MIGA - Versichern gegen Revolutionen und Kriege

Gabriele Weber*

 

Mitte Juli wurde das Geschäft besiegelt. Endlich konnte das neue Bergwerk Antamina in der peruanischen Anden-Kordillere gegen politische Risiken versichert werden. Von einem wirksamen Schutz gegen politisch motivierte Plagen wie Abwertung, Enteignung, Krieg und Devisenkontrolle hatten die kanadischen Kapitalgeber ihre Investition abhängig gemacht.

Denn an Gefahren mangelt es an jenem Ort der Welt nicht. Das südamerikanische Land war noch bis vor kurzem von einem blutigen Bürgerkrieg heimgesucht. Allein auf das Konto der maoistischen Guerilla-Truppe "Sendero Luminoso" gehen 30.000 Tote, sechshundert tausend aus ihrer Heimat vertriebene Bauern und ein Sachschaden in Höhe der gesamten Auslandsschulden. Neben dem "Leuchtenden Pfad" war die Bewegung Tupac Amaru aktiv, die mit der Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters im Dezember 1996 in die internationalen Schlagzeilen geraten war. Damals explodierten an allen Ecken Bomben, Peru galt als Inbegriff des totalen Chaos.

Die Manager der multinationalen Konzerne verließen Lima, nicht nur aus Furcht vor Terroristen. Als ihren größten Feind betrachteten sie den Staatspräsidenten Alan Garcia, einen Sozialdemokraten und Bewunderer und Freund von Willy Brandt. Garcia gelangte während seiner Amtszeit zu der Überzeugung, daß soziale Reformen unmöglich seien, solange die in Land erarbeiteten Gewinne auf ausländische Konten überwiesen und damit der peruanischen Volkswirtschaft entzogen wurden. Um die Kapitalflucht zu erschweren, ließ der Sozialdemokrat Geldüberweisungen ins Ausland kontrollieren. Und er kündigte an, nur noch zehn Prozent des Exporterlöses für den Schuldendienst zu verwenden. Die Finanzwelt war empört, der Internationale Währungsfond erklärte Peru für "kreditunwürdig" und schnitt es von allen Kapitalströmen ab. Wer damals dort auch nur einen Franken anlegte, wurde für verrückt erklärt.

Kanadische Unternehmen wollten es trotzdem versuchen, denn im Altiplano locken unter einem Bergsee auf 4300 Meter Höhe riesige Kupfer- und Zinkvorkommen. Die Firmen Rio Algom Limited, Noranda Incorporation und Teck Corporation sowie die Banken unter der Federführung der Citibank suchten nach Mitteln und Wegen, wie die Investition von 2,26 Milliarden Dollar abzusichern sei. Zwar hat sich die innenpolitische Situation nach der Verhaftung der Guerillaführer beruhigt, aber auch ohne politische Führung ist in Peru Gewalt an der Tagesordnung. Und welcher Präsident kommt nach dem unternehmer-freundlichen Alberto Fujimori. Noch einmal will sich "el chino" wiederwählen lassen. Doch die Erzreserven Antaminas werden mindestens zwanzig Jahre lang ausgebeutet werden, deshalb denken Investoren nicht in Größenordnungen von Legislaturperioden. Und angesichts der extremen Armut der Bevölkerung kann niemand ausschließen, daß ein Nationalist an die Regierung kommt und ausländischen Firmen Vorschriften macht.

Lange Zeit hatten die Konzerne gehofft, daß das MAI Realität wird, das Multilaterale Abkommen über Investitionssicherung im Rahmen der OECD. Mit diesem Vertragswerk sollte die weltweite Gleichbehandlung ausländischer und inländischer Unternehmen durchgesetzt und Einmischung in die Firmenpolitik verhindert werden. Als "Einmischung" galten auch neue Umweltgesetze und Steuern. Aber die Pläne für das MAI lösten einen Sturm der Empörung aus. Das Projekt sei ein "neues internationales kapitalistisches Manifest" - schimpften nicht nur die Gewerkschaften. Selbst die französische Regierung fürchtete, daß sich die Kino-Industrie Hollywoods auf das MAI berufen und in Paris die Gleichbehandlung mit den französischen Filmemachern einklagen könnte. Das MAI fand in Europa keine Mehrheit.

