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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der ökonomische Diskurs in der Weltwirtschaftskrise und ein Buch von Berthold Huber ( IG Metall ) - Die Gewerkschaften - und "Can the Euro be saved?"

Inwieweit der ökonomische Diskurs bei einem der aktivsten Teile der Gewerkschaften angekommen ist?

Kommentar von Volker Bahl vom 6.6.2010

Man ist ja von den Gewerkschaften bezüglich des ihnen möglich erscheinenden Erkenntnis-Horizontes Kummer gewohnt, aber nun kommt schon wieder eine frustrierende Enttäuschung auf uns zu: der ökonomische Diskurs mit seiner auf die "alternativen" Ökonomiemöglichkeiten zielenden Absicht ist noch nicht einmal "marginal" bei den Gewerkschaften - ja bei der als "Speerspitze" der Gewerkschaftsbewegung geltenden IG Metall angekommen. Nein, Ökonomie gibt es einfach nicht bei diesen Gewerkschaftern - und das in der seit 80 Jahren größten Weltwirtschaftskrise.

Oder sollte einfach Michel Foucault mit seiner Ende der 1970-er getroffenen Feststellung doch recht behalten, dass der "Anti-Keynesianismus" in Deutschland zu der von allen Seiten anerkannten Staats-Doktrin geworden ist? Und der aggressivste Vertreter dieses deutschen "Antikeynesianismus" Erhard Eppler ( gegen Albrecht Müller ) ist dann ja auch "typischerweise" in einem Buch von Berthold Huber vertreten. (vgl. z.B. Heiner Flassbeck, "Gescheitert", S. 24 ff. - auch S. 16 ff. - auch noch www.nachdenkseiten.de/?p=1103 externer Link)

Jedenfalls halte ich gerade ein recht seltsames Büchlein in der Hand, dessen Herausgeber kein geringerer als der IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber ist - und im Klappentext zu diesem Buch mit dem vielversprechenden Titel "Kurswechsel für Deutschland" kann man lesen: "Optimisten meinten gleich zu Beginn der Krise, die Glaubensätze der Marktradikalen würden dieses Disaster nicht überstehen. Ihre Ideologie sei endgültig entlarvt , ihre Politik am Ende. Das war und ist ein gefährlicher Irrtum. Ihre Herrschaft über die öffentliche Meinung und die Deutung dessen, was Realität ist, mag angeschlagen und gemindert sein. Ihre Macht die Geschicke unserer Republik maßgeblich zu bestimmen, ist hingegen noch lange nicht gebrochen." - Und es wird fortgefahren : "Über die bisherigen Maßnahmen hinaus bedarf es einer grundlegenden neuen Politik, denn diese Krise ist keine gewöhnliche zyklische Erscheinung, sondern eine Zeitenwende" - ( man ist geneigt hinzuzufügen, wie es das für Deutschland schon einmal 1933 wurde... )

Wie wahr möchte man ausrufen, - um dann etwas indigniert feststellen zu müssen, in diesem Bändchen gibt es dann keinen einzigen Ökonomen, der ja - so verstehe ich das - ein wenig die marktradikale Ökonomie in ihren Fehlentwicklungen aufzeigen könnte . Nein, allein Sozialwissenschaftler erläutern "ihre" Sicht. Das mag ja alles Nachdenkenswert sein, nur jetzt, wo die Krise einem neuerlichen "Höhe"punkt - kann es denn schon der "Scheitel"punkt sein? - zusteuert, hätte man sich mehr an ökonomischer Einsicht erwartet. Und es gibt ja sogar gewerkschaftlich einiges Hervorrragendes vorzuweisen, wie vor allem die klaren Analysen von Gustav Horn mit dem IMK seit 2005! Aber alle Bemühungen eines Michael Sommer (DGB) diesen ökonomischen Diskurs mit der Gründung des IMK fundiert und seriös auch in den Gewerkschaften zu etablieren scheinen da "für die Katz" - oder ist diese ökonomische Sicht auch gleichzeitig zu kritisch gegenüber dem eigenen gewerkschaftlichen Handeln? Vermeiden dies die Sozialwissenschaften weitgehend - und eignen sich in der Krise eher als "Legitmationswissenschaft?

