Gewerkschaftspolitisch und programmatisch ist „Ver.di" bisher ein unbeschriebenes Blatt; zu Recht wird die „Politische Plattform" als weitgehend unpolitisch kritisiert. Viele befürchten eine Dominanz von ÖTV und DAG mit ihren weniger konfliktorientierten bzw. eher sozialpartnerschaftlich geprägten Gewerkschaftsverständnissen und -kulturen in der neuen Gewerkschaft. Zur Analyse der politischen Krise der Gewerkschaften und den Anforderungen an Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich und in der Gesellschaft sei an dieser Stelle nur verwiesen auf das Diskussionspapier von Riexinger / Wild in dieser Ausgabe) und den Artikel von Anton Kobel in express 3/99 („Form follows function? Krise des Einzelhandels – Krise der Gewerkschaft HBV"). Beide Papiere können bei der HBV-Landesleitung Baden-Württemberg angefordert werden.
Die folgende Kritik an „Ver.di" basiert auf vielen Diskussionen, die in der HBV im Laufe der letzten Jahre geführt wurden. Dabei gilt: Nicht jede Idee ist die schlechtere, nur weil sie von einer neuen abgelöst wurde. Die Zuversicht, daß eine – weitgehend – eigenständige Zukunft für HBV möglich ist, begründet sich auch aus den vielfältigen Erfahrungen in und mit HBV. Trotz berechtigter Kritik in und an HBV war und ist HBV offen für neue Erfahrungen und hat auch deshalb eine Zukunft.
Der 15. ordentliche HBV-Gewerkschaftstag 1998 in Bremen hatte „verbindliche Handlungskriterien, die nicht zur Disposition stehen" als unverzichtbar und für die Zustimmung zur neuen Organisation von maßgeblicher Bedeutung aufgestellt (die im folgenden Text kursiv dargestellten Passagen zitieren diese Kriterien aus dem per Initiativantrag geänderten und mit großer Mehrheit angenommenen Antrag 40 „HBV-Positionen im Prozeß der Neustrukturierung").
Die vorgelegten „Eckpunkte des Zielmodells" erfüllen diese Kriterien in vieler Hinsicht nicht:
Eine 3-Stufigkeit des Aufbaus der Gesamtorganisation in Orts-/Bezirksebene, Landes- und Bundesebene ist sicherzustellen.
Die 3-Stufigkeit des Organisationsaufbaus ist zwar gegeben, die unterste Organisationsebene bleibt jedoch die Bezirksebene. Ortsverwaltungen mit ehrenamtlichen Ortsvorständen und eigenen Satzungsrechten sind nicht mehr vorgesehen. Möglich bleiben lediglich fachbereichsübergreifende Ortsversammlungen ohne näher bezeichnete Zuständigkeiten und Rechte, denen nur eine „finanzielle Grundausstattung" zugestanden wird.
Eine Mehrstufigkeit der Branchenstrukturen je nach Erfordernissen und Möglichkeiten der jeweiligen Branchen zu entwickeln.
Örtliche Strukturen sind nur im Aufbau der Fachbereiche (FB) als Möglichkeit vorgesehen: Mitgliederversammlungen und örtliche Fachbereichsvorstände sollen Antragsrechte an Bezirksvorstand und Bezirkskonferenz (jedoch nicht mehr an Landesbezirkskonferenz und Bundeskongreß) sowie an die Konferenzen und Vorstände im Fachbereich haben. Die Mitgliederversammlung wählt auch Delegierte zur Bezirkskonferenz und zu den Fachbereichskonferenzen. Die örtlichen FB-Vorstände können auch Budgetmittel aus dem FB erhalten, sie haben jedoch keinen Satzungsanspruch darauf.
Tarifstrukturen in Bundes- und Landestarifen mit der Möglichkeit der Einrichtung bezirklicher Tarifkommissionen bleiben erhalten und werden gestärkt. Änderungen der räumlichen Tarifstrukturen sind nur mit Zustimmung der betroffenen Tarifkommissionen möglich. Für Landes-/Regionaltarifverträge sind und bleiben zentrale Forderungsvorgaben grundsätzlich ausgeschlossen, unbeschadet der Verpflichtung zur Abstimmung in tarifpolitischen Grundsatzfragen auf der Ebene der Gesamt-Organisation.
Die Tarifarbeit für die einzelnen Tarif- und Organisationsbereiche wird zentral in den Fachbereichen angesiedelt. Die Gesamtorganisation ist jedoch für die Entwicklung fachbereichsübergreifender tarifpolitischer Grundsätze zuständig. Diese Grundsätze sind für die Tarifkommissionen verbindlich – bei Verstößen gegen diese Grundsätze gibt es ein Vetorecht der Gesamtorganisation. Zentrale Forderungsvorgaben – ob durch Gesamtorganisation oder Fachbereich – sind nicht ausgeschlossen. Der Streikfonds wird auf der Ebene der Gesamtorganisation gebildet, über Arbeitskampfmaßnahmen entscheidet nicht der Fachbereich, sondern der Bundesvorstand.
