– Kurzfassung –
Mit Beginn diesen Jahres hat sich unverhofftes – und unverdientes – Glück gleich doppelt über der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung ausgebreitet:
Zum einen haben schwarze Kassen, Parteispendenskandale, Rüstungslobby und Niedergang der CDU die Wirtschaftspolitik fast völlig aus der öffentlichen Diskussion verdrängt und der Bundesregierung breiten
Zum einen haaum verschafft. Sie nutzt ihn im wesentlichen dazu, sich von alten Wahlversprechen weitgehend unbemerkt zu verabschieden. Statt auf mehr Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit konzentriert sie sich auf Haushaltsausgleich und Pflege der Unternehmensgewinne.
Zum anderen sind die Konjunkturaussichten für dieses Jahr vergleichsweise positiv. WirtschaftsforscherInnen und PolitikerInnen gehen davon aus, daß die Einbrüche und Schwächen der vergangenen Jahre überwunden sind: In Deutschland soll die Wachstumsrate sich gegenüber 1999 fast verdoppeln, für die Europäische Währungsunion, die EU insgesamt und die USA rechnen die ExpertInnen mit noch höheren Steigerungen des Bruttoinlandsproduktes. Selbst für Japan steht eine allmähliche Erholung in Aussicht, und die "Tigerländer" Asiens boomen schon wieder. Die Instabilitäten und Krisen, die 1997 in Asien begannen, 1998 Russland und 1999 Lateinamerika besonders hart trafen, werden rückblickend als vorübergehende Störungen einer stabilen Wachstumsdynamik gewertet.
Die Bundesregierung sieht sich mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik vor diesem Hintergrund auf Erfolgskurs. Dabei übersieht – oder verschweigt – sie allerdings drei wesentliche Punkte, die das allgemeine Wachstumsglück trüben:
Erstens wird der konjunkturelle Aufschwung – wenn er so wie vorausgesagt abläuft – kaum dazu führen, daß neue Arbeitsplätze entstehen. Er wird nicht zur Verringerung der hohen Massenarbeitslosigkeit in Deutschland beitragen. Vollbeschäftigung – die wir nach wie vor für das vorrangige Ziel der Wirtschaftspolitik halten – ist auf diesem Wege jedenfalls nicht zu erreichen. Der Sachverständigenrat rechnet beispielsweise damit, daß der kräftige Aufschwung in diesem Jahr gerade 120.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wird. Selbst wenn das Wachstum langfristig anhalten würde – womit nicht zu rechnen ist – würde es auf diesem Wege über 55 Jahre dauern, bis die rund 7 Millionen Arbeitsplätze entstanden wären, die gegenwärtig zur Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik fehlen. Damit es zu deutlich höherer Beschäftigung kommt, kann die Bundesregierung sich nicht auf die Konjunktur verlassen. Sie muß endlich energische Beschäftigungspolitik betreiben – schließlich war dies auch ihr zentrales Wahlversprechen.
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1997 |
1998 |
1999 |
2000 |
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* |
** |
*** |
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Deutschland |
1,5 |
2,2 |
1,4 |
2,7 |
2,7 |
-- |
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Euro-Raum |
2,4 |
2,8 |
2,1 |
2,9 |
2,9 |
2,8 |
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USA |
3,9 |
3,9 |
3,7 |
3,1 |
2,5 |
2,6 |
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Japan |
1,4 |
-2,8 |
1,0 |
1,3 |
1,0 |
1,5 |
* = SVR-Prognose ** = Prognose der Institute *** = IWF-Prognose
Zweitens schlägt sich die positive konjunkturelle Entwicklung der Wirtschaft nicht in einer Verbesserung der sozialen Lage der Menschen nieder, die einer solchen Verbesserung am meisten bedürfen. Dafür ist vor allem die Haushaltspolitik der Bundesregierung verantwortlich. Deren Sorge gilt nicht in erster Linie dem Wohlstand der Menschen, sondern dem Abbau der öffentlichen Neuverschuldung. Daher hat sie für dieses Jahr ein Paket von Einsparmaßnahmen bei den öffentlichen Ausgaben verfügt, durch das in erster Linie und mit besonderer Härte die schwächsten Schichten der Gesellschaft getroffen werden: RentnerInnen, Arbeitslose und BezieherInnen von Sozialleistungen.
Drittens vernachlässigen die restriktive Haushaltspolitik und die Orientierung auf Exportüberschüsse die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge und die sich daraus ergebende Verantwortung der EU und insbesondere Deutschlands als das ökonomisch stärkste Mitgliedsland: Wenn in diesem Jahr das Wirtschaftswachstum der EU höher ausfallen wird als das der USA – wovon die meisten Prognosen ausgehen – dann wird der Export an Bedeutung verlieren. Es wäre dann völlig falsch, ihn durch wirtschaftspolitische Maßnahmen künstlich zu forcieren, weil dies wachstumshemmend für die übrige Welt wirken würde. Wenn die EU die Rolle als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft verantwortlich von den USA übernehmen will, muß sie vielmehr in erster Linie dafür sorgen, daß die Binnennachfrage zunimmt und von ihr expansive weltwirtschaftliche Impulse ausgehen.
Der Konjunkturaufschwung kann also eine vernünftige Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Er kann aber umgekehrt durch eine falsche Wirtschaftspolitik gebremst und vorzeitig abgebrochen werden. Das hätte schädliche Konsequenzen für die Entwicklung von Beschäftigung und Lebensqualität der Menschen weit über Deutschland hinaus. Wir sind der Ansicht, daß diese Gefahr beim aktuellen Kurs der deutschen Wirtschaftspolitik besteht. Daher wollen wir im folgenden diesen Kurs kritisieren und Alternativen vorschlagen, die dazu führen können, die Wahlversprechen der jetzigen Bundesregierung auf mehr Beschäftigung und soziale Gerechtigkeit umzusetzen und positive Impulse für die europäische Integration und die weltwirtschaftliche Entwicklung zu geben.
Die derzeit positive Konjunkturentwicklung in Gesamtdeutschland verdeckt die gegenläufigen Tendenzen in Ost- und Westdeutschland. Seit 1997 liegt das Wachstum im Osten unter dem im Westen. Eine Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen erforderte dagegen die gegenteilige Konstellation, nämlich überdurchschnittliches Wachstum in den neuen Ländern.
Die unterdurchschnittlichen Wachstumsraten wirken sich auch am Arbeitsmarkt aus: Zwar sank die Zahl der Arbeitslosen 1999 um 36.500 Personen, zugleich nahm aber auch die Zahl der Erwerbstätigen um 22.000 Personen ab. Die – ohnehin marginale – Entlastung des ostdeutschen Arbeitsmarktes ist demnach überwiegend auf eine Verringerung des Arbeitsangebotes zurückzuführen, nicht aber auf eine gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften.
Die ungünstige Konjunktur in Ostdeutschland hat im wesentlichen zwei Gründe: Erstens kann der Osten nicht am exportgeleiteten Aufschwung teilhaben, da die deutschen Exportindustrien im Westen konzentriert sind. Zweitens ist die Bautätigkeit, die in Ostdeutschland gut ein Drittel zur Wertschöpfung des Produzierenden Gewerbes beiträgt, auch im vergangenen Jahr erheblich zurückgegangen. Wie in den Vorjahren macht sich hier der Rückgang der öffentlichen Bauaufträge bemerkbar, während hiervon in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit noch Wachstumsimpulse ausgingen.
Fehlende Exportindustrien und der hohe Anteil des Baugewerbes an der gesamten Wertschöpfung weisen über ihre konjunkturelle Bedeutung hinaus auf die Strukturprobleme Ostdeutschlands hin. Stabiles Wachstum kann zwar nicht auf der einseitigen Ausweitung der Exporte – mit dem Ziel, Außenhandelsüberschüsse zu erzielen – begründet werden, trotzdem erfordert regionales Wachstum einen Mindestanteil an Exporten. Erstens gehen von Exportindustrien aller Erfahrung nach positive Produktivitätseffekte auf die gesamte Ökonomie aus, und zweitens kann ohne Exporte die Finanzierung von Importgütern, die in einer bestimmten Region nicht hergestellt werden können, nicht dauerhaft gesichert werden.
Diese Strukturprobleme werden dadurch verschärft, daß die bloße Übernahme der westdeutschen Wirtschaftsstruktur keine Entwicklungsperspektive bieten würde. Die Transformationskrise Ostdeutschlands hat zu einer schlagartigen Deindustrialisierung geführt, die sich auch in Westdeutschland bereits seit drei Jahrzehnten, dafür aber sehr langsam vollzieht. Insofern stellt sich die Notwendigkeit, neue Beschäftigungsfelder zu erschließen, im Osten nur in besonders krasser Form, ist aber ein gesamtdeutsches Problem.
Um eine Verschärfung der ungleichen Entwicklung in Ost- und Westdeutschland zu vermeiden, ist eine Fortführung der Finanztransfers auf dem gegenwärtigen Niveau unabdingbar. Da die Investitionstätigkeit in Ostdeutschland nicht nur – wie im Westen – durch unzureichende Nachfrage, sondern auch durch deutlich schlechtere Finanzierungsbedingungen behindert wird, ist die Eigenkapitalbildung zu fördern.
