Auskommen mit Einkommen
Folge 3: Risikokapital
Der Tisch steht mitten im Raum, durch zwei Stellwände
provisorisch abgetrennt. Die üblichen Bankprospekte liegen herum,
dazwischen thront das gerahmte Porträt eines küssenden Paares.
Die Frau darauf sitzt hinter dem Tisch. Als ich herantrete, begrüßt
sie mich und bietet mir einen Platz an.
„Sie bewerben sich um einen Unternehmenskredit. Womit beschäftigen
Sie sich genau?“
„Wir investieren in langfristige Bildungsprojekte für Kinder
und junge Erwachsene.“
„Haben Sie Finanzpläne und Bilanzen dabei?“
Ich reiche ihr einige Papiere. „Sie werden sehen, dass wir hohe
Kapitalrenditen prognostizieren.“
„Wie viele Projekte führen Sie derzeit?“
„Drei. Sie sind da drüben auf dem Schaukelpferd. – Hallo,
aufpassen, dass ihr nicht runterfallt! – Entschuldigen Sie bitte.“
„Sind das Ihre Kinder?“
„Ja.“
„Dann sollten Sie den Kollegen von den Privatkrediten aufsuchen.“
Sie schiebt die Papiere von sich.
„Nein, nein. Bei Ihnen bin ich schon richtig. Wir führen unsere
Familie nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien.“
„Wie bitte?“
Ich gebe ihr die Unterlagen zurück. „Wir erwirtschaften Gewinne.“
„Das geht doch gar nicht!“
„Wieso nicht?“
„Ja, lieben Sie Ihre Kinder denn nicht?“
„Natürlich, deswegen investiere ich in sie.“
„Und Ihre Frau?“
„Die ist mein Partner. Wir führen das Unternehmen gemeinsam.“
„Ich meinte, ob Sie sie lieben.“
Ich mustere sie. „Sind sie von der Bank oder von der inneren Mission?“
„Wir unterstützen keine Kinderarbeit. Das ist verboten. Vielen
Dank für das Gespräch.“
„Jetzt warten Sie doch! Die Kinder müssen nicht arbeiten. Es
geht nur um ihre Ausbildung.“
„Und was wollen Sie daran verdienen?“
„Gedulden Sie sich einen Moment, dann werden Sie es verstehen. –
Abgesehen von einigen Idealisten ist doch unbestritten, dass marktwirtschaftliche
Mechanismen bestmögliche Organisationsformen entwickeln. Höhere
Effizienz, bessere Qualität, geringere Kosten.“
„Gesamtwirtschaftlich betrachtet.“
„Trotzdem leistet sich diese Gesellschaft weiterhin Sphären,
die an den Marktmechanismen nicht teilnehmen. Dabei sind Familien bestens
dazu geeignet. Die Demografie hat den Zusammenhang zwischen der sozialen
Stellung der Eltern und dem Bildungsniveau der Kinder nachgewiesen. Wer
aus armen, also investitionsschwachen Verhältnissen kommt, erreicht
selten hervorragende Abschlüsse und einen gut bezahlten Arbeitsplatz.
In Deutschland ist das sehr deutlich ausgeprägt.“
„Ich verstehe Sie immer noch nicht.“
„Der deutsche Gesetzgeber hat durch seine Bildungs- und Sozialpolitik
somit exzellente Voraussetzungen für marktwirtschaftliche Familienführung
geschaffen. Sinnvoller Einsatz von Finanzmitteln führt zu zahlungskräftigen
jungen Erwachsenen und somit zu hoher Rendite.“
„Ihre Kinder sollen Ihre Ausbildung zurückbezahlen?“
„Schulbücher, Studiengebühren, Privatlehrer...“
Eines der Kinder drängt sich dazwischen. „Papa, dürfen
wir uns was kaufen?“
„Hast du denn Geld dabei?“ Ich sehe einen Schmollmund als
Antwort. „Na gut. Ich gebe dir dein Taschengeld schon jetzt.“
Ich suche ein paar Münzen heraus und lasse mir den Empfang quittieren.
„Für die Buchhaltung. – Wo war ich?“
„Sie wollten sich verabschieden.“
„Jetzt seien Sie doch bitte wieder die Kreditberaterin, die Sie
bei allen anderen Geschäftskunden sind. Wie soll ich denn die Buchhaltung
machen, wenn ich keinen Beleg habe?“
„Und wie sollen Ihre Kinder das zurückzahlen?“
„Wann ist die Frage. Sobald sie eigenes Einkommen haben, beginnt
die Rückzahlung.“
„Wenn Sie mein Vater wären, würde ich Sie auf den Verlusten
sitzen lassen.“
„Die Kinder unterzeichnen Rückzahlungsverpflichtungen, sobald
sie volljährig werden.“
„Dazu können Sie sie nicht zwingen.“
„Kein junger Erwachsenen kann mit achtzehn bereits auf eigenen Beinen
stehen. In fast allen Fällen ist die Ausbildung nicht abgeschlossen.
Selbst Hauptschüler sind dann noch in der Lehre und von laufenden
Zahlungen der Eltern abhängig. Mit einem Gymnasiasten können
Sie zudem verhandeln, wie lange und wie intensiv er z.B. für ein
Studium unterstützt wird. Wir werden dann Bildungsvereinbarungen
mit unseren Kindern abschließen, die die Rückzahlung der aufgelaufenen
Betriebskosten inklusive einer angemessenen Verzinsung beinhalten. Wenn
Sie in unsere Familie investieren, bekommen Sie den entsprechenden Anteil
der Gewinne. – Ein ganz normales Kreditgeschäft.“
„So betrachtet... Haben Sie Wachstumsmöglichkeiten?“
„Meine Frau und ich wollen keine weiteren Kinder.“
„Überzeugen Sie andere Familien von Ihrem Konzept. Dann machen
wir einen gemeinsamen Investitionsfond auf und streuen das Risiko.“
„Sie werden uns also unterstützen? Trotz Ihrer persönlichen
Vorbehalte?“
„Sie haben ja Recht, dass die keine Rolle spielen. Ich werde mir
also Ihre Zahlen anschauen. Wenn die überzeugend sind...“
Ich nehme ihr die Papiere aus der Hand und stehe auf. „Ihr Bankiers
tut auch alles, wo Gewinn drinsteckt.“ Dann stoße ich das
gerahmte Foto um und winke die Kinder zum Ausgang.
Bjørn Jagnow – www.bjoernjagnow.de
|