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Arbeitsgruppe Sozialpolitik
in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken

August 2000

Positionen zur Rentenpolitik

 

Die Diskussion um den "Dauerbrenner Rentenreform" hat eine neue Dimension erreicht: Die u.a. mit massiver Kritik an den konservativen Rentenreformplänen an die Regierung gelangte rot-grüne Koalition plant eine Abkehr von sozialen und solidarischen Prinzipien, wie sie eine konservative Regierung wohl nie gewagt hätte. Gefördert wird dieses Vorhaben dadurch, dass die Auswirkungen einzelner Elemente des neuen Rentenmodells bislang hauptsächlich von Experten überblickt werden können, während ‘Laien’ die so genannte Reform mit dem Argument der sinkenden Lohnnebenkosten bzw. der stabilen Beitragssätze schmackhaft gemacht werden soll. Die Kritik des in das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit eingebundenen DGB klingt entsprechend leise und kommt derjenigen der CDU nahe – eine radikale sozialpolitische Kritik von Links ist nicht zu vernehmen. Aus diesem Grunde hat die "Arbeitsgruppe Sozialpolitik" der "Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken" die Argumente der "Reformer" einer kritischen Prüfung unterzogen und eigene Positionen und Vorschläge zu einer Reform entwickelt. Wir haben uns bemüht, die geplanten Maßnahmen so nachvollziehbar wie möglich darzustellen, um eine breite Debatte über die Zukunft der Rentenversicherung unter den KollegInnen zu erleichtern. Wer sich wie wir für den Erhalt bzw. Ausbau der solidarischen Rentenversicherung einsetzen will, kann dies z.B. mit der Unterschriftenaktion "SOLIDARISCHE RENTENVERSICHERUNG AUCH GEGEN ROT-GRÜN VERTEIDIGEN" tun. Wir rufen mit der vorliegenden Argumentationshilfe zum Widerstand gegen die geplanten Änderungen in der Rentenversicherung auf.

 

I. Hat die soziale Rentenversicherung noch eine Zukunft?

Die solidarische Absicherung von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Invalidität und Alter wird aus den Beiträgen der lohnabhängig Beschäftigten und den Arbeitgeberanteilen finanziert: Gesunde unterstützen Kranke, Erwerbstätige unterstützen Menschen, die zeitweilig arbeitslos sind, alte Menschen im Ruhestand leben von den Beiträgen der jüngeren Generationen. So kann und soll die Sozialversicherung funktionieren. Doch die Sozialversicherungen im Allgemeinen und die solidarische Rentenversicherung im Besonderen geraten politisch-ideologisch und auch praktisch immer stärker unter Druck.

Millionen von Menschen wurden durch Rationalisierungen und neo-liberale Wirtschaftspolitik erwerbslos. Die Rationalisierungswelle hat auch die so genannten Wachstumsbereiche der privaten und öffentlichen Dienstleistungen längst erreicht. Viele Unternehmen drängen ArbeitnehmerInnen in die Scheinselbständigkeit. Der immer schon vorhandene Niedriglohnsektor expandiert. Dies alles schwächt zweifellos die Einnahmebasis der sozialen Rentenversicherung.

In der Vergangenheit haben Großunternehmen auf Kosten der sozialen Rentenversicherung ältere KollegInnen aus den Betrieben gedrängt. Die soziale Flankierung der deutschen Einheit wurde vor allem von den Sozialversicherungen und insbesondere der Rentenversicherung finanziert. Die Wohlhabenden, die Reichen, aber auch die Unternehmer haben sich dort vornehm zurückgehalten.

Trotz dieser Probleme wäre die solidarische Rentenversicherung mit ihrem Umlageverfahren in der Lage, bei nur mäßig steigenden Beitragssätzen (je 2 Prozent mehr für ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber im Jahr 2030) das augenblickliche Rentenniveau zu halten.

