letzte Änderung am 18. Dez. 2002

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Budenzauber

Oder: »Behaltet die Ideen für Euch« – eine Diskussion mit Wolfgang Schaumberg

»Schnauze voll von Euren realistischen Optionen, Eurer Mitgestaltung des Kapitalismus ... Ihr wollt über Alternativen jenseits des Kapitalismus nicht diskutieren, wir müssen das«. Diese deutlichen Worte gegenüber dem gewerkschaftlichen Co-Management in Betrieb und Gesellschaft (s. in dieser Ausgabe, S. 4) stammen von Wolfgang Schaumberg, mit dem wir uns im Rahmen unseres ersten Podiumsgesprächs auf dem express-Fest über rund 30 Jahre Geschichte der Betriebslinken und die weiteren Perspektiven unterhalten haben. Wir dokumentieren:

 

Kirsten Huckenbeck: Wolfgang, Du hast 30 Jahre bei GM/Opel Bochum gearbeitet, davon 25 Jahre als Betriebsrat, warst und bist in der Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GoG), warst 20 Jahre lang aus der IGM ausgeschlossen und bist jetzt seit zwei Jahren im Vorruhestand. Für das Management sicher beruhigend – ein Störenfried weniger – für Dich, wie wir Dich kennen, erst mal nur ein Wechsel des Arbeitsortes, aber sicher nicht weniger Unruhe als vorher, und für uns sehr erfreulich, weil es nun mehr Zeit gibt, über die Erfahrungen in dieser Zeit und die Schlüsse daraus zu diskutieren und zu streiten.

Also dann: Die Geschichte der betrieblichen Linken wird oft als eine Verfallsgeschichte wahrgenommen: weniger Gruppen, weniger Nachwuchs, Veränderungen im Selbstverständnis, aber auch veränderte gesellschaftliche und betriebliche Rahmenbedingungen werden dabei angeführt. Du selbst hast in Deinem Beitrag »Von der revolutionären Betriebsarbeit zur linken Betriebsratspolitik« für den Sammelband »1968 und dann?« beschrieben, dass ein Gutteil derer, die den Aufbruch in die Betriebe mitgemacht haben, mittlerweile ganz oben in Betriebsratsgremien sitzen, zur klassischen Stellvertreterpolitik übergegangen sind, und diese oftmals sogar besser machen als die »Nur-Gewerkschafter«. Könntest Du beschreiben, mit welchen Vorstellungen ihr damals als GoG in die Betriebe gegangen seid, was sich an den Vorstellungen oder auch an den historischen Bedingungen geändert hat – und worin die Gründe für die von Dir beschriebene Entwicklung zu suchen sind?

Wolfgang Schaumberg: Von diesem Kaliber habt Ihr mir fünf Fragenkomplexe zugeschickt. Um aus der Affäre rauszukommen, klebe ich jetzt ein wenig an meinen Stichworten, sonst muss man für jeden Fragenkomplex zu einer eigenen express-Konferenz einladen.

Zu den Vorstellungen: Wir waren in der Tat 1970 vom Bochumer SDS 13 Leute, die bei Opel angefangen hatten. Mir ging es damals genauso locker von den Lippen, von sozialistischer Revolution, vom Kommunismus zu sprechen wie den anderen auch. Parteizelle aufbauen, im gewerkschaftlichen Kampf als Klassenkampf die politisch Bewusstesten formieren... und ich fühlte mich damals im Kreise der Genossinnen und Genossen sehr reif, als ich sagte: »Leute, das dauert mindestens zehn Jahre. So schnell geht das nicht.« Ich selber hatte dann die Vorstellung: Ein halbes Jahr müssen wir bei Opel durchhalten, ehe die Parteizelle steht. Dass es mal dreißig Jahre werden würden, habe ich nicht gedacht. Den Komplex, mit welchen Vorstellungen wir in den Betrieb gingen, brauche ich hier – glaube ich – nicht noch groß ausweiten.

Das erste, was sich verändert hat – und sehr schnell –, das war die Erkenntnis: Wir können gar keine Avantgarde anbieten; wir wissen ja selbst gar nicht, wo wir hinwollen. Wir haben mit dem Begriff Sozialismus etwas angesprochen, wo wir uns eher an vergangenen Erfahrungen festhalten, ohne aber eine Antwort auf die Frage geben zu können, die mir viele Kollegen gestellt haben: »Wolfgang, wir können das nicht, wir haben das gar nicht gelernt. Das, was Ihr da erzählt, dass wir die Gesellschaft, die Produktion, das wir das alles selber machen...« Also: der erste Zusammenbruch der Vorstellung war eben auch die Erkenntnis und – damit verbunden bei mir – das schnelle Verlassen aller Parteiaufbauideen, dass wir mit dem Übertragen historischer Erfahrungen auf die damals von uns hochgejubelte Arbeiterklasse nicht weit kommen würden, sondern erst mal selbst sehr viel zu lernen hatten.

Konkret: Mir war damals unvorstellbar, was ich dann erlebt habe mit der Gewerkschaftsbürokratie und mit der Situation, als ich 1972 das erste Mal in den Betriebsrat gewählt wurde. Ein älterer Betriebsratskollege klopfte mir auf die Schulter – wir hatten damals spontan einen Bombenwahlerfolg erzielt – und sagte: »Junge, Du holst Dir hier noch blutige Füße.« »Och, was will der denn«, dachte ich noch. Wie brutal es zugehen würde, dass wir keinen Konflikt mit dem Opel-Management ausgetragen haben, ohne absolute Schwierigkeiten zu bekommen und dabei persönlich fertig gemacht zu werden, angegriffen wurden von den Kolleginnen und Kollegen, die damals das Sagen hatten im Betriebsrat, und dass wir dermaßen harte Auseinandersetzungen führen mussten mit der Gewerkschaftsbürokratie, das mussten wir auch erst noch lernen. Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der unsere Vorstellungen durchkreuzt hat: Wir wurden – anders, als wir das gedacht hatten – von der Situation im Betriebsrat und den Auseinandersetzungen innerhalb des Gremiums darum, ein bestimmtes Gesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, weitest möglich auszunutzen, ganz schön eingefangen in diese Alltagsarbeit des Betriebsrats. Denn in dieser Auseinandersetzung mussten wir feststellen: Hier werden ja gewerkschaftlich und betriebsratsmäßig noch nicht mal die paar wenigen Rechte extensiv ausgenutzt, die unsereiner so hat aus bestimmten Gründen. Diese Arbeit äußerte sich für uns erst mal als Zwang, eine bestimmte Sozialarbeit zu machen, d.h. das, was die Leute »betreuen« nennen, das Besorgen bestimmter Rechte, was auch zurecht vom Betriebsrat erwartet wird, umzusetzen.

