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Christian Christen, MdB Büro Ursula Lötzer (Berlin)

Kurzprotokoll einiger Diskussionsforen vom Gegengipfel des Genoa Social Forums (GSF) vom 16.-18. Juli 2001 in Genua

 

1. Allgemeine Anmerkungen

Die Foren zeichneten sich in der Regel durch ein hohes Diskussionsniveau aus, dass durch die zahlreichen internationalen ReferentInnen angereichert wurde. Wie bereits u.a. bei den Veranstaltungen in Seattle (WTO), Köln (Weltwirtschaftsgipfel) und Prag (IWF/Weltbank -Konferenz) nutzte die soziale Bewegung einerseits die Foren zum Informationsaustausch und der Verständigung über die gegenwärtige konkrete nationale und internationale ökonomische und soziale Situation und deren Entwicklungen. Dabei wurde auf adäquatem theoretischen und empirischen Niveau den gängigen offiziellen Beschreibungen der Globalisierung und ihren positiven Wirkungen (Diskurs über Chancen und Möglichkeiten) entgegengetreten und eine radikale Alternative eingefordert. Andererseits wurden aus den Beschreibungen und Analysen eine Vielzahl von konkreten Forderungen auf unterschiedlichen Ebenen abgeleitete, die bis auf die betriebliche Ebene heruntergebrochen und mit derzeitigen sozialen Kämpfen in Verbindung gebracht wurden. Neben der Zurückweisung der Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche und einer zunehmenden ökonomischen Marginalisierung auf dem Weltmarkt, stand die soziale Ausgrenzung aufgrund der sich polarisierenden Verteilungssituation und die Entdemokratisierung sämtlicher gesellschaftlicher Prozesse im Zentrum der Diskussionen. Die Diskussionen fanden in einer entspannten Atmosphäre statt, in der die unterschiedlichen Positionen nebeneinander stehen konnten und sich die DiskutantInnen aufeinander bezogen. Differenzen wurden deutlich, führten aber nicht zu Konfrontationen über den "wahren" Weg und die einzig richtige Beschreibung der Realität.

Die Medien boten den TeilnehmerInnen des GSF in den Tagen vor den Demonstrationen ein breites Podium, ihre unterschiedlichen Positionen und Analysen zu präsentieren. Zumal das Tagungszentrum des GSF für die meisten Pressevertreter ein primärer Anlaufpunkt war und sie hier ihre Informationen aus erster Hand bekamen, da dass offizielle G8-Treffen erst ab dem 20. Juli begann. Bereits Wochen vorher beschäftigten sich die italienischen Medien ausführlich und differenziert mit der Bewegung und ihren Zielen, was einige offiziellen Stimmen bereits kritisierten, da der Bewegung ein zu breiter Raum eingeräumt wurde. Angesichts dessen griffen die üblichen Vorwürfe, die "Globalisierungskritiker" würden die Globalisierung gar nicht verstehen bzw. wären zwar dagegen, hätten aber keine Alternativen weniger als üblich. Trotzdem gab es natürlich auch diese pauschalisierenden Urteile, die sich vor allem ab Beginn des offiziellen G8-Treffens steigerten.

Insgesamt zeigte sich jedoch, dass die offizielle Seite stark an inhaltlicher Legitimität und Definitionshoheit, wie die Globalisierung zu verstehen wäre und was politisch zu tun sei um die "Armut" zu überwinden, einbüßte. Wobei die Delegitimierung nicht nur Folge der martialischen Sicherheitsvorkehrungen und den äußerst brutalen Übergriffen der Sicherheitskräfte ab Freitag (20. Juli) war, die ein starkes innenpolitisches Echo hervorriefen.

