letzte Änderung am 27. Oktober 2003 | |
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Gürtel enger schnallen ist jetzt angesagt - und nicht nur für die reformgeplagte französische Bevölkerung und die abhängig Beschäfigten. Auch das Europäische Sozialforum (ESF), das vom 12. bis 15. November dieses Jahres in Paris und drei Vorstädten der französischen Capitale - Bobigny, Saint-Denis und Ivry - stattfinden wird, muss sparen. Die Haushalte, aus denen Reise- und Unterbringungskosten für Referenten aus dem europäischen Ausland sowie Übersetzerhonorare beglichen werden, mussten in den letzten Wochen schmerzhaft reduziert werden. Der Grund liegt in einer Kehrtwende der Konservativen im Regionalparlament der Ile-de-France, die den Großraum Paris umfasst. Wider Erwarten stimmten sie am 2. Oktober zusammen mit den beiden rechtsextremen Fraktionen von FN (Front National) und MNR (Mouvement national républicain) ab. Zwar lehnten sie am Anfang einen Antrag des MNR-Parlamentariers Jean-Yves Le Gallou ab, der eine explizite Verurteilung des Sozialforums als eines Unternehmens "der anarcho-trotzkistischen Subversion" verlangte. Doch wenige Minuten später ließ dann ein verschämtes Stimmbündnis der konservativen UMP und der rechtsextremen Fraktionen den vorgeschlagenen Zuschuss in Höhe von 300.000 Euro scheitern. Ursprünglich hatten sowohl die politischen Vertreter der Stadt Paris, die von Sozialdemokraten und Grünen regiert wird, als auch jene der (sozialistisch regierten) Hauptstadtregion Ile-deFrance und der französischen Zentralregierung Subventionen für die Infrastruktur des ESF in Aussicht gestellt. Denn erstens fördert ein Großereignis wie das Sozialforum die Ausstrahlung von Paris als internationale Kongress- und Touristenstadt. Zweitens aber geht es auch darum, soziale Protestpotenziale einzubinden; ähnlich wird auch gegenüber anderen Initiativen im Sozialbereich verfahren. Nach einem mühsam erreichten Abkommen mit dem Amt des Premierministers hatte die konservative Zentralregierung auch die Zustimmung ihrer Parteifreunde im Pariser Regionalparlament zugesichert. Doch dann kam es anders. Da die nächsten Regionalwahlen im März kommenden Jahres überall in Frankreich näher rücken, spüren die Konservativen bereits den Druck der erneut erstarkenden extremen Rechten im Nacken.
Doch entgegen der rechtsaußen vorherrschenden Ansicht werden sich beileibe nicht nur Freunde der Subversion beim ESF tummeln. Einigen der Mitveranstalter dürfte eine solche Idee gar ein ausgesprochenes Gräuel darstellen. Tatsächlich tobt seit Monaten ein heftiger Streit um Ausrichtung und Profil der Veranstaltung. Während einige der Protagonisten auf ein Zusammentreffen unterschiedlicher sozialer Bewegungen hoffen, aus denen ein gesellschaftliches Unruhe- und Veränderungspotenzial erwachsen soll, würden andere nur zu gern die Energien in wohlgeordnete Bahnen gelenkt, kontrolliert und kanalisiert wissen. Denn den Vertretrern des staatstragenden Flügels der altermondialisation (alternative Globalisierung) - dieser Begriff hat in Frankreich jenen der "Globalisierungsgegnerschaft" abgelöst, um den internationalistischen Anspruch zu betonen - geht es darum, das ESF zu nutzen, um sich gegenüber den großen etablierten Linksparteien in Stellung zu bringen. Die Europaparlamentswahlen im Juni nächsten Jahres werfen ihre Schatten voraus.