Ich bringe jetzt die hauptsächlichen Einschnitte für unsere Arbeit auch nur in Stichworten:

Ende der 70er Jahre: Massenarbeitslosigkeit wurde ein Dauerzustand, und vorbei war es mit der Spontaneität, mit unserem Hoffen, je mehr Streiks, desto mehr kommen wir eben einer revolutionären Situation nahe. Dann kam für uns die härteste Zeit, Anfang der 80er Jahre: Die linke Bewegung hatte kein Interesse mehr. Wir waren plötzlich die letzten Mohikaner, die da noch als Betriebsgruppen im Betrieb rumwuselten. Es gab andere neue soziale Bewegungen, die sich für andere Ziele, die ich jetzt nicht auflisten brauche, engagierten, und wir fielen hinten runter und wurden auch, mit dem, was wir machten, nicht mehr beobachtet. Im Zuge dieses Prozesses verloren wir auch viele Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Linken. Das hat mit dazu beigetragen, dass Sachen, die anfangs bei Opel in der Betriebsgruppe zu unserem Alltag gehörten, alle wegsackten. Es gab unter uns heiße Debatten über unsere Rolle als Männer. Die Frauen und Freundinnen von uns hatten sich zusammengeschlossen zu einer Frauengruppe, und wir, die Helden des Klassenkampfes, bekamen nach den Sitzungen der Frauen Hiebe und kamen alle am nächsten Tag – wenn wir wussten, die haben wieder zusammengehockt – zusammen und fragten, was hat Deine denn gesagt ... oh, oh, oh. Also wir haben da Auseinandersetzungen über uns als Männer aufgedrückt bekommen, die ich im nachhinein als sehr emanzipativ erlebt habe – und erlitten habe. Wir sind zu einer Männergruppe geworden, die sich um so etwas nicht mehr kümmerte.

Es hörte auch auf, dass wir zusammen ins Theater gingen und hinterher mit Schauspielerinnen und Schauspielern diskutierten. Es hörte auf, dass wir eingeladen wurden nach München und Hamburg und Berlin und Kolleginnen und Kollegen von unserer Gruppe andere Wohnsituationen kennen lernten. Das war für die eine irre Erfahrung. Die sind mit uns, die wir schon in Wohngemeinschaften lebten, zur Übernachtung in solche Zusammenhänge gekommen und stellten fest: »Die geben gar nicht so viel Geld aus für ihre Schränke und Küchen, Mensch. Wie die leben, das geht auch. Da kommt man auch mit weniger zurecht.« Und die haben festgestellt, dass wir unter uns auch mit dem Geld anders umgingen, dass nicht jeder da sein Budget hatte, sondern dass wir da auch andere Erfahrungen machten. In Wohngemeinschaften haben die uns abgefragt: »Wie macht Ihr das denn mit dem Moos?«

Auch Familienwochenenden mit Kindern, unser Verhalten den Kindern gegenüber... Das waren alles in den 70er Jahren noch Lernelemente unter der Vision: »Wir wollen eigentlich ein ganz anderes Leben, und wir wollen ganz anders miteinander in die Zukunft gehen und kämpfen...« Ich breche den Punkt hier jetzt ab.

Zu den historischen Bedingungen noch zwei Stichworte: Anfang der 80er Jahre erlebten wir die Internatio-nalisierung der Produktion, also beispielsweise tauchte dann an den schwarzen Brettern auf: »Opel-Lohn im Vergleich zum GM-Lohn in England« usw. Das ging dann bis dahin, dass uns vorgesetzt wurde: »12 Prozent, von dem, was Ihr hier kriegt, kriegen die Leute in der Fabrik in Mexiko, für die gleiche Arbeit am Fließband. Die machen das genauso wie Ihr und zwar für 12 Prozent von Eurem Lohn.« Unsere Zusammenarbeit mit der Organisation TIE ab 1981 stand schon unter dem Druck, dass wir neu internationale Verbindungen suchen mussten. Und zum Schluss: Die schlanke Produktion in den 90er Jahren, der Aufbau der Gruppenarbeit im Werk hat auch noch mal sehr unsere Bedingungen verändert.

Kirsten Huckenbeck: Ihr habt in Eurer Betriebszeitung regelmäßig anlässlich der Tarifrunden vergangener Jahre, aber auch betrieblicher Auseinandersetzungen, nach denen die Mitglieder der Gewerkschaften ›ihren‹ Interessenvertretern die Gewerkschaftsbücher vor die Füße geschmissen haben, geschrieben, dass »Austritt keine Lösung« sei. Das mutet etwas paradox an angesichts der Tatsache, dass Ihr selbst jahrelang ausgeschlossen wart – wegen gewerkschaftsschädigenden Verhaltens. Warum hältst Du Austritte nicht für die Lösung, und wie begründet Ihr das den frustrierten oder verärgerten KollegInnen gegenüber?

Wolfgang Schaumberg: Ich möchte an dieser Stelle zu dem Komplex nur ganz kurz etwas sagen. Ich glaube, das können wir nachher noch mal besser aufgreifen. Ich habe diskutiert, bzw. wir diskutieren so: Wir sind dagegen, dass Ihr nur bezahlt und meckert. Also, ich halte keinen in der Gewerkschaft fest, der nur bezahlt und meckert, sondern es kommt drauf an, reinzutreten, ja, richtig da mitzumischen. Die Unzufriedenheit, die um sich greift, die Resignation ist ja fürchterlich, aber wir sind nicht in der Lage zu sagen: »Wenn Du austrittst, dann bietet sich die Alternative, wie Du Dich als Lohnabhängiger jetzt hier auch überbetrieblich engagieren kannst.« Also nicht austreten, sondern eher reintreten, und zwar gibt’s da bei Opel in Bochum auch eine Möglichkeit, sich zu engagieren – was eben der offiziellen Gewerkschaft nicht gefällt –, das ist z.B. unsere Gruppe, die heute Gegenwehr ohne Grenzen heißt. Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass wir bei Opel in Bochum immer noch mit den fast 700 Vertrauensleuten und den 14-täglichen Vertrauensleuteversammlungen im Werk und etwa 80 Prozent in der IG Metall Organisierten eine recht lebendige Vertrauensleutearbeit haben. Ich find’s auch von daher schlecht, wenn kritische Leute austreten. Aber einfach bezahlen und nichts machen, finde ich auch blöd.

Kirsten Huckenbeck: Werner Imhof, selbst auch ehemaliger Betriebsrat in einem Stahlwerk, hat vor nicht allzu langer Zeit im express über seine eigene Betriebsratserfahrung, aber auch über das, worüber wir im Zusammenhang der TIE-Konferenzen oft diskutiert haben, eine sehr kritische Analyse gegeben, nämlich zu der Frage: Wie weit trägt eigentlich der Anspruch der Linken im Betrieb, eine konsequente Interessenvertretung der Lohnabhängigen, d.h. als Betriebsrat oder Vertrauensmann/Vertrauensfrau im Betrieb in Abgrenzung zu den »Nur«-Gewerkschaftern leisten zu wollen? Was heißt es, wenn man sagt, man versucht wenigstens diese Interessenvertretung im Betrieb konsequent zu machen? Werner Imhof hat damals geschrieben, dass diese Vorstellung, egal ob sie nun von Gewerkschaften oder Betriebsräten betrieben werde, auf den Müllhaufen der Geschichte gehöre – und zwar aus kategorischen Gründen: »Der Interessengegensatz allein war noch nie geeignet, ein antikapitalistisches Bewusstsein zu begründen... Ein solches Bewusstsein kann logischerweise nur entstehen, wenn der Interessengegensatz selbst in Frage gestellt wird«. Werner macht das aber wiederum – um noch mal auf die Eingangsfrage, wie denn Vermittlung gedacht werden kann von Linken im Betrieb, die dann in den entsprechenden Funktionen drinhocken – davon abhängig, dass es ein »Programm« für die Schaffung dieses Bewusstseins gibt. Anton Kobel, Gewerkschaftssekretär bei der ehemaligen HBV in Mannheim, hat dagegen anhand eines Häuserkampfs bei Transmedia, einem klassischen Unternehmen der New Economy, beschrieben, dass sich aus vermeintlich »schwer organisierbaren«, kampfunerfahrenen, hochmotivierten, meist akademischen Dienstleistungsbeschäftigten, die alle mit dem Selbstverständnis unterwegs sind, sie seien ihr »eigener Arbeitskraft-Unternehmer«, eine ziemlich selbstbewusste Belegschaft entwickeln kann, die den Versprechen und Drohungen ihres Arbeitgebers – nach einem Jahr »Dienst nach Vorschrift« – wesentlich kritischer gegenüberstand als vor der Auseinandersetzung. In einem fast gewerkschaftsfreien und gänzlich tariffreien Betrieb hatte sie zudem eine gemeinsame Haus-Tarif-Regelung erkämpft. Sein Fazit im Unterschied zu Werner – wenn man das so gegenüberstellen kann – ist: »Man kann mit beinahe allen Menschen eine Gewerkschaft machen.«

