letzte Änderung am 19. März 2003 | |
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Es lässt sich feststellen, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowohl im sogenannten formellen als auch im informellen Sektor zahlenmäßig weiter zunehmen. Das Risiko, Opfer von Lohnbetrug zu werden, ist vor allem für nichtdeutsche Beschäftigte, die ohne erforderliche Arbeits- und/oder Aufenthaltspapiere arbeiten, besonders groß. Für die ArbeitnehmerInnen (AN) bedeutet dies häufig, dass ArbeitgeberInnen (AG) die vermeintliche Schutzlosigkeit ausnutzen oder auszunutzen versuchen. So wird zum Beispiel der vereinbarte Lohn gar nicht oder nicht in voller Höhe bezahlt. Es ist kaum bekannt, dass ausländische AN dennoch ihre Lohnforderungen auf verschiedenen Wegen durchsetzen können, auch wenn sie nicht über die gültigen Papiere verfügen oder verfügt haben.
Wir haben in Berlin in den letzten Jahren praktische Erfahrungen gesammelt, wie Lohnansprüche mit möglichst geringer Gefährdung der Betroffenen (Ausweisung, Abschiebung etc.) geltend gemacht werden können. Mit diesem Text wollen wir die Erfahrungen und Erfolge unserer Berliner Beratungsstelle in den letzten Jahren kurz darstellen und zur Nachahmung anregen.
Ausgangspunkt für die Durchsetzung von Lohnansprüchen aller Beschäftigten ist die rechtliche Formel vom »faktischen Arbeitsverhältnis«. Sobald der Beschäftigte für einen AG tatsächlich gearbeitet hat unabhängig davon, ob schriftliche oder mündliche Vereinbarungen getroffen wurden wurde ein Arbeitsverhältnis begründet. Daraus wird der rechtliche Anspruch auf Lohnzahlungen abgeleitet. In der juristischen Diskussion wird die Bedeutung des »faktischen Arbeitsverhältnisses« zwar verschieden interpretiert, aber nach den jetzigen Erfahrungen spielte in arbeitsrechtlichen Verfahren in Berlin (bisher) weder der Aufenthaltsstatus noch die (fehlende) Arbeitserlaubnis eine Rolle.
In der Praxis kann die Einforderung vorenthaltenen Lohnes erst dann erfolgen, wenn die betroffenen AN das laufende oder bereits beendete faktische Arbeitsverhältnis und die daraus resultierenden Ansprüche nachweisen können und bestimmte Fristen eingehalten werden. Im Weiteren bestehen drei Möglichkeiten:
1. die Durchsetzung der Lohnzahlung durch Verhandlung
2. die Einleitung eines Mahnverfahrens
3. die Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht.
Bevor die MitarbeiterInnen von Beratungsstellen aktiv werden können, muss mit den Ratsuchenden ermittelt werden, welche Beweise für das Bestehen des faktischen Arbeitsverhältnisses beigebracht werden können. Von der Beweislage hängt es ab, welche Schritte unternommen werden können. Im Falle der späteren Klage vor dem Arbeitsgericht werden zum Beispiel Aufzeichnungen über die Arbeitsstunden im Notizbuch der AN akzeptiert. Ein gutes Beweismittel sind Stundenzettel, die der AG gegengezeichnet hat. Auf das Gegenzeichnen von Stundenzetteln sollten vor allem diejenigen AN bestehen, die keine wie sonst üblich wöchentlichen Lohnzahlungen bekommen bzw. vereinbart haben. Besonders vorteilhaft ist es, wenn Zeugen (Arbeitskollegen oder Auftraggeber) benannt werden, die die Beschäftigung bestätigen können.
Wichtig ist, dass der genaue Arbeitsort, die Arbeitstätigkeit, der Name und die Anschrift des AG, der Weisungsgeber und der Auftraggeber angegeben werden können. Je mehr Daten vorhanden sind, desto größer sind die Chancen, auch vor Gericht zu bestehen.
Die Grundlage für die Beschreitung des Rechtsweges (entweder Mahnverfahren und/oder Arbeitsgerichtsklage) ist immer die Wahrung von Fristen.
Ein ausstehender Lohn muss innerhalb einer bestimmten sog. Ausschlussfrist
a) zumindest schriftlich angemahnt (Lohnforderung an den AG) worden sein, auch dann, wenn der AG evtl. telefonisch Zahlungsbereitschaft zugesichert hat
b) oder unmittelbar auf dem Rechtsweg (direkte Einleitung eines Mahnverfahrens beim zuständigen Arbeits-gericht oder sofortige Formulierung einer Arbeitsgerichtsklage) eingefordert worden sein.