Solche Fragen drängen sich da einem auf, wenn wir jetzt doch daran gehen wollen, diese "Marktradikalität" aufzubrechen. Und es gibt ja genügend an ökonomischem Sachverstand - wenn auch in Deutschland nicht so häufig universitär etabliert (siehe oben Foucault) - die man hätte heranziehen können - und nicht nur die wichtigen täglichen Meldungen der Nachdenkseiten mit den laufenden Analysen von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb - wie Heiner Flassbeck bei der Unctad, Rudolf Hickel und Peter Bofinger ( unter den wenigen universitär Etablierten ) sowie Gustav Horn mit dem IMK, das mit den IMK-Reports laufend eine herausragende Analyse dieser Krise in all seinen Facetten geliefert hat.

Auch begegnet uns dann noch der mit seinen Finanzmarktanalysen hervortretende Stephan Schulmeister vom Wifo/Wien, aus dessen Werkstatt die ersten und ausführlichsten Begründungen zu dieser krisendämpfenden und Finanzen reparierende Finanztransaktionsteuer stammen.

Also einen Mangel an ausgewiesener "alternativer" ökonomischer Kompetenz gibt es bei uns nicht, zumal man diese Liste durchaus noch erweitern könnte. Na ja, wenn man den deutschen Sachverstand - wegen gelegentlich allzu kritischer Töne in Richtung der Fähigkeiten der deutschen Gewerkschaften - nicht so schätzt, dann hätte man doch Paul Krugman oder Joseph Stiglitz hernehmen können, die Wirtschaftsnobelpreisträger. Aber nein, es bleibt nur diese schale, beschreibende "Analyse" der Sozialwissenschaftler und damit vor allem auch allein der "Mikro-Ebene" - und die Gewerkschaften auf diesem Diskussionsniveau. Die angestrebte "Zeitenwende" scheint so wohl noch - auch dank dieser Erkenntnisfortschritte der besten und potentesten Gewerkschaften in Deutschland - in einiger Entfernung zu liegen.

Und angesichts dieses "Hauptstroms" ( Mainstream) in den Gewerkschaften erscheint uns dann die "Gewerkschaftslinke" auch wieder als ein reichlich abstraktes Gegengewicht nur mehr entwickeln zu können. Die Linke in der IG-Metall scheint so auch nicht mehr eine herausfordernde kritische Kraft zu sein - oder was meint ihr? Und das wirkt sich schlecht auch auf das Gesamtniveau der Diskussion in der IG Metall aus? Es könnte einem ja richtig Angst werden um die IG Metall. - Hier also noch diese Diskussion aus der IG Metall-Linken - der ich dann auch eher frustriert gegenüberstehe: Die Gewerkschaften - und "Can the Euro be saved ?"

Ach, es ist so "wunderbar", wie sich - eher auf der Mikro-Ebene - die Gewerkschaftslinke (ja, was bleibt noch "jenseits" von Hans-Jürgen Urban und den Metall--Kollegen? - na ja, dann eben bei Verdi... ) an die Chancen der Gewerkschaften für die Krisenbewältigung macht - und sich somit recht eigentlich ins europäische Abseits stellt. (www.nachdenkseiten.de/?p=5789#h08 externer Link) - ich bin also angesichts dieser bloßen Bauchnabelschau eher desillusioniert - und zwar schrecklich!