Hierzu nur so viel: Um die realen Abläufe ab dem 20. Juli einigermaßen einschätzen zu können, ist es unerlässlich, auf die italienische Berichterstattung zurückzugreifen. Im Verhältnis hierzu zeichnete sich die deutsche Berichterstattung in der Woche des G8 Gipfels in den etablierten Medien wie so oft durch Unkenntnis und tendenziöse Berichte aus. Erst nach dem in zahlreichen Bild- und Tondokumenten die aggressive Strategie der Sicherheitskräfte belegt wurde und die Zeugenaussagen sich häuften u.a. von Journalisten und Parlementariern, die ebenfalls bei Übergriffen verletzt wurden bzw. das Geschehen vor Ort verfolgten, wurde auch in den deutschen Medien eine Aufklärung der Vorgänge während und nach den Demonstrationen eingefordert. Die Außerkraftsetzung rechtsstaatlicher Standards allein haben hier scheinbar nicht gereicht. In Italien selbst umfaßt die innenpolitische Diskussion die Kritik der angewendeten Mittel (unverhältnismäßig) und die an den Tag gelegte polizeiliche Willkür bis über die Illegalität von Festnahmen und Folterung von Inhaftierten im Polizeigewahrsam. Die Staatsanwaltschaft hat erste Ermittlungen aufgenommen. Mit einer Vielzahl von Anzeigen gegen die Sicherheitskräfte ist zu rechnen, wenn die Sammlung der Aussagen abgeschlossen ist und die angekündigte Dokumentation des GSF vorliegt. Natürlich wird der angekündigte Antrag der Oppositionsparteien, zur Ablösung des Innenministers Scajola, scheitern. Unklar ist bis jetzt, ob es nicht doch eine parlamentarische Untersuchung geben wird und nicht nur die interne Überprüfung. Bis jetzt bestimmen die Tage in Genua und ihre Folgen die innenpolitische Diskussionen mit der Mitte-Rechts Regierung. Ein Ende der außerparlamentarischen Proteste ist z.Z. nicht abzusehen.

 

2. Diskussionsforen

In dem von Susan George moderierten Forum hielt Walden Bello (NGO Focus on Global South) ein Grundsatzreferat über die multiplen Krisen der Globalisierung. Über den schwindenden Einfluss der Entwicklungs- und Schwellenländer in internationalen Gremien (IWF; Weltbank und WTO) und die zunehmende Durchsetzung hegemonialer Interessen der Industrienationen und ihrer Konflikte untereinander (EU versus USA), die das multilaterale Nachkriegssystem untergrabe. Neben den institutionellen Verschiebungen zeigt sich seit Beginn der 90er Jahre, dass die Versprechungen nach ökonomischer und sozialer Entwicklung im Zeitalter der Globalisierung nicht durch das gegenwärtige weltwirtschaftliche System eingelöst werden können. Spätestens seit der Finanzmarktkrise in Asien 1998 wurde diese systemische Unzulänglichkeit virulent. Seit dem geraten die großen Institutionen (IWF, Weltbank und WTO) und ihre politischen Konzepte von Marktöffnung, Finanzmarktliberalisierung, Privatisierung, Haushaltskonsolidierung und exportorientierter Entwicklungsstrategie zunehmend unter Legitimationsdruck.

Daneben wurden die Versprechungen nach Entschuldung der Dritten Welt, verbesserten Zugängen auf die Märkte der Industrieländer bis heute nicht eingehalten und die Zugeständnisse und Strategieänderungen (HIPIC Initiative, Diskussion um neue internationale Finanzarchitektur etc.) stellten sich für die meisten Länder als absolut unbefriedigend heraus. Nach wie vor sind es immer wieder die gleichen wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte, die den Ländern außerhalb der OECD vorgeschrieben werden, um überhaupt in internationale Zusammenhänge eingebunden zu werden. Die realen Probleme der Vermachtung/Monopolisierung der Märkte und die zunehmenden Macht transnationaler Konzerne (corporate power) stellt laut Bello ein weiteren Aspekt dar, der das politische System des Multilateralismus, in dem Ansatzweise politische Konzepte zur Lösung der ungleichen Entwicklung vorgedacht wurden, vollständig untergräbt. Es gellten zunehmend nur Marktlösungen, die wiederum eng an die Bedürfnisse der "eigenen" Konzerne (Global Player) angelehnt sind und politische Sachzwänge schaffen, die weiter Liberalisierung und Globalisierung bedingen.

Aus diesem Kontext ergibt sich die Frage, in welcher Weise die stattfindende Globalisierung überhaupt den minimalsten demokratischen Ansprüchen genügen könne. In der offiziellen Behandlung der Demokratiefrage zeige sich nach Bello eine Verschiebung hin zur Betonung formaler Rechte und Demokratie, die einerseits keinerlei Ansprüche hinsichtlich sozialer und ökonomischer Rechte gewährt und andererseits die ökonomische Ungleichheit in diesem formalen System (z.B. zwischen Staaten oder Akteuren) nicht zur Debatte stellt. Diese Struktur entspricht dem Selbstverständnis einer politischen, ökonomischen und kulturellen Elite nach reibungslosen Management politischer Prozesse, die medial aufbereitet werden und suggerieren, das die Globalisierung allen zu Gute käme bzw. die bestehenden Problem nicht auf die favorisierten Konzeptionen zurückzuführen seien. Im Gegenteil sei die Polarisierung nur durch ein "mehr" an Globalisierung zu überwinden. Diese Sicht korreliert zum einen mit einer zunehmenden politische Apathie in der Gesellschaft bzw. Entpolitisierung und zum anderen mit sinkender Einflussnahme auf Entscheidungen. Formal demokratische Entscheidungen nationaler Regierungen und vor allem internationaler Institutionen, bei denen häufig noch nicht einmal die minimalen Standards von Transparenz und formaler Partizipation gegeben sind, nehmen zu. Eine wirkliche Einflußnahme der "Zivilgesellschaft" wird immer schwerer.

