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Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften
März 2001

Rentenreform:
Gewerkschaftliche Aktionen waren wichtig, aber Kompromiss ist nicht tragbar

 

Zehntausende haben sich seit November letzten Jahres zu Protestversammlungen in den Betrieben und zu Kundgebungen in der Öffentlichkeit versammelt. Trotz der Regierungspropaganda, trotz der Vernebelungen durch die Medien und trotz der voreiligen Absegnung der Riesterpläne durch den DGB-Vorsitzenden und andere. Entgegen der Darstellung von DGB und IGM wurden den Rentenplänen der Regierung an keiner einzigen wichtigen Stelle die "Giftzähne gezogen".

Im Unterschied zu den ersten Plänen der Bundesregierung wird das Kürzungsvolumen lediglich auf alle Jahrgänge gleichmäßiger verteilt als ursprünglich geplant. Entgegen den eindeutig irreführenden Darstellungen von IGM und DGB liegt das künftige Rentenniveau nach 45 Versicherungsjahren nicht bei 67% des durchschnittlichen ArbeitnehmerInneneinkommens, sondern im Zukunft zwischen 63 und 64%. Gehen wir von dem Rentenniveau vor der großen Rentenreform (ca. 70%) aus, entspricht dies einer Rentenkürzung von gut 10%! Trotzdem waren die Aktionen richtig und wichtig, weil sie der rot-grünen Regierung deutlich gemacht haben, dass es noch eine sozialpolitische Opposition von links gibt. So können wir bei den anstehenden Auseinandersetzung an die gemeinsamen Erfahrungen aus dem Herbst anknüpfen.

 

Eckpunkte der Sozialversicherung, die paritätische Finanzierung, das
Solidarprinzip
und das Umlageverfahren werden geopfert

Durch die Einführung einer kapitalgedeckten Altersvorsorge, in die ausschließlich die Beschäftigten 4% ihrer Lohn- und Gehaltssumme einbezahlen "müssen", wird die paritätische Finanzierung ausgehebelt. Dies ist künftig eine Stellschraube, an der zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung gedreht werden kann. Die Lohnnebenkosten bezogen auf die Rentenversicherung werden für die Unternehmer in den nächsten Jahrzehnten (!) auf maximal 22% (11% für die Unternehmer) eingefroren. Durch diese starre Festlegung für die internationale Standortkonkurrenz sind weitere Rentenkürzungen vorprogrammiert. Die Beschäftigten zahlen ab 2008 15% (11% gesetzlich und 4% privat) und die Beiträge der Unternehmen werden bei 11% eingefroren.

Das Kapital profitiert doppelt: Erstens durch niedrige Lohnnebenkosten und zweitens verdienen sich die Banken,Versicherungen und Pensionsfonds an der privaten Altersvorsorge eine goldene Nase.

Der Einstieg in die private kapitalgedeckte Altersvorsorge bereitet eine höchst gefährliche Entwicklung vor. Dass die in der Folge entstehenden Pensionsfonds, wie wir aus den USA wissen, zu aggressiven Sharholdern auf den Aktienmärkten werden, davon kann ausgegangen werden. Unter Umständen steigen die Gewinne dieser Fonds, wenn eine Aktiengesellschaft mal wieder Massenentlassungen verkündet. Auch die in den letzten Jahren immer häufiger auftretenden Krisen auf den Finanzmärkten werden eher zunehmen, mit fatalen Folgen für die Sicherheit der Altersvorsorge. Dass führende Gewerkschafter dies begrüßen und Gewerkschaften an den Fonds beteiligen wollen, können wir nicht nachvollziehen.

Außerdem ist im neuen Rentenrecht ein gefährlicher Mechanismus eingebaut worden: Die private Vorsorge wirkt sich durch die neue Nettolohnformel auch negativ auf die gesetzliche Rente der Versicherten aus, die sich keine private Vorsorge leisten können.

Auch die neuen Rahmenbedingungen für die betriebliche oder tarifliche Zusatzrente, die von DGB und IGM als Erfolg verkauft werden, werden die soziale Rentenversicherung zusätzlich untergraben, da dort Beitragsverluste durch die Sonderbehandlung der Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung vorprogrammiert sind. Aber nicht nur auf dieser Ebene wird das Solidaritätsprinzip zerstört.

Die "Privatrente" und die Zusatzversorgung aus Pensionskassen etc. schert sich nicht um den Ausgleich von Nachteilen, die Erziehende und NiedrigverdienerInnen haben. Im Gegenteil: die privaten Versicherungen verkaufen sogar Produkte, die Frauen offen diskriminieren.