Aber nur ganz kurz: Eine klare makroökonomische Position zur Überwindung der neuerlichen "Großen Rezession" (Beschäftigungspolitik, was ja noch von Keynes der bekanntest Teil ist) - wenn man das nicht schon darin erblicken will, dass öfters festgestellt wird, dass die "Einkommens- und Machtprivilegien der Finanzeliten weitgehend unangetastet" bleiben - wird man vermissen müssen - außer man sieht es schon in den vagen Andeutungen, dass "mit der Zunahme der Restriktionen in den Arenen der "Primärverteilung" (Absturz der volkswirtschaftlichen Lohnquote und ein Jahrzent währende Stagnation der Löhne) wächst die Bedeutung der "Sekundärverteilung". Heißt das, auf dem ersten Feld hat man schon verloren (dort haben die Gewerkschaften doch immerhin noch ein Streikrecht , was für ein "Torso" das in Deutschland auch immer sein mag) und jetzt muss man sich - wie defensiv auch immer - auf das politische Feld der "Sekundärverteilung" konzentrieren - nur mit welchen besseren Aussichten? (= als Bittsteller bei den Parteien?).

Nun da bleibt uns doch noch die Feststellung: Überlebenswichtige Strategie-Entscheidungen sind nach wie vor offen.... Und es wird noch angedeutet wird, dass die "Krisenkosten "perspektivisch" auf Lohnabhängige und Sozialleistungsbezieher verteilt" werden - und die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat - (ohne dass dies die Gewerkschaften in Deutschland verhindern konnten) - zu einer massiven Schwächung der Gewerkschaften geführt. (Dazu gibt es ein schönes Zitat der Bundesbank: "infolge der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der ersten Dekade hat die Kompromissbereitschaft der Arbeitnehmervertreter zugenommen").

Aber wie wollen die deutschen Gewerkschaften jetzt diese weitere Verteilung der Krisenkosten auf die Arbeitnehmer verhindern? Und Europa kommt kaum vor. Zwar wird zu recht ein Krisen-Korporatismus als zu kurzatmig kritisiert, aber Europa und die gemeinsame "Zwangsjacke des Euro" - der gemeinsamen Währung kommt nicht vor . Dabei hatte noch Hans-Jürgen Urban in den IPG 4 / 2009 "Zeit für eine Neuorientierung: Die Gewerkschaften und die Hoffnung auf ein soziales Europa" geschrieben (www.fes.de/ipg/sets_d/arc_d.htm externer Link Zeitschrift: Internationale Politik und Gesellschaft (IPG) Heft 4 / 2009, S. 11 ff.) Aber die Zeit für diese Neuorientierung scheint - gerade jetzt in der Krise! - noch nicht gekommen zu sein, obwohl Joseph E. Stiglitz, der Wirtschaftsnobelpreisträger, unter der Überschrift "Can the Euro be saved?" neben den Möglichkeiten, dass der Euro als gemeinsame Währung beendet werden muss - und damit diese bisherigen exorbitanten Exportchancen für Deutschland innerhalb Europas! - , auch auf eine dritte zentrale Lösung als wünschenswert hinweist: Joseph E. Stiglitz Three possibilities for solutions - but there is a third - and it is not too late for Europe to implement these reforms - and thus live up to the ideals, based on solidarity, that underlay the euros creation... (http://www.nachdenkseiten.de/?p=5722#h05 externer Link)

Der ökonomische Krisendruck könnte also ganz anders und viel schneller die so am Rande noch angestrebte "Transformation des exportgetriebenen Entwicklungsmodells" vorantreiben. Nur auch wenn davon bei diesen Gewerkschaftern nicht gesprochen wird, dieses "exportgetriebene Modell" hat hohe Kosten für die deutschen Arbeitnehmer und beruht vor allem auf "Lohndumping", das weder politisch (Arbeitsmarktreformen mit der raschen Durchsetzung eines Niedriglohnsektors - siehe Schröder in Davos) noch gewerkschaftlich (Erosion des Flächentarifvertrages auf nur mehr rund die Hälfte der Beschäftigten) angegangen werden kann - und somit weiter enormen Druck auf die Gewerkschaften in den anderen Ländern in Europa ausübt, was Heiner Flassbeck und Gustav Horn (IMK)schon 2005 ( ! ) zu der Prognose veranlasste, dass dieses Lohndumping aus Deutschland den Euro in die Luft sprengt. (www.boeckler.de/pdf/wsimit_2005_12_flassbeck.pdf externer Link pdf-Datei sowie www.boeckler.de/32014_94345.html externer Link mit www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_01_2005.pdf externer Link pdf-Datei)