Die Tarifkommissionen werden auf der Grundlage einer noch nicht vorliegenden Richtlinie gebildet, die von den Fachbereichen konkretisiert werden kann. Damit sind dezentrale Tarifstrukturen möglich, aber nicht sichergestellt.
Gewerkschaftliche Arbeit in Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben ist zu gewährleisten.
Ob die neue Gewerkschaft bereit und in der Lage sein wird, die entsprechenden Arbeitsstrukturen und personellen Ressourcen bereitzustellen, ist noch nicht abzusehen, Zweifel bleiben jedoch berechtigt: Ein Personalkostenbudget von 50 Prozent der Beitragseinnahmen, wie es vielfach diskutiert wird, würde – wenigstens mittelfristig – dazu führen, daß die neue Gewerkschaft insgesamt weniger Personal beschäftigen wird als die fünf Einzelgewerkschaften bisher. Die Hochrechnungen des zur Einhaltung dieses Personalkostensatzes erforderlichen Personalabbaus reichen von 700 bis 1.800 Beschäftigten. Ob gewerkschaftliche Arbeit in Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben gewährleistet werden kann, wird jedenfalls abhängig davon sein, wie der vorgesehene Strukturausgleich zwischen den Organisationsebenen, -einheiten und Fachbereichen aussehen wird.
Ein Verhältnis zwischen Gesamtorganisation und Fachbereichen herzustellen, in welchem eine weitgehende Selbständigkeit der Fachbereiche erreicht wird, ohne daß sich daraus eine „Gewerkschaft in der Gewerkschaft" entwickeln kann. Alle Berufs-, Personengruppen und Fachbereiche sind an den politischen Entscheidungsgremien der drei Ebenen zu beteiligen.
Föderale Prinzipien, Mitgliedernähe, Pluralität und innergewerkschaftliche Demokratie sind zu sichern.
Identitätsfördernde Strukturen sind zu schaffen.
Gewerkschaftliches Leben auf allen Ebenen der Gesamtorganisation entfalten zu können und ein ausgewogenes Verhältnis von Zentralität und Dezentralität zu schaffen.
Die Delegierten zum Bundeskongreß werden nicht mehr – wie bei HBV – von den Orts- bzw. Bezirksdelegiertenversammlungen gewählt, sondern je zur Hälfte von den Landesbezirkskonferenzen und den Bundesfachbereichskonferenzen.
Auch nur noch ein Teil der Delegierten zur Landesbezirkskonferenz soll von den Bezirkskonferenzen gewählt werden. Der andere Teil wird von Landesbezirksfachbereichskonferenzen und den Landesbezirkskonferenzen der Personengruppen (Jugend, Senioren, Arbeitslose) gewählt. Bisher werden alle Delegierten zur Landesbezirkskonferenz vor Ort gewählt.
Möglicherweise sollen auch die Antragsrechte der Bezirksdelegiertenkonferenzen eingeschränkt werden. In der Diskussion ist, daß die Bezirkskonferenzen keine Anträge mehr direkt an den Bundeskongreß stellen können, sondern nur noch an die Landesbezirkskonferenz. Diese Frage wird noch im sogenannten Lenkungsausschuß bearbeitet.
Die Fachbereichsstrukturen sollen zwar mitgliedernäher ausgestaltet werden (Betriebsgruppen, örtliche Mitgliederversammlungen und örtliche Fachgruppen – jeweils mit eigenen Vorständen und gegebenenfalls eigenen Beitragsanteilen entsprechend der Budgetierungsrichtlinie) als die der Gesamtorganisation. Wie arbeits- und lebensfähig solche Strukturen unter den spezifischen Bedingungen der HBV-Branchen sein können, bleibt jedoch fraglich. Entscheidende Bedeutung wird deshalb dem Zuschnitt der Bezirke zukommen. Die Frage, wo und wieviele Bezirke es gibt, wird in den „Eckpunkten" offengelassen. Arbeitsfähige und identitätsfördernde Fachbereichsstrukturen auf Bezirksebene wird es für die HBV-Branchen jedoch nur geben können, wenn sich die Zahl der Bezirke auch künftig nicht wesentlich vergrößert. Auch wenn „Ver.di" künftig nur halb so viele Bezirke hätte wie heute die ÖTV (und damit etwa doppelt soviele wie HBV), wäre nicht in allen Bezirken gewährleistet, daß es im Handel (und das ist der größte „Ver.di"-Fachbereich überhaupt) arbeitsfähige Fachbereichs- oder gar Fachgruppenstrukturen mit eigenem gewerkschaftlichen Leben, hauptamtlicher Besetzung und Fachbetreuung geben wird.
