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Prof. Dr. Bodo Zeuner, Univ.-Prof. am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin
Burgherrenster. 3, 12101 Berlin

Stellungnahme zum Staatsterrorismus beim Genueser Gipfel

Ich bin der Vater von Katharina Zeuner, die am Morgen des 22. Juli 01 in der Schule Armando Diaz Opfer eines geplanten und brutalen Polizeiüberfalls auf friedliche und schlafende ProtestiererInnen gegen den Genueser Weltwirtschaftsgipfel wurde. Ich habe bis heute, Mittwoch, keinen Kontakt zu ihr bekommen, und ich hoffe, dass sie – entsprechend den Prognosen des Mailänder Konsulats der BRD – bald freigelassen wird.

Zugleich bin ich Professor für Politikwissenschaft und ein politisch engagierter Mensch.

Ich habe gestern bei der Pressekonferenz des Berliner Ermittlungsausschusses in beiden Rollen Stellung genommen, und bin gebeten worden, meine mündliche und spontane politische Stellungnahme nachträglich aufzuzeichnen. Das tue ich gerne:

Ich lese – zufällig – in diesen Tagen Sebastian Haffners Frühwerk "Geschichte eines Deutschen". Darin wird besonders eindringlich beschrieben, wie sich im März 1933 bei fast unverändertem Alltag die Koordinaten des Privatlebens durch die Umwandlung des preußisch-deutschen Staats in eine antihumane Terrororganisation verändert haben. Es wird auch der mangelnde Widerstand der deutschen Bevölkerungsmehrheit und ihrer Führungsgruppen aus Parteien und Gewerkschaften gegen diese Umwandlung beschrieben.

Ohne die gegenwärtige Situation mit 1933 gleichsetzen zu wollen, was selbstverständlich unhistorischer Unfug wäre, scheint mir eine Gemeinsamkeit festhaltenswert: Es kommt darauf an, der Umwandlung des dem Recht und der Demokratie verpflichteten Staatsapparats in einen Terrorapparat der Herrschenden entgegenzutreten.

Wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt. Wer den Überfall auf die Diaz-Schule in Genua als irgendwie entschuldbar durchgehen lässt, leistet Beihilfe zu einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft. Der italienische Innenminister Scajola hat erklärt: "Die Sicherheitskräfte verhielten sich mit beispielhafter Würde und können nicht dem Spott preisgegeben werden." Dies ist exakt die Sprache von Hitler und Göring aus dem Jahr 1933. Wenn Herr Scajola nicht abgelöst wird, wenn diese Denkweise sich durchsetzt, sind wir – in Italien und in Europa insgesamt – auf dem Weg in eine andere Republik.

Neben der Parallele zu 1933 sehe ich eine andere, im Ergebnis tröstlichere, die zum Sommer 1967 in Deutschland u d insbesondere in West-Berlin. Ein wildgewordener Polizist namens Kurras erschoss am 2. Juni 1967 beim von Demonstrationen begleiteten Schah-Staatsbesuch den friedlichen Demonstranten Benno Ohnesorg. Der West-Berliner Staatsapparat unter dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz stellte sich damals sofort und reflexartig voll hinter die Polizei einschließlich des tötenden Polizisten Kurras, Herr Albertz rief die Berliner auf, sich gegen den "Terror" der demonstrierenden Studenten zu wehren. Der Polizeipräsident Dünsing rechtfertigte seinen brutalen, Hunderte von Verletzten produzierenden Knüppeleinsatz gegen Anti-Schah-Demonstranten vor der Deutschen Oper Berlin mit dem "Leberwurst-Prinzip": Man müsse in die Mitte hineinstechen, damit es am Ende herausquillt. – Ein paar Wochen später waren Dünsing und Albertz nicht mehr im Amt, und Albertz sagte noch Etwas später, er sei nie so schwach gewesen wie an dem Tag, an dem er sich hinter seine Prügelpolizei gestellt habe.

Wie kam dieser Wandel? Durch beharrliche Demonstration gegen Staatsterror, durch mutiges Eintreten ganz vieler Menschen, vor allem StudentInnen, auf der Straße und in den Medien für Menschenrechte, durch beharrliche Untersuchungen eines - schon damals bestehenden! – Ermittlungsausschusses gegen Übergriffe der Polizei, durch massenhafte Aufklärung gegen die damals herrschende Mediengewalt (vor allem "Springer-Presse).

Auch wenn wir wissen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, können wir aus ihr lernen. Es gibt Dinge, die gleich bleiben und es gibt Neues. Gleich geblieben ist die Unmenschlichkeit von absoluter Herrschaft und eines entfesselten Kapitalismus. Gleich geblieben ist zum Glück auch die Fähigkeit der Menschen auf der ganzen Welt, sich gegen diese Unmenschlichkeit zu wehren. Neu ist unsere Chance, uns über internet zuzammenzutun. Neu ist, dass wir es nicht mehr mit einem deutschen, sondern mit einem italienischen, ja einem europäischen und tendenziell weltweiten Problem einer wild gewordenen Staatsgewalt zu tun haben. Neu und ermutigend ist, dass der Widerstand gegen globalisierte Ungleichheit und Ungerechtigkeit selber international geworden ist.

Der antidemokratische und bürgerfeindliche Staatsapparat des Berlusconi (und seiner Brüder im Geiste wie Schröder, Schily, Bush, Blair u.a.) ist nicht so leicht zu konterkarieren und zu deligitimieren wie der des Heinrich Albertz in West-Berlin 1967/68 (obwohl auch das uns damals viel Mühe kostete). Aber es lohnt sich, und es ist nicht chancenlos: Italien muss wieder ein Rechtsstaat werden. Und: Weder in Italien noch anderswo darf der Staatsapparat einfach so machen, was die gerade Herrschenden wollen. Und: Ohne eine demokratisch-rechtsstaatliche Regulierung des weltweiten Kapitalismus geht die Menschheit zu Grunde. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Treffen von Politikern. Aber diese Politiker müssen demokratische Politik machen und sich gegenüber dem wildgewordenen Kapital durchzusetzen versuchen.

P.S. Ich finde, dass seitens der in Genua angetretenen Gegner dieses Weltwirtschaftsgipfels zu wenig Kritik an dem ihnen aufgedrückten Etikett "Globalisierungsgegner" geübt worden ist. Meine Tochter z.B. hat im letzten Jahr viel Zeit in Mexiko, Kuba und USA verbracht; für September hat sie ein Austauschprogramm mit Studentinnen aus Sibirien mit organisiert. Globaler geht’s doch kaum. Wogegen sie eintritt – und ich auch eintrete – , ist die spezifische, kapitalistische, die Konkurrenz intensivierende, die Verelendung der Verlierergruppen und die Spaltung von Gesellschaften verschärfende Form der "Globalisierung". Wie wäre es also, wenn die Presse statt von "Globalisierungsgegnern" einfach von "Internationalisten" sprechen würde?


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