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Am vergangenen Freitag verständigte sich die Regierungskoalition darauf, Walter Riester's Ausgleichsfaktor zu beerdigen. An dessen Stelle soll der vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) entwickelte "VDR-Faktor" das Rentenniveau bis 2030 kürzen, um die Beitragssätze ebenfalls unter 22% zu halten. Nicht das Ziel: "Beitragssatzstabilität" durch Leistungskürzung - hat sich geändert, sondern der Weg zum Ziel.
Der Verzicht auf den "Ausgleichsfaktor" kommt nicht überraschend. Bereits bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf in der SPD-Bundestagsfraktion hatte diese beschlossen, nach einem Ersatz für den Ausgleichsfaktor zu suchen. Gleichzeitig sollte eine Besserstellung der betrieblichen Alterssicherung gegenüber der rein privaten Vorsorge geprüft werden. Hierzu fanden Schröder und Riester mit führenden Gewerkschaftern am gestrigen Abend im Wirtshaus offenbar einen Kompromiss nach dem Motto: Besserstellung der Betriebsrenten gegen Zustimmung für den Verzicht auf paritätischen Finanzierung der nichtgesetzlichen Alterssicherung.
Hinter der öffentlichen Diskussion zum "Ausgleichsfaktor" verschwindet, dass bereits bis zum Jahr 2010 das Rentenniveau für alle gekürzt wird durch die neue Rentenanpassungsformel. Zwar heißt es offiziell, es bleibe bei knapp 70% Nettorentenniveau. Doch ab 2001 soll der Beitrag zu privaten Altersvorsorge wie ein gesetzlicher Abzug vom Bruttolohn behandelt, so dass das rechnerische Nettoentgelt geringer ausfällt. 70% von diesem neuen, geringeren Nettoentgelt sind lediglich rund 67% vom Nettoentgelt nach heutiger Definition.
Erst nach dieser bis 2009 schrittweise erfolgenden Niveausenkung sollte ab 2011 der Ausgleichfaktor die Renten um jährlich 0,3 Prozentpunkte für die jeweiligen NeurentnerInnen kürzen. Wer 2015 in Rente gehen würde, erhielte eine Kürzung um 1,5 Prozentpunkte, wer 2020 in Rente gehen würde, um 3 Prozentpunkte, wer 2030 in Rente gehen würde, um 6 Prozentpunkte. Der Ausgleichfaktor hätten ungleiche Rentenniveaus für BestandsrentnerInnen und ZugangsrentnerInnen geschaffen, im Jahr 2030 hätte die Rente für einen Neurentner hart an der Armutsgrenze gelegen. Verteilungspolitisch wären die Kürzungen auf die heute jüngere Generation verteilt worden: Sie hätten mit bis zu 22% die höchsten Beiträge gezahlt, aber das niedrigste Leistungsniveau erhalten.
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Faktoren verdeutlichen Ergebnisse langfristiger Modellrechnungen, die vom VDR in der vergangenen Woche dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung vorgelegt wurden (vgl. Rückseite/nächstes Blatt). Diese Zahlen prognostizieren weniger, wie es 2030 wahrscheinlich sein wird; sie zeigen vor allem, wie unterschiedliche Vorschläge bei sonst gleichen Annahmen wirken würden.
Es bleibt trotz VDR-Faktor dabei: Die rotgrüne Rentenreform kürzt das Rentenniveau stärker als der von Norbert Blüm ersonnene "demografische Faktor", den die rotgrüne Bundesregierung bei Amtsantritt für zwei Jahre aussetzte. Wer 2030 in Rente geht, hätte nach Blüm eine Kürzung um 6,3% hinzunehmen gehabt, nach Riester um 12,4% und nach dem VDR-Vorschlag um 8,6%.
Mitnichten führt der VDR-Vorschlag dazu, dass im Jahr 2030 ein Rentenniveau von 67% gehalten werden kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn die neue Nettolohnformel von Riester zugrunde gelegt wird. Nach der heute gültigen Nettolohnformel führt der VDR-Faktor zu einem Nettorentenniveau von knapp 64%, während es mit Ausgleichsfaktor 61,1% für Neurentner, nach Blüm wiederum über 65% für alle gewesen wären. Erst mit der neuen Nettolohnformel errechnet der VDR für seinen Vorschlag ein Rentenniveau von 67%.
Die Verständigung mit den Gewerkschaften und SPD-Linken beruht demnach auf einen Sprachspiel mit den ominösen "67%". Es scheint so, als hätten sich die Gewerkschaften mit ihrer Forderung "Nicht unter 67%!" nachheutiger Berechnungsweise behauptet, ebenso scheint der VDR-Faktor zu mehr Rente zu führen als der blüm'sche Demografiefaktor - denn der Nachsatz, dass die Berechnungsweise manipuliert wurde, ist kaum noch medial verständlich zu machen.
Beitragssatz |
Nettostandardrente (nicht inflationsbeireinigt) |
Kürzung um ...% |
|
Geltendes Recht |
23,6% |
4.607 DM |
0% |
Geltendes Recht |
22,4% |
4.319 DM |
- 6,3% |
Reformkonzept mit Ausgleichsfaktor |
21,8% |
|
|
Reformkonzept mit VDR-Faktor |
21,8% |
4.211 DM |
-8,6% |
Nettorentenniveau in v.H. des durchschnittl. Nettoentgelts |
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Ohne Berücksichtigung des privaten Vorsorgebeitrags (= heutige Nettolohndefinition) |
Mit Berücksichtigung des privaten Vorsorgebeitrags (= Riesters Nettodefinition) |
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Geltendes Recht |
69,7% |
73,5% |
Geltendes Recht |
65,6% |
68,9% |
Reformkonzept mit Ausgleichsfaktor |
|
|
Reformkonzept mit VDR-Faktor |
63,8% |
67,2% |
Bei diesen Berechnungen handelt es sich nicht um Prognosen der zukünftigen Entwicklung und ihrer Ergebnisse, sondern um Modellrechnungen, die bestimmte Annahmen linear in die Zukunft verlängern. Während sich die demographische Entwicklung einigermaßen voraussagen lässt, wird für die Bruttolohnentwicklung eine jährliche Steigerung um gut 3% angenommen, andere wirtschaftliche Größen wie der Produktivitätsanstieg oder die Entwicklung der Rentenansprüche bei zunehmend "unvollständigen" Erwerbsbiographien werden nicht prognostiziert, sondern hier werden die Entwicklungen der Vergangenheit in die Zukunft verlängert.
Die rote Karte für den Ausgleichsfaktor bringt keine Wende in der Rentenreform. Es bleibt beim Einstieg in die Privatvorsorge, bei der Teilprivatisierung, bei den 4%, die die Arbeitnehmer allein draufzahlen sollen. Und es bleibt beim Dogma der Beitragssatzstabilität: "Nicht mehr als 22%!" scheint jetzt eine auch von Gewerkschaftsspitzen akzeptierte Formel zu sein. Der so notwendige Rentenabbau erfolge so "generationengerechter" und "sozialverträglicher", erklären nun Schulte für den DGB und Bsirske für die ÖTV.
Die CDU streitet noch, ob sie dem Reformwerk insgesamt zustimmen soll; ihr wichtigster Kritikpunkt der letzten Wochen ist aber nun beseitigt. Seit dem Wochenende sind die Aussichten auf einen Rentenkonsens der beiden großen Parteien unter Zustimmung der Gewerkschaftsspitzen wieder gestiegen.
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