Privatisierung der Renten und Senkung der Lohnnebenkosten

Doch nach den Plänen von Rot-Grün soll die Alterssicherung so weit wie möglich privatisiert, die gesetzliche Rente gekürzt und sollen die ArbeitnehmerInnen zum privaten Sparen verdonnert werden. Warum passiert das alles, wenn die umlagefinanzierte Rente trotz aller Probleme immer noch sozialpolitisch vernünftig und finanzierbar ist?

Die Senkung der Lohnnebenkosten – verteilungspolitisch das Gleiche wie Lohnsenkung – ist eines der großen Vorhaben der rot-grünen Bundesregierung im Standortwettbewerb. Darüber hinaus geht es um den Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Finanzierung der Alterssicherung und bald auch der Krankenversicherung. Für die Unternehmer ist damit ein wichtiger Systemwechsel in der Sozial- und Verteilungspolitik verbunden. Schon heute werden die Rentenkassen von ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen über indirekte Steuern "subventioniert" und die Arbeitgeber entlastet: Die Ökosteuer und die Mehrwertsteuerhöhung haben genau diese verteilungspolitische Funktion. Sozialpolitisch geht es den Unternehmern und der Regierung auch um die Auflösung des Solidarprinzips: Umverteilung und sozialer Ausgleich ist bei privaten Versicherungen nicht vorgesehen.

Dieser Angriff auf die solidarische Rentenversicherung steht nicht allein, sondern im Kontext eines Um- und Abbaus des Sozialstaates. Auch wenn viele Menschen die neue Regierung in der Hoffnung auf einen sozialen Politikwechsel unterstützt und gewählt haben, setzen SPD/Grüne die Politik der konservativen Regierung – Privatisierung und Kaputtsparen- im Bereich der Sozial- und Gesundheitspolitik sowie im Bildungswesen fort.

Umverteilung ist möglich.

Während die Unternehmensgewinne steigen, sanken die Gewinnsteuern zwischen 1960 und 1998 um rund die Hälfte von 28 Prozent auf 14,9 Prozent. Damit macht ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen 1998 nur noch 12,3 Prozent aus, und der Löwenanteil von 70 Prozent des Steueraufkommens wird von den LohnsteuerzahlerInnen aufgebracht. Mit der 2000er Steuerreform, die vor allem Kapitalgesellschaften begünstigt, wird diese Ungerechtigkeit noch größer.

Wirtschaftlich gäbe es also genügend Spielraum, die Unternehmen und die Wohlhabenden für die Erneuerung des Sozialstaates finanziell heranzuziehen. Das gilt für die Steuerpolitik genauso wie für den Bereich der Sozialversicherungsbeiträge, die so genannten Lohnnebenkosten; in beiden Bereichen liegt die BRD auch im europäischen Vergleich vergleichsweise weit hinten. Was fehlt, ist allein der politische Wille der rot-grünen Regierung.

Nur eine Beibehaltung der paritätischen Finanzierung, die sich nicht dem Dogma der Lohnnebenkostensenkung unterwirft, und die Aufrechterhaltung des sozialpolitischen Ziels der Lebenstandardsicherung können Grundlage für weitergehende Reformen sein. Die gesetzliche Rentenversicherung muss armutsfest gemacht werden. Die Benachteiligung von Frauen, NiedrigverdienerInnen und Erwerbstätigen außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses durch das aktuelle Rentenrecht kann sozialpolitisch ausgeglichen werden. Dafür würde es sich lohnen, den Kreis der Rentenversicherungspflichtigen auszuweiten, die Flucht aus der Rentenversicherung zu stoppen, auch höhere Einkommen zu erfassen und, sofern erforderlich, höhere Beitragssätze durchzusetzen. Auch wenn wir aus guten Gründen die solidarische Rentenversicherung gegen eine große Koalition von SPD, Grüne, FDP und Union verteidigen, wissen wir um die Probleme des jetzigen Rentensystems. Dessen Mängel können aber nicht durch Privatisierung und Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens, sondern nur durch mehr Solidarität und Umverteilung gelöst werden.