Aus dem Kontext von ökonomischer Krise und struktureller Unterentwicklung, Konzentration und wachsende Macht privater Wirtschaftssubjekte, institutioneller und politischer Delegitimation erwächst seit einigen Jahren eine heterogene Bewegung, die den Prozeß der Globalisierung aus unterschiedlicher Perspektive und Zielsetzung massiv kritisiert. Dabei geht es in der Ablehnung der Globalisierung nicht um den häufig zur Diskreditierung unterstellten Rückzug in Protektionismus und Nationalismus und die Ablehnung internationaler Zusammenhänge. Ganz im Gegenteil basiert die soziale Bewegung auf einem Internationalismus, der versucht, die unterschiedlichen sozialen Kämpfe und ökonomischen Krisen aufeinander zu beziehen. Dabei erscheint in der Bewegung der Weg der einfachen "politischen Regulierung der Globalisierung", oder wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt "der Globalisierung mit menschlichem Antlitz", als zu kurz gegriffen. Es werden durchaus Forderungen erhoben, die über das bessere Management der bestehenden Verhältnisse hinausgehen.

Beispiele lieferten die auf dem Podium anwesenden anderen DiskutantInnen z.B. aus der lateinamerikanischen Landlosenbewegung (MST), die den Eingriff in Eigentumsrechte fordern, um den Menschen überhaupt die Möglichkeit zu eröffnen, durch Subsistenzproduktion auf eigenem Grund und Boden den Kreis aus vorkapitalistischen Abhängigkeitsverhältnissen und Willkürherrschaft zu durchbrechen. Aber auch die Eingriffe in die finanzielle Verteilung kamen nicht zu kurz. Der Referent aus dem NGO-Südnetzwerk (Jubilee South) zur Streichung der Schulden der Entwicklungsländer stellte die Abhängigkeiten dar, die sich aus der kontinuierlichen Bedienung der Schulden und fälliger Zinszahlungen für den "Süden" ergeben. Eine eigenständige Entwicklung, die diesen Namen verdiene, sei unter diesen Bedingungen unmöglich. Weder die Entschuldungsinitiative der G8 aus dem Jahr 1999 in Köln (HIPIC), noch ihre "Fortsetzung und Ausweitung" in Genua oder der dort eingerichtet Sonderfonds für die Bekämpfung von Aids und anderen Krankheiten, könnten das Grundproblem minimieren. Alle Erfahrungen mit der HIPIC Initiative belegen das Gegenteil und für die Einrichtung des neuen Hilfsfonds (Aids) zeige sich, dass allein die laufenden Zinszahlungen Afrikas bereits 6 Wochen nach Ende des G8 Gipfels der Summe des "großzügig" zur Verfügung gestellten Betrags der Industrieländer entsprechen.

Auf ein anderes Problem, das mit der Globalisierung eng verbunden ist, machte Don Oresto Benzi (katholischer Priester) aufmerksam. Er stellte eindrücklich die Situation der MigrantInnen in Italien dar, die aus der Not in ihren Heimatländern flüchten würden und in Europa den Tod oder unmenschliche Ausbeutung erfahren. Er verwies auf die Toten, die bereits auf dem Weg in das "gelobte Land" scheitern und dann häufig ein Leben in Illegalität fristen müssen. Modernen Menschenhandel und Sklaverei auf der Basis von organisierter Kriminalität mit wenigen Interventionen der staatlichen Organe gegen die Hauptverantwortlichen, machten für ihn eine Seite der Globalisierung aus, die häufig unbeachtet blieb. Hingegen hätten die MigrantInnen oft Repressionen von allen Seiten zu erwarten, von ihren Peinigern aber auch von den staatlichen Stellen, so dass die Abhängigkeit vollkommen sei und das Netz des Schweigens kaum zu durchdringen wäre. Die katholische Kirche versuche hier ihren Beitrag zu leisten, die schlimmsten Exzesse zu verhindern und für die Menschen ein Anlaufpunkt zu sein. Aber nur gemeinsam mit anderen Bewegungen ließe sich in dieser Hinsicht eine tatsächliche Verbesserung erreichen.

