letzte Änderung am 19. März 2003

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Hier interessieren die Vereinten Nationen nicht!

UNO-Konvention zu Rechten von Migranten

Albrecht Kieser*

Zum 1. April tritt eine UNO-Konvention in Kraft, die vermutlich von keinem Migrations-Zielland unter-stützt und ratifiziert werden wird, denn sie gesteht auch den so genannten Irregulären bzw. Illegalen unveräußerliche Rechte zu. So wird etwa Arbeitsrechten eindeutige Priorität gegenüber nationalstaatlichen Aufenthaltserlaubnissen eingeräumt. Der folgende Text von Albrecht Kieser befasst sich mit dieser UNO-Konvention, die – umgesetzt – sicherlich zu einer nachhaltigen Entspannung im Bereich von menschen- und arbeitsrechtlichen, aber auch gewerkschaftspolitischen Verhältnissen beitragen könnte, gleichwohl sollte vor allzu viel Euphorie gewarnt werden, die Globalisierung wird sich dadurch nicht automatisch »umdrehen« lassen (siehe unten angefügten Beitrag des »forum antirassistischer initiativen«).

Im ›express‹ 10/2002 hatte Norbert Cyrus über das Projekt ZAPO in Berlin und über »alternative Strategien im Umgang mit Illegalisierten« berichtet. Wir dokumentieren anschließend einen Beratungsleitfaden, den das mittlerweile leider geschlossene Projekt in seiner Praxis verwandt und veröffentlicht hat. Zur Nachahmung auf jeden Fall empfohlen.

 

Am 18. Dezember 2002 trat eine Konvention in Kraft, die auf angenehme Weise dem bürgerlich-liberalen Grundsatz »Gleiches Recht für alle« verpflichtet ist. Gemeint ist die »Konvention zum Schutz der Rechte aller MigrantInnen und ihrer Familien«. Genau zwölf Jahre zuvor hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen diese Konvention beschlossen. Mitte 2002 wurde sie vom letzten der zwanzig Staaten ratifiziert, die nötig sind, um dieses Gesetzeswerk in Kraft zu setzen (ein Prozess, der am 1.April 2003 abgeschlossen sein wird). Das Entscheidende und Neue an dieser Konvention ist nicht nur, dass in 71 Artikeln die Menschenrechte, wie sie in den Erklärungen der UNO definiert sind, bis ins Einzelne für MigrantInnen konkretisiert werden. Herausragend ist die Konvention auch deshalb, weil sie allen MigrantInnen diese Menschenrechte zuerkennt. Allen, das heißt, MigrantInnen mit einem regulären Aufenthaltsstatus wie auch solchen, die keinen regulären Aufenthaltsstatus besitzen. Die so genannten Irregulären also, die Illegalen, die »Sans Papiers«.

Angesichts des Prinzips, das Recht auf vereinbarten Lohn, auf Zugang zum Rechtssystem, zum Gesundheitssystem oder zum Schulwesen komme allen MigrantInnen zu, ist der deutschen Bundesregierung der Schreck schon bei Verabschiedung der Konvention derart in die Glieder gefahren, dass sie schriftlich betont hat, sie wolle diese Konvention niemals unterschreiben. Niemals – das ist wörtlich zu nehmen. Die alte, die Kohl-Regierung, hatte es zuerst erklärt. Und die nicht mehr ganz neue, die rot-grüne, hat es gleich noch einmal wortgleich hinaus posaunt – sicher von ein und demselben Ministerialbeamten formuliert. Zitat: »Die Position der Wanderarbeitnehmer in ungesetzlichen Situationen wird in dem Übereinkommen in einer Weise geschützt, die über das unbestrittene Erfordernis, ihnen grundlegende Menschenrechte nicht zu verweigern, weit hinausgeht.« So, wie gesagt, wortgleich 1996 und 1999, einmal auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Karsten Voigt, dann auf eine der PDS-Abgeordneten Ulla Lötzer.

