Gemäß dem Schröder/Blair-Papier soll mit Hilfe eines politischen Benchmarking eine neue sozialdemokratische Politik in Europa entstehen (vgl. Schröder/Blair, 1999, S. 17 f.). Nun stellt sich der Leser die Frage, ob unter einem Benchmarking Schröder/Blair'scher Prägung jeweils die Wirtschaftspolitik für die geringsten Sozialausgaben, niedrigsten Löhne und Unternehmenssteuern oder die geringste (Neu-)Verschuldung des Staates gemeint ist. Bei den genannten Zielen ist die sogenannte "linke Angebotspolitik" Leitvorstellung.
Unter einem Benchmarking könnte man sich auch anderes vorstellen. Dazu gehört zuerst, dass das sozialstaatliche Modell (Skandinavien, Österreich, Deutschland, aber auch Südeuropa und Frankreich) dem angelsächsischen Modell (England, USA) überlegen ist. Unter dieser Prämisse wäre ein alternatives politisches Benchmarking vorstellbar. Zweitens werden durch die Anwendung ihrer zugrunde liegenden Angebotstheorie die Ziele (Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, bzw. zusätzliche Schaffung sozial abgesicherter Arbeitsplätze) verfehlt. Dies soll am Beispiel der "Staatskonsolidierung" deutlich werden.
Die Bundesregierung stellt in ihrem Zukunftsprogramm fest: "Deutschland ist auf dem Weg in den Schuldenstaat" und "wir werden ab sofort Jahr für Jahr die Neuverschuldung senken. Mittelfristig streben wir einen Haushalt ohne Neuverschuldung an." Anschließend soll der Schuldenberg abgebaut werden. Es müsse gespart werden, aufgrund der sonst unerträglichen finanziellen Belastung zukünftiger Generationen. Insgesamt möchte die Bundesregierung in den nächsten vier Jahren über 150 Mrd. DM einsparen. (vgl. BMF, 1999, S. 1-2)
Zu den Hinterlassenschaften der Kohl-Ära gehört durchaus eine enorme Staatsverschuldung. Allerdings wird bei dem keineswegs neuen Befund ausgeklammert, dass Staatsdefizite verteilungspolitisch leichter durchsetzbar sind. Ungleich schwieriger stellt es sich nämlich dar die Einnahmen des Staates mittels steuerpolitischer Maßnahmen zu erhöhen - sofern dies überhaupt gewollt ist. Das aktuelle Gezerre um die Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung - selbst in der nach sozialer Gerechtigkeit strebenden SPD - zeigt wie zäh der Widerstand ist. Dabei geht es bei einer Vermögenssteuer in altem Umfang nur um schlappe 8-10 Mrd. DM pro Jahr. Zum Vergleich betrug das Lohnsteueraufkommen 1998 ca. 340 Mrd. DM (DB, 1999, S. 54).
Dass es sich bei den Interessen zukünftiger Generationen um ein Scheinargument handeln muß, könnte man auch bei der Auseinandersetzung um einen zügigen Ausstieg aus der Atomenergie erkennen. Wo ist hier der Einsatz der Bundesregierung? Aber Polemik beiseite. Die Befürworter der Staatskonsolidierung argumentieren grundsätzlich einzelwirtschaftlich. Wollen wir uns mal auf diese Ebene begeben: Schuldenfinanzierung ist demnach bei den Unternehmen immer dann gerechtfertigt, wenn die erwarteten Erträge in der Zukunft größer als der Schuldendienst sind. Wer mag das bestreiten? Sowieso ist es illusionär zu glauben das Sparen (Verzicht auf Konsum in der Gegenwart) eine Investitionsbedingung sei. Kein Unternehmen finanziert seine Investitionen ausschließlich aus dem Eigenkapital. Fremdfinanzierung gehört notwendigerweise zum Kapitalismus.
Bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung soll nun alles ganz anders sein. Infrastrukturinvestitionen werfen ja keine Erträge ab, oder? Die Aus- und Weiterbildung, Forschung- und Technologieförderung, das Gesundheitswesen wäre somit unter einem strikten Finanzierungsvorbehalt und der Entstaatlichung ausgeliefert. Sicherlich kann man schwerlich Berechnungen darüber anstellen welche staatlichen Leistungen wieviel erbringen, aber sie stellen eine unverzichtbare Vorleistung für die Privatwirtschaft dar und kommen künftigen Generationen zugute. Wie "teuer" u. a. ein privatwirtschaftlich organisierter Gesundheitssektor ist, zeigt ein Vergleich mit den USA. Dort sind die Gesundheitsaufwendungen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt annähernd doppelt so hoch wie in Deutschland. Die zukünftigen Generationen brauchen ebenso ein funktionierendes Gemeinwesen. Gerade durch Sparen am falschen Platz ist dieses Gemeinwesen in Frage gestellt.