 

Raffael Freire von der brasilianischen Gewerkschaft CUT verband in seinem Eingangsreferat die spezifische Situation in Brasilien (Landlosenbewegung, Kampf für soziale Rechte und Freiheitsrechte) mit grundsätzlichen Fragen zur Veränderungen in den Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital in der Globalisierung. Konstatiert wurde eine Veränderung der sozialen Proteste in den letzten Jahrzehnten, die nicht mehr primär durch die Arbeiter und ihre Gewerkschaften initiiert wurden. Wie in allen Nationen ging auch in Brasilien der Organisationsgrad der abhängig Beschäftigten in den Gewerkschaften zurück und auf der anderen Seite verhinderten die zentralen Strukturen häufig das dezentrale agieren in sozialen Brennpunkten. Hinzu käme, daß die Gewerkschaftsführung häufig zu eng an politische Parteien gebunden seien, was eine Kritik der herrschenden Politik erschwere.

Ein zentraler Ansatzpunkt, um die zunehmende Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse zu verhindern und die Angriffe auf soziale Standards, gewerkschaftliche Rechte etc. zu verhindern, müsse deshalb die Öffnung der traditionellen Gewerkschaftsstrukturen hin auf die sozialen Bewegungen sein, die sich im Umfeld der Kritik an der Globalisierung herausbildeten. Hierbei reiche es nicht aus, lediglich die Themen der Arbeiterbewegung einzubringen, sondern es müsse auf die veränderte Struktur und Repräsentationsform (nationale und internationale Netzwerke) reagiert werden und die inhaltliche Diskussion zwischen den verschiedenen Feldern sei zu forcieren. Hierdurch ließe sich das Problem der Fragmentierung und Individualisierung minimieren, mit dem die Arbeiterbewegung alten Zuschnitts in die Krise geraten ist.

In ähnlicher Weise äußerte sich der Redner der italienischen CGIL, der die Frage der politischen Durchsetzungsfähigkeit und Strategie der Gewerkschaften ins Zentrum stellte. In Anbetracht der zurückliegenden fünfjährigen italienischen Regierung durch die Parteien von Mitte-Links, stehe die "Linke" Italiens vor einer grundsätzlichen Analyse und Kritik. Die Arbeiterbewegung habe in dieser Zeit auf fast allen Feldern verloren und das primäre Setzen der Gewerkschaft auf die Rolle der "Moderation" gesellschaftlicher Konflikte durch Bündnisse und institutionelle Einbindung und der internen Modernisierung, habe weder den Prozeß der Prekarisierung verhindert noch die soziale und ökonomische Situation der Bevölkerungsmehrheit verbessert. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zurückhaltende Lohnforderungen seien zu Lasten der Beschäftigten gegangen und bildeten nun die Basis, auf der die neue Mitte-Rechts Regierung aufbauen und diese Politik radikalisieren könne. Es habe sich gezeigt, dass neben dem schwindenden Organisationsgrad und der Individualisierung auf der einen Seite die "Linksparteien" nicht mehr automatisch die natürlichen Verbündeten der Beschäftigten seien. Auf der anderen Seite setze die Gewerkschaftsführung im Bündnis mit den Unternehmern zunehmend Entscheidungen gegen die Interessen der Beschäftigten durch, was diese verprellt. Im Zeitalter der Globalisierung potenziere sich somit die nationale und internationale Krise der Arbeiterbewegung. Eine harte Kritik an der bisherigen Strategie und Brüche wären deshalb notwendiger denn je, zumal sich die großen italienischen Gewerkschaften nur zögerlich dazu durchringen konnten, überhaupt für das GSF zu mobilisieren. In Anbetracht der Themen die hier debattiert würden (Demokratisierung, Verteilung und soziale Gerechtigkeit, Krise und Kritik des Kapitalismus) sei dieses Verhalten unverantwortlich und würde zu internen Diskussionen über den weiteren Weg der Gewerkschaften führen. In dieser Hinsicht böte die internationale Bewegung der Globalisierungskritiker einen Kristallisationspunkt für die Gewerkschaften, die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit zu reflektieren und in diesem Bündnis neue Wege zu gehen.

Wie sich Beschäftigte selbst gegen ihre eigenen Repräsentanten in den Gewerkschaften durchsetzen müssen, um für ihre Rechte zu kämpfen, beleuchteten die anschließenden Referate einer Belegschaftsvertreterin des italienischen Elektrokonzerns Zanussi-Elektrolux und eines Vertreters von Danone/Frankreich.