Die Ausschlussfristen sind für die unterschiedlichen Branchen in den Tarifverträgen geregelt. Manchmal betragen sie nur 14 Tage, oft sind es ein bis zwei Monate. Über die Fristen informieren die örtlichen Gewerkschaftsbüros oder die Tarifarchive in den Bibliotheken von Arbeitsgerichten. Sind keine tariflichen Ausschlussfristen vorhanden, so gilt nachrangig zu tariflichen Regelungen die gesetzliche Ausschlussfrist von zwei Jahren.
Die schriftliche Lohnforderung sollte auf alle Fälle per Einschreiben mit Rückschein abgeschickt werden. Damit ist für ein eventuell folgendes Gerichtsverfahren der Nachweis erbracht, dass die Lohnforderung tatsächlich zugestellt wurde. Empfehlenswert ist auch, die Lohnforderung mit dem Briefkopf der Beratungsstelle abzuschicken, da dies in der Regel Eindruck auf die AG macht und ihnen verdeutlicht, dass die AN weder vereinzelt noch wehrlos sind.
Ist der Lohn innerhalb der Ausschlussfrist nicht zumindest schriftlich und fristgerecht angemahnt worden, ist kein Mahnverfahren oder keine Klage vor dem Arbeitsgericht eingeleitet worden, verfällt jeglicher Lohnanspruch aus dem Arbeitsverhältnis! Es besteht dann nur noch in ganz eng eingegrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit gerichtlicher Schritte. Ein Lohn kann bei Versäumnis der Fristen bestenfalls noch in direkten Verhandlungen mit dem AG »erstritten« werden.
Zuallererst sollte versucht werden, sich mit dem AG gütlich zu einigen. Ein Brief mit dem Adressenkopf der Beratungsstelle kann klar machen, dass die betroffenen AN durch unabhängige Personen bzw. Beratungsstellen unterstützt werden. In dem Schreiben stellen diese dar, welche Forderungen der AN stellt und empfehlen die Begleichung der Forderungen. Wir weisen darauf hin, dass sich der AN bei der Nichtauszahlung die Einleitung weiterer rechtlicher Mittel vorbehält sowie darauf, dass dies durchaus rechtliche Konsequenzen für den AG haben könnte. Außerdem kann eine Tätigkeit als Vermittler angeboten werden.
Die AG haben meistens verschiedene typische Ausreden, warum sie den Lohn nicht ausgezahlt haben:
Es ist egal, ob sie sie verlangt und nicht bekommen haben. Wenn sie jemanden beschäftigen und nach einem Tag nicht die Arbeitserlaubnis bekommen, machen sie sich selber u.U. strafbar. Sie müssten den AN entlassen, sonst ist das eine Schutzbehauptung. Außerdem: Das faktische Arbeitsverhältnis zählt.
Auch das ist unwesentlich. Die AN müssen für die geleisteten Arbeitsstunden bezahlt werden. Ist der AG unzufrieden mit ihnen, muss er sie anmahnen oder kündigen, aber bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisse den gesamten Lohn auszahlen. Auch wenn schlecht gearbeitet wurde: Der AG hat die Aufsichtspflicht und haftet für evtl. Schäden oder Nacharbeiten. Das ist unternehmerisches Risiko.
Je nach Situation und Möglichkeit kann es auch sinnvoll sein, den Auftraggeber einzuschalten. So gab es zum Beispiel in Berlin den Fall von Lohnbetrug bei einer Reinigungsfirma, die als Subunternehmen bei einer großen Lebensmittelkette aktiv war. Diese Lebensmittelkette hat uns bereitwillig Informationen über das Subunternehmen gegeben. Sie sind eigentlich diejenigen, die Druck ausüben können, da sie den Auftrag an das Unternehmen vergeben haben. Die Auftraggeber sind zumeist um ihren »guten Ruf« besorgt und daher besonders empfindlich, wenn es um die Frage der Einschaltung von Medien geht. Auch besteht seit 1999 eine Generalunternehmerhaftung im Arbeitnehmer-Entsende-Gesetz, allerdings nur für das Bauhaupt- und Baunebengewerbe. D.h. der Auftraggeber bis hin zum Generalunternehmer kann für die Nichtauszahlung der Löhne verantwortlich gemacht und beim Arbeitsgericht beklagt werden.
Falls eine gütliche Einigung nicht möglich ist, muss der Rechtsweg beschritten werden. Dazu gibt es die zwei Möglichkeiten: Mahnverfahren und Klage.