Es wurde bereits angedeutet: Ohne eine expansive Nachfragepolitik, die der privaten Nachfrageschwäche entgegensteuert, kann selbst ein gegebenes Beschäftigungsniveau nicht gehalten werden. Deswegen werden auch alle arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Maßnahmen kaum positive Beschäftigungseffekte erzielen, wenn sie nicht in einen ausreichend weit abgesteckten Rahmen der Nachfrageentwicklung eingebettet werden.
Wird die Geldpolitik des vergangenen Jahres an diesem Maßstab gemessen, kommt man zu einer widersprüchlichen Einschätzung. Von der Euro-Einführung im Januar 1999 bis zum November hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine recht lockere Geldpolitik betrieben, die zumindest von Seiten der Zinskosten keine Nachfragehemmnisse aufgebaut hat. Dies ist besonders positiv hervorzuheben, weil die Abwertung des Euro – von 1,18 $ pro Euro im Januar auf 1,03 $ im November – nicht zum Anlaß genommen wurde, durch Zinssteigerungen die Kapitalexporte aus dem Euro-Raum zu bremsen. Auf diese Weise hätte sich der Außenwert des Euro möglicherweise stabilisieren lassen, aber es wäre vermutlich zu zinsbedingten Nachfrageausfällen innerhalb Europas gekommen.
Seit dem Herbst wurden die Zinssätze für Hauptrefinanzierungsgeschäfte, mit denen die EZB Einfluß auf die Geldmarktzinsen nimmt, jedoch zweimal leicht angehoben: Im November 1999 und im Februar 2000. Nun sind Steigerungen der kurz- gegenüber den langfristigen Zinsen ein typisches Kennzeichen der Spätphase eines Konjunkturzyklus, weil sich die Gewinnerwartungen, die auf den langfristigen Zins einwirken, dann verschlechtern. Wird die Zinsdifferenz dagegen in einer Phase steigender Nachfrage und entsprechend positiver Gewinnerwartungen durch höhere Geldmarktzinsen verringert, besteht die Gefahr eines Investitionsrückganges.
Auch das Argument, ein geringer Außenwert des Euro führe zu importierter Inflation und würde auf diese Weise die Binnenkonjunktur untergraben, überzeugt nicht: In Deutschland sind die Verbraucherpreise 1999 trotz Abwertung und stark ansteigender Rohölpreise um gerade 0,6 % gestiegen. Angesichts eines solchen Wertes – der im Bereich der statistischen Messungenauigkeit liegt – von Inflationsgefahren zu sprechen, entbehrt jeder Grundlage. Im Gegenteil nähern sich die Bundesrepublik und die EU seit über einem Jahr einer Deflation, deren Folgen für Wachstum und Beschäftigung weit schädlicher sein werden als eine maßvolle Preissteigerung von 3 oder 4 Prozent es wäre. Die Rückkehr zu einer lockeren Geldpolitik ist daher dringend geboten; sofern diese zu einer Beschleunigung des Wachstums beiträgt, werden auch die Güterimporte zunehmen.
Wesentlich kritischer als die Geldpolitik der EZB ist jedoch die Fiskalpolitik der Mitgliedsstaaten der EU zu beurteilen. Obwohl internationale Organisationen wie die OECD und der IWF seit mehreren Jahren darauf hinweisen, daß trotz expansiver Ausgabenpolitik anhaltende Stagnationstendenzen in Japan und die zu erwartende Abschwächung der US-Konjunktur eine überdurchschnittliche Nachfrageentwicklung Europas erfordern, um die Weltkonjunktur zu stabilisieren, verweigern sich die EU-Staaten einer entsprechenden Politik. Vielmehr wird an den restriktiven Vorgaben des Stabilitätspaktes festgehalten, der auf dem Amsterdamer EU-Gipfel 1997 beschlossen wurde und mittelfristig einen Ausgleich oder sogar Überschuß in den öffentlichen Haushalten fordert.
Die rot-grüne Bundesregierung hat sich mit ihrer praktizierten Finanzpolitik von der Zieltriade Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit gegenüber den Vorgaben im Koalitionsvertrag mittlerweile verabschiedet. Im Mittelpunkt steht das oberste, zum Teil abenteuerlich begründete Ziel, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte bis zum Jahr 2006 die öffentliche Nettokreditaufnahme auf Null zurückzuführen. Dies soll durch ein deutlich langsameres Wachstum der Staatsausgaben gegenüber dem Wirtschaftswachstum erreicht werden. Das in der letzten Fassung vom Januar 2000 der EU vorgelegte deutsche "Stabilitätsprogramm 2000" sieht dazu eine Reduktion der Staatsquote von 48,5 % 1999 auf 45 % in 2003 für alle Gebietskörperschaften vor. Um diese Marke zu erreichen, müßten bis 2003 alle Gebietskörperschaften über 135 Mrd. DM einsparen. Die Umsetzung dieser Vorgaben auf der Ebene des Bundes sieht nach dem "Haushaltssanierungsgesetz" für das Jahr 2000 Ausgabenkürzungen von 30 Mrd. DM gegenüber der ursprünglichen Finanzplanung vor (bis 2003 50 Mrd. DM). Längerfristig soll das Wachstum der Staatsausgaben geringer ausfallen als das gesamtwirtschaftliche Wirtschaftswachstum. In diesem Jahr wird es aber sogar zu einer absoluten Ausgabensenkung um 1,4 % kommen. Die Kürzungen konzentrieren sich – neben Lastverschiebungen an die Länder und Gemeinden – auf die sozialen Transfers, aber auch auf die öffentlichen Investitionen. Diese Schrumpfpolitik belastet am Ende die sozial-ökonomische Entwicklung so, daß das Ziel, den Zuwachs der öffentlichen Kreditfinanzierung zu reduzieren, wahrscheinlich nicht erreicht werden kann:
Eine Politik, die unterstellt über die Verminderung öffentlicher Ausgaben die Budgets sanieren zu können, verschlechtert am Ende die ökonomischen und sozialen Entwicklungsbedingungen. Sie kann im Widerspruch zu ihrer Zielsetzung die finanzielle Krise vergrößern. Mit dem nachfragebedingten Rückgang des Wirtschaftswachstums sinken die Steuereinnahmen und steigen die Kosten der Arbeitslosigkeit, während in Zukunft Belastungen durch wachsende ökologische Reparaturen auf den Staat zukommen.
Zu diesem Schrumpfkurs gibt es eine Alternative für Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Umwelt und damit auch für künftige Generationen, die die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik im abschließenden Abschnitt dieses Memorandums unterbreitet.
Die rot-grüne Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Steuerpolitik als zentrales Reformprojekt angekündigt. Sie stand unter den drei Zielen: Arbeit, soziale Gerechtigkeit, Umwelt. Das im März 1999 verabschiedete "Steuerentlastungsgesetz" in den drei Stufen 1999, 2000, 2002 folgte durchaus noch dieser Zielsetzung. Der für die Besteuerung der Löhne und Gehälter entscheidende Grundfreibetrag wurde angehoben und der Eingangssteuersatz gesenkt. Der Spitzensteuersatz wurde erst mit Beginn diesen Jahres von 53 % auf 51 % gesenkt und sollte ab 2002 bei 48,5 % festgeschrieben werden. Hinzu kam die in zwei Stufen geplante Anhebung des Kindergelds für das erste und zweite Kind auf insgesamt 260 DM ab 2002. Zur Finanzierung der durch diese Maßnahmen entstehenden Steuerausfälle sind viele Maßnahmen zum Abbau von Steuervorteilen der Wirtschaft und Einkommensstarken durchgesetzt worden. Vor allem die massive Einschränkung von Rückstellungen für Risiken der Versicherungs- und Energiewirtschaft sowie eine generelle Verzinsung der Rückstellungen mit 5,5 % löste Widerstände der betroffenen Wirtschaft aus. Insgesamt war dieses Steuermodell recht solide finanziert. Bis 2003 sollten die Nettoentlastungen auf ca. 15 Mrd. DM beschränkt werden.
Auch unter dem Druck der Wirtschaft kam es zu einem Wechsel der Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung:
Bei der Einkommensteuerreform wird die ursprünglich für 2002 vorgesehene dritte Stufe auf 2001 vorgezogen. Am Ende soll der Eingangssteuersatz nicht bei 19,5 %, sondern 2003 bei 15 % liegen. Gegenüber dem ursprünglich angestrebten Spitzensteuersatz mit 48,5 % soll 2003 der Satz von 45 % gelten. Darüber hinaus ist im Rahmen der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vorgesehen, den Kinderfreibetrag stufenweise auf 12.428 DM pro Jahr anzuheben. Diese – teilweise bereits umgesetzten – Maßnahmen sind unterschiedlich zu beurteilen:
So ist die Entlastung der unteren Einkommensgruppen ein, wenngleich kleiner, Schritt in Richtung einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung. Zudem dürfte hierdurch unmittelbar Kaufkraft geschaffen werden, da die begünstigten Haushalte ihr Einkommen nahezu vollständig für den Verbrauch ausgeben. Aus diesem Blickwinkel ist die gleichzeitige Entlastung der oberen Einkommensgruppen jedoch kritisch zu beurteilen: Diese haben eine sehr hohe Sparquote und entziehen der Wirtschaft deshalb Kaufkraft. Hohe Sparquoten mögen in nicht-industrialisierten Gesellschaften notwendig sein, in denen Kapital knapp ist und für den Aufbau eines industriellen Kapitalstocks dringend erforderlich ist. Die Wirtschaft in Deutschland hat aber kein Problem der Kapitalknappheit; sie wird eher durch Kapitalüberschüsse geplagt, für die sie keine rentablen Anlagemöglichkeiten findet.
