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Seit der Kanzlerrunde am 17.12.2000, in der sich die Vorsitzenden von IGM, DAG, ÖTV, BCE und DGB mit Kanzler und Arbeitsminister über eine gemeinsame Linie in der Rentenfrage einig wurden, wirken die Gewerkschaften als rentenpolitischer Transmissionsriemen der Regierungspolitik. DGB-Vizechef Walter Putzhammer drohte in der Hamburger Morgenpost vom 13. Januar d.J. gar: "Wer die Reform verhindern wolle, kriegt es auch mit uns zu tun." Der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel wertete den Rentenkonsens unterdessen als "Erfolg der IG Metall." Zwar sei der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung "eine Wunde, die schmerzt," doch positiv zu verbuchen sei, dass "... dauerhaft ein Rentenniveau von mindestens 67 Prozent erreicht werde". Für positiv hält er auch den geplanten Ausbau der betrieblichen Altersversorgung (Metall-Pressedienst Nr. 156/2000 vom 18.12.2000). Mit der Verständigung in der Kanzlerrunde ist die zaghaft angelaufene Mobilisierung der IG Metall und der ver.di-Gewerkschaften, die in einem gemeinsamen Aktionstag am 20. Januar in die Endphase des Gesetzgebungsverfahrens hinein münden sollte, vom Tisch. Doch ist hier tatsächlich nach der gewerkschaftlichen Protestkampagne ein Kompromiss erzielt worden, der es nicht mehr rechtfertigt, frontal gegen die Regierungspläne zur Rente zur mobilisieren? Was hat sich an den Regierungsplänen geändert ?
Bereits in der Anhörung des Bundestages zur Rentenreform Anfang Dezember wurde deutlich, dass die Bundesregierung auf den anwachsenden "Abschlagsfaktor" für NeurentnerInnen ab 2011 verzichten würde und damit die beabsichtigte Niveausenkung gleichmäßig auf Bestands- und Neurenten verteilen wird. Diese Änderung in der Verteilung der Rentenkürzung ist der Kern des Kompromisses mit den Gewerkschaften. An den strategischen Orientierungen der rot-grünen Rentenreform wie der Stabilisierung der Beitragssätze der Lohnnebenkosten für die Unternehmen bis in das Jahr 2030 sowie der Einführung einer privaten, kapitalgedeckten und von den Beschäftigten allein zu finanzierenden Parallelrente als Ausstiegsschneise aus der umlagefinanzierten Sozialversicherung hat sich nichts geändert.
Blaupause für den Rentenkompromiss von Kanzler und Gewerkschaften war das Konzept des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), das die "gerechte" Verteilung der Rentenkürzungen auf Bestands- und Neurenten vorsieht. Das Modell des VDR unterstellt, wie auch das der Bundesregierung, Obergrenzen bei der Entwicklung der Lohnnebenkosten im Falle der Rentenversicherung einen Beitragssatz von 22 Prozent. Die Rentenkürzung ab 2011 ergibt sich dadurch, dass die Sozialversicherungsrenten von der Entwicklung der abhängigen Einkommen abgehängt sprich nicht mehr vollständig dynamisiert werden. Nach dem Vorschlag des VDR soll von der Lohnsteigerung des Vorjahres nurmehr 75 Prozent abzüglich des kompletten Beitragssatzes zur Rentenversicherung und des von Riester zur Zeit mit vier Prozent veranschlagten privaten Altersvorsorgeanteils in die Rentendynamisierung eingehen. Dass die Regierungskoalition in ihrer letzten Variante vom Basiswert 90 Prozent der Bruttoeinkommenssteigerung ausgeht, verändert das rechnerische Ergebnis nur unbedeutend.[1]
Die richtige Kritik des VDR an der Rentenpolitik der Bundesregierung, dass "nicht mehr ein bestimmtes Sicherungsniveau zielbestimmend ist", sondern "Beitragssatzstabilisierung Vorrang" bekommt,[2] trifft leider auch auf den Vorschlag des VDR selbst zu. Allerdings ist der VDR ausgesprochen ehrlich bei der Darstellung des Rentenniveaus. So schreiben die Autoren der VDR-Stellungnahme zu den Konsequenzen ihrer Rentenreform zwar: "Für Rentenzugang und Rentenbestand im Jahre 2030 gäbe es damit auf der Berechnungsbasis der Bundesregierung ein einheitliches Rentenniveau von über 67 Prozent." (VDR-Stellungnahme, S. 16) Doch der VDR weist im Unterschied zur Bundesregierung und der IG Metall auch auf folgenden Umstand hin: "Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich das Rentenniveau und das gilt vom Jahre 2002 an nicht mehr mit den in der Vergangenheit errechneten Rentenniveaus vergleichen lässt. Nach der neuen Berechnung ergeben sich beim Rentenniveau höhere Werte, weil bei der Berechnung der Nettolöhne die Aufwendungen zur privaten Vorsorge pauschal abgezogen werden, und zwar unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Vorsorge." (VDR-Stellungnahme, S. 5) Nach der alten (realistischen) Nettorentenformel würde das Rentenniveau laut VDR-Berechnung nach "seiner" Reform bei knapp unter 64 Prozent, nach der neuen Rentenformel jedoch bei knapp über 67 Prozent liegen (VDR-Stellungnahme, S. 35).
So haben die Gewerkschaften nicht wegen eines mehr oder weniger schlechten Kompromissangebotes eingelenkt, sondern wegen eines statistischen Buchungstricks. Komfortablere Gewerkschaften kann sich die neue Mitte nicht wünschen.
