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27. Juni 2000

Die Vorsitzenden der fuenf ver.d-Gewerkschaften lehnen Riesters Rentenreform ab

 

Die fuenf Vorsitzenden der ver.di-Gewerkschaften - DAG, DPG, HBV, IG Medien und OeTV - haben sich gestern Abend in Frankfurt in einer gemeinsamen Erklaerung gegen das von der rot-gruenen Regierungskoalition auf Vorschlag von Bundesarbeitsminister Riester vorgelegte Rentenreformkonzept ausgesprochen. Zentraler Kritikpunkt der fuenf Gewerkschaftsvorsitzenden ist, dass damit die solidarische Alterssicherung mit Lohnersatzfunktion und paritaetischer Finanzierung in Deutschland beseitigt wird.

Nachstehend veroeffentlichen wir die Kritikpunkte der fuenf ver.di-Gewerkschaftsvorsitzenden an dem Rentenreformkonzept im Wortlaut:

1. Die paritaetische Finanzierung der Alterssicherung in Deutschland wird beseitigt. Ab 2008 sollen die Arbeitnehmer/innen ihre spaeteren Renten (bestehend aus einem umlagefinanzierten und einem kapitalgedeckten Teil) zusaetzlich zu ihrem haelftigen Rentenversicherungsbeitrag mit 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens finanzieren - allein! Sie tragen damit rund 40 Prozent mehr Beitragslast als die Arbeitgeber.

2. Die - bei 5,5 Prozent Verzinsung des zusaetzlichen Vorsorgebeitrages fuer die kapitalgedeckte Altersvorsorge - langfristig in Aussicht genommene Absenkung des (Netto-) Rentenniveaus auf 54 Prozent (Jahr 2050) fuer die Standardrente (45 Versicherungsjahre mit Durchschnittsverdienst) ist voellig indiskutabel. Fuer eine/n "Eckrentner/in" mit 40 Versicherungsjahren bedeutet dies ein Rentenniveau von 48 Prozent. In Bezug auf die reale Kaufkraft ist das Rentenniveau mindestens noch 2-Prozent-Punkte niedriger, da die Bruttoeinkommen der Beschaeftigten in der Zeit von 2001 bis 2008 durch den (fiktiven) Vorsorgebeitrag um bis zu 4 Prozent gesenkt werden und sich dadurch geringere Rentensteigerungen ergeben, ohne dass dies im (Netto-) Rentenniveau erkennbar wird. Eine entsprechende negative Wirkung fuer die reale Kaufkraft der Rente hat - zusaetzlich - die geplante neue Rentenformel.

3. Die geplante langfristige Absenkung des (Netto-) Rentenniveaus zerstoert die solidarische Alterssicherung und ihre Lohnersatzfunktion. Selbst langjaehrige Erwerbstaetige (40 Versicherungsjahre) mit regelmaessigem Durchschnittsverdienst koennen nur noch eine Rente in der Naehe des Sozialhilfeniveaus erwarten. Damit wuerde die beitragsfinanzierte gesetzliche Rentenversicherung ihre gesellschaftliche Akzeptanz und ihre sozialstaatliche Legitimation verlieren. Der Beitrag wuerde quasi zu einer Spezialsteuer fuer eine Teilgruppe der Gesellschaft, naemlich die Rentenversicherungspflichtigen. Dies ist politisch nicht haltbar.

4. Der "Ausgleichsfaktor" ist ein unsozialer permanenter Kuerzungsmechanismus der Rente. Er nimmt den Rentenversicherungs-Beitragszahlern bis zum Jahr 2050 rund 25 Prozent ihrer Rente. Besonders hart trifft er die sozial Schwachen, die trotz staatlicher Foerderung mangels Finanzkraft nicht sparen koennen.

5. Der "Ausgleichs(Kuerzungs-)faktor" macht die Hoehe der verbleibenden - gekuerzten - umlagefinanzierten Rente von der Entwicklung der - internationalen - Kapitalmaerkte, der speziellen Zinsentwicklung, den Verwaltungskosten der Finanzdienstleister u. ae. abhaengig. Dies ist sozialoekonomisch nicht hinnehmbar, weil den Menschen damit die Planbarkeit ihrer Alterssicherung gaenzlich genommen wird. Die entscheidende Begruendung fuer die Verstaerkung der Kapitaldeckung in der Alterssicherung ist der Risikomix; dieser wird jedoch aufgrund der Verbindung beider Finanzierungssysteme durch den "Ausgleichsfaktor" beseitigt.

6. Die neue "Rentenformel" ist in vielfacher Hinsicht politisch manipulierbar. Sie fuehrt nicht zurueck zu einer Verknuepfung der Rentenzahlbetraege mit der Entwicklung von verfuegbaren Erwerbseinkommen. Vielmehr wird die (Netto-)Lohnorientierung - auch und gerade mit negativen Auswirkungen fuer die gegenwaertigen Rentner/innen und rentennahen Jahrgaenge - weitgehend aufgegeben.

7. Junge Menschen und Frauen sind die groessten Verlierer/innen dieser "Reform", die eine "Deformierung" des Rentensystems bewirkt. Frauen trifft das "Modell" ueberproportional negativ, weil sie bei kapitalgedeckter Altersvorsorge im Hinblick auf die laengere Lebenserwartung stets geringere "Kapitalrenten" pro Monat erhalten oder ca. 20 Prozent hoehere Praemien zahlen muessen. Langfristig wird jede Witwe ohne eigenen Rentenanspruch oder sonstige Einkuenfte zum Sozialhilfefall. Die Einsparungen im Bereich der Hinterbliebenenrente werden jedoch nicht zum Aufbau entsprechender eigenstaendiger Rentenansprueche der Frau verwendet.

8. Dieses "Modell" ist voellig ungeeignet, die Renten und vor allem das Vertrauen in die Rentenversicherung zu sichern, es foerdert vielmehr die Unsicherheit.

9. Die betriebliche Altersvorsorge wird nicht gestaerkt.


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