Mit einem Paukenschlag haben sie sich zu Wort gemeldet: Die "Neue Mitte" aus den Tiefen der ÖTV. Anlaß: ver.di. Grund: Neue Gewerkschaft.
Eine Online&Beratungsgewerkschaft wollen sie, die sich auf die Erfolgreichen, die "winner" der neuen Ökonomie der Informationsgesellschaft stützt. Wegen der Bedeutung dieser Innovation fürchten sie auch Verfolgung nicht. Eine neue Glaubensgemeinschaft? Scheint so. Verfolgt? Ja: Der "einblick", die "Mitbestimmung" - alle sind hinter ihnen her. Damit sie dort schreiben. Nero Schultes Bataillone eben.
Wie alle, die als Modernisierer auftreten, haben sie in vielem Recht: verkrustete Strukturen, politische Rituale, Ausrichtung auf schwindende Großbetriebe, kurz: DGB.
Andrerseits: Wenn ein solches Papier intensiv von oben gefördert wird, müssen sich die AutorInnen gefallen lassen, daß mensch es genauer betrachtet: da fällt auf, daß der Inhalt floskelhaft, eine zu unterstellende Analyse oberflächlich und nur das eigentlich Ziel wirklich ausformuliert ist.
Der einzig wirklich inhaltliche Satz zur gesellschaftlichen Realität - auf 11 Seiten : "Wie schnell sind die neuen Netzanbieter gewachsen." Stimmt. Fast so schnell, wie sie aufgekauft werden. Wer verdient das dicke Geld im Netz? Suchmaschinen und - kataloge. (Buchverkäufer?- Bisher nicht). Also : Lycos zum Beispiel. Oder Altavista. Anders gesagt: ihre jeweiligen Hauptaktionäre. Walt Disney und AT&T. Sehr neu. So neu wie Bertelsmann.
Die Neumittigen ÖTVler malen ein wunderschönes, farbiges Bild einer neuen Gesellschaft. Fast - fast - so professionell, wie die Intel-Werbung: Die ist so farbig wie Intels Belegschaften - in Costa Rica, in Malaysia, in Neumexiko. Hightech-Schwitzbuden. Der störende Teil der schönen neuen Welt.
Die ÖTV Hauptamtlichen malen auch ein wunderschönes - hochmodernes - Bild der Gewerkschaften. Online und Beratung eben. Außer Gesichtsgelähmten wird kaum jemand gegen sein. Gut, davon gibt es Unmengen, nicht zuletzt unter ihren ArbeitskollegInnen. Knackpunkt: Was fast zu erwarten war - diese neue Mitte will keine engagierte, aktive Mitgliedschaft. Die darf gnädigerweise mitdiskutieren. Wahrscheinlich wie bei Schröder oder Blair, und - wie schon immer - im DGB: bestenfalls hinterher.
Aber ob das die "Winner" der neuen Ökonomie - wer und was das immer sei, mögen sie nicht verraten, außer daß sie oft einen eigenen Betrieb haben - ob diese "Winner" das überhaupt wollen, ist dahingestellt. Wie auch fraglich bleibt, ob winner überhaupt Bedarf an einer O&B Gewerkschaft haben. Oder gar an ehemaligen Jugendsekretären der ÖTV, die sie rechtlich beraten wollen. Was lehrt uns Manfred Krug? Richtig: Advocard.
Schade um den schönen gesicherten Berater-Job, Kolleginnen und Kollegen. But: "The winner takes it all" - so funktioniert der Kapitalismus eben. Aber: für die Mühseligen und Beladenen sorgt auch diese neue Mitte schlußendlich vor. Arbeitslose vor allem, aber auch Frauen und Rentner sollen zum DGB. Sie möchten nämlich nichts vulgäres, keine Trillerpfeifen oder so. Sondern bessere Argumente. Hätten sie auch dringend nötig.
Tja. Neue Mitte. Mitten im konservativen Denken sind sie schon: Sehr viel tradiertes aus dem Apparat, dem sie angehören. Deswegen auch die Beteuerung, bis jetzt sei die Ausrichtung des DGB in Ordnung gewesen. Deswegen schäumen sie ziemlich gegen die Linken in der Gewerkschaft. Der Eintrittspreis? Eher - grunduralte - Überzeugung. Bekundet in Tönen, die, auf sie selbst angewandt, wahrscheinlich zur Verstärkung des Verfolgunswahns führen würden. Bei all diesen Bekentnissen zum Apparat ist es kein Wunder, daß niemand sie ernsthaft verfolgt, auch am Autobahnkreuz Gütersloh werden sie nicht angenagelt.
Aber: Was ist neu an dieser Mitte? Die Technikbewunderung gab es auch schon immer. Obwohl: Endlich die Welt in Nullen und Einsen aufgeteilt. Sie zählen sich selbst sicher zu den Letzteren. Sonst? Ach so ja: Sie sind an der Regierung. Und nicht mal das ist heute noch neu.