen inzwischen gezahlt werden. SIMECA würde gerne ein eigenes Sozialwerk für die Mitglieder aufbauen, und hat Kontakte zu der Genossenschaft "Sentimiento" der früheren politischen Gefangenen aus Diktaturzeiten aufgenommen. Aber Sentimiento ist noch nicht soweit, die Apotheke mit Generika ist erst im Entstehen, und Behandlungsräume fehlen gänzlich. Geld für den Aufbau eines eigenen Sozialwerkes haben die Motoqueros nicht.

Das vordringlichste Projekt ist eine gewerkschaftseigene Reparaturwerkstatt und ein Speisesaal, in dem nicht nur Motoqueros sondern auch Straßenkinder billig bis umsonst mittag essen können. Aber auch dafür müssen sie erst Finanzmittel auftreiben.

 

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Kontakt: simecaenlucha@hotmail.com
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