Bis in das Jahr 2030 werden also etwa 9 10 Prozent des heutigen Rentenniveaus gekappt. Schon das heutige Nettorentenniveau von knapp unter 70 Prozent schützt viele Menschen mit niedrigen Verdiensten oder unsteter Erwerbsbiographie nicht vor Armut. Die monatliche Netto-Standardrente (brutto abzüglich der Beiträge für Pflege-/Krankenversicherung) beträgt zur Zeit etwas mehr als 2.000 DM. Als Bezugspunkt gilt dabei der so genannte "Standardrentner", ein Durchschnittsverdiener mit 45 (!) Versicherungsjahren. Das in der sozialpolitischen Debatte besprochene Rentenniveau ist das Verhältnis der Standardrente zum Standardnettoerwerbseinkommen. Es liegt vor den Riesterschen Reformen bei knapp unter 70 Prozent. Diese 70 Prozent markierten bislang in der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen sozialpolitischen Diskussion die Untergrenze einer lebensstandardsichernden gesetzlichen Altersversorgung.
In der Verständigung vom 17.12.2000 finden sich auch einige kryptische Formulierungen, die auf die (zusätzliche) Förderung von betrieblicher und tariflicher Altersversorgung abstellen. Eine reizvolle Perspektive für Gewerkschaften: bei der Zerschlagung von kollektiven Sicherungssystemen assistieren und für einen Teil der (männlichen) Betroffenen in Großbetrieben eine kleine Kompensation in Form tariflicher oder betrieblicher Zusatzleistungen vereinbaren. Dies stellt einen sozial- und tarifpolitischen GAU dar, zumal sich in der neuen rot-grünen Rentenformel private Vorsorge aller Art auch die der betrieblichen Alterssicherung strukturell niveausenkend auf die Sozialversicherungsrenten auswirkt.
Das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit ist so gesehen eine Erfolgsgeschichte von New Labour in Deutschland. Nicht nur, dass die Lohnpolitik der Gewerkschaften in der 2000er Tarifrunde durch die Ausstrahlung der Bündnisabreden kanalisiert wurde; jetzt ist es gelungen, die Gewerkschaften ganz direkt als Co-Manager bei der Privatisierung der Sozialversicherung einzubinden. Das Leitbild hierfür ist die Geschäftsgrundlage des Bündnisses, auf deren Kernsätze den Erhalt und Ausbau von Wettbewerbsfähigkeit im Verbund mit stabilen Lohnnebenkosten sich die Gewerkschaften verpflichtet haben.
Eine bedrückende Perspektive tut sich auf: Im Schatten des aktivierenden Staates und der Privatisierung pflegen die Gewerkschaften ständische tarifpolitische Reservate für Reste der Facharbeiter und Fachangestellten und machen sich ansonsten als symbolische Ordnungsinstanz nützlich. Dabei sein ist alles.
Bedrückend ist auch, dass die beiden ver.di-Gewerkschaften, die Stellung gegen das Bündnis für Arbeit bezogen hatten, in der letzten Rentenrunde abgetaucht sind. Niemand erwartet, dass IG Medien und HBV gegen IG Metall und ÖTV in der Lage wären, eine effektive Kampagne gegen die Rentenreform fortzusetzen. Doch auch wenn es den ver.di-Partnern ÖTV und DAG missfallen würde eine realistische Einschätzung über den Rentenkonsens, das Eingeständnis einer sozialpolitischen Niederlage gegen das Schönrechnen, das müsste doch möglich sein.
Nun gibt es noch weitere Bereiche der Lohnnebenkosten, die Rot-Grün und das Bündnis für Arbeit senken können: Die nächste Etappe von Privatisierung und Sozialabbau werden die soziale Krankenversicherung und das öffentliche Gesundheitswesen sein. Auch hier wird es keine Alternative dazu geben, Teile des gewerkschaftlichen Apparats in die Mobilisierung gegen die Privatisierung einzubeziehen und als Bündnispartner zu gewinnen. Lernen können wir aus dem Rentendebakel aber soviel, dass eine soziale Bewegung Autonomie und die Aneignung von Definitionsmacht lernen muss. Ärgerlich ist nämlich, dass in der gewerkschaftlichen Rhetorik der Rentenkompromiss, der keiner ist, als Erfolg der Bemühungen und Proteste der linken Rentenopposition verbucht wird.[3] Nein, das ist er nicht! Wir müssen künftig selber bestimmen, was noch ein Kompromiss ist, und wir dürfen uns nicht scheuen, Niederlagen einzugestehen. Diese schönzureden, macht alles nur noch viel schlimmer.
1) Die genannten Basiswerte von 75 Prozent im Vorschlag
des VDR bzw. 90 Prozent bei der Bundesregierung, die für die Kürzungen
in der Rentendynamisierung maßgeblich sind, beziehen sich auf die durchschnittliche
Steigerung der Bruttoeinkommen und nicht, wie oft missverstanden, auf das Einkommensniveau
selbst. Sie sind insofern auch nicht zu verwechseln mit einer unmittelbaren
Kürzung des Rentenniveaus auf 75 respective 90 Prozent.
2) Stellungnahme des VDR vom 1.12.2000 für die Bundestagsanhörung
im Dezember (im Folgenden VDR-Stellungnahme), S. 3
3) "Zwickel führte die jetzt geplanten Veränderungen
auf die Kritik von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Kirchen (...) und insbesondere
betrieblichen Protestaktionen zurück. Daran hatten sich in vergangenen
Wochen über 150.000 MetallerInnen beteiligt." (Metall-Pressedienst,
Nr. 156/2000, 18.12.2000)
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