Die italienische Kollegin schilderte den Arbeitskampf bei Zanussi, der im vergangene Jahr seinen Höhepunkt erreichte. Die Konzernführung hatte an die internationalen Unternehmensteile schriftlich eine Wunschliste weitergereicht, auf der zu streichende soziale Leistungen etc. unterbreitet wurden. Ziel sollte wie üblich die Kostensenkung und die Flexibilisierung der Produktion sein. Diejenigen Unternehmensteile, die der Leitung am weitesten entgegenkommen würden, hätten dementsprechend mit Investitionen und Neueinstellungen zu rechnen. Innerhalb des Konzerns sollte der Standortkampf verschärft werden. Die Gewerkschaftsführung einigte sich nach Verhandlungen auf Zugeständnisse hinsichtlich der Arbeitszeitverlängerung, der Lohnkürzung, Pausenregelungen und Entlassungen. Der Vorschlag wurde von beiden Parteien unterzeichnet und den Belegschaften präsentiert. Daraufhin organisierten kleinere Gewerkschaften, die COBAS, Betriebsräte und Beschäftigte den Widerstand innerhalb des Konzernes und erreichten gegen den Druck von Funktionären eine Ablehnung der ausgehandelten Verträge. Dieser Widerstand war diesmal nicht nur der Diffamierungen und Polemik aus dem Arbeitgeberlager ausgesetzt, sondern auch die Gewerkschaftsführung reagierte mit diesen Methoden auf die überwältigende Mehrheit der Ablehnung der Beschäftigten (mehr als 80%) der zuvor in paternalistischer Weise ausgehandelten Abmachungen mit dem Management. Die Polemiken halten bis heute an und der Erfolg bei der Mobilisierung bei Zanussi galt im letzten Jahr als ein weiterer Beleg dafür, dass die offizielle Arbeiterbewegung sich zunehmend von der Basis entfernt. Die Kollegin wies darauf hin, daß die Situation sich nur verbessern könne, wenn die Arbeitskämpfe stärker auf internationaler Ebene geführt werden. Hierzu bedürfe es einer wesentlich besseren Information und Strategiebildung untereinander, um dem Internationalismus des Kapitals überhaupt auf einer Augenhöhe gegenübertreten zu können. Ansonsten ließe sich dem internen Konkurrenzkampf der Produktionsstandorte nicht wirkungsvoll entgegentreten. Es sei jedoch fraglich, ob dieser Internationalismus von der eigenen Gewerkschaftsführung überhaupt gewollt werde.

Ein ähnliches Vorgehen des Managements sei bei Danone zu beobachten. Obwohl der Konzern überdurchschnittliche Gewinne machte, wurden vor wenigen Monaten umfangreiche Zugeständnisse eingefordert, welche zur Verbesserung der Kostensituation führen sollten. Die Beschäftigten verständigten sich auf eine Kampagne des Boykotts der Produkte von Danone, um den Druck auf das Management zu erhöhen, ihre Forderungen zurückzunehmen. Zur Zeit versucht man nun eine internationale Verständigung über ein gemeinsames Vorgehen im Konzern zu koordinieren und auch die Kontakte zu den Lieferanten von Vorprodukten auszubauen. Der häufige Einwand, der Kaufboykott würde die eigenen Arbeitsplätze gefährden, ließ der Referent nicht gelten. Die Strategie der Kostensenkung und der Abbau von sozialen Rechten sei unabhängig von der realen ökonomischen Situation zu sehen. Bei Danone zeige sich vielmehr, dass die Argumentation hinsichtlich der Rettung von Arbeitsplätzen vollkommen irrelevant sei, denn der Konzerne steigere permanent seine Gewinne. Massive Zugeständnisse der Beschäftigten werden trotzdem eingefordert. Es müsse deshalb jedem/jeder klar sein, wohin diesbezügliche Kompromisse führen: Heute könnten Arbeitsplätze bei schlechteren Konditionen "gerettet" werden, die aber schon morgen abgebaut werden. Gewinnen können die Beschäftigten dadurch nichts.

