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Nackte deutsche Wirtschaftsinteressen und der Ausschluss der Überflüssigen

Kettenreaktionen immanenter Kritik – ein Kommentar zur deutschen Zuwanderungs- und Asylpolitik

Von Dirk Vogelskamp*

Als Bundesinnenminister Otto Schily, stets die Grenzen deutscher Belastbarkeit im Blick, am 3. August seinen Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorlegte, erntete er viel Lob, und die grüne Fraktionsvorsitzende Claudia Roth sah in diesem noch eine "gute Grundlage". Immerhin berücksichtigte der Gesetzesentwurf – den Konsens mit der Union suchend – im Wesentlichen die Anregungen der süssmuthschen Einwanderungskommission und darüber hinaus die der verschiedenen Zuwanderungsausschüsse, die die Parteien und Fraktionen gebildet hatten. Nur Wochen später lautete das Verdikt der multikulturellen Zuwanderungssteuerer über das ministerielle Gesetzesvorhaben: "nicht zustimmungsfähig". Massiv war der Referentenentwurf von Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsinitiativen, aber auch an der grünen Basis kritisiert worden. Die grüne, auf Koalitionserhalt getrimmte Führungsriege, nicht nur einsichtig gestimmt, beugte sich letztlich dem politischen Druck von MigrantInnen- und Flüchtlingsorganisationen und forderte, die offensichtlichen "Mängel" des Entwurfes zu korrigieren. Dessen flüchtlingspolitische Grausamkeiten sind ein Regierungsfaustschlag ins Gesicht all derjenigen, die gehofft hatten, im Zuge einer bundesdeutschen Einwanderungsregelung verbessere sich zugleich die politische und rechtliche Lage für Flüchtlinge und Asylsuchende, indem beispielsweise geschlechtsspezifische Fluchtursachen oder nichtstaatliche Verfolgung behördlich als asylrelevant anerkannt werden. Inzwischen mahnte selbst das Justizministerium, Teile des Entwurfs seien ins grundrechtliche Abseits gerutscht.

Einige der berechtigt vorgebrachten Kritikpunkte können das staatliche Manöver, über eine Neugestaltung von Zuwanderungsregelungen die gesamtgesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsbedingungen allein im Kapitalinteresse modernisierend zu verändern, schlaglichtartig beleuchten:

Das sind keine Webfehler eines ansonsten trefflich gestrickten Gesetzes, sondern das parteiübergreifend festgelegte Strickmuster zur Einwanderung nach dem becksteinschen Diktum: "Wir müssen darauf achten, dass weniger Ausländer kommen, die uns ausnützen, sondern mehr, die uns nützen." Alle Parteikonzepte zur Einwanderung zielen auf eine Modernisierung der Migrationssteuerung und -kontrolle im Interesse der deutschen Wirtschaft, das gewöhnlich als Allgemeininteresse (Standort Deutschland) daherkommt. Dabei liegt es vor allem im partikularen Interesse des Kapitals, über Arbeitsmigration die Neuzusammensetzung der arbeitenden Bevölkerung lohn- und arbeitsplatzkonkurrent zu betreiben, die Verwertung lebendiger Arbeit und dementsprechend die Ausbeutung zu steigern. Nebenbei werden die gesellschaftlichen Reproduktionskosten gesenkt (z.B. Ausbildungs- und Erziehungskosten für ArbeitsmigrantInnen, Beschäftigung Illegaler, Abschiebung der unnützen Sozialhilfeempfänger unter EinwanderInnen und Flüchtlingen etc.). Insofern ist der bundesdeutsche Einwanderungsdiskurs Bestandteil des von der demokratischen Mitte betriebenen Sozialstaatsumbaus: von der Faulenzerdebatte über neue Formen der Zwangsarbeit bis zur Privatisierung der Rente. Die Zuwanderungsregelungen lediglich defensiv immanenter Kritik zu unterziehen, greift daher, menschenrechtlich allemal, viel zu kurz.

 

Der Konsens der Demokraten: Zuwandern für Deutschland

Auch wenn in Schilys Gesetzentwurf der Ausschluss der für Deutschland unbrauchbaren MigrantInnen punktuell schärfer, geradezu christdemokratisch formuliert wird, so sind doch alle Aussonderungs- und Repressionsaspekte einer zukünftigen Zuwanderungsregelung bereits in dem Süssmuth-Bericht enthalten, der parteiübergreifend, von einigen gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen und DGB sowie von vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) euphorisch gelobt und gutgeheißen wurde, da sich in demselben flüchtlingspolitische Zuckerstückchen und repressive Sonderregelungen für die Unerwünschten noch einigermaßen die Waage hielten.

