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Wir lehnen die Pläne der Bundesregierung zur Rentenreform ab. Sie offenbaren die Absicht eines fundamentalen Bruchs mit der Sozialstaatlichkeit, eines Systemwechsels weg von der solidarischen Alterssicherung hin zur Privatisierung der Altersvorsorge. Den Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) drohen massive Verschlechterungen, besonders den heute Jungen. Dagegen sollen die Arbeitgeber schrittweise weiter aus ihrer Mitverantwortung für die Finanzierung der Rente entlassen werden, während ein gewaltiger neuer Kapitalmarkt zugunsten der privaten Finanz- und Versicherungswirtschaft geschaffen wird.
Diese Angriff von oben gegen die solidarische Rentenversicherung geht weit über alles hinaus, was die Kohl-Regierung bei der Rente angerichtet hat. Sie wird gegenwärtig nicht allein von der deutschen Bundesregierung vorangetrieben, sondern ebenso von der Europäischen Union. Die EU will mit einer "aktiven Altenpolitik" die Lebensarbeitszeit verlängern, die umlagefinanzierte Rentenversicherung zu einer "Basissicherung" schrumpfen und mit EU-weit koordinierten Pensionsfonds und Betriebsrentensystemen den integrierten Finanzmarkt im Euroraum beleben. Diese Weichenstellungen in Deutschland und Europa stehen im Zeichen einer post-sozialdemokratischen Politik des "Dritten Wegs" oder der "Neuen Mitte", über deren grundsätzliche Richtung jedoch weitgehend Konsens mit den konservativen und liberalen Parteien herrscht.
Den Regierungsplänen zufolge
Rot-Grün war angetreten mit dem Versprechen, Altersarmut zu verhindern. Das Gegenteil ist der Fall: die Altersarmut wird im Ergebnis der Reform erheblich zunehmen.
Die Absenkung des Rentenniveaus bringt schon die "Standardrente" (nach 45 Versicherungsjahren zu durchschnittlichem Einkommen) in die Nähe der Sozialhilfe. Tatsächlich erreichen aber schon heute nur sehr Wenige die "Standardrente". Für Menschen mit unterbrochenen Erwerbs- und Versicherungsverläufen und unterdurchschnittlichen Einkommen sinken die Sozialrenten weiter unter die Sozialhilfeschwelle. Der gleiche Personenkreis wird kaum in der Lage sein, durch dauerhafte Privatabsicherung (d.h. Vermögensbildung) die Ausfälle bei der sozialen Rente zu kompensieren. Massiv betroffen werden vor allem Frauen sein, für die der "Standardrentner" schon immer eine unerreichbare Fiktion blieb - zumal auch die Hinterbliebenenrenten zusätzlich um 5% gekürzt und ihre Bemessungsgrundlagen erheblich verschlechtert werden sollen. Besonders getroffen sind aber auch Menschen mit längeren Phasen der Erwerbslosigkeit, nachdem ihre Alterssicherung bereits mit Eichels Sparpaket 1999 drastisch verschlechtert wurde.
Rot-Grün hatte die Schaffung einer sozialen Grundsicherung gegen Altersarmut versprochen. Übriggeblieben ist lediglich, alten Menschen den Zugang zur Sozialhilfe zu erleichtern, indem auf die Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder verzichtet werden soll. Wer aber Sozialhilfe als "Schutz vor Armut" verkauft, ignoriert die Armut. Wer eine Absicherung auf Sozialhilfeniveau als "soziale Grundsicherung" verkauft, verkehrt dies sozialreformerische Projekt in sein Gegenteil. Denn damit wurde immer ein deutlich höheres Sicherungsniveau verbunden, das zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens in der Gemeinschaft, nicht nur für Alte, wieder ausreicht.
Die Rentenreform der Regierung führt dazu, dass viele RentnerInnen nicht mehr oder zumindest nicht viel mehr als das Sozialhilfeniveau erhalten. Daraus ergeben sich aber zwei weitere Probleme. Erstens besteht zwischen beiden faktisch ein Abstandsgebot. Das wird dazu führen, dass ein neuer Druck auf das Sozialhilfeniveau entsteht. Denn zwischen beiden besteht faktisch ein Abstandsgebot. Die Folge dürften über kurz oder lang neue Kürzungen bei der Sozialhilfe sein. Zweitens wird die Akzeptanz der Sozialversicherungen noch weiter verringert als das bisher schon der Fall ist (siehe die Diskussion um die angeblich zu hohen Sozialversicherungsbeiträge). GRV-Versicherte sollten sich unserer Meinung nach im Regelfall deutlich besser stehen als Sozialhilfeberechtigte.