Perry Anderson, der linke Historiker aus Großbritannien, ging die Deutschen 2007 in Worten sogar hart an, indem er ihnen vorwarf, mit ihrem Lohndumping den südeuropäischen Ländern "an die Gurgel zu gehen" (www.lrb.co.uk/v29/n18/perry-anderson/depicting-europe externer Link) aber anscheinend musste das jetzt erst im Crash "bewiesen" werden, ohne dass diese Folgen mit ihren Ursachen noch irgendwie reflektiert werden. Nur über den allein nationalen"Tellerrand" im gemeinsamen Europa sind auch linke Gewerkschafter in Deutschland anscheinend - trotz mancher Ansätze - noch nicht in der Lage hinauszublicken - obwohl sie der gemeinsame Euro so dringend "einen" müsste . Ziehen wir uns also zurück auf die betriebliche Ebene ( zunehmende Arbeitsbelastung mit verheerenden Folgen für die Gesundheit ) ? Vielleicht bleiben wir ja in diesem Defensiv- Kampf erfolgreich? Nun so werden eben Sparprogramme die Lösung heißen (Ebene der Sekundärverteilung) (www.nachdenkseiten.de/?p=5722#h07 externer Link sowie www.nachdenkseiten.de/?p=5701#h02 externer Link) Aber Vorsicht, wenn jetzt alle das Gleiche tun, besteht leicht die Gefahr, dass "alle" zusammen "baden gehen" (www.nachdenkseiten.de/?p=5722#h03 externer Link) - und das wird auch Folgen für den allgemeinen Arbeitsmarkt , also die Betriebe, haben. Dabei gäbe es doch so gute Möglichkeiten jetzt gerade einmal die Steuerbasis auszuweiten: www.nachdenkseiten.de/?p=5722#h08 externer Link und nicht zuletzt mit der schönen Finanztransaktionssteuer: www.nachdenkseiten.de/?p=5701#h08 externer Link.

Wie das mit der wiederum allein auf die politische Ebene zielenden "Mosaik-Linken" einerseits abgewehrt (die Sparmassnahmen) und anderserseits durchgesetzt (die Erweiterung der Steuerbasis) werden soll, bleibt mir ein Rätsel - zumal da die Gewerkschaften mehr auf "andere" Kräfte "hoffen" - sozusagen der "deus ex machina" - als sich auf ihre "Stärke" zu verlassen - siehe beispielhaft www.steuer-gegen-armut.org externer Link.

Und wie sieht es in einer demokratischen Öffentlichkeit für solchen "Alternativen" aus: Statt den Weg zur besseren Einsicht in das jetzt in der Krise ökonomisch erforderliche zu suchen, übt sich zum Beispiel das sogenannte Qualitätsblatt "Die Zeit" noch einmal im "schönen" Kampagnenjournalismus zur Vernebelung der Fakten - mit dem Tenor: wir die Guten und Richtigen - und alle anderen sind die Falschen und Schlechten. (www.nachdenkseiten.de/?p=5729 externer Link)

Also Gewerkschaften in Deutschland, ihr könnt weiter gut schlafen, was eine bessere ökonomische Strategie in dieser größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren angeht (aber damals - das darf noch angemerkt werden - waren die Gewerkschaften mit dem sog "ADGB-Programm" für mehr Beschäftigung besser aufgestellt (was Hitler nicht verhindert hat, aber ihn zu einer gezielten Beschäftigungspolitik - vor allem für die Rüstung! - brachte)

P.S.: Eine Nachbemerkung noch. Es gab ja noch eine auch öffentlich wahrnehmbar ökonomische Stimme aus dem DGB heraus, den Chef-Ökonomen Dierk Hierschel. Er wird zu Verdi (Bsirske) wechseln. Nun so scheint Verdi sich zu der "ökonomischen Stimme" zu mausern - nebst ihrem Michael Schlecht als gewerkschaftspolitischen Sprecher bei der "Linken.


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