Nur wenige Gruppen, wie das Komitee für Grundrechte und Demokratie, hatten den mit Expertensegen versehenen Bericht scharf kritisiert. Um dessen identische Zielsetzung mit Schilys Referentenentwurf zu verdeutlichen, seien einige Passagen aus unserer Erklärung vom 6. Juli zitiert: "Liest man den Bericht sorgfältig durch, trennt man humanitäre Spreu von hartem Interessenweizen, dann liegt das magere Interessenbündel bloß. Da ist nichts, aber auch gar nichts von einem ‘Paradigmenwechsel’, zu deutsch von einem neuen Politikmuster zu entdecken. Da ist nichts, aber auch gar nichts von einer vertieften, gar langfristig angelegten Problemwahrnehmung zu spüren. So hat es die Süssmuth-Kommission vermieden, ein Einwanderungsmodell zu entwerfen, das sich zuerst an den Bedürfnissen und Problemen derjenigen orientiert, die auf der legitimen Suche nach besseren Lebens- und Überlebensbedingungen sind; das die dringenden Herausforderungen weltweiter Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen politisch, am Menschen und seinen sozialen Bedingungen ausgerichtet aufgreift. Welche Lösungsansätze bietet denn der Bericht für die Millionen, die im Zuge der kapitalistisch dominierten und soziale Ungleichheit vertiefenden Globalisierung entwurzelt werden? Statt dessen eine vorrangig an deutschen Wirtschaftsinteressen orientierte »neue Zuwanderungspolitik«.

Die Süssmuth-Kommission fordert aus den von ihr vorgetragenen weltwirtschaftlichen, demographischen, bevölkerungs- und sozialpolitischen Gründen einen »Paradigmenwechsel in der Ausländerbeschäftigung vom Anwerbestopp zur gesteuerten arbeitsmarktorientierten Zuwanderung«. Sie schlägt ein neues System der Arbeitsimmigration und internationaler Arbeitskräftemobilisierung mit zeitlich befristetem beziehungsweise dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland vor. Damit die deutsche Wirtschaft ihre Position auf den Weltmärkten verteidigen und ausbauen könne, zumal in den Wachstumsbranchen, sei eine Zuwanderung von-nöten, die die dynamische Entwicklung des Standorts Deutschland unterstütze. Die Süssmuth-Kommission singt das Hohelied der deutschen Wirtschaft. Deren Interessen im globalen Konkurrenzkampf, nämlich Arbeitskräfte und Wissensproduzenten profitabel anzueignen und zu verwerten, werden schamlos zum Allge-mein-, zum alleinigen öffentlichen Interesse deklariert. Selbstredend zum Wohlleben aller Bürgerinnen und Bürger. Demnach wird die Weltmarktware Arbeitskraft bedarfsentsprechend und nutzversprechend sortiert: vom Wissenschaftler über den High-Tech-Proletarier bis zum Saisonarbeiter. Kommen kann, wer der Stand-ortgemeinschaft heute oder morgen nützt. Wer jedoch in keiner der neuen standortnützlichen Zuwanderungsklassen punktesammelnd Platz findet, ist überflüssig und somit unerwünscht. Die volkswirtschaftlich unbrauchbaren Zuwanderer müssen möglichst rasch aus Deutschland ausgewiesen werden. Die wohl überwiegende Mehrheit der weltweiten MigrantInnen entspricht zwar nicht den Qualifizierungs- und Leistungsanforderungen der deutschen Wirtschaft, doch was kümmert’s die Süssmuth-Experten. Die richtigen Zuwanderer sollen eben erst mobilisiert werden. Die anderen wandern weiter, freiwillig oder erzwungen, ins weltweite Irgendwohin.

Die Süssmuth-Kommission trennt den Bereich »Flucht und Asyl« von dem der erwünschten Arbeitsmigration formal und vermengt bzw. verrechnet diesen nicht quotierend. Sie konstatiert jedoch, dass über die humanitäre Einwanderung, sprich über Asyl- und anderweitige Schutzgewährung, über die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen, über Familiennachzug und den Zuzug von AussiedlerInnen Zuwanderung in erheblichem Ausmaße erfolge. Diese könne daher Handlungsspielräume in der arbeitsmarktorientierten Zuwanderung einengen. Darum wird einem repressiven Abschieberegime mit Abschiebe- und Rückführungszentren und einem NGO-gestützten effektiven »Rückkehrmanagement« das Wort geredet. Eine Verfestigung des Aufenthalts durch Hinauszögern der Verfahren müsse unterbunden werden. Konsequentes Abschieben heißt die Devise. Zu Tausenden würden ausreisepflichtige AusländerInnen in deutschen Großstädten ausgemacht, deren Identität nicht festgestellt werden könne und die darum nicht abgeschoben werden könnten. Diese ungewollte Zuwanderung schränke die wohlfahrtsfördernde Zuwanderung aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen ein. Darum: wer so ganz ohne Identitätspapiere dem Elend der Welt, Vertreibung, Verfolgung, Krieg oder Umweltkatastrophen entflieht und sich auf die legitime Suche nach Überlebensperspektiven, besseren Lebensbedingungen und Einkommensmöglichkeiten, nach Schutz und elementaren Rechten nach Deutschland begibt, missbraucht offensichtlich das weltoffene und humanitär handelnde Deutschland. Was der Parteienstammtisch schon immer wusste, wird nun als historische Wende in der Ausländerpolitik gefeiert. Dass darüber hinaus in dem Zuwanderungsbericht die Situation der Illegalisierten, der rechtlosen sans papiers nur am Rande thematisiert wird, ist, menschenrechtlich gesehen, ein ungeheuerlicher Skandal. Gerade ihr rechtloser Status gehörte endlich, nähme man ihre Menschenrechte ernst, aufgehoben. Was soll alles Gerede von einer selbstlosen, am humanitären Handeln orientierten Zuwanderungspolitik, wenn ausgerechnet diese Zuwanderungsgruppe und ihre unerträglichen Lebensumstände im Süssmuth-Bericht gänzlich ausgeklammert werden?