 

II. Systemwechsel in der Alterssicherung

Kein Mensch würde einen Supermarkt supergünstig finden, nur weil dort ein Teil des Einkaufs an einer zusätzlichen, speziellen Kasse bezahlt werden muss. Ähnlich merkwürdig sind die Pläne der Bundesregierung zur Zukunft der Rente: Um den Beitragssatz zur Rentenversicherung möglichst niedrig zu halten, soll das Rentenniveau weiter sinken. Das Ziel, mit der gesetzlichen Rentenversicherung ein auskömmliches Einkommen im Alter sicher zu stellen, wird damit aufgeben. Stattdessen sollen die ArbeitnehmerInnen eine zusätzliche private Altersvorsorge abschließen und mindestens vier Prozent ihres Bruttolohns fürs Alter auf die hohe Kante legen. Eine solche Renten"reform" wäre der Einstieg in einen grundsätzlichen Systemwechsel in der Altersvorsorge: Weg von einer solidarischen und kollektiven Absicherung, bei der die abhängig Beschäftigten durch ihre Beiträge die laufenden Renten bezahlen (Umlageverfahren) – hin zu individuellem Sparen fürs Alter nach den Spielregeln einer privaten Versicherung (Kapitaldeckungsverfahren). Dabei geht es nicht um die Wahl zwischen zwei "neutralen" technischen Verfahren zur Organisation der Alterssicherung. Vielmehr wird mit der Festlegung der Spielregeln für die Alterssicherung bereits über Gewinner und Verlierer entschieden.

Wer profitiert von einer Umstellung aufs Kapitaldeckungsverfahren? Und wer zahlt drauf?

Während sich bei der gesetzlichen Rentenversicherung bekanntlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge je zur Hälfte teilen, sollen die Beschäftigten Teile ihrer privaten Altersvorsorge künftig alleine zahlen. Die Unternehmen sind hingegen fein raus, denn sie werden nicht nur aus der paritätischen Finanzierung für diesen Teil der privaten Vorsorge entlassen, sondern sparen auch durch das Einfrieren des Beitragssatzes. Für Geringverdienende sind Versorgungslücken bis hin zur Armut im Alter vorprogrammiert, denn "Sparen fürs Alter" ist keine Frage von Weitsicht, sondern vielmehr eine der Einkommenshöhe. Wenn der geringe Lohn gerade eben für die Miete, die laufenden Lebenshaltungskosten und vielleicht den Urlaub reicht, dann ist an Rücklagen fürs Alter nicht zu denken. Wer, wie die Bundesregierung, auf verstärkte private Altersvorsorge setzt, der verschärft die Ungleichheit in der Gesellschaft.

Wie funktioniert private Vorsorge? Wo liegen die Risiken?

Wird bei der Finanzierung der Rente auf private Sparmaßnahmen umgestellt, dann sind damit erhebliche Risiken verbunden: Geld allein arbeitet nicht. Es muss renditebringend investiert werden, damit eine ausreichende Verzinsung für den Vermögensaufbau erzielt wird. Doch auch ohne extreme Krisensituationen wie Weltkriege oder Währungsabwertungen, die in der Vergangenheit bereits mehrfach dazu geführt haben, dass angesparte Vermögen massenhaft vernichtet wurden, stellt die private Altersvorsorge ein Risikogeschäft dar: Die Einlagen sind den Risiken der wirtschaftlichen und konjunkturellen Entwicklung, Inflation, Kurs- und Zinsschwankungen ausgesetzt. Deshalb wird im Kleingedruckten der bunten Werbeanzeigen der Versicherungswirtschaft auch darauf hingewiesen, dass die möglichen Renditen keineswegs garantiert werden können. Wie abenteuerlich eine Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren ist, zeigt auch die Erfahrung mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte in den aufstrebenden "Tigerstaaten" Südostasiens. Vor dem Crash im Jahr 1996 galten Investitionen in diese Länder, darunter vielfach aus Pensionsfonds, in der internationalen Finanzwelt als gute Empfehlung.