In ähnlicher Weise hinsichtlich der grundsätzlichen Einordnung der Arbeitskämpfe und der Interessenvertretung der Arbeiter im Zeitalter der Globalisierung äußerten sich die Referenten der italienischen Metallarbeitsgewerkschaft (FIOM), der COBAS für Schule/Bildung und einer russischen Gewerkschaft. In allen Fällen machten sie auf die Schwierigkeit aufmerksam, für soziale Rechte immer stärker gegen die "offizielle" Führung bzw. die großen Gewerkschaften agieren zu müssen. Im Bündnis mit den "Links-Regierungen" zeige sich zunehmend ein Defizit der Legitimität der traditionellen Gewerkschaften, überhaupt nationale Verträge zu schließen. Nicht aufgrund der schwinden Repräsentation, sondern weil sie gegen die Interessen der Beschäftigten oder konkreter Belegschaften entscheiden. Die Dynamik, mit der sich die globalisierungskritische Bewegung gegen die herrschende Meinung stellt und Alternativen artikuliert wäre somit zu nutzen und in die Arbeiterbewegung zu übertragen, um Seite an Seite politisch zu kämpfen. Zumal die Bewegung "traditionelle" Aspekte der Arbeiterbewegung aufgreift und in den Kontext des 21. Jahrhunderts stellt. Wenn die Gewerkschaften dies in ihrer gesamten Breite nicht anerkennen und ihre Chancen nicht ergreifen würde, würde sie einen hohen politischen Preis bezahlen müssen.

 

Nicola Bullard (NGO Focus on Global South) faßte in ihrem Eingangsreferat noch einmal die Aspekte hinsichtlich der demokratischen Partizipation in der Globalisierung und den für diese entscheidenden Institutionen (IWF, Weltbank, WTO, G8 etc.) zusammen. Es habe sich immer deutlicher gezeigt, daß der Begriff von Demokratie immer inhaltsloser wird. Wirtschaftlich "kleinere Länder" bzw. die gesamte sogenannte Dritte Welt wird aus den realen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. Natürlich nicht formal. In den Institutionen haben sie jedoch keinerlei Möglichkeiten "ihre" Interessen durchzusetzen. Im Gegenteil dazu schwingen sich die Vertreter der OECD Nationen dazu auf, ihre interessengeleitete Politik mit dem Label zu versehen, sie würden im Namen der gesamten Menschheit handeln und die Probleme der Welt würden ganz oben auf ihrer Agenda stehen.

Ob jedoch die immer wieder vorgeschlagenen Rezepte überhaupt der richtige Weg für die "Dritte Welt" seien und warum sich die Menschen dort dagegen zur Wehr setzen, wird dabei nicht erörtert. Mit der zunehmend Kritik an der Globalisierung, ihrer institutionellen Vermittlung und ihrer wachsenden Öffentlichkeitswirksamkeit, reagieren die Vertreter aus dem Norden zunehmend nervöser und mit Unverständnis. In Genua und an zahlreichen anderen Orten ließe sich dieses Phänomen konkret anhand der Aufhebung von Grundrechten sehen. Nicht nur die asymetrische Machtverteilung in den Institutionen der Globalisierung stehe demnach den Forderungen nach Demokratie und selbstbestimmten Leben entgegen, sondern auch in den einzelnen Ländern werden die "demokratischen" Entscheidungen zunehmend delegitimiert. Der Sachzwang der Globalisierung schiebe sich über sämtliche Bereiche und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit mache es unmöglich, andere Ziele politisch überhaupt durchzusetzen. Dieser Verlust an Legitimität nationaler und internationaler Politik sei ein zentrales Problem für die "großen Führer". Eine strategische Umorientierung (Umarmung) und ein ideologischer Angriff der Bewegung (Diskreditierung) sind die beiden Momente, die sich zunehmend abzeichnen. In diesem Sinne stelle Genua so oder so ein Wendepunkt sowohl für die G8 als auch für die soziale Bewegung dar. Die Diskussion in der Bewegung wird immer stärker losgelöst von den "Events" stattfinden müssen. Gegengipfel zu offiziellen Veranstaltungen sollten medial weiter genutzt werden und die Vernetzung weiter vertiefen, aber die demokratische Partizipation könne nur durch die eigenständige Aktion und Formulierung von Alternativen vorangetrieben werden. Das Sozialforum von Porto Allegre sei hierfür ein erster Schritt gewesen, den es im nächsten Jahr auszubauen gelte.

Im Anschluß daran legten zwei Referenten der "Europäischen Föderalistischen Union" ihren Schwerpunkt auf die EU. Durchweg positiv schilderten sie die EU als Möglichkeit, der "schrankenlosen Globalisierung" ohne Regeln entgegenzutreten. Ihrer Ansicht nach wäre es im europäischen Rahmen möglich, das Primat der Politik über die Ökonomie zu verwirklichen. Zusätzlich stellten beide Referenten die EU und die über den Prozeß der europäischen Integration kodifizierten sozialen Rechte als positiven Gegenpart der primär durch Amerika getriebenen Globalisierung entgegen. Die Aussagen waren geprägt durch das Bild von einer Globalisierung, welches sich in Deutschland in der häufig verkürzten und falschen Darstellung eines "Rheinischen Kapitalismus" niederschlägt, der einem entfesselten "Angelsächsischen Kapitalismus" gegenüber stehe. Diese Positionen wurden in den beiden Referaten nunmehr auf die global Ebene transformiert und auf die EU projiziert.