Um eine effiziente Abschiebepraxis zu ermöglichen wird ein ganzes Maßnahmenbündel neuer Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten empfohlen: Zusätzliche Datenerhebung bei der Visumserteilung, zu der die Flüchtlingsverwaltung Zugriff erhalten soll; Anfertigen von Passkopien von Visaantragsstellern und die Abnahme von Fingerabdrücken in den Auslandsvertretungen, Aufbau zentraler Bilddateien ‘illegal’ eingereister Ausländer. Überhaupt geht die Modernisierung des Migrationsregimes mit einer schwindelerregenden Datenerfassungswut einher. Die Kehrseite der neuen Freizügigkeit für die erwünschten ArbeitsmigrantInnen ist eben der unerbittliche Kampf gegen die unberechtigt eingereisten oder sich unberechtigt in Deutschland aufhaltenden AusländerInnen. Ein derart konzipiertes, einseitig wirtschaftsorientiertes Zuwanderungsmodell definiert, ja schafft stigmatisierend geradezu erst jene neue Einwanderungsklasse, die der Unerwünschten, die der Überflüssigen, die mit allen Mitteln grund- und menschenrechtlich folgenreich von Deutschland ferngehalten werden sollen."[1]

Zutreffender hätten wir den Schily-Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz auch nicht kritisieren können.

 

Ein globales soziales Apartheidssystem

Es dürfte deutlich geworden sein, dass ein wie immer geartetes, aus der Mitte deutscher DemokratInnen konzipiertes Zuwanderungsgesetz, gleich ob in dieser oder in der folgenden Legislaturperiode, sich primär an der Verwertbarkeit von ImmigrantInnen orientieren und den Ausschluss der volkswirtschaftlich Unbrauchbaren normieren wird. Es war von vornherein irrig anzunehmen, eine vorrangig an den Interessen der Wirtschaft ausgerichtete Einwanderung ginge nicht zu Lasten anderer, weniger rentabler Immigrationsgruppen. Eine folgenreiche Illusion, die viele Flüchtlingsinitiativen lange Zeit gehegt hatten. Ein Einwanderungsgesetz wird lediglich die todbringende Abschottung gegen die Armutsmigration an den Grenzen der Wohlstandsinseln ergänzen. Die langfristige Perspektive einer solchen Politik ist jedoch die Verfestigung eines globalen sozialen Apartheidssystems, in dem die Habenichtse der Welt von den Zitadellen des Reichtums – notfalls militärisch – ferngehalten werden, erstmals erprobt im NATO-Krieg gegen Jugoslawien. Ein derartiges kapitalistisches Weltsystem bringt jene terroristische Gewalt hervor, über die in diesen Septembertagen so viele Menschen erschrocken und bekümmert sind. Die gewaltsame Aufrechterhaltung dieser weltweiten Ungleichheitsordnung mit all ihren katastrophalen, friedensgefährdenden Folgen steht im offensichtlichen Gegensatz zu dem, was gemeinhin mit menschengerechten, mit menschenrechtsgemäßen Lebensbedingungen verbunden wird. Aus menschenrechtlicher Perspektive sind deshalb Opposition, Protest und ziviler Ungehorsam gegen das modernisierte System der Migrationssteuerung und -kontrolle in all seinen Facetten um unser aller Menschenrechte willen gefordert. Darum brauchen gerade jene MigrantInnen unsere organisatorisch-solidarische Unterstützung, die den Ausschlussmechanismen als erstes zum Opfer fallen: Die Alten, Kinder, Kranken, alle die, die ihr Überleben ‘noch’ nicht selbst organisieren können. Denn der Ausschluss der Unerwünschten, der modernen displaced persons untergräbt langfristig die Bedingungen eines humanen Zusammenlebens aller, untergräbt die gesellschaftlichen Bedingungen von Demokratie und Bürgerrechten überhaupt. Wer wollte das in diesen Tagen bezweifeln.

 

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 9/01

* Dirk Vogelskamp ist Mitarbeiter des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Er hat die Stellungnahme des Komitees zum Süssmuth-Bericht für den express überarbeitet und um einen Vergleich mit Schilys Entwürfen für ein Zuwanderungsgesetz ergänzt.

1) Die vollständige Erklärung kann im Sekretariat des Komitees für Grundrechte und Demokratie angefordert werden: Aquinostraßes 7-11, 50670 Köln, Tel. 0221 / 97269-20, email: Grundrechtekomitee@t-online.de


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