letzte Änderung am 29. August 2002 | |
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1) Die Arbeit an der Gesundheit in unserer Gesellschaft ist wie ein Brennglas der gesellschaftlichen Pyramide und geschlechtshierarchischen Teilung von Arbeit. An der Spitze die medizin-technische und wissenschaftliche, gesellschaftlich hochbewertete Arbeit, mit einer deutlichen männlichen Mehrheit vor allem in den Entscheidungspositionen. Darunter die qualifizierte pharmazeutische, therapeutische und technische Zuarbeit, von Physiotherapeutin, Praxishelferin und Apothekerin, mit einer weiblichen Mehrheit. Darunter und die Pyramide wird breiter -, die niedrig bewertete und gering entlohnte Pflegearbeit im formalen und informellen Sektor. Und schließlich der Sockel der Pyramide, die unbezahlte Sisyphosarbeit im Haushalt, vor allem an den lieben Kleinen und den pflegebedürftigen Alten. D.h. die erhaltende und pflegerische Arbeit an der Gesundheit, das Fundament der Versorgung, ist nahezu vollständig Frauenarbeit.
Für den formalen Sektor heißt das auf statistik-deutsch: 71 % von 4,1 Millionen Beschäftigten sind Frauen. Die Schwarzarbeit und die gesamte unbezahlte Gesundheitsarbeit im Privaten und als Ehrenamt in Gemeinden und Krankenhäusern blenden solche Statistiken als nicht wertschöpfend aus.
Die gesundheits- und körperbezogene Arbeit rangiert unten auf der gesellschaftlichen Bewertungsskala von Arbeit, weil alle Sorgearbeit nicht als produktive, sondern als reproduktive Arbeit gilt und reproduktive Arbeit in der unbezahlten Haushaltsökonomie verortet wird. Vor ein paar Jahren hat in Schweden eine Hebamme geklagt, weil sie für ihre Arbeit 1000 Mark weniger bekam als ein im selben Krankenhaus beschäftigter Elektriker. Sie hat den Modellprozess verloren.
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Der derzeitige Alarmbegriff für die Krise der gesundheitsbezogenen Dienstleistungen in unserer Gesellschaft ist Pflegenotstand Unterversorgung mit Personal und dessen Überlastung. Fachärztemangel zeichnet sich als nächster Personalnotstand ab. In den USA, Großbritannien und Frankreich ist diese Versorgungskrise längst Realität.
Im Augenblick wird ein Globalisierungsmechanismus, nämlich die Transnationalisierung von Arbeitsmärkten und Arbeitsmigration zur Lösung des Personalproblems genutzt. Bereits in den 70er Jahren waren es Krankenschwestern aus Südkorea, Sri Lanka, Südindien und den Philippinen, die uns aus der damaligen Pflegepatsche halfen, Frauen aus Ländern und Regionen, wo Fachkräfte teils sehr gut ausgebildet werden, aber nur unter höchst unbefriedigenden Bedingungen und kaum existenzsichernd entlohnt arbeiten können. Jetzt sind zu den Süd- und Südostasiatinnen viele Osteuropäerinnen hinzugekommen, vor allem auch in der Grauzone der Altenpflege in Privathaushalten, politisch abgesegnet durch eine Green Card.
Gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich qualifizierte Frauen sind ein Exportschlager dieser Länder und mit ihren Rücküberweisungen Devisenbringerinnen Nr. eins, sprich: ökonomisch bedeutende Posten. 70 Prozent der auf den Philippinen ausgebildeten Krankenschwestern arbeiten im Ausland. Das bedeutet aber auch, sie fehlen im eigenen Land. Wir pflegen unsere Gesundheit auf Kosten der armen Bevölkerung der Länder des Südens und Ostens - die Reichen können sich auch in diesen Ländern Pflege und Gesundheit kaufen. Unsere Versorgung beruht auf der ökonomischen Ungleichheit im Weltmaßstab und sie verstärkt diese Ungleichheit: in Deutschland kommt ein Arzt auf 250 Bewohner, in Indien auf 2500 Menschen, in den ärmsten afrikanischen Ländern, in Nepal und Haiti 1 Arzt auf 25 000 Menschen. Ein globales Apartheidsystem der medizinischen Versorgung, aber auch eine sozial-darwinistische Rangordnung.
Simbabwe ist ein brutal anschauliches Beispiel für diese Dynamik. Die Einführung eines SAP 1991 bewirkte drastische Einsparungen im öffentlichen Gesundheitswesen und die Einführung von Nutzungsgebühren. Zu Hunderten verließen Ärzte und qualifiziertes Pflegepersonal das Land, ein Tuberkulose-Kontrollprogramm kollabierte, die Zahl der TB-Erkrankungen schnellte in die Höhe, ebenso wie die Mütter- und Kindersterblichkeit, weil die Armen die Gebühren für medizinische Behandlung nicht zahlen konnten. In den 90er Jahren wurden in Simbabwe 1200 Ärzte ausgebildet. Davon sind nur 360 im Land tätig. Südafrika wirbt ÄrztInnen aus Simbabwe, Sambia und Kuba ab, während südafrikanische Ärztinnen nach Kanada und Großbritannien rekrutiert werden eine Sogwirkung entlang des globalen Wohlstandsgefälles.