Du hast Werners Kritik an das Ende Deines Beitrags über die Erfahrungen mit dem 68er-Aufbruch gestellt – sozusagen als Perspektive. Wie steht es um die »Programme« in Großbetrieben? Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht oder macht Ihr, wenn es um das »programmatische« Auftreten von Gruppen wie Eurer in einem Betrieb wie Opel geht? Welche Bedeutung hat so etwas, wenn Du Dir beispielsweise die Auseinandersetzung um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die letzte Metalltarifrunde oder Euren Arbeitskampf anlässlich der gemeinsam von FIAT/GM geplanten Ausgründung von Powertrain betrachtest? Zusammengefasst: Was bedeutet es, Linke im Betrieb zu sein?

Wolfgang Schaumberg: Das ist eine schwierige Frage, und auch unsere Vorgehensweise bei Opel und die Wirkung, die wir erzielen, ist nicht so gut verifizierbar. Also dieser Streik vor zwei Jahren von fünf Schichten anlässlich der geplanten Ausgründung von 1300 Leuten aus dem Opel-Werk in eine eigene GmbH, ein Jointventure mit FIAT, der hatte eine lange Vorgeschichte. Insgesamt haben wir da ja einen Erfolg erzielt: Nämlich das vom Euro-Betriebsrat bereits ausgehandelte Vorgehen, dass die Betroffenen für fünf Jahre lohnmäßig und arbeitsplatzmäßig abgesichert waren, diese Sache hat ja die Belegschaft bei Opel in Bochum abgelehnt und gesagt: »Wir sind damit nicht zufrieden«, und ist dann nach langen Auseinandersetzungen, die es vorher gegeben hat, in Streik getreten. Wobei man – um das nicht allzu hoch zu loben – auch wissen muss, dass wir eine gute materielle Bedingung hatten, insofern erstens der Zafira, der nur bei Opel in Bochum gebaut wurde, dringend benötigt wurde von der Firma und zweitens Opel Bochum das so genannte »homeplant« für den Astra europaweit ist. So war es mit diesem Streik dann auch möglich, nach fünf Schichten 17 Werke in Europa stillzulegen. Wir hatten also eine gute Ausgangsbedingung. Und trotzdem – wenn man sich jetzt fragt: Warum kommt es bei Opel in Bochum dazu? Warum gibt es da einen lebendigeren Vertrauenskörper mit mehr kritischen Stimmen als woanders? Ich glaube, dass unsere langjährige Aufklärungsarbeit auch dazu beigetragen hat. Wir haben, wie andere auch, Verzichtsvereinbarungen, Konzessionen ohne Ende gemacht. Wir waren oft im Betriebsrat nur ein, zwei Leute – im Moment ist von uns nur einer im Betriebsrat –, die dazu Nein gesagt haben. Diese Verzichtsvereinbarungen bringen uns nicht eine Sicherung in der Zukunft. Und die Belegschaft hat das mitgemacht und wir haben dabei zur Debatte gestellt, ob diese Rücksichtnahme auf die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes, in dem wir im Augenblick arbeiten, ob die uns wirklich ein Stück Sicherheit für die Zukunft bringen kann. Wir haben diese Wettbewerbsfähigkeit auch nicht abgeleitet von der Profitgier der GM-Aktionäre und der GM-Besitzer, sondern von den Zwängen, unter denen das Management operiert: dass die nicht anders können, dass wir aber auch nicht anders können, als unsere Zukunft nicht an solchen Parolen wie Wettbewerbsfähigkeit festzumachen. Ich glaube, dass es vor diesem Hintergrund auch nicht zu Parolen gekommen ist wie: »Die 1300 müssen bei Opel bleiben!« Man hört solche Forderungen oft: »Das Stahlwerk muss in Kassel bleiben!« oder: »Die Achse muss bei Opel bleiben!« usw. Wir haben rauf und runter diskutiert: Was ist es, was die Leute eigentlich wollen? Scheißegal, was auf dem Arbeitsanzug steht, ob da jetzt Opel oder Jointventure FIAT oder Benteler oder wie die Firmen alle heißen, steht: Die Leute wollen hier weiter erst mal in Bochum ihr Geld verdienen und auch in den anderen erreichten Vereinbarungen und Sozialstandards nicht runterfahren. Im Grunde haben wir gesagt: Och, wir spielen fast alle Lotto, wir haben ganz andere Träume als: Ich muss bei Opel bleiben! Das ist ja nur sehr vordergründig, dieses spontane: Wir wollen Opelaner bleiben ...

Wir haben gesagt – das ist in der Tat an unserem Gruppentisch entwickelt worden: Angesichts dieser Ausgründung, wenn das so weitergeht scheibchenweise, verlieren wir an Macht. Und dann hat sich die Parole gebildet: Wir wollen eine Belegschaft bleiben! Nach diesen fünf Schichten Streik haben die auch eine Rechtsform gefunden, die dazu führte, dass es jetzt ein Betriebsrat und ein Vertrauenskörper geblieben ist, obwohl die 1 300 jetzt diesem Jointventure angehören. Aber wir sind im Grunde eine Belegschaft geblieben und haben auf Dauer die Opel-Bedingungen für alle abgesichert – wie auch immer. Und wir haben abgesichert, dass neue Leute, die dort eventuell eingestellt werden, jetzt nicht einen anderen Lohn bekommen. Diese Vereinbarung tut Opel heute noch total weh, weil jetzt der Verkauf der Achse in Bochum mit 650 Leuten eigentlich nur zu diesen Bedingungen, die wir damals erkämpft haben, geht – und die will Opel nicht mehr. Aktuell stehen wir genau wieder in so einem Konflikt.

Vor diesem Hintergrund der Einschätzung dessen, was da überhaupt abgeht, wie die Zwänge laufen, und darüber aufzuklären und zu diskutieren, gibt es auch einen Anteil von Leuten im Vertrauenskörper, die sagen: Das hat keinen Wert mehr, dass wir da die Strategie mitfahren, wie sie von oben und auch von der IG Metall vorgegeben wird: bisschen vorsichtig, bisschen gucken oder ganz extrem, bei Rüsselsheimer Kollegen, die in der Zeitung Mitbestimmung im vorigen Monat geschrieben haben: »Angesichts des Kostensparprogramms von GM heißt unsere Parole: Geteiltes Leid ist halbes Leid.« Da haben wir dann gesagt: Dann braucht man auch keine Gewerkschaft mehr, um das Leid zu verteilen; dazu sind wir auch nicht gewählt.

Uli Maaz: Wolfgang, habe ich das richtig verstanden: Euer Programm war eigentlich nur: Wir wollen eine Belegschaft bleiben?

