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Updated: 18.12.2012 15:51
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Thomas Hohlfeld / Dirk Vogelskamp

Rechte für ein weltweites Subproletariat? – Die UN-Konvention zum Schutz der Rechte von WanderarbeiterInnen

Weltweit nimmt die Entwurzelung von Menschen zu. Das ist unter anderem eine Folge dessen, was allgemein als „neoliberale Globalisierung“ bezeichnet wird. Gemeint ist damit die expansiv gewaltsame Durchdringung aller Lebensverhältnisse bis in den letzten Weltwinkel hinein und ihre Zurichtung nach den Erfordernissen der Kapitalverwertung. Deshalb sind unzählige Menschen gezwungen, sich aufzumachen aus den Schütterzonen der Globalisierung, aus wirtschaftlichen Depressionsregionen und politischen Krisengebieten. Diese globalen Wanderungsbewegungen machen auch vor den immer stärker befestigten Grenzen nicht halt – auf der Suche nach existenzsichernder Arbeit, Schutz, Einkommen und menschengerechten Lebensperspektiven.

Die Lebenschancen, also die Möglichkeiten, das eigene Leben möglichst selbstbestimmt zu erhalten und zu gestalten, sind global extrem ungleich verteilt. Die neoliberale Strategie der Privatisierung, Deregulierung und Anpassung aller Lebensverhältnisse an die Weltmarktdiktate hat verheerende Folgen in weiten Teilen der Welt hinterlassen. Sie zerlegt die Welt in Räume bitterer Armut, Gewaltsamkeit und Entrechtung einerseits und ungeahnten Wohlstands andererseits. Die Welt wird fragmentiert in „Zonen des Lebens und Zonen des Todes“ (Etienne Balibar) und bringt ein Heer von „Weltüberflüssigen“ (Johannes Agnoli) hervor.

Aus diesem Gefälle innerhalb der weltweiten Lebens-, Arbeits- und Produktionsbedingungen speist sich die fortwährende Kapitalakkumulation und erwächst Gewinn für die Menschen und transnationalen Unternehmen in den wohlhabenden Industriestaaten des globalen Nordens. Doch die Zonierung der Welt, deren Grenzen nicht klar abgegrenzt verlaufen und die ebenso innerhalb der Zitadellen des Reichtums aufzufinden sind (z.B. in Formen der – auch räumlichen – Ausgrenzung von Minderheiten, Stichwort: Lagerpolitik), wird durch die globalen Migrationsbewegungen unterlaufen. Darum müssen die Grenzen der profitablen Ungleichheitsordnung gewaltsam aufrecht gehalten werden. Tausende MigrantInnen lassen ihr Leben bei dem Versuch, von der einen in die andere Zone zu gelangen.
Die Grenzen sind aber nicht grundsätzlich undurchlässig. Entsprechend der nationalen und wirtschaftlichen Interessen des „Nordens“ werden hochqualifizierte MigrantInnen grenzüberschreitend angeworben und SaisonarbeiterInnen erhalten befristete legale Arbeitsgelegenheiten im Niedrigstlohnbereich.

Auch einem Teil der prinzipiell unerwünschten MigrantInnen gelingt es, unerlaubt in die Wohlstandszonen vorzudringen. Dort werden sie von den informellen und unregulierten Arbeitsmärkten aufgesogen. Sie verdingen sich als Haus- und Sexarbeiterinnen, als TagelöhnerInnen auf Baustellen, Feldern und Plantagen, in Schwitzbuden und Restaurants. Diese ArbeitsmigrantInnen bilden das profitabel ausbeutbare Unterfutter einer globalisierten Ökonomie, die den Preis für die Weltmarktware Arbeitskraft drückt. Dies gilt insbesondere für jene arbeitsintensiven Sektoren (Bauwirtschaft, Landwirtschaft, hausnahen Dienstleistungen, Gastronomie, Pflegewirtschaft usw.), die nicht in andere Länder ausgelagert werden können. Philippinische Migrantinnen in Hongkong, marokkanische LandarbeiterInnen in Spanien, rumänische Werkvertragsarbeiter auf deutschen Schlachthöfen oder polnische ErntehelferInnen schuften unter sklavenähnlichen, menschenunwürdigen Bedingungen. Sie sind fortwährender Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt, sie vermeiden aus Angst vor Abschiebung und Ausweisung dringend notwendige Arztbesuche, und ihre Kinder können ohne geregelten Status nicht die Schule besuchen.

