Auskommen mit Einkommen
Folge 6: Wunschlos glücklich
Gestern war ein besonderer Tag.
Weil ich überraschenden Besuch im Büro bekam. Besuch ist nämlich
selten bei mir. Und überraschender schon erst recht. Mein Büro
ist etwas abgelegen, sozusagen, ganz am Ende des Flurs. Bei mir sitzt
ein ausgesprochen netter Kollege, der zudem ein echter Prinz ist. Was
aber gar nichts zur Sache tut.
Jedenfalls hatte ich überraschenden Besuch. Am Ende des Flures. Ich
war gerade allein im Büro.
„Zu Ihnen wollte ich.“
„Kommen Sie rein. Ich kenne Sie zwar nicht, aber kommen Sie rein.“
Zu Gästen kann ich richtig charmant sein. Macht die Übung.
„Herr Jagnow, wir sind uns nie begegnet, aber das ist ganz normal
bei meinem Beruf. Ich bin Ihre zuständige Arbeitsfee. Gustav Müller.“
Er reichte mir die Hand.
„Arbeitsfee?“
„Besuche Betriebe, wähle willkürlich eine Arbeitskraft
aus, gewähre einen Wunsch. 35 Stunden – 5 Tage die Woche. Bei
Redaktionen auch am Wochenende.“
„Aha.“ Das anschließende Schweigen war ein wenig unangenehm,
doch man gewöhnt sich dran. „Fachbereich 13? Besondere Dienstleistungen?“
Der Fee... (Sagt man `der Fee’?) ...der Fee blickte pikiert drein.
„Wir Feen haben keine Gewerkschaft.“
„Welche Wünsche gewähren Sie denn so? Wissen Sie, ich
habe Kinder. Ich kenne alle Folgen von Disneys Aladdin und ein paar echte
Märchen. Bestimmt ist nicht jeder Wunsch erlaubt.“
Gustav Müller drückte mir seine Geschäftsbedingungen in
die Hand: „Nichts Unsittliches. Nichts Unbezahlbares. Keine Weltwunder.“
Ich grinste selbstgefällig. „Ich wünsche mir unendlich
viele Wünsche.“ Wenn ich sonst nichts in der Grundschule gelernt
hatte...
„Keine Weltwunder.“
„Dann eben komplette Kranken- und Rentenversicherung für alle.“
„Nichts Unbezahlbares.“
„Das ist nicht unbezahlbar! Sie müssen nur...“
„Ist es doch!“
„Welcher Partei sind Sie denn auf den Leim gegangen?“
Der Arbeitsfee schmollte.
„Wie wären gerechte Einkommen für alle? Nicht zu niedrig.
Nicht zu hoch.“
„Unsittlich.“
„Kommen Sie vom Arbeitgeberverband? Was verdient man denn so als
Fee?“
„Das geht Sie zwar nichts an, aber: beliebig viele Wünsche.“
„Also, das ist unsittlich.“
„Sie sind ja ein Sozialist, Herr Jagnow.“
Was soll ich sagen? Die Diskussion ging eine Weile sinnlos herum, bis
der Prinz zurückkam. Gustav Müller wurde nervös und wollte
gehen.
„Dann werden Sie halt Mitglied in einer Gewerkschaft.“
„Nö...“
„Wunsch ist Wunsch. Nicht unsittlich. Kein Weltwunder. Nicht unbezahlbar.“
Der Fee seufzte und ergab sich in sein Schicksal. „Wo muss ich mich
anmelden?“
Nachdem ich seine Unterschrift hatte, ging Gustav Müller hastig.
Ich musste an meine Grundschulzeit denken.
Wie viel die Mitgliedschaft kostet? Ein Prozent vom Gehalt. Ein Prozent
von beliebig vielen Wünschen.
Das ist wirklich nicht zu viel.
Bjørn Jagnow – www.bjoernjagnow.de
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