Die anschließenden Referate relativierten diese überschwenglichen Aussagen zur EU hinsichtlich der sozialen Rechte und der demokratischen Partizipation und es wurden auf unterschiedlichen Ebenen das demokratische Defizit innerhalb der Nationen Europas als auch in den europäischen Institutionen dargestellt. Auf unterschiedlichen Ebenen müsse hier den herrschenden Verhältnissen entgegengetreten werden, wobei es hier nicht nur um kosmetische Reformen ginge. Überall dort, wo klare ökonomische Entscheidungen anstünden, würde man sehen, inwieweit die Einflußnahme der "Zivilgesellschaft" tatsächlich gewünscht wird.

Der Referent aus Irland (Globalise Resistance) stellte die ablehnende Haltung der irischen Bevölkerung im Referendum über die Verträge von Nizza in den Kontext der zunehmenden antidemokratischen Vorgehensweise im europäischen Integrationsprozeß selbst. Alle Parteien von rechts bis links und alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen hatten im Vorfeld des Referendums ihre positive Haltung gegenüber dem Vertragswerk bekundet. Die politische Auseinandersetzung um den Vertrag wurde lediglich von einigen kleineren Gruppierungen und Parteien auf die Tagesordnung gesetzt. Ein Problem dabei war, dass auch die christliche Rechte und rechtsextreme Gruppen den Vertrag ablehnten und Positionen bezogen. Nach dem "Scheitern" des Referendums, bei dem die Mehrheit der Bevölkerung mit Nein stimmte, interpretierte das politische Establishment sowohl in Irland als auch im Rest der EU wie folgt: Erstens überwogen xenophobische Motivationen (Osterweiterung) in der Bevölkerung. Zweitens sei die irische Bevölkerung undankbar für die Leistungen, die sie durch die EU in der Vergangenheit erhalten hatten. Drittens würden sie den gesamten Prozeß der europäischen Integration nicht verstehen und die dahinter liegenden Chancen und Möglichkeiten nicht sehen.

Es zeigte sich das alte Reaktionsmuster, wenn sich die Kritik am Neoliberalismus, sei er auf globaler, regionaler oder nationaler Ebene konkret artikuliert und politische Positionen, die als allgemeinverbindlich gelten, abgelehnt werden. Die Masse sei dumm und undankbar, so daß erneut ein Referendum abgehalten wird. Hier zeige sich der wahre demokratische Gehalt der Partizipation. Er erschöpft sich in formalen Akten, wenn er durch die Verfassung (hier Referendum) vorgeschrieben wird. Der Referent wies darauf hin, daß die politischen Diskussionen in Irland trotz Mobilisierung der christlichen Rechte davon geprägt war, dass den Menschen sehr wohl die ökonomische und soziale Desintegration bewußt war, die durch den Prozeß der europäischen Integration befördert wird. Auch der ständige Hinweis auf die wirtschaftliche Dynamik des "keltischen Tigers" konnte nicht die zunehmende soziale und ökonomische Polarisation in Irland selbst verdecken. Neben diesen Aspekten zählte die zunehmende Militarisierung der EU zu den Hauptgründen der Ablehnung des Vertrages von Nizza. Der europäische Neoliberalismus sei zunehmend davon geprägt, das primär ökonomischen Projekt militärische abzusichern. Es ginge auch kein Weg daran vorbei, wenn man die politische Alternative lediglich an einem Systemwettbewerb mit dem "angelsächsischen Kapitalismus" festmache.

 