Der Schreck vor der Konvention ist der Schreck der Ertappten. Denn die UNO-Konvention hebt mitnichten die Weltordnung aus den Angeln. Den Nationalstaaten bzw. Staatenverbänden wird nicht das »Recht« abgesprochen, an ihren Grenzen darüber zu wachen, wen sie einlassen wollen und wen nicht; und auch das »Recht«, ihnen nicht genehme Fremde von ihrem Staatsgebiet zu entfernen, wird nicht bestritten. Bloß setzt die Konvention die Menschenrechte aller MigrantInnen höher als das »Recht« des Staates auf Ausweisung. Ausdrücklich zugesichert werden auch irregulären MigrantInnen und ihren Kindern z.B. das Recht auf Schulbesuch und der Zugang zum Gesundheitswesen (Artikel 28 und 30), gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Beschäftigungsbedingungen und gleicher Kündigungsschutz sind ebenso zentraler Bestandteil der Konvention (Artikel 25). Und: wer gearbeitet hat, der hat auch seinen Lohn zu bekommen, egal, ob sein Aufenthaltsstatus legal ist oder illegal. Wenn nötig, soll er seine Ansprüche auf dem Rechtsweg durchsetzen können. Schließlich darf dem Migranten sein verdienter Lohn ausdrücklich nicht mit der Rechtfertigung abgenommen werden, er habe seine Arbeit als »Illegaler« getan oder er solle gefälligst damit seine Ausweisungskosten finanzieren. Eine übliche staatliche Raubritterpraxis in Deutschland. Artikel 22 der Konvention legt fest: »Im Falle der Ausweisung ist dem Betroffenen angemessen Gelegenheit zu geben, sich alle Lohnansprüche und sonstigen Ansprüche, die er gegebenenfalls hat, abgelten zu lassen und alle offenen Verpflichtungen zu regeln.« Was ist angemessen? Eine ungeklärte Frage in der Konvention. In der Regel dürften angemessene Gelegenheiten nur bestehen, solange der Migrant noch im Lande ist. Artikel 22 sagt allerdings, ihm sei angemessen Gelegenheit »vor oder nach der Abreise« zu geben – ein Hinweis darauf, dass die Konvention sehr wohl von den abschiebewütigen Ordnungspolitikern der Zielländer von Migranten beeinflusste werden konnte.

Das Abschieberecht von Staaten steht dennoch eindeutig hinter den individuellen Menschenrechten der MigrantInnen zurück. Entscheidend ist beispielsweise, dass auch irreguläre MigrantInnen vor Gericht klagen können und ihnen alle Rechte als Kläger, insbesondere das der persönlichen Anwesenheit zustehen (Artikel 18). Von solcher Zweitrangigkeit staatlicher Ordnungspolitik hinter individuellen menschenrechtlichen Ansprüchen ist deutsches Ausländerrecht, schon im gedanklich-systematischen Ansatz, weit entfernt. Kriminalisierung irregulärer MigrantInnen wiegt höher als ihr individueller Rechtsanspruch. Das ist gelebter Ordnungsfanatismus und hat nebenbei den hübschen Effekt, dass man diese Leute gnadenloser ausbeuten kann.

Es muss an diesem Motiv liegen, dass nicht nur Deutschland, sondern kein einziger Staat, der Ziel von Migranten ist, die UNO-Konvention bislang ratifiziert hat. Die Liste der Unterzeichner ist eine Liste der Geberländer – der Geberländer von billiger, auswärts ausgebeuteter Arbeitskraft. Bolivien, Kolumbien, Ägypten, Ghana, Marokko, um nur ein paar zu nennen. Dennoch. Der Aufstand der Underdogs ist als gutes Recht in der Welt. Und das schlechte Ausländerrecht der Reichen sieht sich zum ersten Mal mit einer moralischen Instanz von internationalem Gewicht konfrontiert.

Weitere Informationen zur Konvention und über eine international organisierte Kampagne zur Unterzeichnung bzw. Anerkennung dieser Konvention auf der Homepage von »Dezember 18«, einem Forum verschiedener Migrantenorganisationen wie dem »Europäischen Netz gegen Rassismus« (ENAR), PICUM (Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants) und »Kein Mensch ist illegal« u.a.: http://www.december18.net/g-frontpage.htm

* Albrecht Kieser arbeitet für das Rheinische JournalistInnenbüro. Der Text ist die überarbeitete Fassung eines Rundfunkkommentars, den Kieser für den WDR verfasst hatte. Der Beitrag ist in gekürzter Form auch in der März-Ausgabe des Informationszentrum 3. Welt (IZ3W) erschienen.

Kontakt: Merowingerstraße 5-7, D-50677 Köln, Tel. (0221) 31 70 91, 331 87 52, email: rjb-koeln@t-online.de

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/03

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