letzte Änderung am 1. Juli 2002 | |
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Dem Streikaufruf der CTA zum Protest gegen Polizeiterror folgten am Donnerstag, den 27.Juni Zehntausende von LehrerInnen und öffentlichen Angestellten.
Am Tag zuvor hatte der Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen zu weiteren zwei Todesopfern protestierender Menschen geführt. 160 Festnahmen und beinahe 100 Verletzte waren die weitere Bilanz der Polizeigewalt am Mittwoch. Die Toten sind Darío Santillán, 21 Jahre und Maximiliano Kosteki, 25. Die Opfer gehören der "Coordinadora de Trabajadores Desocupados Anibal Veron" an, zu der sich 13 Erwerbslosengruppen aus dem Süden von Buenos Aires zusammengefunden haben. Hinter dieser CTD stehen weder Parteien noch Gewerkschaften, sie ist eines der zahlreichen seit letztem Jahr entstandenen Foren der Selbstorganisation.
Am Wochenende davor, als die argentinische Regierung ohne Ergebnis mit einer IWF Delegation über einen neuen Kredit verhandelte, hatte Präsident Duhalde öffentlich bekundet, Protesten würde hart begegnet, insbesondere würden keine Strassenblockaden mehr geduldet - eine gerade bei den Erwerbslosen populäre und wichtige Form des Widerstands. Die Proteste am Mittwoch galten denn auch der Reise des argentinischen Wirtschaftsministers Lavagna nach New York zu erneuten Verhandlungen mit dem IWF - der, wie üblich, als Bedingung für einen neuen Kredit "klare Signale" forderte.
Duhaldes Bilanz seit seiner Amtsübernahme am 1.Januar ist alles andere als positiv: Die Massenerwerbslosigkeit steht statistisch sogar leicht höher als damals, bei 24,7% der registrierten Arbeitskräfte, der Peso verlor 73% an Wert seit der Aufhebung der Dollarbindung. Etwa die Hälfte der argentinischen Bevölkerung ist gegenwärtig nicht in der Lage, ihre Existenz zu finanzieren.
Deshalb forderten nicht nur die Demonstranten vom Mittwoch und Donnerstag in Buenos Aires, sondern in zahlreiche Protesten im ganzen Land Duhaldes Rücktritt und ein Ende der Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über die Schulden-Rückzahlung. Die Auslandsschuld - vor allem von der korrupten neoliberalen Menem/Cavallo-Regierung und ihrer Politik der Dollarbindung angehäuft - beträgt gegenwärtig 141 Milliarden US Dollar. Der IWF fordert eines seiner üblichen menschenfeindlichen Strukturanpassungsprogrammen, das wie immer vor allem aus Entlassungen und Kürzungen von Sozialausgaben bestehen soll.
Sofort nach Bekanntwerden der Polizeimorde, noch am Mittwochabend versammelten sich an mehreren Stellen in Buenos Aires Aktive der Erwerbslosenkoordinationen, die auch am Donnerstag zahlreiche Protest- und Widerstandsaktionen durchführten. Am Donnerstag schlossen sich eine ganze Reihe dieser Coordinadoras mit Menschenrechtsgruppen, Rechtsanwälten etc zusammen um gemeinsam für die Aufklärung der Ereignisse zu sorgen. Tausende beteiligten sich Donnerstag am Demonstrationszug zur Casa Rosada, dem Sitz des Präsidenten Duhalde, der auch aus den Reihen des Bürgertums ob dieser neuerlichen Eskalation zunehmend Kritik erfährt. Mit Stacheldraht und 2000 schwerbewaffneten Polizisten war das Regierungsgebäude gesichert. Das Senatsgebäude wurde evakuiert, als der Demonstrationszug sich dorthin wandte, 30 DemonstrantInnen festgenommen.
Bei allen Unterschieden gibt es von der politischen Ausgangssituation des Widerstandes her auch einige zu Deutschland vergleichbare Punkte: Erwerbslose und Arme fühlen sich durch die Gewerkschaften in keiner Weise vertreten und sind es auch nicht. Der aktuell gespaltene grösste Gewerkschaftsbund CGT ist traditionell dermassen mit der etablierten Politik verschmolzen - im argentinischen Fall mit der peronistischen Partei PJ - dass niemand daran glaubt, er werde eine echte politische Alternative suchen. Der kleinere, linkere Bund CTA hat es kaum geschafft, in die wesentlichen Schichten der Armen des Landes vorzudringen und gilt als Interessensvertreter lediglich der betrieblichen Interessen der diversen Staatsangestellten, während die CGT die noch aktive Industriearbeiterschaft repräsentiert.
Anders als hier ist: die Erwerbslosen und Armen und auch Belegschaften geschlossener Betriebe haben sich massenhaft selbst organisiert und sind zu Protestaktionen, Widerstandmassnahmen und versuchter Selbstorganisation von Alternativen übergegangen. Die weitgehende "Abwesenheit" staatlicher oder kommunaler Stellen in den Vierteln der grössten Armut mobilisiert die Menschen dazu, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, immer mehr Elemente der Selbstverwaltung in Gang zu bringen versuchen, was logischerweise auch die Strukturen der sogenannten repräsentativen Demokratie in Frage stellt.
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