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Breites Bündnis beim Zweiten Weltsozialforum in Porto Alegre

Gaby Weber

01.02.2002

Während sich die Mächtigen der Welt in New York treffen, um den Zustand des Kapitalismus zu diskutieren, versammeln sich auf der südlichen Halbkugel, im brasilianischen Porto Alegre die Gegner des Kapitalismus. Sie diskutieren in den kommenden vier Tagen, wie man den Kapitalismus abschaffen, oder ihn zumindest erträglicher machen kann. Das Treffen findet zum zweiten Mal in dem von der linken Arbeiterpartei regierten Bundesstaat Rio Grande do Sul statt.

Wie im letzten Jahr hat ein breites Bündnis zum Zweiten Weltsozialforum nach Porto Alegre eingeladen, und erschienen sind diesmal über 50.000 Teilnehmern aus der ganzen Welt. Seit Wochen sind die Hotels ausgebucht, und die Fluglinie Varig hat zahlreiche Sonderflüge eingerichtet. Das Treffen steht unter der Parole "eine andere Welt ist möglich". Und gestern abend ging es los. Mit Trommeln und Samba marschierte eine bunte Demonstration vom Markt zur Eröffnungsveranstaltung unter freiem Himmel.

Vier Tage lang will man über Alternativen zum Neoliberalismus diskutieren und Vorschläge erarbeiten, wie die Armut weltweit zu bekämpfen sei und wie sich die zivile Gesellschaft organisieren soll. Aus Lateinamerika sind angereist die Nobelpreisträger Rigoberta Menchu aus Guatemala und Adolfo Perez Esquivel aus Argentinien, aus Frankreich der französische Bauernführer Jose Bové und sechs Minister. Auch aus der Schweiz, Österreich und Deutschland sind in diesem Jahr über hundert Interessierte gekommen. Die kolumbianische Guerilla FARC wird auf dem Forum über das Vorgehen der US-Truppen in Kolumbien und die Militarisierung des Kontinents reden. Abgelehnt hatten die Organisatoren nur wenige, etwa die ETA-Sympathisanten aus dem Baskenland und die Staatschefs Fidel Castro aus Kuba und Hugo Chávez aus Venezuela. Dies sei ein Treffen der Nicht-Regierungsorganisationen, hatten sie begründet.

Doch während das Weltsozial-Forum im vergangenen Jahr wirklich ein Treffen der Basisgruppen gewesen ist, sind in diesen Tagen zahlreiche Regierungsvertreter erschienen, vor allem aus Europa. Dazu kommen Bürokraten der internationalen Organisationen wie der Vereinten Nationen, Funktionäre der Gewerkschaften und Lobbyisten aus Verbänden und Institutionen.

Porto Alegre - auf deutsch: der fröhliche Hafen - war nie eine attraktive Stadt. Sie besaß, so hieß es, alle Nachteile Brasiliens wie Kriminalität und Umweltverschmutzung und keinen der Vorteile, weder Karneval noch Strände. Doch vor kurzem bescheinigten ihr die Vereinten Nationen die höchste Lebensqualität des Landes.

Seit 13 Jahren wird die Landeshauptstadt Porto Alegre von der linken Arbeiterpartei PT regiert, seit drei Jahren sogar der Bundesstaat Rio Grande do Sul mit seinen zehn Millionen Einwohnern. Die letzten Kommunalwahlen gewann die PT mit 63 Prozent der Stimmen. Ihre Parole heißt: partizipative Haushaltsführung. Die Regierung entscheidet nicht von oben und teilt den Bürgern ihre Entscheidungen mit, sondern die Bürger diskutieren und entscheiden selbst, wofür ihre Steuermittel ausgegeben werden. Das hat sich - geben selbst die politischen Gegner zu - als hervorragendes Instrument gegen die Korruption herausgestellt.

Die PT hat den Bundesstaat zur "genfreien Region" erklärt, in der genmanipulierter Sojasamen verboten ist. Zunächst gingen die Großgrundbesitzer in die Offensive und übten politischen Druck aus. Doch die PT schaffte einen lokalen Markt für ökologische Nahrungsmittel und das gefiel nicht nur den Bürgern sondern auch den Bauern, die für ihre Produkte höhere Preise erzielen. Und jetzt wird das nicht-genmanipulierte Soja zertifiziert, das heißt mit einem ökologischen Gütesiegel versehen, und das findet auf dem Weltmarkt einen guten Absatz.

Es sei kein Treffen von "Globalisierungsgegnern", erklärte der aus Boston angereiste Noam Chomsky, Professor für Linguistik und einer der bekanntesten Kritiker der Bush-Regierung schon seit dem Krieg in Vietnam. Die Arbeiterbewegung sei von Anfang an "internationalistisch" gewesen, weltumspannend, global. "Internationale Solidarität" sei eines ihrer Hauptanliegen. Das Weltsozialforum in Porto Alegre stehe in dieser Tradition, daher sei es das EINZIGE Forum, das FÜR Globalisierung sei. Die in New York versammelten Industriekapitäne hingegen führen ein Klassenkampf von oben, und im Rahmen ihrer ideologischen Offensive bedienen sie sich, so Chomsky, des geistigen Diebstahls. Sie eignen sich den Begriff der Globalisierung an. Dabei sei das einzige, was sie im Schilde führen, sich den Kontrollen der Nationalstaaten zu entziehen, indem sie ihre Produktion von einem Land ins andere verlegen und die Regierungen gegeneinander ausspielen.

Der Neoliberalismus habe auf ganzer Linie versagt, so auch der Anführer der brasilianischen Arbeiterpartei Igncio da Silva, genannt Lula. Er ist Präsidentschaftskandidat der PT für die Wahlen im Oktober und wollte in Porto Alegre die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, sich der internationalen Öffentlichkeit darzustellen. In Lateinamerika seien alle Staatschefs, die den Neoliberalismus auf ihre Fahnen geschrieben und brav die Rezepte des Internationalen Währungsfonds befolgt hatten, nicht nur wirtschaftlich gescheitert sondern auch in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt gewesen: In Brasilien Collor de Mello, den das Parlament abgesetzt hatte, in Mexiko Carlos Salinas, dem beste Beziehungen zu Rauschgifthändlern nachgesagt werden, in Peru Alberto Fujimori, der sich nach Japan abgesetzt hat um der Strafverfolgung zu entgehen, und in Argentinien Carlos Menem. Gegen den früheren Präsidenten und Musterschüler des IWF sind in Buenos Aires zahlreiche Verfahren wegen Bestechung anhängig, sein Schweizer Bankkonto wurde in diesen Tagen öffentlich, während die Giro- und Sparkonten der Argentinier eingefroren worden sind.

Argentinien, so Lula auf der Pressekonferenz, sei wohl das beste Beispiel um aufzuzeigen, dass Freihandel und der Abbau staatlicher Eingriffe keine Rezepte sind, um in der Dritten Welt Armut und Unterentwicklung zu überwinden.


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