Die Rechte der ArbeitsmigrantInnen

Gegenüber MigrantInnen werden fundamentale Menschenrechte also vielfach verletzt oder missachtet, insbesondere, wenn sie sich „unerlaubt“ im Lande aufhalten oder „unerwünscht“ sind. Gegen diese Praxis wendet sich die „Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und deren Familienangehörigen“ (im Folgenden: UN-Konvention genannt). Diese UN-Konvention wurde in der Überzeugung geschaffen, dass es notwendig sei, Menschenrechte für ImmigrantInnen präzise zu bestimmen, ihre Beachtung zu überwachen und Möglichkeiten ihrer besseren Durchsetzbarkeit in der Praxis zu schaffen. Die Entwicklung und Verabschiedung der UN-Konvention hat viel Zeit in Anspruch genommen. Sie geht auf einen Beschluss der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1979 zurück und wurde am 18. Dezember 1990 von ihr verabschiedet. In der BRD ist sie weitgehend unbekannt geblieben, obwohl sie seit dem 1.7.2003 in Kraft getreten ist, nachdem mehr als 20 Staaten sie ratifiziert haben.

WanderarbeiterInnen sind der UN-Konvention zufolge all diejenigen, „die in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht haben, eine Tätigkeit gegen Entgelt ausüben werden, ausüben oder ausgeübt haben“. Damit definiert die UN-Konvention auf internationaler Ebene zum ersten Mal den Begriff des „Wanderarbeitnehmers“ – zu dem sowohl legale ArbeitsmigrantInnen, SaisonarbeiterInnen und GrenzgängerInnen, als auch irreguläre ArbeiterInnen ohne Aufenthaltsstatus gehören – sowie die Kategorie der „Familienmitglieder“ und arbeitet deren spezifische Menschenrechte heraus.

Die Bedeutung der UN-Konvention kann anhand einiger Punkte verdeutlicht werden:

  • Die ausländischen Arbeitskräfte werden nicht als bloße Objekte von Wirtschaftsunternehmen betrachtet. Sie verfügen vielmehr über unhintergehbare Rechte und schutzbedürftige persönliche und familiäre Interessen.
  • Die Konvention berücksichtigt, dass immigrierte Arbeitskräfte und ihre Familienangehörigen in vielen Belangen grundsätzlich nicht ausreichend geschützt sind, da sie keine Staatsangehörigen des Landes sind, in dem sie arbeiten und sich aufhalten.
  • Die fundamentalen Menschenrechte gelten der Konvention gemäß für alle WanderarbeiterInnen, gleich, ob sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen oder nicht. Reguläre ArbeitsmigrantInnen und deren Familienmitglieder verfügen darüber hinaus über weiter gehende Rechte, insbesondere auf Nicht-Diskriminierung in wesentlichen juristischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen gegenüber Staatsangehörigen des Einwanderungslandes.
  • Die UN-Konvention will einer ungehemmten Ausbeutung von Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeitern und ihrer Familienangehörigen jenseits jeglicher rechtlicher Normierungen vorbeugen und diese international bekämpfen. Mindestschutzstandards für immigrierte Arbeitskräfte und ihre Familienmitglieder sollen in allen Ländern gleichermaßen gelten.

Die UN-Konvention nimmt im Ergebnis die weltweit diskriminierten und ausgegrenzten ArbeitsmigrantInnen als Rechtssubjekte ernst. Die unteilbaren Menschenrechte dieses globalen Subproletariats (das Recht auf Freiheit, auf Familieneinheit, auf Bildung, auf körperliche Unversehrtheit und medizinische Behandlung, auf gleiche Bezahlung, rechtsstaatliche Verfahrensweisen etc.) gelten unabhängig von der nationalstaatlichen, aufenthaltsrechtlichen Gesetzgebung und von ordnungspolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Exillandes. Werden diese Rechte verletzt, müssen sie eingeklagt werden können.

Verweigerung fundamentaler Rechte

Zu den bisherigen Unterzeichnerstaaten der UN-Konvention gehört keine der reichen Industrienationen der Welt, kein Mitgliedsland der EU – auch nicht die BRD. Es sind vor allem die Herkunftsstaaten der WanderarbeiterInnen (z.B. Ägypten, Marokko, Philippinen), welche die UN-Konvention ratifiziert haben, um ihre Staatsangehörigen vor Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung zu schützen.