Zur Begründung ihrer Reformpläne behauptet die Regierungskoalition immer wieder, dies sei der einzige Weg, um die Renten für die jüngeren Generationen trotz des Alterungsprozesses der Gesellschaft bezahlbar zu halten. Die demografische Veränderung, die um 2030 ihren Höhepunkt erreiche, gilt als die Hürde, an der das bisherige Rentensystem scheitern müsse.
Richtig ist: die GRV braucht künftig mehr Geld, um die Renten einer zunehmenden Altersbevölkerung zu finanzieren. Doch das ist kein "Generationenproblem", sondern ein Verteilungsproblem.
Das quantitative Verhältnis zwischen Jungen und Alten sagt alleine über die Finanzierbarkeit der sozialen Rente überhaupt nichts aus. Entscheidend ist, wie viel Mittel der GRV zufließen. Das hängt vor allem ab vom Beschäftigungsstand, von der Erwerbsbeteiligung, von der Entwicklung der Bruttoentgelte und von der Arbeitsproduktivität. Gäbe es die Massenerwerbslosigkeit nicht - und wäre die GRV nicht einseitig mit den hohen Folgekosten der deutschen Vereinigung belastet -, hätte sie längst enorme Rücklagen aufgebaut. Auch wenn 2030 wieder Vollbeschäftigung herrschen würde und die extreme verteilungspolitische Schieflage zwischen Kapital und Arbeit behoben wäre, gäbe es keine Finanzierungsprobleme.
Die Pläne der Bundesregierung bewirken indes das Gegenteil dessen, was sie vorgeben. Statt etwa die heute und zukünftig Jungen gegenüber der ansonsten zu erwartenden Entwicklung zu entlasten, werden gerade sie massiv belastet. 2030 sollen sie statt 12 bis13% GRV-Beitrag (ohne Reform) für eine annähernd gleiche Leistung 15% zahlen, während zugleich ihre eigene GRV-Rente ab 2011 immer mehr in den Keller geht.
Steigende GRV-Beiträge bei sinkenden Leistungen werden die Akzeptanz der GRV weiter untergraben. Darauf setzen die radikalliberalen Verfechter eines vollendeten Wechsels zur Privatabsicherung, die sich mittlerweile auch zu dem "System-Mix" aus gesetzlicher und privater Absicherung bekennen. Sie bauen darauf, dass die Privatabsicherung über den Kapitalmarkt vor allem für normal- und besserverdienende Männer zunehmend attraktiver erscheint als die GRV und den "Systemwettbewerb" schließlich gewinnt.
Es wird suggeriert, dass die Rente durch die Einbeziehung der kapitalgedeckten Privatvorsorge besser gegenüber den Herausforderungen der demografischen Veränderung gesichert sei. Doch auch die Verfechter des Systemwechsels müssen einräumen, dass dies nicht der Fall ist. Wenn schließlich weniger Junge in die Kapitalvorsorge einzahlen und mehr Alte ihre Kapitalfonds zur Alterssicherung auflösen, werden die Renditen sinken und das Kapital tendenziell entwertet. Ob die versprochenen höheren Renditen durch die Kapitaldeckung erreicht werden können, ist daher völlig unklar.
Frauen werden bei der Privatvorsorge diskriminiert. Selbst wenn per Gesetz verhindert werden sollte, dass Frauen aufgrund ihrer längeren Lebenserwartung als "schlechte Risiken" in der Privatversicherung höhere Beiträge zahlen müssen als Männer, wären ihre Renten nach dem Versicherungsprinzip geringer. Aus dem gleichen Grund sind Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrisiken nicht privat absicherbar. Wer auf EU-/BU-Rente angewiesen ist, bleibt auf den sinkenden GRV-Renten sitzen. Die Privatversicherung kennt außerdem kein Solidarprinzip, das Kindererziehungs- oder Pflegezeiten aufwertet. Hier zählt nur das Äquivalenzprinzip, also die eingezahlten Beiträge.
Die privaten Pensionsfonds sind allen Risiken und Wechselfällen der globalen Finanzmärkte ausgesetzt. Alle Angaben über zu erwartende Renditen der Kapitalvorsorge sind letztlich spekulativ und können nicht garantiert werden. Wird der Systemwechsel schließlich EU-weit vollzogen, blähen gigantische Summen den Finanzmarkt auf und vergrößern die Risiken eines Crashs, die sich etwa in der Asien-Krise schon deutlich zeigten.
