letzte Änderung am 5. Nov. 2002

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Diskussion -> Wipo -> Finanzen -> Berlin -> tranquillo Suchen

"tranquillo"

Berlin ist Argentinien ist Kapitalismus - Ya Basta!

(Quellen: http://www.indymedia.de/2002/10/31923.shtml)

Berlin ist pleite! Das bekommen in letzter Zeit immer mehr Menschen zu spühren. Der rot-rote Senat sorgt für Ärger in der Berliner Bevölkerung, denn er will die 53 Milliarden Euro Schulden hauptsächlich über radikale Kürzungen bei denen holen, die schon wenig haben und kaum eine Lobby besitzen. Über 200 Millionen Euro spart der Berliner Senat in diesem und nächsten Jahr bei den "Schwächsten der Gesellschaft" ein und alle wundern sich, dass es gegen diese Pläne keinen nennenswerten Protest gibt.

Die Bankgesellschaft

Ein Großteil der Schulden des Senats geht auf das Konto der Bankgesellschaft Berlin. Seit deren Gründung im Jahre 1994 haben sich Politiker, Banker, "Besserverdienende" und diverse Promis bei der Stadt Berlin wie in einem Selbstbedienungsladen bedient. Doch das war nichts neues, sondern es war in Berlin schon immer gängige Praxis, dass die PolitikerInnen von CDU und SPD, wie auch die der PDS (wenn auch im geringeren Maße), sich selbst bedienten und ihre Klientel begünstigten und damit kräftig von unten nach oben umverteilten.

Um die Pleite des mehrheitlich landeseigenen Bankkonzerns zu verhindern, sah sich der Berliner Senat im letzten Jahr gezwungen, für die Immobilienfondsverluste der Bank in Höhe von bis zu 21,7 Milliarden Euro in den nächsten 30 Jahren zu bürgen. Jährlich werden dafür 300 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Gleichzeitig werden wegen des Sparkurses Schwimmhallen, Jugend- und Sozialeinrichtungen geschlossen. Doch die verheerenden Kürzungen in der Jugend- und Sozialhilfe um 200 Millionen Euro decken bei weitem nicht das Geld, welches der Berliner Senat voraussichtlich in den nächsten Jahren pro Jahr an die Bankgesellschaft zu zahlen hat.

Die seit einem Jahr öffentliche Bankenkrise hat nicht die Richtung verändert, sondern nur das Tempo des sozialen Kahlschlags und der Umverteilung von unten nach oben beschleunigt: "Es gibt beim Sparen keine Tabubereiche, es gibt keine Geschenke mehr zu verteilen", Michael Müller (Fraktionsvorsitzender der Berliner SPD).

Die ominöse "Giftliste"...

Die Aufschreie in der Presse waren laut, als neulich eine "Giftliste" aus dem Hause des Finanzsenators unter ominösen Umständen an die Öffentlichkeit gekommenen war. In dieser Liste werden massive Sozialkürzungen aufgelistet. So soll beispielsweise bei den KITAs 220 Mio. Euro eingespart werden, 100 Mio. Euro soll durch die Abschaffung der Fahrausweise für SozialhilfeempfängerInnen eingespart werden, bei der Erziehung werden Kürzungen um 302 Mio. Euro aufgelistet, die Universitäten sollen weitere 25.000 Studienplätze streichen und die beabsichtigten Kürzungen beim Sport würden gar das ganze Vereinsleben zum Stillstand bringen. Der Sport bekommt nach den Plänen so gut wie gar keine Zuschüsse mehr. Finanzsenator Sarrazin verteidigte sich und die Liste damit, dass es sich dabei nicht um geplante Kürzungen handele, sondern er seine MitarbeiterInnen bloß angewiesen habe, "alle logisch denkbaren und rechtlich und technisch machbaren Einsparmöglichkeiten aufzuschreiben".