Einigen Mitgliedern in der Führung von Attac Frankreich geht es darum, ihre Organisation vorab als eine Art Think Tank anzubieten, die zum intellektuellen Wiederaufbau von Sozialdemokratie, KP und Grünen - die bis vor anderthalb Jahren zusammen in der Regierung saßen - beitragen soll. Das soll sich konkret in Listenplätzen bei den Europawahlen niederschlagen, die wiederum als Projektionsfläche für eine "Umorientierung des europäischen Projekts" hin zu einem positiven Gegenmodell zu den USA dienen sollen. So haben einige, die bisher eher EU-Skeptiker waren und denen die Union als Instrument des Neoliberalismus galt, ihren Frieden mit dem EU-Projekt gemacht. Zu ihnen gehört Bernard Cassen, Präsident von Attac Frankreich von der Gründung 1998 bis Ende 2002. Er erklärte jüngst in der Wochenzeitschrift Marianne (vom 13. Oktober), die unteren Ränge der Gesellschaft - Arbeiter, Erwerbslose, Prekäre - hätten derzeit keine Vertretung, und es gebe derzeit auch "kein Rezept" dafür. Wenn es aber eines gebe, setzte er hinzu, dann "gehört es eher in den Bereich der Politik als in jenen der sozialen Bewegungen", welch letztere sich nicht zu Vertretern der schweigenden Mehrheit der sozialen Unterschichten aufzuschwingen hätten. Dem rechten Flügel von Attac, der - wie Cassen - dem linksnationalistischen früheren Innenminister Jean-Pierre Chevènement oder der Sozialdemokratie nahe steht, wäre es am liebsten gewesen, aus dem ESF eine Art wissenschaftliches Kolloquium zu machen. In gelehrsamer und ruhiger Atmosphäre hätte eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen kommen sollen. Doch auf den internationalen Vorbereitungstreffen kamen sie damit nicht durch.
Der Erfolg der altermondialisation-Kundgebung auf dem südfranzösischen Larzac-Plateau im August, zu dem an die 300.000 Menschen kamen, hat ihr Vorhaben endgültig gekippt. Daher werden auf dem ESF die unterschiedlichen Konzeptionen zweifellos aufeinander treffen. Eine abschließende Klärung wird dort wohl nicht erfolgen, wohl aber versuchen beide Seiten, Punkte zu sammeln.
Inhaltliche Klärungen wären indes wünschenswert, was einen weiteren Streit im Vorfeld des Sozialforums betrifft. Anfang Oktober schlug der Streit um die Avancen des in Lyon ansässigen Schweizers ägyptischer Herkunft, Tariq Ramadan, hohe Wellen. Tariq Ramadan wird mitunter mit seinem Bruder Hani Ramadan verwechselt - einem fundamentalistischen Hardliner, der im September vorigen Jahres in Le Monde die Steinigung ehebrüchiger Frauen rechtfertigte und deswegen aus seinem Lehreramt in Genf hinaus flog. Tatsächlich steht Tariq Ramadan, der in Frankreich die Vereinigung Présence musulmane anführt, für ein anderes politsches Profil, was aber auch strategischen Gründen geschuldet sein kann.
Das Publikum von Tariq Ramadan ist jener Großteil der Jugendlichen migrantischer Herkunft, die zwar den Islam als vage kulturelle Referenz und Selbstzuschreibung - gegenüber der Mehrheitsbevölkerung - beibehalten haben, aber keinerlei religiöse Praxis betreiben. Viele von ihnen fühlen sich, gerade angesichts ihrer gesellschaftlichen Benachteiligung, von der Linken oder der altermondialisation angezogen. Diesen Teil der aus muslimischen Ländern stammenden Einwanderungsbevölkerung zurück an das Gesetz des Islam zu führen, das ist das politische Projekt von Tariq Ramadan. Von den europäischen, nicht-migrantischen Intellektuellen und Linken will er dabei lediglich respektiert werden - was ihn interessiert, ist die Herstellung ideologischer Hegemonie über seine "eigene" Community, von der er freilich noch weit entfernt ist. Deswegen auch mischt er seinen Diskurs häufig mit linken, kapitalismuskritischen Versatzstücken, und benennt sein politisches Projekt als "den Islam innerhalb der Republik".