Je kleingliedriger die Bezirksstrukturen ausfallen, um so größer wird auch die Bedeutung der Landesbezirksebene und der Bundesebene des Fachbereiches. Auch hier finden sich also problematische Zentralisierungstendenzen. (...)
Identitätsstiftende Strukturen müßten im Betrieb entstehen (wegen der kleinbetrieblich dominierten Bedingungen im HBV-Organisationsbereich dürfte dies nur in Ausnahmefällen möglich sein), auf der örtlichen Ebene der Gesamtorganisation (das ist aber nicht vorgesehen) oder auf der bezirklichen Ebene des Fachbereichs (wofür wiederum bestimmte Mindest-Bezirksgrößen Voraussetzung wären). Die Chancen, daß sie (für die jetzigen HBV-Mitglieder) in „Ver.di" entstehen können, sind eher gering.
Insgesamt bleiben die Strukturen der neuen Gewerkschaft somit zwar föderal und pluralistisch (und zwar mit einer Vielzahl von Kreuz- und Quer-Quotierungen nach den unterschiedlichsten Gesichtspunkten). Gleichzeitig werden aber eine Reihe von bedeutsamen Entscheidungs- und Verfügungsrechten (Geld, Personal, Delegations- und Antragsrechte) weg von der Orts- bzw. Bezirksebene auf die höheren Organisationsebenen verlagert.
Höchstmögliche Flächenpräsenz herzustellen.
Die neue Gewerkschaft will an allen Standorten vertreten bleiben, an denen jetzt schon eine der Gewerkschaften verankert ist. Eine Präsenz aller Fachbereiche durch ehrenamtliche Strukturen, selbst der mitgliederstärksten – und eine fachbezogene hauptamtliche Betreuungsarbeit ist damit aber nicht gewährleistet.
Auf der jeweiligen Ebene der Gesamtorganisation Ressourcen für das Erschließen von gewerkschaftsfreien Räumen, von Organisationsbereichen, die sich aus eigener Kraft nicht weiterentwickeln können und für gewerkschaftliche Zukunftsaufgaben bereitzustellen.
Sicherung einer ausgewogenen finanziellen Ausstattung der drei Ebenen, als auch einer Mindestausstattung der Fachbereiche. Besonders ist darauf zu achten, daß die in der Vergangenheit bewährte politische, finanzielle und personelle Eigenständigkeit der Orts-/Bezirksebene erhalten bleibt und satzungsgemäß verankert wird.
Die politische Handlungsfähigkeit ist durch Verabredung von Budgetierungsgrundsätzen auf den Ebenen der Gesamtorganisation für Sach- und Personalkosten sicherzustellen.
Der Beitragseinzug auf der Ebene der Bezirksverwaltung – wie wir ihn bei HBV kennen – wird durch einen zentralen Beitragseinzug ersetzt. Die Verteilung des Beitragseinkommens auf die verschiedenen Ebenen der Organisation wird nicht mehr in der Satzung, sondern in einer Budgetierungsrichtlinie festgelegt. Die Bezirksverwaltungen haben danach keinen satzungsgemäß festgelegten Beitragsanteil von 25 Prozent mehr. (...)
Die Einrichtung der Bezirke erfolgt durch den Landesbezirk, dabei gibt es keine festgelegten Kriterien. Der Zuschnitt der Bezirke ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die Handlungsfähigkeit und die Gestaltung des gewerkschaftlichen Lebens in den Fachbereichen und in der Gesamtorganisation. Eine zu kleingliedrige Einrichtung der Bezirke würde dazu führen, daß arbeitsfähige Fachbereichs-, Fachgruppen- und Tarifkommissionsstrukturen auf der Bezirksebene nicht überall entstehen können. In der Folge müßte fachbereichsbezogene Gewerkschafts- und Betreuungsarbeit auf der Landesebene zentralisiert und damit mitgliederferner organisiert werden.
Bedingungen für die Entwicklung spezifischer Frauen- und Jugendpolitik und für eine gewerkschaftliche Arbeitslosen- und Seniorenarbeit zu sichern.
Eine Aufgaben- und Funktionsbestimmung für die neue Organisation vorzunehmen, mit der zugleich eine Stärkung des DGB erreicht wird.
Konkurrenz im Binnenverhältnis und im Verhältnis zu den anderen Gewerkschaften im DGB abzubauen.
Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft zu wahren.
Die parteipolitische Unabhängigkeit zu gewährleisten und Positionen/Funktionen nicht nach parteipolitischen Gesichtspunkten zu besetzen.