Wolfgang Schaumberg: Hinter dem Programm steht, dass es keinen Zweck hat, sich gewerkschaftlich an so etwas wie Wettbewerbsfähigkeit zu orientieren, und die Aufklärung darüber. Und die Aufklärung beinhaltet eigentlich, dass wir unter diesen Zwängen, unter denen die andere Seite operiert, niemals glücklich werden können und dass von daher auch ein Gegenwehrbewusstsein geschürt wird, auch eine Klarheit: Wir können uns eh nicht anders helfen, als dass wir uns jetzt möglichst gemeinsam wehren, und je stärker wir jetzt zusammen bleiben – dafür braucht man eigentlich auch eine Gewerkschaft –, desto eher können wir uns innerhalb dieser Zwänge, die hier abgehen, zur Wehr setzen. Das ist aber nun nicht der einzige Programmpunkt, wenn man sich unsere Betriebsrat-Wahl z.B. anguckt. Wir gehen auch anders um mit Rationalisierungen und sagen: Rationalisierung ist doch wunderbar. Wenn da Ideen von uns kommen, wie man etwas schneller und mit weniger Leuten machen kann, dann ist das doch astrein. Dann bräuchten wir eigentlich alle weniger arbeiten. Aber das funktioniert hier nicht. Und zu diskutieren, warum es nicht funktioniert und die Frage zu stellen: Kann man sich denn nicht vorstellen, dass es vielleicht doch so organisiert wird unter uns, die da jeden Tag in die Fabrik rennen mit all den anderen Leuten, die da am wuseln sind und machen und tun, dass wir das vielleicht mal hinkriegen, ohne dass uns unsere Ideen wieder auf die Füße schlagen – z.B. gute Ideen zur Verkürzung der Produktionszeiten zu entwickeln. Das will ich sagen mit der Programmatik und wie sich so eine Debatte niederschlägt in einzelnen Konflikten.

Ich würde nachher bei der Schlussfrage noch mal so ein bisschen darauf eingehen.

Kirsten Huckenbeck: Ich denke, Werner würde dazu sagen: Das ist alles gut und schön, aber das ist erst mal alles nur gewerkschaftliches Bewusstsein. Das hat alles mit Sozialismus nichts zu tun. Das wäre wahrscheinlich auch seine Kritik an der Behauptung von Anton Kobel, dass man in so einem Arbeitskampf mit jedem Menschen eine Gewerkschaft machen kann. Dennoch: Man hat am Ende dann – deswegen auch das Beispiel Powertrain – erst mal wenigstens eine Belegschaft, die das auch als eine Qualität für sich begreift. Nur die Frage: Was heißt das weiter? Aber ich denke, darüber können wir in der Tat später noch einmal genauer reden.

Eine andere Frage: Es wird immer wieder behauptet, dass Großbetriebe eine aussterbende Gattung darstellen, dass industrielle Arbeit von Dienstleistungsarbeit etc. verdrängt werde und dass wesentliche Konflikte sich heute nicht mehr an und in den hochregulierten, großindustriellen Produktionsprozessen entzündeten, sondern sich in ganz anderen Branchen und Betriebstypen abspielten. Meist geht dies einher mit der Feststellung, dass von tariflichen Lohnauseinandersetzungen, die nach außen sichtbar ja nach wie vor meist von diesen Groß-Belegschaften getragen werden, ohnehin immer weniger politisierende Effekte ausgingen, weil diese zur Routine geworden seien in Deutschland und in der Regel wenig Überraschungseffekte bergen. Wie würdest Du das einschätzen: Ist »der Großbetrieb« totes Terrain für die Möglichkeit von Erfahrungs- und Veränderungsprozessen? Welche Rolle spielt die Art der Produktionsorganisation für die Bildung von Bewusstsein in der Belegschaft? Welche Erfahrungen gibt es beispielsweise im Umgang mit Gruppenarbeit und den Partizipations- und Eigenverantwortungsversprechen, die das Management immer benutzt, in Bezug auf die Arbeitsorganisation?

Nadja Rakowitz: Kann ich das noch ergänzen? Werner Imhof hat in seinem Aufsatz – wenn ich mich richtig erinnere – geschrieben, dass die Produktion in so einem Großbetrieb sozusagen eine Chance auf eine andere Erfahrung als sie normal die bürgerliche Gesellschaft bietet, darstelle, weil die Produktion selbst nicht so organisiert ist, wie der Markt organisiert ist: nicht mit Konkurrenz, Wettbewerb etc., sondern innerhalb der Produktion zunächst einmal der Produktion »angemessene« Organisationsformen da wären, was den Arbeitern dann dort ermögliche, eine andere Erfahrung zu machen, also eine nicht-individualistische oder eine kollektive oder was auch immer er da gemeint hat. Die Frage an Dich wäre, ob Du das so teilst, ob das ein Moment der Möglichkeit von Bewusstseinsbildung ist, und auf der anderen Seite, ob sich das nicht im Zuge von aktuellen Entwicklungen in der Produktion verändert hat, z.B. dadurch, dass Profitcenter gebildet werden und dass so etwas wie Markt- und Konkurrenz-Mechanismen in den Betrieb hineingenommen werden, indem da verschiedene Einheiten gegeneinander in Konkurrenz treten.

Wolfgang Schaumberg: Das ist ja echt wieder ein absolut komplexes Thema ... und dann die Bewusstseinsentwicklung oder neue Widersprüche, die sich da zeigen, so kurz abzuhandeln ...

Kirsten Huckenbeck: Wir müssen das nicht kurz machen ...

Wolfgang Schaumberg: Ja, aber ich habe mir ein paar Stichworte gemacht, um auf diesen Fragenkomplex so einzugehen, dass wir vielleicht nachher noch mal ein bisschen besser diskutieren können. Also es überwiegt die Angst, seinen Job zu verlieren. Es ist aus mit Großbetrieb, die Leute wittern das. Wir waren 1992 bei Opel noch über 19000 Leute, sind jetzt 11000, man will auf 6000 bis 7000 runter in den nächsten drei Jahren. Weg ist das Bewusstsein: einmal bei Opel, immer bei Opel. Und weg ist auch das Bewusstsein: Wenn meine Tochter oder mein Junge hier noch ne Lehrstelle kriegt, hat der sein Leben auch im Griff. Damit ist eine materielle Basis für so ein sozialdemokratisch ausgerichtetes kleinbürgerliches Bewusstsein weg. Das haut nicht mehr hin, sich so einrichten zu wollen als Arbeiter: Wenn Du einmal bei Opel bist, Junge, haste Deine Schäfchen im Trockenen. Das ist die gute Seite daran. Die schlechte Seite ist natürlich, dass mit dieser Unsicherheit gleichzeitig auch eine Ratlosigkeit und Alternativlosigkeit verbunden ist. Unsereiner muss ja gucken, was sich daran eventuell positiv nutzen lässt. Wie wenden wir die Debatte mit den Kolleginnen und Kollegen, die bis hierher ihr Leben eben als Opel-Arbeiter geführt haben? Was ist das Gute an solchen Entwicklungen und von uns nutzbar, und wie machen wir jetzt unsere offenen Fragen fest und auch Gefahren, die in dieser Entwicklung liegen? Dass die Großbetriebe zersplittert werden durch Outsourcing usw., darin liegt natürlich die große Gefahr, dass es jetzt auch einen Machtverlust gibt. Die Gewerkschaft gibt hier die Parole aus: »Wir müssen jetzt Opel helfen, das Kostenprogramm hinzukriegen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.« Da haben auch wir, die Linken und die aktiven Leute in den Großbetrieben, immer noch die Vorstellung gehabt, wir könnten innerhalb eines großen Betriebes ein Stück unserer Haut weiter retten und auch unsere Privilegien retten – weil wir eine Macht darstellen im Unterschied zu den kleinen Belegschaften. Da zerbricht auch etwas an Hoffnung auf ne eigene Macht. Auf der anderen Seite aber machen die Leute die Erfahrung – ich komme selbst aus der Materialabteilung: Man arbeitet heute täglich mit ganz vielen Leuten Hand in Hand, die gar nicht zu der Firma gehören, bei der man selbst beschäftigt ist. Das sind die so genannten Fremdfirmen im Betrieb. Die Leute in der Materialabteilung haben jeden Tag am PC zu tun mit Zuliefererbelegschaften, mit denen sie telefonieren, korrespondieren: Wir brauchen das Teil dringend, Ihr habt Scheiße gebaut, macht mal das und das und das in Ordnung. Also von unserer Seite aus zu diskutieren, dass wir schon eine vergesellschaftete Produktion haben und dass wir im ganzen Getriebe so einzelne Kettenglieder sind, in diesem Produktionsverbund .... Also ich glaube, dass wir da auch eine Entwicklung nutzen müssen. Gewerkschaftspolitisch läuft es für uns ein bisschen darauf raus, in die Richtung zu diskutieren: Wir müssen sogar weg von diesen Branchen-Gewerkschaften. Das ist dermaßen vermischt, wir müssen eigentlich so etwas wie den DGB-Zusammenschluss fördern. Abgesehen davon – da kommen wir nachher noch drauf – dass wir eigentlich eine ganz andere Art von Gewerkschaftsbewegung benötigen.