Da das ESF eine offene Struktur aufweist, klinkte sich auch Tariq Ramadan in Vorbereitungstreffen ein. Dabei sorgte er für Furore mit einem Text, dessen Formulierung eher soft gehalten ist, der aber eine kommunitaristische Frontstellung schaffen soll. In ihm beklagt er, namhafte französische jüdische Intellektuelle seien in ihren Stellungnahmen bezüglich Israels und der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten nicht von universellen Prinzipien, sondern von einer kommunitaristischen Herangehensweise in Bezug auf Israel geleitet. Dabei bildet sein Text kein offenkundiges Hetzpamphlet gegen die jüdische Bevölkerung: Tariq Ramadan schreibt auch, muslimische Intellektuelle hätten universelle Werte zu akzptieren und "den Terrorismus, den Antisemitismus und diktatorische Regime wie in Saudi-Arabien und in Pakistan" zu verurteilen, was nicht gerade ein typisch islamistisches Statement darstellt.
Im Gegenzug fordert Ramadan jüdische Intellektuelle auf, sich gleichermaßen auf einen kritischen Standpunkt gegenüber Israel zu stellen. Dabei mag es für einige der Genannten, wie den ziemlich rechtslastigen Alain Finkielkraut - der seit seinem Bruch mit der Linken bevorzugt gegen den Antifaschismus als "kommunistische Gut-Böse-Ideologie" zu Felde zieht - durchaus zutreffen, dass sie auf tendenziell kommunitaristische Weise reagieren. Bei anderen, die Ramadan nennt, ist diese Aussage weit zweifelhafter, oder ihre Positionen zur israelischen Militärpolitik erklären sich aus allgemeinen Einstellungen. Etwa aus der generellen Zustimmung von Bernard-Henri Lévy zu westlichen Militäroperationen als "zivilisatorischem" Werk, wie er sie seit 1993 lautstark gegen Serbien forderte. Bezeichnenderweise begrüßt Ramadan letztere Position allerdings ausdrücklich, da sie den bosnischen Muslimen gedient habe. Einen besonderen Fauxpas leistet sich Ramadan, wenn er den Nichtjuden Pierre-André Taguieff flugs als "jüdischen Intellektuellen" kategorisiert. Insgesamt stellt Ramadans Text keinen offenen Hetzaufruf dar, da er im Ton einer "Verständigung von einer Community zur anderen" gehalten ist. Sein Zweck aber ist es offenkundig, kommunitaristische Grenzen zwischen Bevölkerungsgruppen zu ziehen, die durch religiöse Herkunft definiert werden und als geschlossene Blöcke erscheinen sollen. Damit sucht er sich vor allem zum legitimen Sprecher der "eigenen" Community aufzuschwingen.
Harsche Attacken gegen Ramadan führte in den letzten Wochen zunächst SOS Racisme vor, freilich nicht aus uneigennützigen intellektuellen Gründen. SOS Racisme, die Mitte der 80er Jahre mit Staatsgeldern unter Kontrolle von Präsident François Mitterrand aufgebaut wurde und heute eine unverhüllte Vorfeldorganisation der Sozialdemokratie bildet, beansprucht ihrerseits eine Hegemenierolle als vorgeblich legitme Vertretung der migrantischen Bevölkerung. In ihr ist SOS Racisme freilich reilich diskreditiert.
Am Donnerstag voriger Woche legten einige sozialdemokratische Politiker, unter ihnen SOS-Mitbegründer Julien Dray, nach. Im sozialliberalen Nouvel Observateur klagten sie Ramadan eines "Verbrechens gegen die Republik" an, wobei sie sich im Ton reichlich vergriffen ("So sprechen Faschisten"). Diese Frontstellung aber hat dazu geführt, dass Ramadan gerade von vielen Linken, und gerade auch politisch aktiven linken Juden wie Pierre Khalfa (von SUD), zumindest tendenziell verteidigt wurde. Auch wenn zugleich bekundet wurde, dass kommunitaritische Bestrebungen störend seien. Ihr Bestreben ist auch von dem Bestreben geleitet, nicht die migrantische Bevölkerung und ihre Jugend ausgrenzen zu wollen (und da man sich auch erhofft, die Bewohner der Trabantenstädte und Einwandererbezirke so an den ESF-Debatten zu interessieren) - wobei es allerdings sinnvoll wäre, zwischen den softcore-islamistischen Kadern und ihrem Publikum und den Kadern zu unterscheiden. Mit einer Fortsetzung des Streits auf dem ESF ist zu rechnen.
Bernhard Schmid (Paris)
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