Der vorgelegte Vorschlag zur Rentenreform ist noch schlechter als keine Rentenreform, sodass es besser wäre die Rentenreform in dieser Form nicht durchzuführen. Doch das System der solidarischen Alterssicherung ist reformbedürftig. Vor allem der Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung von Frauen ist ein drängendes Problem. Das für die meisten Versicherten tatsächlich erreichbare Rentenniveau ist längst zu niedrig, um als angemessene Alterssicherung gelten zu können. Die Sicherungslücken unsteter Erwerbsverläufe, prekärer Beschäftigungsformen und niedriger Einkommen insbesondere von Teilzeitbeschäftigten müssen geschlossen werden. Alle Menschen nicht nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte - werden alt und bedürfen der Alterssicherung. Und das Problem der Armut nicht nur im Alter! - muss gelöst werden. Der reale sozialstaatliche Reformbedarf weist jedoch eher in eine den rot-grünen Plänen entgegengesetzte Richtung.
Damit die solidarische GRV und die Sozialversicherung insgesamt wieder leistungs- und zukunftsfähig wird, braucht sie vor allem eines: mehr Geld. Damit gehört die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt der Reformdebatte. Nach dem sozialstaatlichen Grundsatz, dass die Starken die Lasten der Schwachen mit tragen, und nach dem Verfassungsgrundsatz von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums richtet sie sich vorrangig an die wirtschaftlich Starken: an Arbeitgeber und Vermögende.
Um der GRV und der Sozialversicherung kurzfristig die notwendigen Finanzierungsspielräume für erforderliche Leistungsverbesserungen und zur Vorsorge für die demografische Entwicklung zu erschließen, schlagen wir vor:
Mit dem Abbau von Arbeitsplätzen entzogen und entziehen sich Arbeitgeber zugleich ihrer Finanzierungsverantwortung für die Sozialversicherung. Im shareholder-Kapitalismus haben sich Wachstum und Beschäftigung entkoppelt. Die Sozialversicherung profitiert nicht mehr, wenn die Wirtschaft Kasse macht.
Deshalb schlagen wir die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe vor. Diese wird anteilig von der betrieblichen Wertschöpfung erhoben, die den im Unternehmen erwirtschafteten Wert (Umsatz minus Kosten) ausdrückt und ein Maß für die Wirtschaftskraft eines Unternehmens darstellt. Die Wertschöpfungsabgabe lässt der Sozialversicherung zusätzliche Mittel zufließen.
Damit zusätzliche, hohe Beiträge in der GRV nicht nachher zu entsprechend hohen Rentenleistungen führen, müssen die zusätzlich erreichbaren Renten begrenzt werden. Dies ist nicht ungerecht, weil Hochverdiener ohnehin zugleich Vermögensbildner sind. Solidarprinzip bricht Äquivalenzprinzip.
Es ist nicht einzusehen, warum die Beitragspflicht nur für Arbeitsentgelte gelten soll, während Einkommen Versicherter aus Vermögen zur Finanzierung der Solidarsysteme nichts beitragen.
Deindustrialisierung und hohe Erwerbslosigkeit in Ostdeutschland sind wesentlich Folge der Kohlschen Vereinigungspolitik. Deshalb haben die ostdeutschen Rentenversicherungsträger nur geringe Einnahmen. Andererseits haben sie aufgrund der guten Frauenerwerbsquote in der DDR, die nicht nur auf gering entlohnte Bereiche konzentriert war, hohe Rentenleistungen zu tragen. Das strukturelle Defizit der ostdeutschen Rentenversicherungsträger (1991-1999 112 Mrd. DM) wurde einseitig der GRV aufgebürdet und aus den laufenden Überschüssen und Rücklagen der westdeutschen Rentenversicherungsträger finanziert, obwohl es als vereinigungsbedingte Folgelast eher aus Steuermitteln finanziert werden müsste.
Deshalb schlagen wir vor, dass der Bund in Zusammenhang mit der Erhebung einer Aufbau-Ost-Abgabe auf Großvermögen in die Deckung der Defizite der GRV-Ost eintritt.
Im ersten Schritt sollen Selbstständige, Abgeordnete und Minister einbezogen werden. Die verfassungsrechtlichen Probleme bei der Einbeziehung der BeamtInnen sollen die Erweiterung nicht blockieren, müssen aber schließlich gelöst werden.
Mittel- und langfristig sollte die GRV zu einer Versicherung für die gesamte Wohnbevölkerung weiterentwickelt werden.
Die vorgenannten Reformen stärken die Finanzbasis der GRV und der Sozialversicherung erheblich. Damit können nicht nur die finanziellen Herausforderungen der demografischen Entwicklung bewältigt werden, sondern es entstehen Spielräume für notwendige und überfällige Leistungsverbesserungen.