Zur Gruppenarbeit vielleicht auch nur ein Stichwort: Also in der Tat glaube ich, dass da Erfahrungen gemacht werden, wo man neu und hautnah Grenzen dieses Systems mit den Kolleginnen und Kollegen besprechen muss. Beispielsweise machen derzeit – weil das ganze System der Gruppenarbeit verändert wird – so ungefähr 600 Gruppensprecher bei Opel Bochum einen Lehrgang mit unter dem Titel »Kommunikation und soziale Kompetenz«. Ich finde so etwas zu lernen unabdingbar für eine Vorstellung davon, wie man selbst eines Tages die Produktion organisieren will. Wenn die Leute lernen, sich einmal in der Woche eine Stunde am Fließband hinzusetzen – es gibt ja diese Gruppengespräche, jetzt nur noch eine halbe Stunde alle 14 Tage – und dann über die Produktionsprobleme zu sprechen, und dann das Management sagt: »Diese Art von Gruppengesprächen wollen wir nicht mehr, weil zu viele soziale Themen besprochen werden«, und die Gruppensprecher werden unter Druck gesetzt ... Ich könnte jetzt noch sehr weit ausführen, dass da Erfahrungen gemacht werden, Ansprüche geweckt werden, die das Management nicht durchhalten kann. Den Leuten wird vorgegaukelt: Ihr habt jetzt etwas zu sagen, Ihr lernt Kommunikation und soziale Kompetenz, und wenn sie wirklich mal – sozusagen – diese Fähigkeiten anwenden wollen, dann wird ihnen sehr schnell gesagt, da und da sind aber die Grenzen. Auch mit dem, was die Leute sonst noch lernen: über den Arbeitsplatz hinauszugucken und Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, das muss das Kapital beschneiden. Also irgendwie ist Wissen etwas Explosives, und die haben dann auch Mühe, den Leuten zu sagen: Wenn du jetzt am PC das und das machst, darfst Du bis dahin, und dann brauchst Du ein Passwort, und dann macht der Abteilungsleiter weiter. Unsere Diskussion dazu ist: Können wir denn nicht mehr, als man uns lässt? Hat nicht die Form der Automatisierung heute auch uns neue Möglichkeiten gegeben, einfach mehr vom Produktionsprozess und den Zusammenhängen und Hintergründen zu kapieren und zu lernen und uns vorzustellen: Mensch, könnten wir das nicht auch in eigener Regie? Von den Erfahrungen vor Ort habe ich jetzt halt nur meine Erfahrungen aus einem Automobilwerk, da – glaube ich – ist es ganz wichtig, die Debatte mit den Leuten wieder aufzunehmen, wie das wohl sein könnte, wenn wir die Produktion und Verteilung dann noch auf weltweiter Ebene in eigener Regie führen. Ich denke, man muss sich rantrauen, neue Widersprüche, die da spürbar werden, auch für so eine Debatte zu nutzen. Auch wenn das sehr mühsam ist.

Uli Maaz: Ich wollte Dir noch mal widersprechen, ich teile Deinen Optimismus, den Du zuletzt hast anklingen lassen, nicht so, aber ich wollte auf einen anderen Aspekt hinaus, nämlich dieses Thema, dass sich in Großbetrieben besser etwas organisieren lässt, weil das sozusagen nicht nach Wettbewerbs- und Marktbedingungen funktioniert. Ich komme aus dem öffentlichen Dienst und auch da – obwohl das ja zum Teil noch spätfeudal organisiert ist – ist im Zusammenhang mit der Verwaltungsmodernisierung eine ganze Menge an interner Konkurrenz organisiert worden, ob es da um Budgetierungen oder was auch sonst geht. Insofern eigentlich relativ ungünstige Bedingungen. Wir haben beispielsweise bei uns in der Behörde eine Gruppe, die traditionell relativ unorganisiert ist, die Schulhausmeister, die sind so was von vereinzelt an die einzelnen Schulen gebunden, dass die eigentlich nicht besonders durchsetzungsfähig sein dürften, wenn es danach ginge. Das ist aber nicht so, und ich glaube, das hängt damit zusammen, dass es nicht so darauf ankommt, wie die Produktion oder die Arbeit in einem Betrieb oder einer Verwaltung organisiert ist, sondern wie es gelingt – das hast Du ja eben auch in einem anderen Zusammenhang angesprochen –, Organisationskerne zu erhalten oder auch auszubauen, also gewerkschaftliche Organisationskerne. Wenn da Kollegen sind, die vereinzelt sind und aufgrund dieser Vereinzelung ein großes Bedürfnis haben, die Kommunikation untereinander, die organisierte Kommunikation zu betreiben, dann sind das von dieser Seite her relativ günstige Bedingungen, Widerstand zu organisieren, obwohl die Strukturen innerhalb des Betriebes auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so günstig aussehen. Das vielleicht noch mal zum Thema Großbetrieb und Wettbewerb und Konkurrenz innerhalb von Großbetrieben. Außerdem: Ausgliederung und andere Geschichten – das erleben wir ja auch. Bei uns in Hamburg z.B. wird jetzt überlegt, die beruflichen Schulen auszugliedern aus dem öffentlichen Dienst... Das verweist natürlich auf die Notwendigkeit, z.B. mit der GEW zusammenzuarbeiten, auch wenn das nicht so ganz einfach ist mit denen...