In aller Heimlichkeit wurde ein neues Projekt aus dem Hut gezaubert: MIGA: Multilateral Investment Guarantee Agency. Das Amt existiert bereits seit Ende der achtziger Jahre unter dem Dach der Weltbank als Versicherer gegen "politische Risiken" in Entwicklungsländern. Die ersten Jahre führte es ein Schattendasein, es verfügte über zuwenig Finanzmittel. Eine Kapitalaufstockung war notwendig, und heute gewährt es Deckung für Projekte mit einem Umfang von 30 Milliarden Dollar. In 66 Ländern der Dritten Welt werden privatisierte Staatsbetriebe, Bergwerke und private Pensionskassen vor politischen Gefahren geschützt.

Nach dem Scheitern des MAI soll MIGA jetzt personell und materiell ausgebaut werden, denn das Amt "durchläuft aufregende Veränderungen", so MIGA über sich selbst. Mitglieder von MIGA sind die Staaten, die an der Weltbank beteiligt sind, also weder Kuba noch Nordkorea. Die Industriesstaaten verfügen über eine bequeme Stimmenmehrheit im Verhältnis von sechzig zu vierzig Prozent. Von 100.000 Anteilen halten die USA 20.000, China dagegen nur 3130, soviel wie Luxemburg, Österreich, Dänemark und die Schweiz zusammen.

Für die Eidgenossen ist ihre Teilnahme ein erstklassiges Geschäft. Auf diese Weise sichern sie ihrer Versicherungswirtschaft ein ansehnliches Stück der lukrativen Torte. Denn MIGA gibt einen Teil des Risikos an die private Assekuranz weiter, etwa an die Zürich-America, die - zusammen mit der Weltbank - in Argentinien Öl- und Gasvorkommen gegen politisches Ungemach schützt.

Artikel 34 des MIGA-Statuts verbietet "politische Aktivitäten". Ziel des Amtes ist "die Förderung der ausländischen Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern und in den Schwellenländern". Das Amt haftet, wenn Gewinne nicht in konvertierbare Devisen getauscht und ausgeführt werden können, bei Enteignungen und ähnlichen Handlungen, bei Vertragsbruch und: im Falle eines Krieges und eines Bürgerkrieges.

Daß Haftung auch im Falle eines konventionellen Krieges übernommen wird, ist eine absolute Neuheit. Bisher gewährte die private Versicherungswelt allenfalls bei Bürgerkriegen oder bei Terrorismus Schutz. Doch mit militärischen Auseinandersetzungen muß verstärkt gerechnet werden - sei es mit Grenzkonflikten zwischen zwei Staaten - sei es mit Interventionen der NATO, zur Verteidigung der Menschenrechte oder zur Verteidigung von strategischen Rohstoffen, mit und ohne Erlaubnis des UN-Sicherheitsrates.

Nach Kosovo ist vieles möglich. Und da wäre es doch schade, wenn Investoren um ihr Kapital bangen müßten. Dass auch ihre Fabriken, Bohrtürme oder Bergwerke dabei zu Schaden kommen, kann niemand ausschließen. So zielgerecht, wie ihre Hersteller behaupten, sind die Raketen nicht abzuwerfen, und manchmal kommen auch veraltete Landkarten zum Einsatz.

Während das MAI daran gescheitert war, daß es für den Umgang mit Auslandsinvestitionen allgemein gültige Regeln entwerfen wollte, sichern MIGA und die Weltbank Investoren gegen Risiken nur auf der südlichen Halbkugel ab. Die deutsche Industrie braucht also nicht zu befürchten, daß japanische oder nordamerikanische Computerhersteller dieselben Fördermittel einfordern wie die heimischen; und Hollywood bleibt vor der Tür französischer cinémas.

Antamina wird die siebtgrößte Kupfermine und die drittgrößte Zinkmine der Welt sein, wenn ihre Produktion im Jahr 2002 losgehen wird. MIGA feierte es als einen großen Erfolg, daß es das Bergwerk gegen Enteignung, Kriege und Bürgerkriege versichern konnte - und gegen die Gefahr, daß eine künftige Regierung verbieten könnte, die Gewinne und die Schuldzahlungen in eine konvertierbare Währung zu tauschen und an das Mutterhaus in Kanada zu überweisen. Ob sich ein solches Verbot auf demokratische Mehrheiten und Gesetze stützt, ist unerheblich.

* Dieser Artikel ist erschienen in Weltwoche vom 2. September 1999