Mindestens seit den 70er Jahren gibt es einen Weltmarkt für medizinische Fachkräfte und Pflegepersonal, eine Global Care Chain, eine weltumspannende Versorgungskette, die nahezu vollständig weiblich ist und einen Global Trade in Skills, wobei skills medizinisch technische, pflegerische und soziale Fähigkeiten meint, was im Klartext heißt, wir importieren medizinische Qualifikation, aber auch Beziehungsarbeit, Fürsorglichkeit und das Soziale.
Diese Arbeitsmigration stellt einen immensen Abzug an Wissen und Qualifikation, an Human und Sozialkapital aus ärmere in wohlhabende Gesellschaften dar. Stellt man die Kosten für diese Qualifikationen in Rechnung, so subventioniert der Süden den reichen, aber an Fürsorge und Sozialem verarmenden Norden mit jährlich mindestens 500 Millionen Euro.
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Aber mit der Fürsorge- und Pflegearbeit gibt es ein fundamentales Problem unter der Maßgabe von wirtschaftlicher Effizienz: Rationalisierung und Produktivitätssteigerung und das sind ja die normativen Prämisse für Wirtschaftlichkeit - hat ihre Grenze an der Menschlichkeit. Das zeigte die Einführung von Pflegemodulen mit der In-wert-Setzung von Handreichungen im Minutentakt. Körperpflege, Beziehungsarbeit, Zuwendung sind nun einmal nicht grenzenlos zu beschleunigen. Deshalb wird versucht, unter dem Effizienzdiktat die Beziehungsarbeit das Fürsorgliche aus der bezahlten Ökonomie herauszukatapultieren, zu externalisieren. Die Altenpflegerin, die trotz Zeitterror und Leistungskontrolle auch noch ein paar Streicheleinheiten gibt, schadet sich ökonomisch selbst, denn dies bekommt sie nicht bezahlt. Das Abrechnungssystem der Kassenärzte bestraft sie wirtschaftlich für genaues Hinhören und Beziehungspflege zum Patienten. Das Effizienzprinzip steht quer zum Sorgeprinzip und führt deshalb zur Abwertung oder Abspaltung der Sorgearbeit. Ökonomisierung der Gesundheitsarbeit bedeutet eine "fachliche" Trennung von medizinisch-technokratischen und sozial-pflegerischen Arbeiten. Damit öffnet sich die Schere zwischen besserverdienenden produktivitätssteigernden Wissens- und Technikarbeitern und niedrig entlohnten, "unproduktiven" Pflege- und Sorgearbeiterinnen weiter. Hierarchisierung und soziale Polarisierung verstärken sich.
Dies zeigt sich auch beim Blick auf die Krankenhausreform. Rationalisierung beim Ausbau von Fachkliniken und sogenannten Profit-Centern bedeutet technische Aufrüstung und Kostenersparnis beim Personal. Während jedoch die Zahl der beschäftigten Ärzte in deutschen Krankenhäusern steigt, ist die des Pflegepersonals und seine Ausbildung rückläufig. Eine Reihe von Krankenhäusern wäre ohne die "grünen Brigaden" ehrenamtlicher Helferinnen aus der Gemeinde kaum noch versorgungstüchtig. Private Kliniken brüsten sich, die Personalkosten erheblich senken zu können: dies geschieht durch Verschlankung, sprich: durch Externalisierung von Fürsorge und durch Verdienstabbau.
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Als Instrument zur Kosteneindämmung werden Operationen und Behandlung in Krankenhäusern in Zukunft pauschal abgerechnet und die Aufenthaltsdauer standardisiert. Das bedeutet, dass auch pflegebedürftige PatientInnen im genormten Zeittakt entlassen und dann eben zu Hause gesundgepflegt werden müssen. Keine Frage, dass es wieder in der absoluten Mehrzahl Frauen sind, die die Pflege übernehmen. So wie auch pflegebedürftige Alte und chronisch Kranke, die in Privathaushalten versorgt werden, zu 80 Prozent von weiblichen Familienangehörigen gepflegt werden.
Die Formen, in denen bei uns derzeit die Pflegekrise gelöst wird, nämlich einmal durch Import von Arbeitskräften, zum anderen durch Entwertung und Verschiebung von Sorgearbeit aus dem bezahlten in den unbezahlten Sektor in Haushalten und ins Ehrenamt erzeugen und verstärken Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im System internationaler, nationaler und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung.
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