Wolfgang Schaumberg: Also Optimismus verbreiten, das möchte ich nicht. Ich möchte fragen, was die Rolle von linken Leuten in diesen Auseinandersetzungen ist, und dass sich Linke nicht einfangen lassen von der Dauerpropaganda: »Es gibt keine Alternative, Ihr müsst hier Euren Verzichtsweg organisieren«. Da suche ich danach, dass Linke eine andere Debatte im Hinterkopf haben und so langsam unter die Leute bringen müssen. Das ist das Erste. Zum anderen ist es natürlich schlimm, wenn so ein Vertrauenskörper wie bei uns zu Bruch geht. Viele Kleinbetriebe haben keinen Vertrauenskörper mehr. Was bleibt uns anderes übrig, als danach zu fragen, wie wir mit Betriebsräten und Vertrauensleuten der anderen Klitschen um uns herum ein Netz aufbauen können? Das sind alles Sachen, die sind gewerkschaftlich ganz schwierig, weil Du dann auf einmal mit drei Gewerkschaftssekretären von drei Gewerkschaften zu tun hast und so was... Aber ich glaube, in diese Richtung müssen die Überlegungen gehen. Also, dass ich da jetzt optimistisch wäre...

Uli Maaz: Das bezog sich nur auf Deine letzte Bemerkung.

Wolfgang Schaumberg: ... ja. Ich sehe neue Aufgaben für uns – sagen wir lieber so.

Kirsten Huckenbeck: Vielleicht noch mal eine andere Frage, die auch genau in die Richtung geht, wie man als politische Gruppe in einem Betrieb auftritt und welche Grenzen und Möglichkeiten das hat – festgemacht an einer Debatte, die wir letzte Woche auch auf der Auto-Koordination hatten, die aber – denke ich – in der gewerkschaftspolitischen Auseinandersetzung im Moment sowieso eine große Rolle spielt, nämlich die Frage, welche Bedeutung der so genannte »Shareholder Value« für die Management-Entscheidungen hat. Das Management stellt sich dabei nicht selten selbst als Opfer der Konkurrenzsituation dar, die sich jetzt aber nicht mehr unbedingt zwischen Produktionsstandorten abspielt, sondern quasi durch abstrakte Renditevorgaben – z.B. bei Daimler-Chrysler: 12 Prozent, sonst wird die Abteilung zugemacht. Und das Management verweist auf die Verwertungszwänge, Rendite-Erwartungen etc. auf den Kapitalmärkten, die eine Aufrechterhaltung lohnkostenintensiver Produktion nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lasse.

Nun ist für die Belegschaften oft nicht transparent, ob es sich bei den damit verbundenen Forderungskatalogen bzw. Verlagerungsankündigungen um bloße Erpressungsmanöver oder »reale« ökonomische Zwänge handelt. Doch nicht nur die Belegschaften, auch die Betriebsräte haben oft nicht die Möglichkeit, sich einen Einblick in die Geschäftsunterlagen und hinreichende Kenntnisse zu verschaffen. Welche Möglichkeiten und Strategien siehst Du, mit diesem Problem umzugehen?

Wolfgang Schaumberg: Nehmen wir als Beispiel unsere Auseinandersetzung um die neuen Pressen vor einigen Jahren und die Drohung des Managements »Wenn der Betriebsrat nicht der sechsten Nachtschicht und der Samstagsfrühschicht zustimmt, wann immer wir die brauchen, gehen die Pressen nach Antwerpen!« Also, ich gehe das mal in vier Schritten durch. Das erste ist, dass die Entscheidung des Managements, bestimmte Investitionen irgendwohin zu vergeben, zwar meistens nicht nach Lohnkosten läuft, das müssen wir zuerst klarmachen. Aber es kann trotzdem sein, dass die Lohnkosten entscheidend sind. Dann stelle ich mir zweitens vor und träume dann von einem anderen Internationalismus der Gewerkschaften – den gibt’s nicht, aber nötig wäre er eigentlich –, diese Erpressung, den Leuten die sechste Nachtschicht aufzudrücken und die Samstagsarbeit zur Regelarbeit zu machen, diese Erpressung öffentlich bekannt zu machen – und zwar in Bochum und hier in der Bundesrepublik und in Antwerpen in Belgien –, was für eine Schweinerei dieser größte Automobilkonzern der Welt mit den Leuten vorhat. Und dass wir drittens von daher sagen: Wir sagen jetzt in Bochum Nein. Und dass das, was man Euch da eventuell anbietet in Antwerpen, dass Ihr das unter den Bedingungen auch nicht unterstützt. Jetzt ist natürlich die Haltung: »Das Hemd ist mir näher als die Jacke« verbreitet, aber was wir gewerkschaftlich verbreiten müssen, ist ja: »Gelingt es denen jetzt in Bochum, den Samstag und die sechste Nachtschicht festzukloppen, dann haben wir das bald alle am Hals. Dann werdet Ihr ja auch wieder unter Druck gesetzt.« Also eigentlich müsste man die Erpressungsmanöver bekannt machen, um von daher gemeinsam Druck zu entwickeln: Wir machen das nicht mit!

Wir haben das vorgeschlagen – ich will jetzt nicht erörtern, warum man da nicht auf die Gewerkschaft setzen kann. Trotz der Debatten, die wir ohne Ende geführt haben, welche Garantien, welche Sicherheiten uns denn die Firma gibt, wenn wir diesen Verzicht jetzt mitmachen, hat es dazu geführt, dass eben die Betriebsrats-Mehrheit in der Regel – auch in dem Fall – zugestimmt hat. Die Leute haben zwar gemault und »Scheiß Betriebsrat!« gesagt, aber sie haben es auch geschluckt, weil sie erst mal von dieser Frage: Wie soll man sich jetzt verhalten, wenn das nicht anders geht, und von den Argumenten des Managements beeindruckt waren und auch immer noch sind. Eine Erfahrung haben wir aber auch gemacht. Es geht nicht um die Linie: Wir lehnen jede Verzichtspolitik und Konzessionspolitik generell ab. Es geht auch nicht um die Linie: Wir lehnen jeden Kompromiss bei einer Tarifrunde ab. Es geht für uns um die Linie: Wie machen wir den Konflikt zu einem Machtkampf? So wie wir bei Tarifrunden nicht sechs Prozent fordern und sagen: Ihr wisst ja, da kommen sowieso nur drei Prozent raus. So, wie wir meinen, dass man sich für sechs Prozent auch wirklich lang machen muss, um das möglichst beste Ergebnis rauszukriegen, genauso meinen wir, dass wir Aktionen auf die Beine bringen müssen gegen diese Konzessionserpressungen und für ein »Nein« und die Zurückweisung dieses Schlages gegen uns. Dann müssen wir versuchen, dies durch Aktionen der Belegschaft auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Am Ende kriegt man heutzutage kaum das durch, was man sich erträumt, aber je härter die Belegschaft in den Machtkampf geholt wird – meinen wir –, desto besser sieht dann am Ende der Kompromiss aus. Und das ist eine Linie, die wird bei Opel weder von der IG Metall noch vom Gesamtbetriebsrat unterstützt, weil die derzeit auch sagen: »Opel geht es schlecht« und »Wir müssen gucken, dass wir Opel helfen, ohne dass die Belegschaft soviel leiden muss«. Damit wird von vornherein Konzession als einzige Möglichkeit für die Lohnabhängigen festgezimmert – und auf alle Ewigkeiten wird das wiederholt: »Wir können nicht anders, unsereiner muss zurück«. Da – meinen wir – müssen wir eine andere Debatte führen. Erst mal soweit zu diesem Punkt.

Frage aus dem Publikum: Wie weit ist denn bei Opel die internationale Zusammenarbeit für irgendwelche Vernetzungen gediehen, so dass Ihr im Vorfeld diskutieren könnt, wie es z.B. in Zaragoza oder wo auch immer aussieht?