Auf der zeitlich kurzen Veranstaltung wurden von den Referentinnen aus den sogenannten Entwicklungsländern der Schwerpunkt auf die von den Industrieländern "finanzierten" Projekte und der Strategie der Exportorientierung der heimischen Gesellschaften anhand der "ökologischen und sozialen" Kosten gelegt. Zunächst schilderte die Referentin aus Indonesien eindrucksvoll den "Abbau" der tropischen Wälder in ihrer Heimat, der erst durch die Verbindung von lokalen Unternehmen, transnationalen Konzernen und nationaler Politik möglich wird. Zwischen legalen und illegalen Praktiken werden die natürlichen Ressourcen Indonesiens vernichtet, dessen Nutzung durch die lokale Bevölkerung im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung zunehmend unmöglich gemacht wird. Welche monetären Schäden sich durch diesen Raubbau (Erosion, Verkarstung, Überschwemmungen etc.) ergeben, lässt sich nicht quantifizieren. Im Grunde seien diese Schäden jedoch eine ökologische Schuld der reichen Länder gegenüber den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Die Referentin aus der Kampagne gegen die Staudammprojekte stellte diese ökologischen und sozialen Kosten anhand der Staudämme in den letzten Jahrzehnten präzise dar. Keines der vor allem durch die Weltbank geförderten und durch nationale Regierungen und Entwicklungsagenturen kofinanzierte Projekte, hätte für die Länder den versprochenen ökonomischen Nutzen gebracht. Das Problem der mangelnden Energieversorgung sei nicht behoben und zusätzlich ergaben sich weitere Probleme durch die millionenfache Umsiedlung der Bevölkerung, der Zerstörung von ökologischen und sozialen Systemen und der steigenden Belastung der nationalen Haushalten, da der Schuldendienst für den Bau der Staudämme und die laufenden Investitionen wuchsen und bedient werden müssen. Jenseits von ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkülen seien die Projekte in der Vergangenheit gegen den massiven Widerstand der einheimischen Bevölkerung durchgesetzt worden. Erst seit einigen Jahren gäbe es eine kritischere Evaluation der Projekte seitens der Weltbank, die zunehmend Abstand von diesen Großprojekten nimmt.

Die italienische Referentin aus der Kampagne gegen die Exportkreditagenturen wies hier auf die zentrale Struktur der Exportkreditvergabe hin und zeichnete detailliert nach, wie häufig erst durch die staatliche Garantie der Gelder, die Konzerne "unsinnige" Projekte umsetzen. Über den Schuldendienst würden dann dringend notwendige finanzielle Ressourcen aus den Entwicklungs- und Schwellenländern abgezogen. Die Exportkreditagenturen dienten häufig lediglich als Subventionierung der Exporte aus den Industrieländern. Praktiken die den Entwicklungs- und Schwellenländern einerseits durch die fehlenden finanziellen Mittel nicht möglich sind und andererseits von den Industrieländern in anderer Zusammenhängen als Dumping (siehe Schiffbaukonflikt Korea versus EU) angeprangert werden. In diesem Kontext sei dringend eine kritische Überprüfung der häufig intransparenten Entscheidungen und Mittelvergabe der Exportkreditagenturen geboten, wobei hier in einem ersten Schritt eine Vereinheitlichung der Standards (ökologische und soziale Kriterien) notwendig wäre. Dieser Punkt sollte beim offiziellen G8 Treffen auch erörtert werden, wurde aber im Vorfeld aufgrund von internen Konflikten zwischen den einzelnen Regierungen von der Tagesordnung genommen. Somit rückt die bereits sowieso schon unzulängliche Reform für diesen Bereich erneut in weite Ferne.

 

3. Fazit

Die Diskussionen auf dem GSF bewegten sich auf unterschiedlichen Ebenen und teilweise durchaus auf hohem intellektuellen Niveau. Wie so häufig war die Übersetzung ein zentrales Problem, zumal die Zusagen durch öffentliche Stellen hinsichtlich der Bereitstellung technischer Mittel etc. ein Tag vor der Veranstaltung zurückgezogen wurde. Trotz der dadurch häufig langwierigen Übersetzungen folgten die TeilnehmerInnen den Diskussionen äußerst konzentriert. Am ersten Tag traf man eher den "harten" Kern der Bewegung, der bereits einige Tage vorher eingetroffen war. Ab Dienstag strömten zunehmend interessierte in die Foren, die ihren Charakter der Aufklärung zu zentralen Fragen der Globalisierung und Präsentation unterschiedlicher Positionen erfüllten. In dieser Hinsicht erreichte das GSF das Ziel, in der italienischen Öffentlichkeit und den Medien einen "Gegendiskurs" zu etablieren. Auch die Zusammenarbeit der mehr als 700 Gruppen war durch Respekt und den Wunsch nach engerer Koordination geprägt. Die Bewegung scheint nunmehr in eine neue Phase einzutreten. Die Kontakte werden enger, die Dynamik nimmt zu und weitere Gruppen werden integriert. Ein zentraler Punkt wird sein, inwieweit die Beschäftigten, sei es über die traditionellen Gewerkschaften oder anderen Gruppierungen, eingebunden und welche gemeinsamen Positionen und Kampagnen erarbeitet werden können.


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