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Armutsprävention, Entbürokratisierung, Wegfall entmündigender und schikanöser Einzelfallprüfungen es gibt eine Reihe guter Gründe für die Einführung pauschalierter Formen von Sozialleistungen, die gerade auch von der Linken immer wieder vorgebracht wurden. Und es gibt gute Gründe für die Befürchtung, dass mit solchen Modellen im Rahmen des "Aktivierenden Sozialstaats" nicht nur Verschlankung im Sinne von Effektivierung betrieben, sondern der Abschied vom für das bundesdeutsche Sozialhilfemodell elementaren Prinzip der Bedarfsorientierung als vorleistungsunabhängigem, individuellem Rechtsanspruch eingeleitet wird.
Mit der so genannten Experimentierklausel im BSHG (s. express Nr. 10/99), die es den Kommunen erlaubt, Pauschalen als Modus der Auszahlung auf eine Reihe bisheriger Sozialhilfeleistungen anzuwenden, war der Anfang gemacht. Der jüngste Vorstoß richtete sich auf das Kindergeld flankiert von der Armutsdebatte im Anschluss an den ersten Armutsbericht einer Bundesregierung einerseits und der Faulenzerdebatte andererseits. Mit der Grundsicherung in der Rente ist nun ein weiteres Testfeld für die Frage eröffnet, wie "Bedarfsorientierung" im Rahmen pauschalierter Leistungen ausgelegt wird. Wir dokumentieren die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen e.V. (BAG SHI).
Der Bundestag hat am 26. Januar 2001 mit Artikel 8a des Altersvermögensgesetzes das "Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung" GSiG beschlossen. Das Altersvermögensgesetz beinhaltet den zustimmungspflichtigen Teil der Rentenreform. Derzeit wird im Vermittlungsverfahren um die Vorlage gerungen. Erst am 12. Januar waren die Bestimmungen des GSiG im Rahmen eines Änderungsantrages offiziell in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht worden.
Laut Gesetzesbegründung können Menschen ab vollendetem 65. Lebensjahr und voll erwerbsgeminderte Personen über 18 Jahren auf Antrag einen Zugang zu Leistungen erhalten, die sich im Wesentlichen an den Regelungen der Sozialhilfe orientieren. Das GSiG soll zum Jahr 2003 in Kraft treten und umfasst:
Einkommen und Vermögen sind, den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) entsprechend, vorrangig einzusetzen. Damit entsprechen diese Leistungen in Grundsätzen denen der Sozialhilfe. Das GSiG macht die Sozialhilfeträger auch zu den Trägern dieser Leistungen. Die Unterhaltsverpflichteten sollen jedoch nach dem GSiG nicht herangezogen werden. Das GSiG sieht darüberhinaus ausdrücklich vor, dass Personen, die in den letzten zehn Jahren ihre Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, nicht anspruchsberechtigt sind.
Die BAG SHI begrüßt als Dachverband der Sozialhilfeinitiativen grundsätzlich, dass sich verantwortliche Politik einem Problem der Altersarmut zuwendet. Auch werden die Bemühungen anerkannt, hierzu gesetzliche Lösungen zu entwickeln. Die BAG SHI befürwortet insbesondere die Nichtheranziehung der Unterhaltsverpflichteten, damit wird eine langjährige Forderung der BAG SHI zumindest für diesen Personenkreis erfüllt.
Die BAG SHI empfiehlt jedoch, das vorliegende Gesetz in der vorliegenden Fassung nicht zu verabschieden. Wegen der Kürze der Zeit zwischen Vorlage und Verabschiedung des Gesetzes war eine gründliche und sachgerechte Diskussion nicht möglich. Dies ist aber aufgrund der Tragweite der Regelungen unbedingt erforderlich. Der BAG SHI wurde bislang keine Gelegenheit der fachlichen Beteiligung gegeben.