Wolfgang Schaumberg: Also, eine lange Antwort gebe ich auf diese Frage im express von diesem und vom nächsten Monat. Der Artikel heißt: »Welt- und Eurobetriebsräte vereinigt uns?« Da sage ich im Wesentlichen, dass man heutzutage leider – zumindest nach meinen Erfahrungen – auf die Welt- und Eurobetriebsräte nicht viel Hoffnung lenken darf. An bestimmten Punkten sage ich: doch, aber insgesamt ist die Ausrichtung so, dass sich meine Kollegen im Eurobetriebsrat derartig belauern, dass es geradezu zum Kotzen ist: »Was, Ihr kriegt die neue Presse? Das hieß doch erst, wir sollen die kriegen...« Also es gibt untereinander oft so ein widerliches Gerangel, so eine Anbaggerei und so eine Schleimerei beim Management: »Das und das könnte doch auch bei uns gemacht werden...« Es ist leider nicht so, dass man gemeinsam fragt: »Wie können wir GM in die Knie zwingen?«, sondern es wird eher gefragt: »Wie können wir unseren eigenen Arsch hier retten und dann auch in Bochum wieder gewählt werden?« Es ist ja wichtig, dass der Betriebsrat sagt: »Hier kommen drei neue Maschinen hin, nicht in Antwerpen.« Ich sage mal: Nach meinen Erfahrungen überwiegt im Moment das Eingefangensein in diese Standortkonkurrenz und das unverstandene Eingefangensein in diese Wettbewerbszwänge. Leider.

Kirsten Huckenbeck: Dürfen wir die berüchtigte letzte Frage stellen? Die knüpft jetzt noch mal an Deine Kritik an der IG Metall in dem Eingangszitat an, und zwar unter dem Stichwort: »Alternative Gewerkschaften – Alternativen zur Gewerkschaft?«: Eine der heftigsten Auseinandersetzungen im express drehte sich im Zusammenhang mit der RGO, aber auch zwischen der express-Redaktion und den sozialistischen Betriebsgruppen des SB selbst um die Frage, ob angesichts der Entwicklungen in den etablierten Gewerkschaften Neugründungen, eigene Organisationen etc. sinnvoll seien. Wie würdest Du diese Frage heute vor dem Hintergrund des Experiments der SUD in Frankreich beurteilen?

Mit Bezug auf Deinen letzten Satz eben stellt sich die Frage nach einem der zentralen Probleme nicht nur für die bundesdeutsche Form der Interessenvertretung, sondern auch auf internationaler Ebene, nämlich nach dem Umgang mit dieser Standortlogik. Wenn man sagt: Da muss es offensichtlich eine andere Form des Denkens geben, damit man diese überwinden kann – Wie beantwortet man dies? Kann man das innerhalb der gegebenen Gewerkschaften diskutieren; wenn ja, wie? Braucht es so etwas wie die SUD? Aber nicht nur die SUD, auch die CAW hat ja gesagt: Sie trennt sich genau an dieser Frage des Umgangs mit der Standort- und Wettbewerbslogik von der UAW und sagt: Sie verortet sich als politische Gewerkschaft selbständig und neu, weil sie eine politische Differenz zu der Antwort der bisherigen Gewerkschaften auf die Standortlogik sieht und entsprechend auch nicht mehr in dem bisherigen Rahmen organisieren kann und will – und selbst wenn dies erst mal ein gewerkschaftlicher Rahmen ist, um den es da geht.

Wolfgang Schaumberg: Also, dabei finde ich das Entscheidende für unsereinen: Das kann man innerhalb der Gewerkschaft diskutieren, indem man das unter den Gewerkschaftsmitgliedern diskutiert. Da interessieren mich jetzt weniger die Funktionäre. Ich habe immer noch eine Gewerkschaftsarbeit vor Augen, die man im Alltag macht mit den Kolleginnen und Kollegen zusammen. Das Beispiel CAW war ganz gut. Mit Hilfe von TIE und anderen war ich auch in dem CAMI-Werk von GM in Kanada und habe da ein bisschen gelernt von der CAW und das auch mitgebracht in den Bochumer Betriebsrat. Dort in Kanada, in Toronto, hatte der Ortsbevollmächtigte ein Flugblatt verteilt – als das losging mit der Gruppenarbeit und der KVP, der Kontinuierlichen Verbesserung, dem täglichen Abliefern von Ideen – auf dem stand: »Leute, wenn Ihr Ideen habt, wie Ihr etwas besser machen könnt in Eurer Gruppe, dann behaltet die Ideen lieber für Euch und organisiert Euch ein Päuschen. Denn wenn Ihr die Ideen abliefert, dann wird das sowieso dazu führen, dass Ihr, was Ihr heute mit zehn Mann macht, später mit neun machen müsst.« Dieses Flugblatt hatten wir übersetzt, und das hatte ich dann im Betriebsrat vorgetragen. Dann gab’s ne feierliche Ruhe, und dann sagte einer: ... Das ist Sabotage.

Jetzt ist das aber nicht das Problem von ein paar bekloppten Betriebsräten, sondern das ist für unsereinen das Problem des Massenbewusstseins, dass die Leute ja selber die Ideen abgeben und ganz widersprüchlich einerseits denken: Das hilft auch, wenn wir das und das jetzt besser machen, aber man hört zugleich jeden Tag: »Der Auspuff wird in dem und dem Werk mit 110 Mann gefahren, bei uns sind es immer noch 118«. Diese Überlegungen kommen in Gange und sind dann auch noch massenhaft mit der Hoffnung verbunden: Wenn wir es mit 112 schaffen, vielleicht kriegen wir dann mehr Aufträge und so... Das ist jetzt nicht nur eine Betriebsratsangelegenheit.

Zu dem Beispiel SUD bzw. auch in Bezug auf die italienische Situation: Das geht nicht. Die haben über Jahrzehnte eine andere Erfahrung mit konkurrierenden Gewerkschaften in den Knochen und auch eine andere Erfahrung mit Massenbewegung gemacht. Also das Beispiel SUD auf die Bundesrepublik zu übertragen und sich vorzustellen: Wir bauen eine zweite IG Metall neben dem DGB auf, so können wir derzeit nicht rangehen. Das Entscheidende ist für mich, wie wir hier zu einer anderen Gewerkschaftsbewegung kommen, also wie die Leute selber mehr auftauchen, auch jetzt bei Hartz usw. Da kommt nichts von der Gewerkschaft, und wir wissen, warum nicht. Aber es kommt bisher auch nichts von den Vertrauenskörpern und Be-legschaften, so dass wir mit tausend Leuten mal auf die Straße gehen könnten bei solchen Angriffen. So was stelle ich mir vor und denke: Ein Ansatz, so was mit zu organisieren ist in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken jetzt da. Meine Erfahrungen auch jetzt, wo ich nicht mehr jeden Tag nach Opel muss: Ich habe noch nie in meinem Leben so viel mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern anderer Bereiche zu tun gehabt. Ich gehöre zu denen, die immer ganz schön die Autoindustrie und die IG Metall vor Augen hatten. Das stelle ich jetzt auch fest und trage das auch in unsere Gruppe rein, dass wir – gerade auch die Aktiven – oft in so einer Tradition seit Jahrzehnten verhangen sind, dass wir uns in unseren Bereichen den Arsch aufreißen und zu wenig mitbekommen und mitreflektieren, was insgesamt an Auseinandersetzungen läuft. Unsere Initiative ist im Großen und Ganzen – sagen wir mal – noch sehr rückwärts gewandt. Das heißt: Wie können wir sichern, was wir haben? Und wir kriegen die Kurve noch nicht zu der Parole: »Her mit dem schönen Leben, eine andere Welt ist möglich!« Also ein universalistischer Blick, die Frage nach Weltanschauung: Was ist global denn eigentlich in Gang zu werfen? Dafür sind wir noch gar nicht offen. Auch die eigene Zukunftsdebatte offensiver zu führen und uns vorzustellen: Die tragen wir auch breiter unter die Leute, um unsere Kolleginnen und Kollegen vielleicht damit in diese Bewegung zu holen. Ich glaube, da sind wir auch verständlicherweise noch sehr im Verteidigen von Vorstellungen: Wir können das halten, was wir haben, damit es uns nicht noch dreckiger geht...