Ein (teil)privatisiertes Rentensystem in der Größenordnung, wie von Walter Riester vorgesehen, muss seine Erträge außerhalb der nationalen Ökonomie erwirtschaften. Mit anderen Worten: Die (hohe) Rendite muss auch in Schwellenländern erwirtschaftet werden. Hier tun sich nur schwer auflösbare Widersprüche zwischen internationaler Gerechtigkeit und dem Druck, hohe Renditen für die Versicherten zu erwirtschaften, auf. Dazu kommt noch eine permanente Interessenkollision zwischen den von den Pensionsfonds Abhängigen und den ArbeitnehmerInnen in den Unternehmen, in die Pensionsfonds investieren.

Und: Geld kann man nicht essen! Bei der privaten Altersvorsorge werden ja keine Konsumgüter – keine Brote, Milchflaschen und Kinokarten – zurückgelegt, sondern Geldwerte. Da die Gesellschaft altert, kommt es dabei zu einem Problem. Zu einem gewissen Zeitpunkt, sagen wir 2030, gibt es relativ wenige Junge, die Geldanlagen suchen, aber relativ viele Alte, die Ihre Geldanlagen auflösen müssen, um davon zu leben. Aufgrund dieses Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage sind die angeblich der gesetzlichen Rente überlegenen Renditen aber nicht haltbar, wenn private Vorsorge in großem Stil betrieben wird.

Letztlich geht es bei der Zukunft der Rente um eine politische Verteilungsfrage: Wieviel vom erwirtschafteten Reichtum in einer immer produktiveren Wirtschaft soll auf die Rentnerinnen und Rentner verteilt werden, und wieviel sozialen Ausgleich zwischen Starken und Schwachen will eine Gesellschaft sich leisten? Unbestritten führen längere Rentenbezugszeiten und ein höherer Anteil von RentnerInnen an der Bevölkerung zu höheren Ausgaben. Doch ob für die sozialpolitisch notwendigen Aus- und Aufgaben bei immer größeren gesellschaftlichem Reichtum entsprechende Einnahmen mobilisiert werden können, ist Gegenstand verteilungspolitischer Auseinandersetzungen und keine Frage des Altersaufbaus der Gesellschaft. Die rot-grüne Regierung ist offensichtlich entschlossen, diese Frage zu Lasten derjenigen zu lösen, die am meisten auf sozialen Schutz im Alter angewiesen sind, während die großen Gewinner der rot-grünen Rentenreform die Unternehmen sein werden: die Arbeitgeber im Allgemeinen, Versicherungen und Banken im Besonderen.

 

III. Rot-grüne Rentenreform – ein Politikwechsel nach rechts

Auch wenn noch an einigen Stellschrauben der rot-grünen Rentenreform gedreht wird, stehen die Grundlinien fest: Die "Jahrhundertreform" der neuen Regierungskoalition ist ein massiver Angriff auf grundlegende Prinzipien des bisherigen Sozialstaates. Und trotz einiger Mäkeleien aus den Reihen der Union und der F.D.P. können die Konservativen mit den Plänen von Rot-Grün gut leben, bringt doch Walter Riester die Rentenpolitik so rabiat auf neo-liberalen Kurs, wie es die alte Koalition nie durchsetzen konnte. Worum geht es dabei im Einzelnen?

Lohnnebenkostensenkung ist Sozialabbau

Stabile und möglichst niedrige Lohnnebenkosten – und hier vor allem niedrige Beitragssätze zur Rentenversicherung für die Unternehmen – werden zum unangreifbaren Dogma erhoben und diktieren das Austrocknen der Sozialen Rentenversicherung. Im Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit haben die Gewerkschaften das Leitbild von niedrigen Lohnnebenkosten und Standortkonkurrenz akzeptiert. Trotz einiger Kritikpunkte, die die Gewerkschaften im Detail noch an Walter Riesters Rentenplänen formulieren, haben sie sich durch die Akzeptanz dieser Bündnisziele in die Mitverantwortung für den Systemwechsel in der Alterssicherung begeben.