Aus verteilungspolitischer Perspektive ist darauf hinzuweisen, daß die Steuersatzsenkungen bei den oberen Einkommensgruppen zwar geringer ausfallen als bei den unteren Gruppen, die ursprünglichen Ansätze zur Umverteilung der personellen Einkommen können hierdurch dennoch zunichte gemacht werden. Denn schließlich erlaubt eine Steuersatzsenkung von 4,5 Prozentpunkten bei einem Haushalt mit hohem Einkommen im Zeitraum 1998 – 2001 eine größere Steuerersparnis als die entsprechende Absenkung um 6 Prozentpunkte bei einem Haushalt der unteren Einkommensgruppe.
Darüber hinaus wird festgehalten:
Auf der Basis einer Vorlage durch die Kommission zur Unternehmenssteuerreform ("Brühler Beschlüsse") ist ein fundamentaler Systemwechsel geplant. Einbehaltene Gewinne sollen künftig nur noch mit 25 % definitiv besteuert werden. Ausgeschüttete bzw. entnommene Gewinne werden im Rahmen der Einkommensteuer besteuert (Spitzensteuersatz 45 %). Personenunternehmen haben die Möglichkeit, sich steuerlich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen. Die Personenunternehmen, die diese Option nicht wahrnehmen, können pauschaliert die Gewerbesteuer bei der Einkommensbesteuerung absetzen. Unternehmen, die keine Gewerbesteuer bezahlen, profitieren dagegen von der Senkung des Einkommensteuertarifs. Zur Gegenfinanzierung ist u.a. die Reduzierung des steuerlichen Vorteils bei Abschreibungen auf bewegliche Wirtschaftsgüter und Betriebsgebäude vorgesehen. Auch die Sonderabschreibungen und Ansparabschreibungen für kleinere Betriebe sowie logischerweise der niedrige Steuersatz für Gewerbeeinkünfte werden abgeschafft. Bei der Unternehmenssteuerreform wird eine Nettoentlastung von 8,3 Mrd. DM angestrebt, sobald deren Maßnahmen im sog. "Entstehungsjahr" vollständig wirksam werden. Durch die Einkommensteuerreform kommen netto 34,2 Mrd. DM zur Entlastung hinzu.
A) Reform der Unternehmensbesteuerung | |||
1. | Bruttoentlastungen | ||
1.1 Tarifliche Entlastungen der Kapitalgesellschaften (Steuersatz auf einbehaltene Gewinne 25 %) | 17,5 Mrd. DM | ||
1.2 Tarifliche Entlastungen der Personenunternehmen | 15,0 Mrd. DM | ||
Summe (1.1+1.2): | 32,5 Mrd. DM | ||
2. | Gegenfinanzierende Maßnahmen Verschärfung der Abschreibungsregelungen |
24,2 Mrd. DM | |
3. | Nettoentlastung durch die Unternehmenssteuerreform | 8,3 Mrd. DM | |
B) Reform des Einkommensteuertarifs | 34,2 Mrd. DM | ||
C) Gesamtentlastung (A3.+B): | 42,5 Mrd. DM |
Für die steuerliche Entlastung der Unternehmen führt die Bundesregierung zwei unterschiedliche Begründungen an: Die erste geht von einem internationalen Steuerwettbewerb aus, der die nationalen Regierungen zu Steuersenkungen zwingt, weil es andernfalls zur Abwanderung von Kapital und folglich auch geringerer Beschäftigung komme. Die zweite Begründung geht von einer unzureichenden Nettoprofitrate aus, die keinen ausreichenden Investitionsanreiz darstelle. Beide Argumentationslinien stimmen darin überein, daß die Steuern einen entscheidenden Bestimmungsgrund für Investitions- und Standortentscheidungen darstellen.
Empirisch ist demgegenüber ein Zusammenhang zwischen Steuerbelastung und Standortentscheidung kaum feststellbar. Die Mobilität von Realkapital ist nach wie vor recht gering und insbesondere konzentrieren sich die entsprechenden Investitionen in Industrieländern, die durchweg eine höhere Steuerbelastung aufweisen als Entwicklungs- oder auch Schwellenländer. Ein ökonomisch begründeter Steuerwettbewerb existiert also kaum. Problematisch ist dagegen, daß Regierungen dennoch versuchen können, durch Steuersenkungen bzw. Subventionszahlungen Kapital aus anderen Ländern abzuziehen. Dies entspricht den merkantilistischen Bestrebungen, internationale Wettbewerbsvorteile durch Abwertungen oder – relative – Lohnsenkungen zu erringen. Da solche "Beggar-My-Neighbour-Strategien" regelmäßig Gegenreaktionen der betroffenen Länder hervorrufen, führt dies zu einer schädlichen Steuerkonkurrenz, in deren Ergebnis die Steuereinnahmen für alle Länder sinken. Das kann dann dazu führen, daß die Staaten die öffentliche Infrastruktur, die für eine wettbewerbsfähige Produktion notwendig ist, nicht mehr in ausreichendem Maße finanzieren können. Vor diesem Hintergrund sind die gegenwärtigen Steuerentlastungspläne der Bundesregierung besonders kritisch zu beurteilen. Sie rechtfertigen sich auch nicht durch eine besonders hohe steuerliche Belastung des privaten Unternehmenssektors in Deutschland, da entsprechende Vergleiche Deutschland eher im unteren Mittelfeld sehen.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß eine hohe Mobilität des Geldkapitals besteht, das zu niedrigen Transaktionskosten grenzüberschreitend verlagert werden kann, ohne dabei Rücksicht auf Zugänge zu Faktor- und Gütermärkten nehmen zu müssen. Unter diesen Bedingungen können internationale Steuersatzunterschiede durchaus für den Ort der Kapitalanlage entscheidend werden. Deshalb ist im Bereich des mobilen Geldkapitals eine Steuerharmonisierung erforderlich, die von der EU seit Jahren vorgesehen ist, bislang aber immer am Widerstand vor allem der britischen Regierung gescheitert ist.
Ob zwischen Profitrate und Investitionsentscheidung ein enger Zusammenhang besteht, ist umstritten und kann aus guten Gründen bezweifelt werden. Zwar mag die These auf den ersten Blick plausibel erscheinen, wenn man vergangene Gewinne als notwendige Finanzierungsbasis für Investitionen betrachtet. Entscheidend ist an dieser Stelle jedoch nicht das bisherige Niveau, sondern die erwartete zukünftige Entwicklung der Profitrate: Können Unternehmen realistischerweise eine höhere Profitrate erwarten, weil die Nachfrage zunimmt, werden sie ihre Investitionstätigkeit ausweiten. Bei Steuersenkungen müssen aber auch die möglichen Nachfragewirkungen einer Steuersenkung gegengerechnet werden: Gehen die Staatsausgaben im gleichen Umfang zurück wie die Steuereinnahmen, gibt es einen gesamtwirtschaftlichen Nachfragerückgang, der sich negativ auf die Absatzerwartungen der Unternehmen auswirken wird.
Zusammenfassend läßt sich zur Unternehmenssteuerreform festhalten:
Der Gesetzentwurf zur Unternehmenssteuerreform sieht vor, die Besteuerung von Gewinnen aus Spekulationen zu halbieren. Dieses Steuergeschenk vor allem an die Spekulanten an den Wertpapierbörsen ist steuersystematisch und wegen seiner Umverteilungswirkung abzulehnen. Zuerst hatte die Regierung nicht den Mut gefunden, Spekulationen zeitlich unbefristet steuerlich zu erfassen. Unter dem Druck der Macht der Banken wurden die Spekulationsfristen bei Wertpapieren nur auf ein Jahr verdoppelt und bei Immobilien auf 12 Jahre erweitert. Jetzt scheint es so, als wolle die Regierung diese viel zu zurückhaltende Fristenverlängerung durch die Halbierung der Steuer auf Spekulationsgewinne wieder gut machen.