"Psychologische Kriegsführung" des Senats nennt der "PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Berlin" die Veröffentlichung dieser Liste in einer Pressemitteilung vom 27. 9. "Angesichts des Horrorszenarios, das die Giftliste skizziert, mögen die Sparhämmer des geltenden Doppelhaushaltes als mildes Walten von Vernunft erscheinen". Die "Giftliste" also als brutale Marketing-Strategie, um die Kürzungen des aktuellen Haushaltsplans in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Nach dem Motto: Was wir machen ist noch human! Deshalb darf die Aufregung über die "Giftliste" nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits der aktuelle Haushalt Gift zur Genüge enthält.

....und die aktuellen Sozialkürzungen

Die aktuellen Kürzungen sind knallhart: Im aktuellen Haushalt für die Jahre 2002 / 2003 stehen drastische Kürzungen im Bereich der Jugend- und Sozialhilfeleistungen bevor. 200 Millionen Euro sollen eingespart werden. Bei Hilfen für behinderte und obdachlose Menschen sollen bis zu 20 Prozent gekürzt werden, auch bei den KITAs sieht es schlecht aus, dort sollen 950 ErzieherInnenstellen wegrationalisiert und eine Privatisierungsoffensive gestartet werden. "Keine Frage, es wird ein Sterben von Schülerläden und Horten geben", sagt Jeannette Martins (Ex-Grüne Abgeordnete in Berlin) voraus. Einige Schließungen sind bereits angekündigt, z.B. die Regebogen-Kita in der Fehrbelliner Straße in Berlin-Mitte oder das Jugendprojekt TEK, das ab nächstem Jahr auch kein Geld mehr bekommt. Auch die Kürzungen bei der Sozialhilfe treffen vor allem junge Menschen, Kinder und alleinerziehende Mütter (fast die Hälfte der SozialhilfeempfängerInnen Berlins sind unter 25 Jahre alt). Hier will der Senat 26 Mio. Euro bei den Geldleistungen einsparen. Außerdem sind u. a. die offene Jugendarbeit, die Kinderbauernhöfe und MigrantInnengruppen von dem Sparwahn betroffen.

Berlin in der Schuldenfalle

Eins ist klar: Berlin ist am Arsch! Der rot-rote Berliner Senat hat versagt und setzt unter neuer Besetzung die schon seit mindestens einem Jahrzehnt unter der großen Koalition "bewährte" Politik fort: Einsparungen und Umverteilung zugunsten der Mittel- und Oberschicht. Arme, Arbeitslose, alleinstehende Mütter, Alte, Jugendliche, Drogensüchtige, Kranke, Obdachlose usw. werden gnadenlos zur Kasse gebeten. Insofern ist der Unterschied zur großen Koalition gleich Null! Die Haushaltskonsolidierung geht ihnen über alles, die Ausgaben müssen weiter gesenkt werden, damit die Zinsen für die horrenden Berliner Schulden bezahlt werden können. Für diese knallharte neoliberale Politik braucht die SPD jetzt die PDS als Helfershelfer.

Was tatsächlich mit Berlin geschehen wird, hat offenbar noch keiner ernsthaft zu Ende gedacht. Die Stadt ist annähernd so verschuldet wie Argentinien. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) drückt es dramatischer aus: "Der argentinische Haushalt ist von den Eckwerten her im Vergleich zu unserem durchfinanziert und solide." Er weiss, dass Argentinien als das Beispiel für Staatsbankrott gilt. Was vor fünfzehn Jahren kaum als Problem erschienen wäre - denn Deutschland, der Staat mit dem dritthöchsten Bruttoinlandsprodukt der Welt, galt als Garant, daß Schulden nur eine Art Finanzierungsmodalität waren - stellt gegenwärtig das gesamte System des Staatswesens in Frage. Beamtete Staatsdiener mit ihrem unkündbaren Status und ihren Pensionsansprüchen kann der Staat bald ebensowenig finanzieren, wie die Aufgaben der sozialen Sicherung seiner Bürger. Da bleibt dem Berliner Senat nicht mehr viel übrig, als zu winseln: "Wir wollen nicht soziale Unruhen in der Stadt provozieren" (24.04.02 - Junge Welt)

Der Traum ist aus! Berlin befindet sich in einer Schuldenfalle, die Schulden explodieren, nun wird geschröpft, was es zu schröpfen gibt. Berlin geht den Weg Argentiniens, geht den Weg der Logik des Kapitalismus, doch Kapitalismus lässt keinen Raum für Menschlichkeit. Die Kürzungen des Senats verbauen die Lebenschancen der Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt! Sie gefährden die Hilfen für Menschen mit schwerer körperlicher, seelischer und geistiger Behinderung. Sie versagen Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten die Chance, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Sie verschärfen die Kluft zwischen Arm und Reich in Berlin.