Eines ist sicher – der Rentenabschlag

Die neue Rentenformel – das Herzstück der rot-grünen Rentendemontage – basiert auf einem stetig anwachsenden Abschlag (und Anschlag) auf die Sozialversicherungsrenten, der bis zum Jahr 2050 über 25 Prozent des heutigen Rentenniveaus kappt. Damit wird eine lebensstandard- und existenzsichernde Sozialrente für die meisten Menschen zum Auslaufmodell. Die ganze Rentendiskussion ist vom Modell des "Standardrentners" geprägt, der 45 Jahre lang ununterbrochen in einem Vollzeitarbeitsverhältnis gestanden und mindestens ein durchschnittliches Einkommen bezogen hat. Teilzeitarbeit, Erwerbslosigkeit und Arbeit in Niedriglohnbranchen drücken die Rentenansprüche vieler Versicherte trotz lebenslanger Erwerbsarbeit schon heute auf und unter das Sozialhilfeniveau. In der Zukunft wird das noch häufiger passieren.

Der in den nächsten Jahrzehnten immer rabiater wirkende Rentenabschlag wird von der Regierungskoalition mit der Möglichkeit und der moralischen Verpflichtung der ArbeitnehmerInnen begründet, sich außerhalb der Sozialen Rente abzusichern, sprich: im Regelfall private Versicherungen abzuschließen. Berechnungsgrundlage der geplanten Rentenkürzungen ist dabei eine hypothetische Rendite der privaten Vorsorge zwischen 4 und 5,5 Prozent pro Jahr (!) in den nächsten 50 Jahren. In den neueren Varianten des rot-grünen Rentenkonzepts wird der Angriff auf das Rentensystem optisch entschärft, weil der Zeitraum zwischen 2030 und 2050, in dem das Rentenniveau dramatisch abstürzt, ausgeklammert wird. Darstellung und Form der rot-grünen Rentenreform haben sich gegenüber den ersten Vorschlägen leicht geändert, das Ergebnis bleibt gleich: Die Rente wird deutlich abgesenkt.

In der neuesten Version der rot-grünen Rentenreform wird die Rentenkürzung versicherungsmathematisch nicht mehr über die fiktive Rendite einer Privatversicherung (ob vorhanden oder nicht) begründet. Riester und Co. leiten die Rentenkürzung – wie früher die CDU ihren "demographischen Faktor"– aus dem veränderten Altersaufbau der Gesellschaft ab.

Das zweite Element der "Rentenreform", die Riestersche "Privatrente", spielt dabei nach wie vor eine Schlüsselrolle in dem Gesamtkonzept. Denn nach wie vor werden den Unternehmen niedrige und stabile Lohnnebenkosten garantiert. Bis zum Jahr 2030 darf der Beitragssatz zur Rentenversicherung insgesamt nicht mehr als 22 Prozent betragen. Da die Einnahmenseite trotz steigender Anforderungen an das Rentensystem politisch gedeckelt wird, liegt das Ergebnis auf der Hand: Es wird zu schlimmen Absenkungen bei der Rente kommen.

Diese private (Pflicht-)Vorsorge, die sich auf vier Prozent des Bruttoeinkommens belaufen soll, ist formal freiwillig, wirkt aber wie ein Zwang auf die ArbeitnehmerInnen, einen zusätzlichen Kapitalstock aufzubauen. Dieses Element bereitet den Einstieg in einen umfassenden Systemwechsel von der solidarischen Umlagefinanzierung zur Kapitaldeckung vor.

Schließlich ist mit Riesters Privatrente der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Alterssicherung durch Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen beschleunigt worden. Bald wird der modellhafte Arbeitnehmeraufwand zur Alterssicherung bei ca. 14 Prozent und der der Arbeitgeber nicht höher als 10 Prozent liegen. Für die Arbeitgeber ist das eine zusätzliche Entlastung. Die Rentenversicherungsbeiträge (und damit auch die Arbeitgeberanteile) wurden durch diverse Verbrauchssteuererhöhungen, die in die Rentenkassen geflossen sind, gesenkt und stabilisiert. Die bisherige Stabilisierung der Rentenbeitragssätze wurde daher überwiegend von den ArbeitnehmerInnen, RentnerInnen und SozialhilfeempfängerInnen alleine bezahlt.