Werden die aufgenommenen Mittel jedoch rein konsumtiv verwendet, so stellt sich die Lage ein bißchen problematischer dar. Aber hier entsteht keine reale Belastung der künftigen Generationen, denn durch Zins und Tilgung erhalten die privaten Haushalte die durch die Steuerzahlung entzogenen Kaufkraftansprüche zurück. Unter Verteilungsgesichtspunkten werden sicherlich die besser verdienenden Kreditgeber bevorzugt, allerdings würde sich kaum ein anderes Bild ergeben, wenn der vermögende Bevölkerungsteil seine Ersparnisse im privaten statt im öffentlichen Sektor angelegt hätte. Auch in diesem Fall fließen ihm Zinsen zu, die die Bevölkerungsmehrheit durch entsprechende Konsumgüterpreise zu bezahlen hätte. (Vgl. Granados/Gurgsdies, 1999, S. 160)
Vollends absurd werden die einzelwirtschaftlichen Überlegungen der sozialdemokratischen und grünen Buchhalter, wenn die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsdynamik in die Betrachtung einbezogen wird. Wir nehmen dazu die Struktur der doppelten Buchführung zu Hilfe... Die Saldenmechanik der geschlossenen Volkswirtschaft besagt, dass eine Reduktion staatlicher Defizite nur gelingen kann, wenn gleichzeitig die Unternehmen bereit sind ihre Investitionen und ihr Defizit zu steigern und die Haushalte mehr konsumieren, d. h. entsparen. Mit der Sparpolitik von Eichel kann dies kaum gelingen. Ein Teil der privaten Haushalte hat weniger Geld zur Verfügung (Kürzung und Einschränkung von Sozialtransfers und Entgelten, Personalabbau im öffentlichen Dienst). Die reichen Privathaushalte konsumieren - gemessen am tatsächlichen Einkommen - bereits jetzt zuwenig (hohe Sparquote). Die Unternehmen verfügen selbst über genügend Finanzierungsmittel und -möglichkeiten, aber sie haben dadurch keinen Grund mehr realwirtschaftlich zu investieren. Dies liegt an fehlenden Nachfrageimpulsen von Seiten der Haushalte und des Staates.
Unter Berücksichtigung des Auslands kommt es darauf an, den folgenden Nachfrageausfall (150 Mrd. DM) durch erhöhte Exporte zu kompensieren. Das ist nix anderes wie die Verlagerung unserer hausgemachten Probleme in andere Volkswirtschaften.
Der angestrebte ausgeglichene Haushalt unter den genannten Prämissen bedeutet aber auch eine krisenverschärfende Finanzpolitik. Der Konjunkturverlauf ist generell nicht vorhersehbar. Sollten daher bei einer mittelfristigen Finanzplanung die Einnahmen des Staates zurückgehen, d. h. konkret die Ausgaben unterschreiten, was allgemein als Rezession bezeichnet wird, sorgt die Einschränkung von Ausgaben für eine Vertiefung der Krise und steigende Arbeitslosigkeit. Sparprogramme laufen in einer solchen Situation darauf hinaus, daß die Arbeitslosigkeit steigt, die Einnahmen des Staates zurückgehen und seine Ausgaben für die Arbeitslosen wachsen (vgl. Oberhauser, 1997, S. 364). Gerade die konservativ-liberale Regierung ist an diesen Fakten gescheitert.
Um zum Schluß auf das Benchmarking zurückzukehren: Die USA ist gesamtwirtschaftlich (und nur in diesem Punkt) durchaus als Vorbild zu gebrauchen. Im Wesentlichen meinen dies die amerikanischen WissenschaftlerInnen in ihrer "Erklärung an deutsche Kollegen und Kolleginnen". Die keynesianische Politik der Federal Reserve sei einerseits mit ihrer expansiven Ausrichtung die wichtigste Quelle des nachhaltigen Wirtschaftsaufschwungs. Sie hätte zu niedrigen Zinsen, reichlichen Krediten für Konsumenten und staatliche Körperschaften geführt und somit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage angeregt (vgl. Albelda et. al., 1999, S. 1). Andererseits warnen sie jedoch ihre deutschen KollegInnen deutlich vor der Übernahme der "Ideologie der freien Märkte, der Deregulierung und Privatisierung, die von hier (USA) ausgegangen ist." Dies sei die Quelle der früheren Fehlschläge auf wirtschaftlichem Gebiet gewesen (vgl. ebd., S. 2).
Übertragen auf Deutschland brauchen wir also einen ebenso robusten wie nachhaltigen Aufschwung. Um diesen zu erreichen, müssen andere Bereiche der Wirtschaftspolitik, insbesondere die Geldpolitik, deutlich expansiv ausgerichtet werden. Zum zweiten sollten die Regierung im Aufschwung in ihrer Ausgabenpolitik dann eher einen restriktiven Kurs einschlagen, d.h. auf eine deutliche Rückführung der Ausgabenquote am Bruttoinlandsprodukt zielen. Im Kern bedeutet dies, daß man sich aus einem Haushaltsdefizit letztlich nicht heraussparen kann, sondern herauswachsen muß. (Vgl. Horn/Scheremet, 1999, S. 1-11) Alleine die schlichte, systemimmanente Nachfrageorientierung reicht somit schon zur Widerlegung sozialdemokratischer "linker Angebotspolitik" aus.