Express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

Ausgabe 1/2001

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Editorial

Die Berliner Republik, vom steten Bemühen der Entsorgung ihrer Geschichte seit ihrer Wiedergeburt im Zeichen der Banane und im Geiste der Highlander ("Es kann nur einen geben") gezeichnet, schickt sich an, Phase II des "Angriffs der Gegenwart auf die übrige Zeit" einzuläuten und in einen "Kulturkampf" sonder Rücksicht überzugehen. Für die Zurichtung historischen Bewusstseins auf den Glauben an einen einzigen und den einzig legitimen Sachwalter jener Gewalt, die vom Volke ausgeht, und zwar posthum, jetzt und für alle Zukunft, sind viele Mittel Recht. Die Entdifferenzierung in der Gewaltdebatte – wider besseren Wissens und so, als ob die mit 1968 aufgeschienenen Perspektiven auf die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft überhaupt auf diese Frage zu reduzieren seien – ist eines. Ein anderes: die Exhumierung radikalerer Zeiten und Biographien – zu deren stillschweigender Beerdigung und Delegitimierung ehemalige Helm- und jetzige Amtsträger selbst nicht wenig beigetragen haben –, die in ihrer eigenen leichenfledderischen Gewaltsamkeit nur den einen Zweck hat, die Existenz der besonderen Qualität jener Zeit selbst als Erinnerung zu negieren und dies am Exempel vorzuführen – und wo dies nicht möglich scheint, umzulügen, den heutigen Erfordernissen anzupassen. Und die lauten, womit die Wirklichkeit Marcuses These von der repressiven Toleranz in politischer Hinsicht, der Beteiligung der Opposition bis zu deren Unkenntlichkeit, vielleicht doch noch einen entscheidenden Schritt entgegen kommen würde: Zustimmung zu jener spezifisch neu-berlinerischen Form des Krisenmanagements, die als "Aktivierender Staat" autoritäre und repressive Elemente in der Sozialpolitik mit einer vermeintlichen Ausweitung von Partizipation und Stärkung von Bürgersinn, solange es nichts schadet und die Selbstregulierungskräfte der Zivilgesellschaft für die Kosten aufkommen, verbindet und für den Rest die Entlassung in die Eigenverantwortung à la Neodarwinismus propagiert – bei all dem soll konstruktive Ruhe herrschen.

Was so nach innen als gezielte Kampagne zur Abblendung von ‘Risiken und Nebenwirkungen des Politischen’ erscheint, zeigt seine Hilflosigkeit in der Kontrastierung mit den tumultuarischen Verhältnissen der New Economy, deren Blähungen und Verwerfungen, von denen so vieles für die Neu-Berliner Politik abzuhängen und die, trotz groß anglegter Existenzgründungsprogramme staatlicherseits und Venture Capital privaterseits, so schwer "in den Griff zu kriegen", so wenig steuerbar scheint und damit ein wenig verlässlicher Bündnispartner ist. Doch niemand kann so recht eigentlich sagen, was präzise sich unter dem Etikett jener neuen Ökonomie verbirgt – außer dass alles irgendwie mit der soundsovielten industriellen Revolution via Informations- und Kommunikationstechnologie, gepaart wahlweise mit der Hoffnung auf künstliche Intelligenzen oder neue, intelligente Subjekte, und deren Siegeszug bis in die letzten Verrichtungen des Alltags und Winkel der Welt zusammenhängt.

Wer in der New Economy arbeitet, wer diese Technologien entwickelt und anwendet, was sich an den Arbeitsverhältnissen geändert hat, dies sind Fragen, mit denen wir uns in dieser und den nächsten Ausgaben des express näher beschäftigen wollen. Den Anfang machen wir mit dem nebenstehenden Interview von Dirk Hauer und dem Beitrag von Wolf Göhring.