Neue Nettolohnformel durch private Vorsorge senkt Rentenniveau

Die Anpassung der Renten an die allgemeine Einkommensentwicklung, eine wesentliche Voraussetzung für ein lebensstandardsicherndes Rentenkonzept, wird neu geregelt, und damit werden die Sozialrenten künftig von der Nettolohnwicklung abgekoppelt. Schon die reduzierte Rentenanpassung 1999 und 2000, die nurmehr auf Grundlage der Preissteigerungsrate des Vorjahres erfolgte, hat das Rentenniveau dauerhaft abgesenkt. In Zukunft soll es zwar wieder zur nettolohnbezogenen Rentenanpassung kommen. Doch diese wird so umgebaut, dass sie ihren Namen nicht mehr verdient. Nur noch die Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung wird künftig an die Sozialrentner als Rentenanpassung weitergegeben.

Weil nämlich die private Altersvorsorge außerhalb des Rentensystems bei der Nettolohnermittlung statistisch angerechnet wird, wird eine Absenkungsspirale festgeschrieben: Die private Vorsorge gerade der "Besserverdienenden", aber auch tarifliche Regelungen zur Altersversorgung wirken sich so unmittelbar senkend auf die Sozialrenten aus. Daher kann es auch keinen tarifpolitischen Befreiungsschlag aus der Rentenmisere geben.

Einen Ausweg wird es nur über allgemeine sozialpolitische bzw. rentenrechtliche Reformen geben. Alles andere treibt die Gewerkschaften in einen riskanten Pensionsfondskapitalismus und zementiert die soziale Spaltung. In der Vergangenheit war es nur eine Minderheit von ArbeitnehmerInnen – überwiegend Männer in Großbetrieben -, die nennenswerte Ansprüche auf eine betrieblichen Zusatzrente hatte.

Arbeiten bis 70?

Die verhängnisvolle Anhebung der Altersgrenzen bei den unterschiedlichen Rentenarten, die die Kohl-Regierung im Rahmen des alten Bündnisses für Arbeit mit Duldung durch die Gewerkschaften noch 1996 auf den Weg gebracht hatte, wird endgültig festgeschrieben. Wer vor 65 Rente beziehen will oder muss, kann dies überhaupt nicht mehr oder nur noch mit unzumutbaren Abschlägen bei der Rente. Unterdessen wird aus den Reihen der Union, der SPD, der Rentenversicherungsträger und vor allem der Arbeitgeber unverhohlen die weitere Anhebung der Altersgrenzen ab dem Jahre 2010 ins Gespräch gebracht. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Merz denkt bereits an eine Rente mit 70 für die meisten Berufsgruppen.

Wie sieht es schon heute in den Betrieben aus?

Drastische Kostensenkungen schlanker Unternehmen haben – zusammen mit Rationalisierungsmaßnahmen – über alle Branchen hinweg zu Arbeitsbelastungen geführt, denen ältere oder gar schwerbehinderte KollegInnen kaum noch gewachsen sind. Gleichzeitig wurden in der Industrie in der Regel gerade diejenigen Arbeitsplätze abgebaut, die der angeschlagenen Leistungsfähigkeit der älteren KollegInnen gerecht werden konnten. Leistungsverdichtung und psychischer Druck führen daher oft zur Flucht aus dem Betrieb, auch wenn die Vorruhestandsregelung mit hohen Verlusten einher geht oder die Aufhebungsverträge in die sichere Arbeitslosigkeit führen.

Nicht nur unzulängliche Bemühungen um Gesundheitsschutz und Arbeitsqualität, auch hohe Altersgrenzen für den Rentenbezug sprechen der Arbeitssituation eines Großteils der Erwerbstätigen Hohn, die schon jüngere KollegInnen immer öfter davon träumen lässt, endlich alt genug für den Ruhestand zu sein.