Darüber hinaus ist geplant, die Gewinne aus der Veräußerung inländischer Kapitalbeteiligungen durch Kapitalgesellschaften nicht mehr zu versteuern. Vor allem deutsche Banken und Versicherungsunternehmen wären die Nutznießer. Sie halten zum Teil auch über Kreuz Kapitalbeteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften im Inland. Aber auch Großunternehmen in anderen Branchen, so etwa DaimlerChrysler, verfügen über Kapitalbeteiligungen, die zum Teil noch zum Börsenkurs der fünfziger Jahre bewertet sind. Die Beteiligungen stehen in der Bilanz zum Anschaffungswert. Zwischenzeitlich haben sich jedoch die beim Verkauf erzielbaren Marktwerte im Zuge der Kurssteigerungen massiv erhöht. Kommt es zur Veräußerung, werden diese stillen Reserven in entsprechende Gewinne umgemünzt. Die vorgeschlagene Steuerbefreiung widerspricht massiv der bisherigen Begründung, zwar in der Bilanz nach dem Niederstwertprinzip die Kapitalbeteiligungen anzusetzen, jedoch davon auszugehen, daß bei der Veräußerung nach dem Realisationsprinzip am Ende wenigstens diese Gewinne voll versteuert werden. Das Niederstwertprinzip in der Bilanz verlangt logischerweise eine volle Versteuerung bei der Veräußerung der inländischen Kapitalbeteiligungen. Daran kann der Hinweis durch das Bundesfinanzministerium, die jährlichen Gewinne seien bereits versteuert worden, nichts ändern, denn die in den stillen Reserven enthaltenen Gewinne sind ja gerade niemals versteuert worden! Schließlich erweist sich auch die Rechtfertigung, dadurch ließen sich die Verkrustungen im Beteiligungsbesitz auflösen und Kapital für Unternehmensneugründungen freisetzen, nicht als schlüssig. Vielmehr wird die Umstrukturierung auf das Kerngeschäft nur noch verstärkt. So wird die Deutsche Bank bei ihrem ohnehin geplanten Umbau zu einem international starken Allfinanzkonzern noch steuerlich belohnt. Dadurch wird auch nicht Unternehmensmacht nachhaltig demontiert. Großunternehmen halten bzw. gewinnen im Zuge der Umstrukturierung weiteren ökonomischen Einfluß. Schließlich wird auch der Druck noch steuerlich bevorteilt, Unternehmenseinheiten schnell zu verkaufen, was bestehende Arbeitsplätzen erfahrungsgemäß bedroht.
Daß der Vorschlag einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe bzw. einer Wiedereinführung einer Vermögensteuer in dem durch das Bundeskabinett unterbreiteten Entwurf der "Steuerreform 2000" keine Berücksichtigung findet, überrascht zwar nicht mehr, muß aber scharf kritisiert werden. Selbst die auf dem SPD-Parteitag im Dezember letzten Jahres ersatzweise vorgeschlagene Erhöhung der Erbschaftsbesteuerung durch eine realitätsnähere Bewertung der Immobilien hat keinen Eingang in die jüngsten Vorschläge zur Steuerreform gefunden. Offensichtlich war die politische Umsetzung dieses Kompromisses auf dem letzten Parteitag der Bundes–SPD nie ernst gemeint.
Insgesamt ist die Steuerreform der rot-grünen Regierung widersprüchlich. Vorrangig innerhalb der Einkommensteuerreform gibt es Maßnahmen zur Entlastung der Lohn- und Gehaltsbezieher, die der Stärkung der privaten Konsumnachfrage dienen. Der Systemwechsel bei der Unternehmenssteuerreform ist überhaupt nur dann akzeptabel, wenn die steuerliche Begünstigung der Unternehmensgewinne zielgenau an beschäftigungsfördernde Sachinvestitionen gekoppelt wird. Die insgesamt geplanten Steuerentlastungen für die Wirtschaft, jedoch insbesondere die Steuergeschenke an die Kapitalgesellschaften und Aktionäre, stehen zur finanzpolitischen Zielsetzung im Koalitionsvertrag und damit zum nachhaltigen Wechsel gegenüber der neoliberalen Politik im Widerspruch. Maßgeblich hängt die Wirkung der Steuerpolitik davon ab, inwieweit über die Gebietskörperschaften dringende Staatsaufgaben finanziert werden können. Dazu gehört die Ausweitung öffentlicher Investitionen. Eine Unternehmenssteuerreform, die darauf setzt, Steuerausfälle durch Einschränkung der Staatsausgaben zu finanzieren, belastet einerseits die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Andererseits vertieft sie die Kluft zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut.
In den achtziger Jahren wurde von liberalen Ökonomen die These aufgestellt, übermäßige politische Eingriffe in die Lohnbildung verhinderten im Konjunkturaufschwung die Wiederbeschäftigung der in der vorangegangenen Rezession entlassenen Arbeitskräfte. Die in den Betrieben verbliebenen Insider seien infolge von Gewerkschaftsmacht und Kündigungsschutz in der Lage, ein Lohnniveau durchzusetzen, das zusätzliche Beschäftigung unrentabel mache. Zugleich würden die entlassenen Outsider durch überhöhte Lohnersatzleistungen daran gehindert, mittels Lohnunterbietung die Kosten für die Unternehmen zu senken und auf diese Weise für eine höhere Arbeitsnachfrage zu sorgen. Im Klartext: Das Zusammenspiel von Unternehmen und Betriebsräten, von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften und schließlich deren politische Unterstützung durch den Gesetzgeber befriedigen zwar die Interessen der genannten Gruppen, verhindern aber die Durchsetzung des allgemeinen Interesses auf dem Wege freier Preisbildung auf den Arbeitsmärkten. An die Politik wird daher die Forderung gestellt, bisherige Arbeitsmarktregulierungen aufzugeben und sich darauf zu beschränken, den Marktparteien einen rechtlichen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen Angebot und Nachfrage durch ungehinderte Lohn- bzw. Preisbildung ausgeglichen werden können.
Diese ebenso schlichte wie falsche Theorie wurde von der konservativ-liberalen Regierung in den achtziger Jahren zur Quasi-Staatsideologie erhoben. Die im Namen der Marktkräfte vorgenommenen Deregulierungsvorstöße führten zwar zu einer substanziellen Verschlechterung der Einkommens- und Beschäftigungssituation der Lohnabhängigen, ließen das institutionelle Gerüst des Interventionsstaates aber weitgehendintakt. Der CDU-Finanzskandal hat mittlerweile öffentlich gemacht, daß die Vorkämpfer einer politisch unregulierten Ökonomie die Nähe zur Wirtschaft durchaus zu schätzen wußten, wie umgekehrt viele Unternehmer bereit waren, die politische Umsetzung ihrer Ideologie einer übermäßigen Kostenbelastung durch "unabhängige" Politiker zu finanzieren.
Nach dem Regierungswechsel hat in Deutschland ein begrenzter Stilwechsel in der Politik begonnen – weg von der offenen Konfrontations- und Deregulierungsrhetorik hin zu mehr Einbindung der Gewerkschaften, zu Bündnissen und Konsensgesprächen. Dabei ist allerdings festzustellen, daß der Konfrontations- und Deregulierungskurs von einem großen Teil der Wirtschaft sowie den Industrieverbänden unverändert weiterbetrieben wird. Neokorporatistische Politik hat in Europa bereits 1982 mit dem Abkommen von Wassenaar in den Niederlanden begonnen. Neben den verschiedenen Sozialpakten in einzelnen Mitgliedsländern der EU wurde im vergangenen Jahr auch ein "Makroökonomischer Dialog" auf EU-Ebene institutionalisiert.
Liest man die Erklärungen hierzu bzw. zum "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" jedoch genau, stellt man fest, daß der politische Stilwechsel keineswegs zu einem ökonomischen Paradigmenwechsel geführt hat. Nach wie vor gelten die angeblich zu hohen Lohnkosten als entscheidendes Einstellungshindernis und somit als Ursache der Arbeitslosigkeit. Durch informelle Bündnis-Absprachen sollen die Gewerkschaften weiterhin auf Nominallohnerhöhungen unterhalb des Produktivitätsfortschritts festgelegt werden. Als Folge würden sinkende Lohnstückkosten zu einer Erhöhung der Arbeitsnachfrage führen.
Diese Theorie, die gesamtwirtschaftliche Nachfragerückgänge als Folge unzureichender Lohneinkommensentwicklung annahmegemäß ausschließt, wurde von den Gewerkschaften früher regelmäßig als untaugliche Erklärung ökonomischer Realität zurückgewiesen. Heute besteht ein unübersehbarer Widerspruch darin, daß einerseits entsprechende Bündnis-Erklärungen zur "beschäftigungsorientierten Lohnpolitik" unterschrieben werden, während die Theorie, die dieses Konzept begründet, nach wie vor in unzähligen Gewerkschaftspublikationen als theoretisch falsch und empirisch widerlegt erkannt wird. So sind die realen Lohnstückkosten zwischen 1991 und 1999 um 5 % gesunken, während die Stückgewinne im selben Zeitraum um 16 % gestiegen sind. Und die Beschäftigung? Sie ist um 4 % gesunken! Deutlicher läßt sich die These, Lohnzurückhaltung schaffe Arbeitsplätze, nicht widerlegen.
Der Versuch, die Gewerkschaften in einen Lohnsenkungspakt einzubinden, ist politisch um so bedenklicher, als Unternehmerverbände und liberale Politikberater sehr offen für die Fortsetzung des Deregulierungskurses und die Aufhebung der institutionellen Grundlagen gewerkschaftlicher Tarifverhandlungen eintreten. Gefordert werden die Aufhebung des § 77,3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), der Betriebsvereinbarungen zwischen Unternehmen und Betriebsrat über Lohn und Arbeitsbedingungen untersagt, sofern für das Unternehmen ein Tarifvertrag gilt, sowie des § 4,3 Tarifvertragsgesetz (TVG), nach dessen Günstigkeitsprinzip von tarifvertraglichen Regelungen in einem Unternehmen nur zu Gunsten der Beschäftigten abgewichen werden darf. Weniger nachhaltig, aber unüberhörbar wird auch die Abschaffung von § 5 TVG gefordert, wonach Tarifverträge auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen als allgemeinverbindlich erklärt werden können. Diese Regelung soll in Branchen mit vielen Kleinbetrieben die Schmutzkonkurrenz um Arbeitskräfte vermeiden.