Berlin ist Argentinien ist Kapitalismus

Diese Entwicklung ist nicht nur eine Berliner Entwicklung, sondern ein weltweiter Trend und kann in vielen Städten und Ländern der Welt beobachtet werden: Argentinien beispielsweise galt als eines der reichsten Länder Südamerikas und musste Vergleiche mit dem großen Bruder Europa nicht scheuen. Doch dann verfing es sich in einer Schuldenfalle und der große Traum war aus. Es offenbarte sich, was zuvor verschwiegen werden konnte, der Reichtum bestand nur aus Krediten. Die Schulden explodierten, da immer mehr Geld für die Zinszahlungen verwendet werden musste. Bei den Sozialleistungen wurde gekürzt und gestrichen und aus den Armen wurden Ärmste und aus dem Mittelstand die Armen.

Gemäß dem Internationalen Währungsfond (IWF) wäre der einzige Weg, daß die argentinische Regierung die 132 Milliarden Dollar Schulden zurückbezahlen könnte, noch mehr Kürzungen bei den Sozialausgaben, insbesondere da viele Menschen aufgehört hatten ihre Steuern zu bezahlen, weil sie die politische Korruption satt hatten. Renten, Erwerbslosengeld, Gesundheit und Bildung wurden massiv gekürzt, und allen Staatsangestellten wurden die Löhne um 13 Prozent gekappt. Es war die selbe alte Leier die in so vielen Ländern der Welt wiederholt wird und momentan auch in Berlin zum Kollaps führt: Für immer mehr Schulden müssen immer mehr Zinsen bezahlt werden und das erfordert immer neue Verschuldung... ein Teufelskreis.

Auswege aus der Hoffnungslosigkeit

Dann aber explodierte die Wut der Menschen in Argentinien. Am 20. Dezember letzten Jahres begannen sie einen Aufstand, der bis heute anhält. Er wandelte sich mittlerweile in einen Aufstand der Suche nach Alternativen. Alternativen, die nicht bei Parteien zu finden sind, sondern in der Selbstorganisierung der Bevölkerung in ihren jeweiligen Lebensbereichen. Alle sozialen Bereiche werden im Slogan "Que Se Vayan Todos" vereint, auf das sie alle gehen, d.h. die ganze politische Klasse soll die Bühne verlassen, jedeR PolitikerIn jeder Partei, das Oberste Gericht, der IWF, die Konzerne, die Banken - alle sollen gehen, damit die Menschen selbst entscheiden können was im ökonomisch gebeutelten Land geschieht. Konfrontiert mit stets zunehmender Armut und einem völligen ökonomischen Zusammenbruch haben die Menschen in Argentinien genug Hoffnung gefunden um weiter Widerstand zu leisten. Ausserdem haben sie genug Kreativität gesammelt um anzufangen, praktische Alternativen zur Hoffnungslosigkeit des Kapitalismus aufzubauen.

Auch in Berlin steht der Bevölkerung ein knallharter Kampf bevor, denn für die PolitikerInnen des Senats gibt es eigentlich keine Alternativen zu Sozialkürzungen und Steuererhöhungen, um alles Geld was verfügbar ist zusammenzukratzen, da auch Berlin sich in einer auswegslosen Schuldenfalle befindet. Doch bisher gibt es in Berlin nur vereinzelt Protest in den verschiedenen Teilbereichen, bspw. Demos gegen Kita-Kürzungen, Protest gegen die Kürzungen bei der Behindertenhilfe, symbolischer Protest gegen die Streichungen in der Jugendhilfe oder der runde Tisch der Erwerbsloseninitiative (anzutreffen an jedem Dienstag um 17 Uhr in der IG-Medien-Galerie Dudenstr.10 Berlin).

