Presseerklärung des Netzwerks deutscher Nichtregierungsorganisationen, die zu Handelsthemen aktiv sind

Proteste gegen die WTO in Seattle führen zu heftigen Reaktionen - Ausnahmezustand unverhältnismäßig

Seattle, 30.11.1999: "Unverhältnismäßig und überzogen!" So bezeichnete Michael Windfuhr, Koordinator des deutschen NRO-Forums Umwelt & Entwicklung, die Verhängung des Ausnahmezustands in Seattle. "Nachdem die massiven Protestaktionen gegen die WTO am Eröffnungstag der Ministerkonferenz noch einmal unterstrichen haben, daß die WTO und die Globalisierung insgesamt in einer Akzeptanzkrise stecken," so Windfuhr, "stehen die Verhängung des Ausnahmezustands und die Polizeiübergriffe in eklatantem Gegensatz zu den Beteuerungen, sich gegenüber der Zivilgesellschaft zu öffnen."

Die Protestaktionen am ersten Tag der Minsterkonferenz hatten dazu geführt, daß die feierliche Eröffnungssitzung im Tränengas erstickte, wie der Rest von Downtown Seattle. Schon am frühen Morgen hatten etwa 10.000 Demonstranten die Innenstadt von Seattle lahmgelegt. Höhepunkt der Aktionen zum Eröffnungstag war eine Großdemonstration am Nachmittag mit gut 40.000 Teilnehmern.

Gewerkschaften, Umweltgruppen, Studenten, Bauern- und Verbraucherorganisationen, Menschenrechts- und Dritte-Welt- Gruppen zogen durch die Stadt und erhoben mit phantasievollen Transparenten, Musik und Straßentheater ihre Forderungen.

Häufige Parolen waren: "Fairer Handel statt freier Handel," "Globalisierung für die Menschen und nicht für die Profite", "Keine neue WTO-Runde." VertreterInnen der deutschen NRO in Seattle nahmen gemeinsam mit der Bauernorganisation "La Via Campesina" an der Demonstration teil.

Während die Demonstranten auf den Straßen dominierten, begannen im Stillen die Verhandlungen. Getreu alter WTO-Tradition werden die entscheidenden Gespräche und Verhandlungsfortschritte auch in Seattle in Hinterzimmern ausgehandelt. Die Verhandlungen sind in fünf Arbeitsgruppen unterteilt, zu denen jeweils nur 15 bis 20 Länder Zugang haben. Doch auch dort wird nicht über Fortschritte im Verhandlungstext gerungen. Vorschläge für Ergebnisse kommen ausschließlich aus den Hinterzimmerberatungen, an denen nur wenige Hauptakteure beteiligt sind. Gegen dieses Vorgehen hat ein gutes Dutzend Entwicklungsländer bei WTO- Generaldirektor Moore protestiert. Ein erster solcher Textvorschlag wurde für die Agrargespräche von den USA und den in der CAIRNS-Gruppe zusammengeschlossenen Agrarexportnationen vorgelegt.

Diese Gruppe, die sich für eine weitreichende Liberalisierung im Agrarhandel einsetzt, konnte nicht nur drei neue Mitglieder, sondern auch mit Indien und anderen Entwicklungsländern neue Unterstützer gewinnen. Diese Verstärkung der Allianz wird die EU im Agrarbereich zusätzlich unter Druck setzen.

Die EU agiert gleichzeitig ausgesprochen ungeschickt. Im Laufe des Dienstags versuchte sie, die Initiative bei den Verhandlungen zu übernehmen, indem sie eine neue Version ihrer Verhandlungsposition erarbeitete. Zweck der überarbeiteten Position soll es sein, als mögliches Konsenspapier für den Fortgang der Verhandlungen zu dienen. Verhandlungsstrategisch dürfte dies allerdings ein Schuß nach hinten sein, denn ohne Not hat die EU schon jetzt wichtige Positionen geräumt, bevor die eigentlichen Verhandlungen beginnen.

Während im Agrarbereich noch wenig Bewegung bei der EU festzustellen ist, hat die EU im Umweltbereich schon weitreichende Zugeständnisse gemacht. "Tragisch ist es schon, daß die EU bereits jetzt einer der Hauptforderungen der USA nachgegeben hat und der Behandlung des Themas Biotechnologie im Rahmen einer Arbeitsgruppe zustimmen will" kritisiert Peter Fuchs vom BUND den Schwenk der EU.

Die Veranstaltungen der Nichtregierungsorganisationen hatten am Dienstag den Schwerpunkt Handel und Menschenrechte. Vertreter aus verschiedensten Teilen der Welt trugen Beispiele zusammen, wie die Zunahme der Regelungsdichte in der Weltwirtschaft zu Verletzungen insbesondere bei wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten führen kann.

Dabei wurde deutlich, daß eine schnelle Liberalisierung und neue internationale Standards sich oft auf besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen negativ auswirken. Eine schnelle Marktöffnung hat in verschiedenen Entwicklungsländern im Agrarbereich dazu beigetragen, daß Kleinbauern aus der Produktion gedrängt wurden. Die drohende Patentierung von Saatgut könnte den Zugang zu kostengünstig verfügbarem Saatgut gefährden. Dies führt dann zu Menschenrechtsverletzungen, wenn die betroffenen Gruppen damit ihre Fähigkeit verlieren, sich selbst zu ernähren.

Im Hinblick auf das Recht auf Gesundheit wurde deutlich, welche Auswirkungen neue WTO-Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums haben können. Seit einiger Zeit drängt die USA Südafrika zu einem verstärkten Patentschutz bei AIDS-Medikamenten, die die Kosten für eine angemessene AIDS-Behandlung in diesem Land mit einer hohen Infektionsquote erheblich erhöhen könnte.

Gemeinsames Ergebnis der Diskussionen über Menschenrechte und Welthandel war, daß viele der derzeitigen Regeln der WTO schon jetzt die Fähigkeit von Staaten einschränken, die Menschenrechte wirkungsvoll durchzusetzen.

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Kontakt in Seattle: Peter Fuchs, Handy-Nr.: (206) 953-2800, e-mail: forumaghandel@aol.com

Kontakt in Deutschland: Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung, Am Michaelshof 8-10, 53177 Bonn, Tel.: 0228-359704, Fax: 0228-359096, e-mail: forumue@compuserve.com