Mit all diesen Forderungen wird eine Umgestaltung des Tarifvertragssystems im Sinne unternehmerischer Kostensenkungsstrategien angestrebt. Die von BDI-Präsident Henkel und anderen Ideologen des Unternehmerlagers immer wieder lancierten Aufforderungen, aus dem "Tarifkartell" auszusteigen, sind demnach als Versuch zu werten, die Gewerkschaften zu weitreichenden und einseitigen Flexibilisierungen zu Lasten der abhängig Beschäftigten zu zwingen. Im Kern geht es den Unternehmern darum, den Flächentarifvertrag dadurch politisch zu zerstören, daß Verhandlungen von der Branchen- auf die Unternehmensebene verlagert werden. Diese Bestrebungen fügen sich gut in die aktuelle lohnpolitische Debatte. Der wissenschaftliche Mainstream sowie das Unternehmerlager fordern ja nicht nur, daß der Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Lohnniveaus hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben soll, sondern es wird auch auf Lohnspreizung nach sektoralen und betrieblichen Produktivitätsunterschieden hingearbeitet.
Die Arbeitsmarktstatistik zeigt, daß Personen mit unterdurchschnittlicher formaler Qualifikation und geringer Berufserfahrung überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Zur politischen Instrumentalisierung dieser Tatsache wird die allgemeine These, Arbeitslosigkeit sei durch überhöhte Löhne bedingt, leicht modifiziert. Demnach ist die Leistung von gering qualifizierter Arbeit weniger produktiv als die von hoch qualifizierter. Um einen rentablen Arbeitseinsatz zu ermöglichen, müssen Produktivitätsrückstände durch entsprechende Lohnabschläge ausgeglichen werden, um eine einheitliche Lohnstückkostenbelastung zu gewährleisten. Selbst wenn diese Argumentation sachlich zuträfe, würde sie dennoch Forderungen nach weiteren Lohndifferenzierungen – die regelmäßig Forderungen zur Differenzierung nach unten sind – nicht begründen können. Denn sie übersieht, daß bereits die bestehenden Tarifverträge eine enorme Lohnspreizung zulassen. So besteht in einigen Branchen – beispielsweise im Gastgewerbe oder der Gebäudereinigung – bereits ein Niedriglohnsektor innerhalb des gegenwärtigen Tarifsystems. In anderen Branchen – insbesondere der industriellen Produktion – werden die unteren Lohngruppen dagegen häufig gar nicht genutzt. Daraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß zwischen Produktivität, Lohnniveau und Beschäftigung kein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Daher würde die Aufgabe des Flächentarifsystems und eine weitere Verbetrieblichung der Tarifpolitik keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen! Vielmehr ist in diesem Fall eine Absenkung des gesamten Lohnniveaus zu erwarten. In der Tat führt dies zu einer Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung – aber nicht, weil neue Arbeitsplätze entstehen, sondern weil Teile der bereits beschäftigten Arbeitskräfte aus dem "Normaleinkommens-" in den Niedriglohnbereich gedrängt würden. Diejenigen, die schon heute im Niedriglohnbereich arbeiten, würden durch weitere Einkommensverluste besonders hart getroffen, ohne daß sich die Beschäftigungssituation gering qualifizierter Arbeitskräfte verbesserte.
Die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten Personen ist im übrigen sehr einfach zu erklären, wenn man von einem gesamtwirtschaftlichen Nachfragemangel nach Erwerbsarbeit ausgeht. Solange überschüssige Arbeitskraft zur Verfügung steht, werden Unternehmen selbstverständlich die höchstqualifizierte Arbeitskraft zuerst und die am geringsten qualifizierte zuletzt einstellen. Aus diesem Grund wirkt sich eine Erhöhung des Arbeitslosigkeitsniveaus bei den letztgenannten immer in besonderem Maße aus. Diesem Problem ist übrigens auch durch wohlgemeinte Ratschläge, die Betroffenen mögen mehr in Humankapital – sprich Qualifikation ihrer Arbeitskraft – investieren, nicht beizukommen. Abgesehen davon, daß solche Bildungsinvestitionen Finanzmittel voraussetzen, über die Arbeitslose normalerweise nicht verfügen, würde durch ein insgesamt steigendes Qualifikationsniveau die bestehende Beschäftigungslücke nicht geschlossen. Für die Unternehmen würde sich lediglich der Pool qualifizierter Arbeitskräfte, aus dem sie auswählen können, vergrößern. Bildung ist ein hohes gesellschaftspolitisches Ziel an sich, weil sie der Entfaltung menschlicher Fähigkeiten dient. Sie ist aber kein ausreichendes Mittel zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit kann nur beseitigt werden, wenn das Beschäftigungsniveau insgesamt durch eine Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskraft erhöht wird.
Trotz der Kritik am "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" kann eine korporatistische Politik die Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen auch begünstigen, sofern diese in ein schlüssiges wirtschaftspolitisches Konzept eingebunden und konsequent verfolgt wird.
Dabei sprechen mehrere Gründe für Lohnerhöhungen, die real mindestens dem durchschnittlichen Produktivitätszuwachs entsprechen: Bleibt die Lohnentwicklung hinter dieser Zielmarke zurück, besteht erstens die Gefahr einer gesamtwirtschaftlichen Nachfragelücke.
Zweitens kommt es bei einer produktivitätsorientierten Steigerung der Reallöhne nicht zu einer weiteren Verschlechterung der Verteilungsverhältnisse, wie sie in den letzten 20 Jahren zu Ungunsten der Beschäftigten stattgefunden hat.
Drittens gehen von konstanten Lohnstückkosten, die mit einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik verbunden sind, keine inflationären Impulse aus. Inflation kann allerdings aus anderen Gründen als hohen Lohnsteigerungen entstehen, z.B. durch Ungleichgewichte auf einzelnen Märkten oder eine Zunahme der Marktmacht der Unternehmen unabhängig von der Kostenentwicklung. Soll das durch die Lohnpolitik getragene reale Nachfragewachstum dem Produktivitätsfortschritt folgen, müssen die nominalen Lohnzuwächse mindestens der Summe aus Produktivitätswachstum und "Marktmacht-Inflationsrate" entsprechen.
Viertens können konstante Lohnstückkosten außenwirtschaftliche Ungleichgewichte vermeiden helfen. In den neunziger Jahren haben sinkende Lohnstückkosten in Deutschland immer wieder zu Vorteilen im Preiswettbewerb mit anderen Ländern und zu entsprechenden Exportüberschüssen geführt. Eine kumulative Zunahme dieser Überschüsse wurde durch DM-Aufwertungen verhindert. Seit Beginn der Währungsunion ist dieser Ausgleichsmechanismus zumindest innerhalb des Euro-Raumes, in dem rund die Hälfte des deutschen Außenhandels abgewickelt wird, ausgeschaltet. Internationale Wettbewerbsverzerrungen und dauerhafte Leistungsbilanzungleichgewichte können unter diesen Umständen durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik in den Mitgliedsstaaten der Währungsunion vermieden werden.
Um eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik durchsetzen zu können, sind die Verschlechterungen der Arbeitskampfbedingungen zurückzunehmen, die mit der Einführung des § 116a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) von der konservativ-liberalen Koalition am Beginn ihrer Regierungszeit eingeführt worden sind. Die Parteien der jetzigen Regierung hatten dies im Wahlkampf versprochen. Sie sollten sich nicht darauf verlassen, daß der symbolträchtige "AFG 116a" in Vergessenheit geraten ist, seit er als "§ 146" Eingang in das Sozialgesetzbuch III gefunden hat.
Sofern Änderungen der Betriebsverfassung angestrebt werden, dürfen diese nicht in Richtung einer Verbetrieblichung der Tarifpolitik gehen. Zahlreiche empirische Untersuchungen haben ergeben, daß zentrale Lohnverhandlungen ein höheres Beschäftigungsniveau bei gleichmäßigerer Einkommensverteilung erreichen können als dezentrale Verhandlungen. Zudem haben branchenweite Tarifverhandlungen in der Vergangenheit auch zu Stabilität und Effizienz beigetragen, weil sie Lohn- und Arbeitszeitkonflikte in hohem Maße von der Betriebs- auf die Branchenebene übertragen und geregelt haben.