Bisher basiert das Standardrentenniveau auf 45 Versicherungsjahren zu durchschnittlichen Einkommen. Für Frauen ist dies praktisch nie, für Männer immer weniger erreichbar. Vor allem durch eine Verkürzung der notwendigen Versicherungszeiten, wird die Standardrente der Lebenswirklichkeit wieder angenähert werden.
Das Konzept der Bundesregierung hält an dem Leitbild des dauerhaft erwerbstätigem männlichen männlichen Hauptverdiener fest. Für die Kindererziehung sind die Frauen zuständig. Im Alter sind sie dann von der Rente des Ehemanns abhängig und erhalten im Falle des Todes des Ehemanns eine Hinterbliebenenrente. Wir fordern hingegen den Aufbau einer eigenständigen Sicherung von Frauen, die eine Alterssicherung unabhängig von der des Mannes ermöglicht. Rentenanwartschaften, die in einer Partnerschaft erworben werden sollen gleichmäßig auf beide Partner aufgeteilt werden und verfallen dann auch nicht im Falle von Scheidung und Wiederheirat. Dies trägt dazu bei, die Hinterbliebenenversorgung langfristig überflüssig zu machen.
Wir wollen, dass Personen im Alter auch dann sozial abgesichert sind, wenn sie nicht dauerhaft (vollzeit-)erwerbstätig sind. Dazu ist es sinnvoll, die Versicherungslücken zu schließen. Die mit dem Sparpaket 1999 durchgesetzte drastische Kürzung der Beiträge, die die Bundesanstalt für Arbeit bei Erwerbslosigkeit zahlt, muss zurückgenommen werden. Die Anrechnung von Teilzeitarbeit ist zu verbessern. Zeiten der Kindererziehung (auch für Kinder, die vor 1992 geboren sind) und Pflege müssen voll angerechnet werden. Die Anrechnung von Aus- Weiterbildungszeiten ist zu verbessern.
Zum wirksamen Schutz vor Einkommensarmut - auch im Alter - fordern wir die Schaffung einer steuerfinanzierten, bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung. Damit das Versprechen des Sozialhilferechts ein menschenwürdiges Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen wieder eingelöst werden kann, muss das Sicherungsniveau deutlich höher als der heutigen Sozialhilfe sein. Um die bisherige "Mehrfachverwaltung" von Armut durch unterschiedliche Leistungsträger zu beenden und die verdeckte Armut zu verringern, wird für ältere Menschen der Rentenversicherungsträger zugleich Träger der Grundsicherung. GRV-Renten sollen nicht vollständig auf die Grundsicherung angerechnet werden.
In der Politik - und in Folge dessen in der veröffentlichten Meinung - erscheinen die Grundzüge der rot-grünen Rentenpläne kaum umstritten. Der Rentenkonsens mit der rechten Opposition, die nur noch an Detailfragen ums eigene Profil ringt, wird kommen. Dies verstärkt den Anpassungsdruck, dem die Führungen von Gewerkschaften und Sozialverbänden ausgesetzt sind.
Andererseits gibt es in der Bevölkerung, insbesondere in den Gewerkschaften, Sozialverbänden, in Frauen- und in Jugendorganisationen deutliche Unzufriedenheit und Empörung über die Regierungspläne. Die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) hat ein Alternativkonzept zur Diskussion gestellt, das in wesentlichen Punkten unseren Vorstellungen nahe kommt. Doch eine öffentliche Debatte über Alternativen, die in den Massenmedien Niederschlag findet, findet nicht statt. Auch sie kann erst durch Mobilisierungen eröffnet werden.
Wenn es ein Thema gibt, das heute in breite Bevölkerungsschichten hinein mobilisierungsfähig ist, dann ist es die Rente. Zwar ist auch die IG Metall in der Auseinandersetzung mit Schröder/Riester schon weit zurückgewichen, doch orientiert sie auf Mobilisierungen am 14. und 21. Oktober. In jedem Schritt der Mobilisierung, der Gegenöffentlichkeit der kritischen und solidarischen Kräfte, liegt eine Chance, die Kräfteverhältnisse gegenüber der Regierung zu verbessern. Deshalb unterstützt und ermutigt BasisGrün alle Bestrebungen, die zur Gegenwehr und Gegenöffentlichkeit aus solidarischer Perspektive beitragen.
Kontakt: Wolfgang Strengmann (Mitglied des SprecherInnenrates)
Tel. (069) 798-22671
mail: Strengmann@BasisGruen.de
BasisGrün ist
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