Eine kapitalgestützte private oder betriebliche Zusatzvorsorge führt in einer solchen Situation nicht nur zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen Beschäftigten verschiedener Unternehmen wie auch zwischen Beschäftigten und Nicht-Beschäftigten und zu einer stärkeren Abhängigkeit vom Unternehmen. Vielmehr verlängert sie für das Gros der Beschäftigten ein immer unzumutbareres Arbeitsleben, indem sie die Möglichkeit erschwert, in den (Vor)Ruhestand gehen zu können. Arbeitgeber, die einen "vorzeitigen Verschleiß" der Arbeitskraft zumindest in Kauf nehmen, aus der Finanzierung der Renten zu entlassen, hieße, eine solche inhumane Unternehmensstrategie zusätzlich zu erleichtern.

Altersarmut bleibt

Die von vielen geforderte Grundsicherung im sozialen Rentensystem für Geringverdiener wurde beerdigt. Übrig geblieben ist die Überlegung, Sozialhilfe mit etwas weniger Bürokratie und Schikanen für Menschen ab 65 zu gewähren. Dies ist kein Konzept zum Abbau von Altersarmut. Durch einen fairen rentenrechtlichen Ausgleich von Erziehungszeiten und Phasen sehr niedriger Erwerbseinkommen könnte es für viele Menschen eine bessere – weil mit robusten Sozialversicherungsansprüchen verbundene – Lösung geben. Eine Lösung übrigens, die die Arbeitgeber über ihren Anteil am Rentenversicherungsaufkommen mitfinanzieren würden.

Rot-grüne Sozialpolitik: Wende in der Rentenpolitik über Kohl und Blüm hinaus

Mit der rot-grünen Jahrhundertreform wird die Privatisierung der Alterssicherung und der Wechsel zum Kapitaldeckungsverfahren eingeleitet. Riesters Privatrente kennt im Unterschied zur Rente aus der solidarischen Umlage keinen sozialen Ausgleich: Kindererziehungszeiten, Erwerbslosigkeit, Invalidität und Hinterbliebenenabsicherung werden in privaten Vorsorgesystemen nicht berücksichtigt. Außerdem erwerben Frauen geringere Ansprüche aus privaten Renten- oder Lebensversicherungen, weil die privaten Versicherer in ihrer Kalkulation Frauen diskriminieren.

Schon in den nächsten Jahren wird es dazu kommen, dass ArbeitnehmerInnen trotz langer Beitragszeiten nur eine gesetzliche Rente, die sich auf der Höhe des Sozialhilfeniveaus bewegt, beziehen werden. Das diskreditiert die Soziale Rentenversicherung und zerstört die Akzeptanz für dieses Sicherungssystem. Außerdem ist absehbar, dass die Regierenden und Unternehmer dies zum Vorwand nehmen werden, die Sozialhilfe noch weiter abzusenken, um einen Abstand zwischen durchschnittlichen Versicherungsleistungen und Sozialhilfe zu wahren.

 

IV. Es geht auch anders

Wir werden Rot-Grün diesen Angriff auf den Sozialstaat nicht durchgehen lassen.

Unverzichtbar ist

Blick nach vorn

Wenn diese Schritte eingeleitet sind, ist genug Zeit gewonnen, sich über eine weitergehende Reform des Rentensystems zu verständigen: Hier geht es darum, auch die Altersversorgung der BeamtInnen in die allgemeine Rentenversicherung zu überführen. Außerdem müssen wir uns darüber verständigen, ob und wie die Gesetzliche Rentenversicherung in ein Sicherungssystem für alle mit der Beitragspflichtigkeit aller Einkommen umgewandelt werden kann. Ein weiterer Punkt zur Klärung: Soll der Arbeitgeberanteil auf eine andere Bemessungsgrundlage (z.B. Wertschöpfung) gestellt werden?

Diese Veränderungen müssen aber aus unserer Sicht ausschließen, dass die staatliche Rente auf eine bloße Grundversorgung reduziert wird. Auch bei einer anderen Berechnung des Arbeitgeberanteils darf deren Finanzierungsbeitrag nicht sinken.

 

Information und Kontakt zur AG Sozialpolitik über: Andreas Bachmann, Fax (040 429 36 914), email: <bachmann.hamburg@t-online.de>

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