Für die Einleitung eines Mahnverfahrens wegen Lohnforderungen beim Arbeitsgericht gibt es amtliche Vordrucke bei Schreibwarenläden (wichtig: die meisten Schreibwarenläden haben nur Vordrucke für Mahnverfahren beim Amtsgericht, auf die Richtigen achten!). Auf den Vordrucken ist die zustellfähige Adresse des AG, Vor- und Nachname des Geschäftsführers, die Lohnforderung, der Zeitraum u.s.w. einzutragen. Wenn das Arbeitsgericht den Vordruck erhält, leiten sie diesen an den AG weiter. Wenn dieser nicht innerhalb von einer Woche Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegt, wird ein Vollstreckungsbescheid erlassen. Gegen diesen kann der AG noch zwei Wochen Widerspruch einlegen, danach ist er rechtskräftig, und das Geld kann eingefordert werden. Wenn Widerspruch eingelegt wird, kommt es zu einer Güteverhandlung beim Arbeitsgericht. Der Mahnbescheid ist für den AN gebührenpflichtig, abhängig von der Höhe des eingeforderten Lohnes.
Eine letzte Möglichkeit ist die Einleitung einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Nach unseren Erfahrungen wird vom Arbeitsgericht nur danach gefragt, ob ein Arbeitsverhältnis tatsächlich besteht bzw. bestanden hat und wie hoch die daraus resultierenden Forderungen sind. Gefragt wird also, wann und mit wem ein Arbeitsvertrag vereinbart wurde, was vereinbart wurde und ob es schriftliche Dokumente oder Zeugen gibt. Bisher haben Arbeitsrichter in Berlin nicht nach der Arbeitserlaubnis gefragt, die für das faktische Arbeitsverhältnis auch unerheblich ist. Für Betroffene, die einen legalen Aufenthaltsstatus z.B. als Tourist besitzen, ist das persönliche Erscheinen vor Gericht daher nach unseren Erfahrungen möglich. In Fällen, wo das persönliche Erscheinen nicht möglich ist, sollte ein Rechtsanwalt mit der Vertretung beauftragt werden. In Berlin wurden die »Sans Papier« von Rechtanwälten vertreten oder hatten als Kontaktadresse eine Beratungsstelle angegeben. Gerade bei Menschen, die ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis gearbeitet haben und klagen wollen, ist es wichtig, vorsichtig zu sein und noch mehr Erfahrungen zu sammeln.
Der Kläger kann die Klage selbst oder von einem Bevollmächtigten (Privatperson oder Rechtsanwalt) oder durch die Rechtsantragsstelle beim Arbeitsgericht formulieren lassen. Es ist sinnvoll, bei einer ersten Formulierung einer solchen Klage die kostenlose Hilfe der Rechtsantragsstelle (oder von Gewerkschaftssekretären, wenn entsprechende Kontakte bestehen) in Anspruch zu nehmen. Die Klage wird dem AG durch das Arbeitsgericht zugestellt. Wichtig ist die Angabe einer zustellfähigen Adresse mit Vor- und Zunamen des Geschäftsführers. Gleichzeitig wird ein Termin für eine erste Güteverhandlung bestimmt. Zum Gütetermin werden beide Parteien vorgeladen und sollen sich vor und mit Hilfe des Gerichts gütlich einigen. Es soll ein Vergleich gemacht werden, bei dem beide Parteien aufeinander zugehen.
Der AN und/oder seine Vertretung muss darauf achten, sich nicht mit zu wenig Lohn zufrieden zu geben. Es muss aber auch abgewogen werden, welches Risiko mit einem weiteren Gerichtstermin verbunden sein kann. Wenn keine Zeugen vorhanden sind oder sie nicht vor Gericht auftreten wollen, weil sie keine Aufenthaltspapiere haben, muss abgewogen werden, ob der Vergleich akzeptiert wird oder nicht. Es kann auf alle Fälle eine Widerruffrist vereinbart werden, in der sowohl AG als auch AN den Vergleich ablehnen können. Erst wenn diese Frist vorbei ist, ist der Vergleich gültig.
Wenn es zu keinem Vergleich gekommen ist, wird ein Gerichtstermin anberaumt. Bei dem sollte dann spätestens ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden. Wenn es zu einem Vergleich oder, bei einer Gerichtsverhandlung, zu einem Titel kommt und die Zahlung nicht innerhalb einer zu bestimmenden Frist erfolgt, muss ein Gerichtsvollzieher eingeschaltet werden, der sich um die Erfüllung des richterlichen Urteiles bemüht.
Die Kosten für den rechtsanwaltlichen Beistand können auch für Personen mit Wohnsitz im Ausland im Zuge der Prozesskostenhilfe (PHK) vom Staat übernommen werden, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hat. Der Prozesskostenhilfeantrag und der Antrag auf Hinzuziehung eines Dolmetschers (bei Bedarf) müssen zusammen mit der Klage auf Lohnzahlung eingereicht werden. Auch beim Einschalten eines Gerichtsvollziehers muss vorher PKH beantragt werden, damit dieser keine Gebühren kostet.
Die rechtliche Durchsetzung von Lohnansprüchen prekär Beschäftigter ist in Deutschland ein weitgehend unbearbeitetes Feld. Es müssen noch viele Erfahrungen gesammelt und weitergegeben werden.
Weitere Infos auch unter: www.respect.de
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