Die rot-grüne Rentenpolitik hat sich inzwischen völlig dem ideologischen Diktat der Lohnnebenkostensenkung unterworfen. Ziel ist nicht mehr die Aufrechterhaltung der lebensstandardsichernden Funktion der sozialen Rentenversicherung für sog. Standarderwerbsbiographien, sondern die Stabilisierung bzw. Senkung des Beitragssatzes. Zwar wird in der politischen Debatte um die gesetzliche Rente – häufig zurecht – auf den exotischen Charakter des Leitbildes einer durchgängigen Erwerbsbiographie (Durchschnittsverdiener mit 45 Versicherungsjahren) verwiesen, um damit die empirische Irrelevanz des Leitbildes zu dokumentieren; ohne Aufrechterhaltung des durch die sog. Standardrente markierten sozialen Sicherungsziels sind jedoch umgekehrt alle vorgeblichen Absichten zur Schließung sozialer Sicherungslücken im Alter (unstete Erwerbsbiographien) von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Unter Hinweis auf die voraussichtliche Beitragssatzentwicklung in den kommenden 30 Jahren wird die Tragfähigkeit des bisherigen Umlageverfahrens zur Finanzierung der Renten zunehmend grundsätzlich in Frage gestellt. So zeichnet sich die bisherige Rentengesetzgebung der Koalition neben deren Instrumentalisierung zur Haushaltssanierung des Bundes vor allem durch zwei Punkte aus:
Zum einen durch die dauerhafte Senkung des Leistungsniveaus im Wege der Abkehr von der Nettolohnbindung und der Begrenzung der Rentenanpassung in den Jahren 2000 und 2001 auf die Höhe der Teuerungsrate im jeweiligen Vorjahr; zum anderen durch die Umfinanzierung bislang beitragsfinanzierter Leistungen über indirekte Steuern.
Unter dauerhafter Umgehung des von der Koalition zunächst ausgesetzten Blümschen Demographiefaktors soll nun das gleiche Ergebnis mit anderen Mitteln erreicht werden. Die Einführung eines alleine von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu finanzierenden privaten Kapitalvorsorgebeitrags ab dem Jahre 2003 (in Höhe von zunächst 0,5 %, steigend auf 2,5 % ab dem Jahre 2007) soll die für die Rentenanpassung maßgebliche Nettoquote des Arbeitsentgelts zusätzlich um rd. 2 Prozentpunkte senken; die damit im Rahmen der Nettorentenanpassungsformel bezweckte Wirkung wäre vergleichbar einer im Umfang entsprechenden Erhöhung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung. Auf diese Weise ließe sich das rechnerisch ausgewiesene Nettorentenniveau zwar auf einem um rd. 3 Prozentpunkte höheren Niveau halten als unter dem Regime des demographischen Faktors – der Absolutbetrag der Rente dagegen würde sich kaum noch unterscheiden von der Zielmarke der alten Koalition.
Dem zusätzlichen Privatvorsorgebeitrag stünden im Alter auch zusätzliche Leistungen gegenüber; die daraus häufig gezogene Schlußfolgerung einer (Über-)Kompensation gesetzlich gekürzter Leistungen ist allerdings falsch. Infolge des Zusatzbeitrags erhielten alle Rentner (Zugänge wie Bestand) eine niedrigere Zahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, während die Zusatzrente erst allmählich für die jeweils neu zugehenden Rentner wirksam würde. Ein Durchschnittsverdiener, der zu Jahresbeginn 2003 verrentet wird, erhielte als Folge des den Rentenanstieg mindernden Privatvorsorgebeitrags nach Berechnungen des BMA im Jahre 2020 eine um 100 DM niedrigere Nettorente, ohne daß er selbst Anspruch auf eine Zusatzrente erwerben konnte. Die für das Jahr 2020 errechnete Zusatzrente stünde nämlich nur jenen zu, die zu diesem Zeitpunkt erstmals Rente beziehen. Während von den Einbußen bei der gesetzlichen Rente alle betroffen wären, ergäben sich bei der Privatrente kohortenspezifische Auswirkungen. „Im Jahre 2020 beispielsweise“ – so der Sozialbeirat in einer kritischen Anmerkung zum Rentenversicherungsbericht 1999 – „könnte maximal 17 Jahre lang ein Zusatz-Beitrag gezahlt worden sein. Für den Durchschnittsverdiener ergäbe sich nach Berechnungen des Bundesarbeitsministeriums eine Zusatzrente von rund 161 DM (bei 4 % Verzinsung) bzw. von 204 DM (bei 5,5 % Verzinsung). Diesen Beträgen wäre allerdings die Minderung der gesetzlichen Rente um 100 DM gegenzurechnen. Der Nettoeffekt in diesem Beispielsfall wäre folglich 61 DM bzw. 104 DM – allerdings bei einer Beitragszahlung, die von 0,5 % (2003) stufenweise ab 2007 auf 2,5 % steigt und im Beispielsfall bis 2019 entrichtet worden wäre.“
Vor diesem Hintergrund bleibt zudem folgendes zu berücksichtigen: Die im Wege der Umfinanzierung bewirkte Entlastung der Beitragszahler zur Rentenversicherung durch den zusätzlichen Bundeszuschuß (seit April 1998), den Erhöhungsbetrag zum zusätzlichen Bundeszuschuß (seit 2000), die direkte Beitragszahlung des Bundes für Kindererziehungszeiten (seit Juni 1999) sowie die Erstattung einigungsbedingter Leistungen (seit 1999 separat und ohne Anrechnung auf den zusätzlichen Bundeszuschuß) beläuft sich im Jahre 2000 auf rd. 35 Mrd. DM (2003 gut 50 Mrd. DM) – das entspricht dem gegenwärtigen Aufkommen von etwa 2,2 (3,3) Beitragspunkten; die Finanzierung dieser Entlastung auf der Beitragsseite erfolgt über die Erhöhung allgemeiner Verbrauchsteuern (Mehrwertsteuer, Ökosteuer). Diese Verbrauchsteuern aber belasten in erster Linie die Arbeitnehmer und Rentner sowie deren Familien – und nicht die Arbeitgeber; schon heute finanzieren also Arbeitnehmer und Rentner die Beitragsentlastung der Arbeitgeber im Umfang von rd. 1,1 bzw. 1,6 Beitragspunkten.
Während das Bundesarbeitsministerium noch Mitte vergangenen Jahres davon ausging, daß die Stabilisierung des seinerzeitigen Rentenniveaus bis zum Jahre 2030 mit einem paritätisch finanzierten Beitragssatz von rd. 26 % möglich sei (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil je rd. 13 %), soll der Beitragssatzanstieg nunmehr mindestens auf zwischen 23 % und 24 % zurückgeführt werden. Während hiernach der Anstieg des Arbeitgeberanteils im Jahre 2030 auf unter 12 % begrenzt würde, sollen Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Privatvorsorgebeitrags künftig über 14 % aufbringen. Entgegen dem in der rentenpolitischen Auseinandersetzung immer wieder vermittelten Eindruck wird den Arbeitnehmern also insgesamt eine höhere Beitragsbelastung zugemutet, als sie unter Beibehaltung des 1999er Rentenniveaus und paritätischer Finanzierung erforderlich wäre.
Wer am Prinzip der paritätischen Finanzierung sowie an einer lebensstandardsichernden Altersvorsorgepolitik festhalten will und wie die Bundesregierung einen Arbeitnehmeranteil zur Altersvorsorge von über 14 % (2030) für zumutbar hält, der könnte mit einem paritätisch aufzubringenden Rentenversicherungsbeitrag von dann über 28 % (Arbeitnehmer- plus Arbeitgeberanteil) allemal das bisherige Rentenniveau auch innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig sichern. Wie man es auch dreht und wendet: Dieser Politik geht es ganz offensichtlich nicht um eine Konsolidierung der gesetzlichen Alterssicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern um eine Umverteilung ihrer Kosten zu Lasten der Beschäftigten und zugunsten der Unternehmen.
Ob "Vergreisungszuschlag" oder "Vorsorgefaktor": Die der gegenwärtigen Debatte zugrundeliegende These, die "Überalterung" der Gesellschaft würde eine Abkehr von der beitragsfinanzierten Alterssicherung erzwingen, ist die ständige Begründung aller Änderungsbestrebungen des Rentensystems. Oder genauer: Zwischen allen Varianten einer kapitalgedeckten Rente und dem demografischen Wandel besteht ein enger argumentativer Zusammenhang.
Mit der Zunahme der Rentner an der Gesamtbevölkerung erhöht sich die Pro-Kopf-Belastung des kleiner werdenden Anteils der Erwerbstätigen. Um diese Belastung zu verringern, soll der Faktor Arbeit entlastet werden: Einer Senkung der Rentenbeiträge – und somit höheren Nettolöhnen – soll der Aufbau eines Kapitalstocks folgen, so daß spätere Rentenzahlungen dem Faktor Kapital zugerechnet werden.
Diese Argumentation ist in verschiedener Hinsicht falsch:
Erstens erfordert der Aufbau eines Kapitalstocks zur Rentenfinanzierung einen Abzug vom Bruttolohn; ebenso wie Beiträge zur Sozialversicherung stellen auch Einzahlungen in einen Rentenfonds Abzüge vom oder Belastungen der Bruttoeinkommen dar.
Zweitens müssen Kapitaleinkommen ebenso erwirtschaftet werden wie Zahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ob Renten kapitalgedeckt sind oder über ein Umlageverfahren finanziert werden: In jedem Fall stellen diese Einkommen der Nichterwerbsbevölkerung einen Abzug vom Einkommen der Erwerbsbevölkerung dar. Beim Kapitaldeckungsverfahren bestehen aber zusätzlich die Risiken unsicherer Zins- und damit auch Rentenentwicklung sowie finanzieller Instabilitäten. So könnte ein schwerer Börsenkrach ein kapitalgedecktes System der Alterssicherung in eine tiefe Krise führen. Zudem ist der Aufbau eines Kapitalstocks zur Rentenfinanzierung mit einer starken Ausweitung des Kapitalangebotes verbunden, der keine entsprechende Nachfragesteigerung gegenübersteht. Deshalb sind bei der Umstellung vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren Zinssenkungen zu erwarten. Ein gegebenes Rentenniveau ist dann nur durch eine weitere Vergrößerung des Kapitalstocks zu erreichen.