Stefanie Hürtgen: Zu Deiner Darstellung, dass die Standortkonkurrenz eine ist, die im Prinzip nicht auf Lohnkonkurrenz beruht, hast Du vorhin ausgeführt, dass die Managementseite gar nicht so sehr auf die Lohnunterschiede guckt bei der Verlagerung. Das stimmt natürlich, gerade im Hochtechnologiebereich ist das nicht so wichtig. Und auch sonst ist der Lohnfaktor sicher nicht der einzig entscheidende. Aber insgesamt ist er schon nicht irrelevant ...

Wolfgang Schaumberg: Unwidersprochen, ich wollte nie sagen, dass die Lohnkonkurrenz keine Rolle spielt, aber – wie Du schon sagtest – wenn ein Arbeitsplatz, wie jetzt bei Opel Bochum – über eine Million DM kostet, dann meine ich, ist das was anderes.

Stefanie Hürtgen: .... Mir geht es auch gar nicht darum zu sagen, dass es sich jetzt um einen Widerspruch handelt, sondern ich finde es wichtig, wenn es um die – sogenannte – Strategie geht, ob das jetzt hier um eine Standortideologie geht, wo man dann als Betriebsrat nachweist, dass es dem Betrieb besser geht, als das Management behauptet, und gar nicht verlagert werden muss, oder dass der Zuliefererbetrieb oder die Fremdfirma vielleicht gar nicht so teuer ist, wie gemeint wird, oder ob es tatsächlich ein Zwang der Kapitalseite ist. Ich glaube, das ist ein bisschen die Crux, wo auch die Gewerkschaftslinke zur Zeit nicht weiterkommt – so mein Eindruck. Also um es ein bisschen konkreter zu machen: Häufig wird gesagt, man soll dieser Standortlogik entgehen, indem man zeigt, dass die hohen Löhne bzw. die niedrigen Löhne in Osteuropa gar nicht so entscheidend sind, so wie es Wolfgang Schaumberg gerade vorgeführt hat, das sei alles Ideologie. Aber wenn dann konkret Betriebsräte bzw. Belegschaften mit diesen Forderungen konfrontiert werden, dann gibt’s da auch von der Linken keine richtige Antwort drauf. Ich glaube, das ist ein reales Problem, an dem sich diese Strategiefrage stellt.

Wolfgang Schaumberg: Unsere Antwort ist ja immer: Ok, wir machen das mit, wir glauben denen das, dass die jetzt rüber gehen, wenn wir nicht verzichten. Und wir fragen dann: Was entwickelt sich denn daraus? Was steht denn in der Vereinbarung drin? Also, das heißt, die Alternative, die uns die Gewerkschaft anbietet und die meisten Betriebsräte in den Großbetrieben auch: »Ein bisschen Verzicht ist ja nicht so hart, dann wird das irgendwie gehen«. Diese Alternative ist keine für uns, und das aufzurollen und zu fragen: Verdammt noch mal, wie können wir denn einen Verteidigungskampf in der Situation überhaupt auf die Beine bringen, das ist im Grunde genommen die erste Frage.

Kirsten Huckenbeck: Es gab eine ganz interessante Debatte letzte Woche auf de Autokoordination. Da haben die Mannheimer Kollegen erzählt, dass der EVO-Bus, das ist eine Ausgründung von Daimler-Chrysler, vor die Alternative gestellt worden ist: Entweder Ihr macht eine Lohnkostensenkung von fünf Prozent für die komplette Belegschaft mit – per Betriebsvereinbarung- oder: Wir machen das ganze Ding dicht, weil der Busbau in Mannheim einfach komplett unrentabel ist. Es gibt in Deutschland keine rentablen Busproduktionsstandorte, und selbst für Europa und Osteuropa stellt sich die Frage, ob es noch profitable Alternativen gibt. Und die Betriebsräte, die da involviert waren, haben von dem Zeitpunkt der Bekanntgabe bis zur Abstimmung, wo sie dann zugestimmt haben – sozusagen blutenden Herzens, aber sie haben zugestimmt –, eines nicht gemacht, nämlich zu sagen, sie führen die Debatte darüber, wie man damit umgeht, öffentlich im Werk. Ein Hintergrund dafür war, dass man meinte, nichts in der Hand zu haben für die Frage, wie man denn dann damit umgeht, dass man tatsächlich harte ökonomische Zahlen hat, die sagen: Es ist hier nicht rentabel, das kann man bestenfalls in Mexiko machen oder Brasilien etc. Die Konsequenz daraus war zu sagen: Wir müssen zustimmen, so können wir das Ding in Mannheim wenigstens noch fünf Jahre halten, weil sonst die KollegInnen sagen: Sie haben den Kredit für ihr Häuschen aufgenommen, und dafür brauchen sie jetzt unbedingt noch diese fünf Jahre, und Ihr als Betriebsräte habt uns um unsere Pläne gebracht usw. usw. Ich denke, ein entscheidender Punkt – das war zumindest die Diskussion in der Autokoordination – ist: Warum meint man, das als Betriebsrat selbst stemmen, auf die eigenen Schultern laden zu müssen: die Frage, wie man damit umgeht, selbst wenn man eine »harte« ökonomische Situation und nicht nur den üblichen Erpressungsbluff hat. Die Diskussion war auch: Warum macht man das nicht öffentlich und gibt somit überhaupt erst mal die Chance, dass eine Belegschaft mit so etwas wie einer Ausweglosigkeit konfrontiert wird und ihre eigenen Antworten dazu zu entwickeln versucht? Ich denke, das ist genau das Problem mit dieser Stellvertretergeschichte, die wir rauf und runter diskutiert haben: Kannst Du das als Person übernehmen, die Verantwortung für solche Fragen, und ist nicht genau der Moment, wo Du Dich gefangen nehmen lässt, der, wo sagst, Du hast als Betriebsrat die Verantwortung für die ökonomische Entwicklung eines Ladens, eines Standorts, als Gewerkschaft für die Ökonomie überhaupt, und Du kannst daran drehen?...

Wolfgang Schaumberg: ... Also, wenn die Leute informiert sind und wenn die Betriebsvereinbarung dann auf dem Tisch liegt und die Vertrauensleute mit abstimmen können, und die sagen dann mehrheitlich: So läuft es, und dann stimmt auch noch die Mehrheit des Betriebsrats zu. Wenn all das passiert, dann muss ich trotzdem nicht zustimmen, dann meckere ich aber nicht mehr. Dann sage ich: Liebe Leute, ich bin hier alleine im Betriebsrat – und ich war das oft – ich sehe das aber ein, dass Ihr Euch auf die Geschichte einlasst. Ok, ich finde das eben nicht richtig. Das Wichtige ist für mich, wie weit man die Leute selber in den Konflikt holt und wie weit denn die paar wenigen Linken, die dazwischen sind, ihr Wissen um die Hintergründe und die Umstände der Erpressungsmanöver versuchen unter die Leute zu bringen. So würde ich es angehen.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11-12/02

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