Realistisch betrachtet wird dieser Protest nicht viel an der unsozialen, neoliberalen Politik des Berliner Senats ändern. Nach und nach wird der Berliner Senat, egal von welchen Parteien er dominiert wird, versuchen die nötigen Sozialkürzungen durchzusetzen. Der Protest dagegen wird gering bleiben, solange die verschiedenen Initiativen nur in ihren jeweiligen Teilbereichen protestieren und nicht den Blick über den Tellerrand wagen. Sie müssten sich zusammenschliessen oder vernetzen gegen diesen "neoliberalen Kahlschlag". Der Berliner Senat lässt keinen Raum für Menschlichkeit.

Ya Basta - Es reicht!

Es bedarf einer breiten Diskussion darüber, wie zusammen gegen die, sich immer massiver auswirkenden, Sozialkürzungen agiert werden kann. Es bringt dabei nichts, im eigenen Teilbereich stehenzubleiben, sondern es muss eine radikale Kritik am Berliner Senat und damit auch an der, für seine Politik stehenden, kapitalistischen Logik formuliert werden. Die Zeiten werden kälter und es sollten grundlegende Gedanken entwickelt werden, wie selbstorganisierte Netzwerke aufgebaut werden können, um handlungsfähig zu bleiben. Vielleicht können die Menschen in Argentinien dafür Inspirationen liefern, vielleicht müssen aber auch neue Wege gefunden werden, wahrscheinlich beides.

Vorschlag - Tag des sozialen Protests

Am 20. Dezember jährt sich der Aufstand der Bevölkerung Argentiniens. Der Tag wurde von den Nachbarschaftsversammlungen zum "Global Action Day" ausgerufen. An zwei Tagen im Dezember (20./ 21.), wenn voraussichtlich Zehntausende in Argentinien auf die Straße gehen um den Aufstand des vergangenen Jahres zu feiern, werden an vielen Orten auf der Welt Aktionen und Veranstaltungen in Solidarität mit den Menschen in Argentinien statt finden. Der "Global Action Day" kann auch in Berlin genutzt werden, um gegen die neoliberale Politik des Berliner Senats zu protestieren, die derselben Logik unterliegt, wie die (ebenfalls gescheiterte) neoliberale Politik

Argentiniens. Es ist die Logik des Kapitalismus. Dieser hat versagt und muss weg! Weitergehend bietet dieser Tag die Möglichkeit, neue und längerfristige Netzwerke entstehen zu lassen und er könnte Startschuss sein für eine radikale Kritik an den lokalen Verhältnissen in einem globalen Kontext.

Auf jeden Fall ist klar:

  1. Der Berliner Senat regiert nicht zum Wohl der Berliner Bevölkerung und hat damit auch nicht das Recht über diese zu entscheiden.
  2. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie die kapitalistische Logik weltweit Ausgrenzung und Ungerechtigkeit produziert.

Deshalb sollte die konsequent radikale Forderung lauten:

  1. Auf dass sie alle gehen
  2. Kein Kapitalismus - Keine Ausgrenzung - Gerechtigeit und Selbstbestimmung für alle!

Es wird dazu ein offenes Berliner Vorbereitungstreffen geben. Der genaue Termin und Ort wird noch bekannt gemacht und kann unter anderem über http://www.gipfelsturm.net nachgeschaut werden.

Veranstaltung: Argentinien - Berlin

Desweiteren gibt es zu der Thematik eine Veranstaltung der Sozialen Consulta: Informationen, vergleichende Analysen (Unterschiede/Gemeinsamkeiten) und was können wir daraus lernen? In Argentinien ist der Staat bankrott, in Berlin die Stadt. In Argentinien finden gesellschaftliche Umbrüche vor allem in Form von Selbstorganisierung von unten statt. In Berlin gehen z.B. die von Kürzung Betroffenen für sich isoliert auf die Straße. Gibt es Übertragungsmöglichkeiten oder gar konkrete Lernschritte für eine emanzipatorische und soziale Politik von unten in Berlin?Am Sonntag, den 3.11.2002 um 18 Uhr im Mehringhof Versammlungsraum, Gneisenaustr. 2a, Berlin.

LabourNet Germany Top ^