Drittens stellt eine Anteilsverschiebung von der Erwerbs- zur Nichterwerbsbevölkerung kein spezielles Problem der Rentenfinanzierung dar. In jeder Gesellschaft sind die Pro-Kopf-Einkommen um so höher, desto größer die Erwerbstätigenquote ist. Es ist aber keineswegs festzustellen, daß infolge einer steigenden Rentenbevölkerung die Erwerbsquote in Deutschland rückläufig ist. Der Grund hierfür liegt in einer langfristigen Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Selbst wenn die inländische Erwerbspersonenquote nicht weiter erhöht werde könnte, bestünde angesichts eines weltweiten Bevölkerungsüberschusses auf unabsehbare Zeit die Möglichkeit, durch Zuwanderung einen Anstieg der Nichterwerbsquote zu verhindern.
Viertens ist neben langfristigen Veränderungen des Erwerbspersonenpotentials dessen Auslastung für die Rentenfinanzierung von entscheidender Bedeutung. Unter den Bedingungen dauerhafter Massenarbeitslosigkeit einen Mangel an Arbeitskräften, aus deren Einkommen Renten finanziert werden können, zu unterstellen, geht vollkommen an der Realität vorbei.
Aus diesen Argumenten kann nur der Schluß gezogen werden, daß es keinen demografischen Wandel gibt, der den Übergang zu einer kapitalgedeckten Alterssicherung erforderlich macht. Nötig sind vielmehr eine Wirtschaftspolitik, die das bestehende Erwerbspersonenpotential auszulasten hilft, sowie die Einbeziehung sämtlicher Erwerbstätiger in die Rentenfinanzierung.
Im November 1998 wurden die Verhandlungen über ein Multilaterales Investitionsabkommen (MAI) abgebrochen. Gegen die geplante Aufhebung politischer Kontrollmöglichkeiten über grenzüberschreitende Investitionen hatte sich zunehmend öffentlicher Widerstand formiert, zudem war die französische Regierung nicht bereit, ihren Kultursektor bedingungslos dem Zugriff US-amerikanischer Medienkonzerne zu öffnen.
Die bislang unter Schirmherrschaft der OECD geführten Verhandlungen sollten nach dem Scheitern der MAI-Pläne im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) weitergeführt werden, da hier nicht nur eine kleine Zahl von Industriestaaten, sondern fast alle Staaten der Erde vertreten sind. Nun konnten sich die Mitgliedsstaaten der WTO bei ihrem Gipfeltreffen im November 1999 in Seattle aber nicht einmal auf eine gemeinsame Tagesordnung verständigen. Die Konferenz endete ergebnislos. Hierfür waren – wie auch beim Scheitern der MAI-Verhandlungen – öffentlicher Protest und Interessengegensätze der Verhandlungsparteien verantwortlich. Hieran wird zumindest eines deutlich: Es gibt keinen naturgesetzlichen Globalisierungsprozeß, der alle politischen Regulierungen überwindet und die Welt Schritt für Schritt einem einheitlichen Binnenmarkt näher bringt. Die internationalen Aktivitäten von Handels-, Industrie- und Finanzkonzernen vergrößern eben nicht nur den Anteil des Welthandels gemessen am weltweiten Sozialprodukt, sondern erzeugen auch immer wieder neue Interessengegensätze.
Inhaltlich ist die WTO-Konferenz in Seattle an dem Streit um internationale Sozialstandards sowie dem Komplex Agrarmarktverfassung und ungehinderter Handel mit Produkten aus gentechnisch veränderten Pflanzen gescheitert.
Sozialstandards werden insbesondere von der US-Regierung, aber auch von Deutschland gefordert. Dagegen werden sie von allen in Seattle vertretenen Entwicklungsländern abgelehnt. Nicht nur deren Regierungen, sondern in vielen Fällen sogar Gewerkschaften aus der kapitalistischen Peripherie sehen in solchen Sozialstandards eine Spielart des Protektionismus, der eine exportorientierte Entwicklung verhindert. Nun kann kaum geleugnet werden, daß die US-Regierung versucht, Vorbehalten gegen die Globalisierung durch eine protektionistische Handelspolitik entgegenzukommen. Der ökonomische Gehalt dieses Vorwurfs ist jedoch gering. In den Wirtschaftsbereichen, in denen Sozialstandards greifen würden, gibt es als Folge der Neustrukturierung der internationalen Arbeitsteilung in den vergangenen drei Jahrzehnten nur noch eine geringe Konkurrenz zwischen Inlandsprodukten und Entwicklungsländerimporten. Zudem setzt Entwicklung nicht nur die Ausnutzung bestehender Kostenvorteile und hierauf begründeter Exporte voraus. Wenn nicht gleichzeitig Produktivitäts- und Einkommenssteigerungen stattfinden, kann Weltmarktintegration auch eine zunehmende Verarmung zur Folge haben. Problematisch ist daher weniger die Forderung nach Sozialstandards als die Tatsache, daß sich die USA zum Vorkämpfer von Arbeiterrechten machen, obwohl sie bis heute selbst nicht alle Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert haben.
Der Konflikt um Agrarverfassung und Marktzugänge für Gen-Tech-Produkte ist im wesentlichen ein Streit zwischen den USA und der EU. Einerseits sucht das Agrobusiness der USA auch auf dem europäischen Markt Absatzmöglichkeiten, um seine riesigen Kapazitäten auszulasten. Andererseits ist der Agrarsektor in der EU hochsubventioniert, um wenigstens teilweise eine bäuerliche Landwirtschaft aufrechtzuerhalten. Dies setzt – außer Subventionen nach innen – natürlich auch Importschutz nach außen voraus. Nun weisen aber sowohl das Agrobusiness der USA als auch die subventionierte Landwirtschaft der EU Überkapazitäten auf. Diese stellen für die Weltmarktintegration vieler Entwicklungsländer ein ungleich größeres Handelshemmnis dar, als Sozialstandards dies je könnten.
Mit dem Scheitern der MAI-Verhandlungen und der WTO-Konferenz in Seattle konnten zwar weitere Deregulierungen des Weltmarktes zunächst verhindert werden, entsprechende Pläne sind aber keineswegs aufgehoben. Zudem ist auch der Status Quo der Weltmarktverfassung nicht dazu angetan, außenwirtschaftliche Stabilität sowie Austauschbeziehungen zum Vorteil aller Beteiligten zu ermöglichen. Deswegen kommt es nun darauf an, daß die mittlerweile entstandene internationale Bewegung aus Gewerkschaften, Internationalismus- und Umweltgruppen die gegenwärtige Atempause nutzt, um inhaltliche Alternativen zum neoliberalen Globalisierungsprojekt zu formulieren. Dazu gehört ein internationales Investitionsregime, das sozial und ökologisch nachhaltige Entwicklung fördert, ebenso wie der Einsatz nationalstaatlicher Politikinstrumente. Ein wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Bindung von staatlichen Krediten und Kreditbürgschaften an die Einhaltung von ökologischen und sozialen Mindeststandards. Eine Überprüfung der Hermes-Bürgschaften in diesem Sinne war von der Bundesregierung angekündigt worden, ist aber bislang nicht erfolgt.
Die rot-grüne Bundesregierung hat zwar den Abbau der Arbeitslosigkeit zu ihrem vordringlichen Ziel erklärt. In ihren beschäftigungspolitischen Ansätzen finden sich jedoch nur Änderungen im Stil, inhaltlich wird aber im wesentlichen an Ideen festgehalten, mit denen schon die schwarz-gelbe Koalition gescheitert ist. Nach wie vor wird Arbeitslosigkeit vor allem als Folge rigider Arbeitsmarktstrukturen angesehen. Die Lösung der tatsächlichen Strukturprobleme wirtschaftlicher Entwicklung wird dagegen dem "innovativen Pionierunternehmer" überantwortet, auf den aber schon die alte Regierung vergeblich gewartet hat.
Eine erfolgversprechende Beschäftigungspolitik muß einerseits die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhen und dabei auch neue Beschäftigungsfelder erschließen. Andererseits müssen die Arbeitszeiten drastisch verkürzt werden, weil Vollbeschäftigung durch Wachstum allein nicht zu erreichen sein wird.
Der rückläufige Anteil der industriellen an der gesamten Wertschöpfung stellt – darauf wurde mit Blick auf die wirtschaftliche und soziale Lage in Ostdeutschland bereits hingewiesen – ein Strukturproblem dar, das nur durch die Schaffung neuer Beschäftigungsfelder außerhalb der traditionellen Industriesektoren gelöst werden kann. Dieser Strukturwandel ist durch eine marktgesteuerte Reallokation von Kapital nicht zu gewährleisten, da nicht-industrielle Beschäftigung häufig durch geringe Niveaus von Produktivität und Profitrate gekennzeichnet ist. Werden Gewinne aus der Industrie aber nur unzureichend in diesen Bereichen investiert, tritt neben die Blockade des Strukturwandels ein gesamtwirtschaftliches Nachfrageproblem. Arbeitslosigkeit und ein unterausgelasteter Kapitalstock führen im folgenden zu einer Verringerung von Human- und Sachkapitalinvestitionen; Nachfragemangel trägt auf diese Weise zur Verfestigung struktureller Entwicklungsblockaden bei.