 

Gewerkschaftliche Zustimmung zum Rentenkompromiss ohne Legitimation

Trotz dieses bisher nie dagewesenen An- und Eingriffs in die wichtigste Säule unseres Sozialversicherungssystems hat die Regierung mit den Vorsitzenden der IGM, IG BCE, DAG und ÖTV vor Weihnachten ein Einigung erzielt. Dies widerspricht der Beschlusslage fast aller DGB-Gewerkschaften.

Woher nimmt z.B. Kollege Putzhammer (Vorstandsmitglied im DGB) das Recht zu sagen: "wer die Reform jetzt noch verhindern will bekommt es mit den Gewerkschaften zu tun"? Warum werden diejenigen eingeschüchtert, die die eigenen Beschlüsse ernst nehmen und warum dürfen diejenigen drohen, die sich nicht an sie halten?

 

Gewerkschaften müssen gegenüber jeder Regierung die Interessen ihrer Mitglieder vertreten

Was wir in der Tarifrunde 2000 schon erlebten, hat sich nunmehr bei der Rentenfrage fortgesetzt. Waren es im Frühjahr letzten Jahres die viel zu niedrigen Lohn- und Gehaltsabschlüsse (hinterher hat das WSI einen verteilungsneutralen Spielraum von ca. 5% festgestellt) um die im "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" getroffenen Absprachen einzuhalten, so war es diesmal ein voreiliger Rentenkompromiss.

Es zeigt sich immer wieder, dass auch eine sozialdemokratisch geführte Regierung nur dann eine Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen macht, wenn es genügend Druck in den Betrieben und auf der Straße gibt.

Die Mobilisierung gegen die Rentenprivatisierung war von Anfang an halbherzig, die verschiedenen Gewerkschaften und der DGB waren gespalten. Auch innerhalb der Gewerkschaften (und manchmal auch innerhalb der Betriebe) lief ein Riss, wie wir uns zu dieser Regierung verhalten, wenn sie unsoziale Maßnahmen plant. Das hat einen stärkeren Widerstand behindert.

 

Anpassungskurs nicht akzeptieren

Auch wenn wichtige Teile der Rentenreform im Bundestag verabschiedet wurden und der DGB Zustimmung erklärt hat, heißt das noch lange nicht, wir zur Tagesordnung übergehen. Nach wie vor akzeptieren wir nicht, dass

Wir wollen, dass in unseren Gewerkschaften die Erfahrungen mit der Auseinandersetzung um die Rentenreform diskutiert wird. Wir wollen, dass über die halbherzige Mobilisierung und die einlenkende Rolle vieler Gewerkschaftsführungen eine kritische Auseinandersetzung geführt wird. Nicht um irgend jemand zu "entlarven", in die Ecke zu stellen oder um Recht zu behalten, sondern um uns auf die nächsten Auseinandersetzungen besser vorzubereiten.

 

Angriff auf die gesetzliche Krankenversicherung bereits angekündigt

Die Regierung hat bereits angekündigt, dass für die nächste Legislaturperiode die gesetzliche Krankenversicherung nach dem selben System "reformiert" werden soll. Das heißt: Festschreibung der Krankenversicherungsbeiträge für die Unternehmer. Dafür erhalten die Beschäftigten und ihre Familien eine eingeschränkte Grundversorgung. Alle weiteren Leistungen müssen privat versichert werden. Wenn wir beim Angriff auf die zweite wichtige Säule unseres Sozialversicherungssystems nicht wehrlos dastehen wollen, müssen wir uns rechtzeitig positionieren und uns auf eine harte politische Auseinandersetzung vorbereiten. Und wir werden in der Mitgliedschaft verstärkt Überzeugungsarbeit für die solidarischen Sicherungssysteme leisten müssen.

Auch die Auseinandersetzung um die Rente ist noch nicht beendet. Bereits heute machen die Arbeitgeberverbände Vorstöße, das Renteneintrittsalter auf 67 zu erhöhen. Diese Absichten sind ernst zu nehmen. Am Beispiel Frankreichs, wo an einem Tag 400.000 auf die Straße gegangen sind, um das Renteneintrittsalter mit 60 (erfolgreich) zu verteidigen, können wir sehen, wie solche Angriffe am besten zurückgeschlagen werden können.

Verantwortlich: Zukunftsforum Stuttgart


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