Während sich die UN-Konvention der besonderen Probleme von ca. 150 Millionen WanderarbeiterInnen weltweit anzunehmen versucht, weigern sich die kapital- und militärmächtigen Staaten, in denen diese ArbeitsmigrantInnen vorwiegend ausgebeutet werden, die grundlegenden Bedürfnisse dieser Menschen wahrzunehmen und sie rechtlich abzusichern. Es ist skandalös und grundrechtswidrig, dass auch deutsche Gesetze, insbesondere das Ausländergesetz, wichtigen Bestimmungen der UN-Konvention entgegen stehen und die Bundesregierung eine Ratifikation der Schutz-Konvention hartnäckig verweigert.

Dabei ist das, was die 2003 in Kraft getretene Konvention speziell auf WanderarbeiterInnen bezogen normiert, bereits im Kern auch in der von der BRD unterzeichneten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und in den internationalen Pakten über bürgerliche und politische, sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte enthalten. Dem Grundgesetz gemäß (vgl. Art. 1, insbesondere Abs. 2 + 3 GG) müssten diese Menschenrechtsbestimmungen in der BRD “unmittelbar”, d.h. gerade auch für WanderarbeiterInnen, gelten. Die rot-grüne Bundesregierung begründet ihre Weigerung eines wirksamen Schutz der Menschenrechte von WanderarbeiterInnen, wie er mit der UN-Konvention angestrebt wird, damit, dass dies einen “Anreiz” darstellen könne, ohne eine Erlaubnis in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Dabei tastet die UN-Konvention das Recht der Nationalstaaten, über den Zugang zu bzw. den Aufenthalt in ihren Territorien zu bestimmen, ausdrücklich nicht an! Es geht der Konvention um die Verhinderung menschenrechtlicher Grenzverletzungen – jenseits nationalstaatlicher Grenzen. Die Haltung der Bundesregierung fördert hingegen Diskriminierungspraktiken, massive Ausbeutung und Gewaltverhältnisse, unter denen viele illegalisierte und prekarisierte ArbeiterInnen hierzulande leben müssen.

Eine Initiative wider den phrasenhaften Gebrauch der Menschenrechte

Aus diesem Grunde hat sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie entschieden, eine Initiative zur Unterzeichnung der UN-Konvention in Form einer Massenpetition zu starten.

Die praktischen Auswirkungen im Falle einer Unterzeichnung der UN-Konvention dürfen nicht überschätzt werden. Viele Rechte stehen aufgrund „weicher“ Formulierungen und unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Vorbehalt einer einengenden Rechtsauslegung. Eine große Gruppe von Menschen – Flüchtlinge, Asyl Suchende und andere – kann sich auf die UN-Konvention nicht berufen. Ebenso enthält die Konvention keine Empfehlung zur „Legalisierung“ langjährig im Lande lebender Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Das Grundrechtekomitee hält dies für unzureichend. Dennoch: Die BRD müsste wenigstens den Schritt tun, die UN-Konvention zu unterzeichnen und ihre Bestimmungen umzusetzen.

Da die Bundesregierung hierzu bislang nicht bereit ist, will das Komitee für Grundrechte und Demokratie mit seiner Petition eine öffentliche und parlamentarische Debatte über die UN-Konvention in Gang setzen und damit die fortwährende Einschränkung fundamentaler Menschenrechte illegalisierter und marginalisierter MigrantInnen thematisieren. Diese Initiative will andere Kampagnen, insbesondere solche zum Schutz von Illegalisierten, ergänzen. Die Rechte von Wander-ArbeitsmigrantInnen gehören zu den unteilbaren Menschenrechten, zu deren möglichst umfassender Verwirklichung weltweit wir verpflichtet sind.


Das vierseitige Petitionsfaltblatt für die Unterschriftensammlung kann angefordert werden unter: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln, oder unter: info@grundrechtekomitee.de

Thomas Hohlfeld hat für das Komitee an der Formulierung der Petition mitgewirkt
Dirk Vogelskamp arbeitet im Sekretariat des Komitees für Grundrechte und Demokratie


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