In dieser Situation muß die Wirtschaftspolitik erstens durch öffentliche Investitionen sowie die Schaffung eines öffentlichen Beschäftigungssektors den Strukturwandel in Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit aktiv fördern. Dies setzt aber zweitens die politische Schaffung ausreichender Nachfrage, also eine expansive Makropolitik, voraus. Ohne einen ausreichend weit gesteckten gesamtwirtschaftlichen Rahmen werden private Unternehmen die Probleme unzureichender Produktivität in den nicht-industriellen Sektoren weiterhin auf Personalabbau sowie die Senkung von Sozial- und Umweltstandards abwälzen.
Der Nachfragepolitik stehen prinzipiell drei Wege offen, zusätzliche öffentliche Ausgaben zu finanzieren. Der erste dieser Wege ist der zinslose Notenbankkredit, der eine ansonsten eintretende Erhöhung der Zinsbelastung des Staates vermeidet. Allerdings setzt der Einsatz dieses Finanzierungsinstruments eine Änderung der EZB-Statuten voraus, die zinslose Notenbankkredite ausdrücklich verbieten. Daher bleibt auf absehbare Zeit die staatliche Kreditaufnahme am Kapitalmarkt eine notwendige Finanzierungsquelle der Nachfragepolitik.
Unter Bedingungen mangelnder privater Kapitalnachfrage ist dabei eine Zinssteigerung nicht zu erwarten, sofern die Zentralbank nicht versucht, durch eine unzureichende Geldversorgung die staatliche Nachfragepolitik zu unterlaufen. Die Schuldenaufnahme ist ökonomisch in dem Maße unproblematisch, in dem die zusätzliche Nachfrage einen positiven, gesamtwirtschaftlichen Einkommenseffekt anzustoßen vermag. Steigende Steuereinnahmen ermöglichen in diesem Fall die Selbstfinanzierung öffentlicher Kreditaufnahme. Die Zinslastquote – der prozentuale Anteil der Zinszahlungen an den gesamten Staatseinnahmen – bleibt konstant, wenn Wirtschaftswachstum und somit Steuereinnahmen im selben Maße zunehmen wie die Zinszahlungen, die mit einer Kreditfinanzierung staatlicher Nachfragepolitik verbunden sind.
Schließlich kommt es auch dann zu positiven Nachfragewirkungen, wenn zusätzliche Staatsausgaben durch zusätzliche Steuern finanziert werden. Das gilt zunächst, wenn der Impulseffekt von Staatsausgaben, die neue Beschäftigung und neue Konsumausgaben hervorrufen, größer ist als der Entzugseffekt, der durch höhere Steuern bewirkt wird. Eine solche expansive Wirkung wird schon bei betragsgleichen Erhöhungen von Staatsausgaben und Steuereinnahmen auftreten. Allerdings wird die beschäftigungspolitische Gesamtwirkung größer, wenn von den Einkommen oder Vermögen, die besteuert werden, keine oder nur geringe Nachfrageimpulse ausgehen, also durch die Besteuerung auch keine Nachfrage verhindert wird.
Den Kern eines wirtschaftspolitischen Konzeptes, das Vollbeschäftigung und den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft anstrebt, stellt der nachfolgende Alternative Haushalt für Beschäftigung und ökologischen Umbau dar.
Einnahmen (Mrd. DM) |
Ausgaben (Mrd. DM) | ||
Vermögensteuer |
30 | Öffentliche Investitionen | 120 |
Abschaffung Ehegattensplitting | 30 | Öffentlicher Beschäftigungssektor | 66 |
Börsenumsatzsteuer | 25 | Arbeitsmarktpolitik | 25 |
Spekulationsteuer | 11 | Arbeitszeitverkürzung | 20 |
Wertschöpfungsteuer | 85 | ||
Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung |
50 | ||
Summe: |
231 |
Summe: |
231 |
Die wesentlichen Bestandteile eines öffentlichen Ausgabenprogrammes, das auf die schrittweise Herstellung der Vollbeschäftigung und auf ökologischen Umbau zielt, sind in früheren Memoranden bereits ausführlich vorgestellt worden und sollen hier nur stichwortartig wiederholt werden. Sie sind in der Tabelle auf der rechten Seite zusammengefaßt.
Ziel der öffentlichen Investitionen ist zum einen die ökologische Erneuerung der Infrastruktur, vor allem bei der Energiewirtschaft, dem Verkehrswesen und bei der Abfallentsorgung. Zum anderen sollen der Umbau und die Erneuerung der privaten Industrie durch Bereitstellung neuer Produktionsverfahren mit höherer Ressourceneffizienz gefördert werden.
Der öffentliche Beschäftigungssektor soll jene Bereiche wirtschaftlicher Aktivität erschließen, die auf der Grundlage privater Aktivitäten nicht zustande kommen. Dieser Sektor, der einen hohen sozialen Nutzen stiften kann, ist dauerhaft auf eine Steuerfinanzierung angewiesen, da er mit seiner geringen Produktivität weder große Beiträge zur Wertschöpfung leisten kann, noch der Gesamtwirtschaft stark expansive Effekte zu geben vermag.
Wenn es gelingt, durch öffentliche Investitionen und Beschäftigung den Strukturwandel zu beschleunigen, gewinnt die Anpassung von Qualifikationen zusätzliche Bedeutung. Um Engpässe bei bestimmten Qualifikationsprofilen zu vermeiden, sind Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik auszuweiten.
Schließlich werden weder die Ausweitung der öffentlichen Nachfrage noch der hierdurch vorangetriebene Strukturwandel die Nachfrage nach Arbeitskraft so stark bzw. so schnell erhöhen, daß auf Arbeitszeitverkürzungen verzichtet werden könnte. Im Ausmaß der Arbeitszeitverkürzung ist prinzipiell ein voller Lohnausgleich sicher zu stellen. Falls Unternehmen hierdurch nachweislich und kontrollierbar in existenzielle Schwierigkeiten geraten, sind allerdings nur befristet öffentliche Lohnkostenzuschüsse vorzusehen. Allerdings ist die Gewährung solcher Subventionen an die Bedingung zu knüpfen, im Umfang der Arbeitszeitverkürzung pro Betrieb zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen.
Auf der linken Seite der Tabelle sind die Finanzierungsquellen für diese beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik angegeben, deren negative Folgen für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als insgesamt gering einzustufen sind:
Die Vermögensteuer betrifft ausschließlich die Bezieher hoher Einkommen, die eine sehr geringe Konsumquote aufweisen. Daher ist von einem expansiven Nachfrageeffekt auszugehen, wenn Vermögensteuern zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben verwendet werden.
Das Ehegattensplitting stellt eine verteilungspolitisch nicht zu rechtfertigende Bevorzugung einer traditionellen Form des Zusammenlebens dar. Allerdings zeichnen sich die überdurchschnittlich Begünstigten keineswegs durch eine entsprechend hohe Konsumneigung aus, so daß auch von der Abschaffung des Ehegattensplittings kaum negative Wirkungen zu erwarten sind.
Börsenumsatz- und Spekulationsteuer betreffen fast ausschließlich die Sekundärumsätze an Wertpapierbörsen und schränken deshalb die Investitionsfinanzierung durch Neuemission von Aktien und anderen Wertpapieren nicht ein. Soll es sich um fiskalische Steuern handeln, sind die Sätze so zu bemessen, daß sie keine nennenswerten Ausweichreaktionen hervorrufen.
Die Umstellung der Gewerbe- auf eine kommunale Wertschöpfungsteuer schafft eine breitere Bemessungsgrundlage, indem zusätzliche, vorwiegend freiberuflich tätige Personen der Besteuerung unterworfen werden. Bezüglich der Steuerwirkung gilt hier dasselbe Argument, das schon bei der Vermögensteuer genannt wurde. Für (Personen-) Unternehmen mit nur geringen Einkommen werden ausreichende Freibeträge geschaffen.
Aussagen über die Nachfragewirkungen einer verstärkten Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung sind schwer zu machen. Allerdings untergräbt ein Staat, der keine Mittel für die Durchsetzung seiner Steuergesetze aufwendet, langfristig die Steuermoral und damit auch die öffentlichen Einnahmen.
Realistischerweise wird eine Steuerreform, welche die öffentlichen Einnahmen auf eine solide Basis stellt und zudem Mittel für eine beschäftigungsorientierte Nachfragepolitik mobilisiert, nur schrittweise durchzuführen sein. Für eine Übergangszeit sind die Ausgaben im Rahmen des alternativen, beschäftigungsorientierten Haushaltsplanes daher teilweise durch öffentliche Kredite zu finanzieren. Dies ist ökonomisch unproblematisch, da das Investitionsprogramm für Arbeit und Umwelt den größten Ausgabenblock dieses Gesamtplanes darstellt, und Investitionen gegenüber einer konsumtiven Verwendung höhere Selbstfinanzierungseffekte aufweisen. Aus diesem Grund sieht auch der Grundgesetzartikel 115 eine Nettoneuverschuldung des Staates im Umfang der öffentlichen Investitionen als zulässig an.
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Der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace | ||
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