Die BAG SHI setzt sich auch weiterhin für eine bedarfsdeckende Grundsicherung in der Sozialhilfe ein. Insbesondere die in der Sozialhilfe aufgrund des § 101a BSHG ("Experimentierklausel") regional unternommenen Pauschalierungen werden jedoch von der BAG SHI kritisiert. Pauschalen sind immer dort unzureichend, wo sie individuell bestehende Bedarfe auszublenden versuchen und HilfebezieherInnen in unverantwortlicher, aber auch rechtswidriger Weise in Notlagen bringen. Die so genannte "Experimentierklausel" soll nach dem Willen des Gesetzgebers unter anderem Erkenntnisse darüber schaffen, ob und ggf. wie die Leistungen der Sozialhilfe zum notwendigen Lebensunterhalt pauschalierbar sind. Dieser "Feldversuch" der Pauschalierung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Verwertbare Ergebnisse liegen nicht vor. Gleichwohl soll sie nun mit dem GSiG eingeführt werden. Im Gegensatz zum BSHG sieht das GSiG eine durchgängige Pauschalierung der Leistungen für die Anspruchsberechtigten vor. Die Höhe der Pauschalen wurde in Ermangelung genauerer Erkenntnisse, so die Begründung im Gesetzentwurf, bewusst nicht am Bedarf orientiert. Diese Abweichung steht somit im Widerspruch zu den Grundprinzipien des BSHG. Das gilt auch für die so genannten "einmaligen Bedarfe", die sich im GSiG mit einer Pauschale von 15 Prozent lediglich auf "grobe Durchschnittswerte der Sozialhilfeausgaben" stützen. (Wir verweisen hierzu auf die im Auftrag der BAG SHI verfasste Stellungnahme von Prof. Friedrich Putz.) Die BAG SHI vermag aber gleichwohl einen Einstieg in eine bedarfsdeckende Grundsicherung zu erkennen und bietet dazu das gemeinsame, weiterführende Gespräch an.
Ungeregelt bleibt außerdem, wie individueller Bedarf zu berücksichtigen ist. Leistungsberechtigte werden damit, entgegen der Intention der Gesetzesinitiative, wiederum auf die Sozialhilfe rückverwiesen. Auch weiterhin wird es aber u.a. zum Rückgriff auf die Unterhaltsverpflichteten kommen können. Das Ziel der Bundesregierung, "im Regelfall die Notwendigkeit für die Gewährung von Sozialhilfe" zu vermeiden, wird durch die pauschalierte Grundsicherung des GSiG nicht erreicht. Rechnerisch wird etwa jeder zweite Hilfeempfänger nach dem GSiG geringere Leistungen als im Sozialhilfesystem erhalten. Es ist zu befürchten, dass ein Großteil der Leistungsberechtigten mit ihren Einkommen unterhalb des Sozialhilfeniveaus bleibt. Die LeistungsbezieherInnen werden damit gezwungen, die Differenz aus anderen Teilen des Grundsicherungsbetrages aufbringen zu müssen und so unter dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum zu leben; oder gar die Wohnung aufgeben zu müssen bzw. infolge von Mietschulden zu verlieren. Auch das kann nicht vom Gesetzgeber gewollt sein.
Als überaus problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die Vorschrift des GSiG, wonach SozialhilfebezieherInnen auf die geringeren Leistungen des GSiG in der vorliegenden Fassung verwiesen werden.
Schon an dieser Stelle zeigt sich der noch offene Befassungsbedarf. Doch auch an Details ist zu arbeiten. So stellt sich u.a. die Frage, wie der leistungsausschließende Passus des GSiG bei "vorsätzlich" oder "grob fahrlässig" herbeigeführter Bedürftigkeit praktikabel umsetzbar ist bzw. umgesetzt werden soll. Auch systematisch beinhaltet das vorliegende Gesetzeswerk Widersprüche. So wird mit dem Altersvermögensgesetz die Vermögensbildung zur privaten Altersvorsorge angereizt; hingegen sollen Einkommen und Vermögen nach dem GSiG entsprechend den Vorschriften des BSHG eingesetzt werden. Dies bedarf der Klar- bzw. Richtigstellung. Ebenso ist zu klären, wie das Antragsprinzip des GSiG mit dem Kenntnisprinzip der Sozialhilfe korrespondieren soll. Während Leistungen nach dem GSiG erst auf Antrag und frühestens ab Antragstellung zu gewähren sind, haben die Sozialhilfeträger nach § 5 BSHG bereits mit ihren Leistungen einzusetzen, sobald ihnen ein Bedarf bekannt wird.
Aus den genannten Gründen scheint es zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, das Gesetz in der vorliegenden Form zu beschließen.[l]
*Die im Auftrag der BAG SHI verfasste Stellungnahme von Prof. Friedrich Putz kann über die BAG SHI bezogen werden: Moselstr. 25, 60329 Frankfurt am Main, Tel (069) 27 22 08 98, Fax (069) 27 22 08 97, email: <BAGSHIFrankfurt@aol.com>
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