Die Gliederung der neuen Gewerkschaft in 13 Fachbereiche aus allen Teilbranchen des Öffentlichen Dienstes, der Privaten Dienstleistungen, Kunst und Medien, Telekommunikation und Informationstechnologie und allen Industriebereichen (aus der DAG) macht deutlich, daß die neue Gewerkschaft eigentlich selbst fast den gesamten Organisationsbereich des DGB abdeckt. Völlig ungeklärt sind nach wie vor die Abgrenzungskriterien des Organisationsbereiches zu denen der Industriegewerkschaften. Die Begriffe „Dienstleistung" oder „Dienstleistungsarbeit" – die sich ja auch im geplanten Namen „Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft(en) – niederschlagen, sind zur Abgrenzung bzw. Identitätsstiftung genauso ungeeignet, wie es die Begriffe „Angestellte" bzw. „Angestelltenarbeit" für die DAG waren. Es sei denn, „Ver.di" wird im Verhältnis zu DGB und den DGB-Gewerkschaft genau die „Fortsetzung der DAG auf breiterer Basis", nämlich die Gewerkschaftseinheit spaltende Konkurrenzorganisation.
Die Reaktion der Industriegewerkschaften auf die geplante „Ver.di"-Gründung zeigt genau diese Gefahr auf (Erklärung von IGM, BCE, BAU und NGG vom 8.3.1999). Dort wird eine verstärkte Kooperation zur besseren Erschließung des Dienstleistungsbereiches angekündigt: „Die Industriegewerkschaften (...) sind schon heute zuständige Tarifparteien für Dienstleistungsbereiche in Industrie, Handwerk und weiteren Branchen. Daran ändert auch die geplante Gründung der Dienstleistungsgewerkschaft nichts." Ohne einvernehmliche Abgrenzung der Organisationsbereiche mit allen DGB-Gewerkschaften wird eine Verschärfung der Gewerkschaftskonkurrenz und gleichzeitig eine entscheidende Schwächung des DGB die unausweichliche Folge sein.
Zur Schwächung des DGB wird im übrigen auch die geplante eigene Übernahme des Rechtsschutzes werden: Der DGB verliert damit eine weitere bedeutsame Gemeinschaftsaufgabe.
Die Herausbildung von in Betrieben und Branchen konkurrierenden Gewerkschaftsblöcken birgt weiterhin auch die Gefahr, daß sich – zwar nicht parteipolitisch oder weltanschaulich, aber doch gewerkschaftspolitisch – konkurrierende „Richtungsgewerkschaften" herausbilden.
Daß Personalentscheidungen, die die Orts-/Bezirks- bzw. Landesebene unmittelbar betreffen, nur mit Zustimmung der Beschlußgremien der jeweiligen Ebenen gefällt werden können.
Der/die hauptamtliche BezirksgeschäftsführerIn wird vom Bundesvorstand nach Abstimmung mit dem/der LandesbezirksleiterIn und dem Bezirksvorstand berufen. Eine „Zustimmung der zuständigen geschäftsführenden Organe der Gewerkschaft" zur Anstellung, Entlassung und Versetzung von Sekretärinnen wie in der HBV-Satzung ist für personelle Maßnahmen des Bundesvorstandes nicht mehr erforderlich. Die für die Startphase der neuen Gewerkschaft angekündigten besonderen Bestimmungen wie Quotierung bei Wahlen und Nominierungen nach der bisherigen Gewerkschaftszugehörigkeit bedeuten gegebenenfalls ebenfalls Einschränkungen der Mitbestimmungsrechte der Beschlußgremien.
Daß die politische Arbeit der Hauptamtlichen mit den jeweiligen Beschlußgremien abzustimmen ist. Die Hauptamtlichen sind den jeweiligen Beschlußgremien verantwortlich.
Hauptamtliche dürfen zwar in der neuen Gewerkschaft keine Delegiertenmandate ausüben, die Position der Ehrenamtlichen erfährt jedoch im Vergleich zu den bisherigen HBV-Strukturen eine deutliche Schwächung: Die Geschäftsführung obliegt nicht mehr dem Orts-/bzw. Bezirksvorstand, sondern dem/
der hauptamtlichen BezirksgeschäftsführerIn „in Zusammenarbeit mit dem Bezirksvorstand". Die Vertretung der Fachbereiche im Landesbezirksvorstand wird voraussichtlich durch Hauptamtliche wahrgenommen werden. Der Bundesvorstand und der Beirat, der den Bundesvorstand berät, bestehen ausschließlich aus Hauptamtlichen.
Unsere zusammenfassende Bewertung kommt zu dem Ergebnis: Das Zielmodell von „Ver.di" führt
Das Neue muß besser sein als das Alte – wenn wir diesen Maßstab anlegen, kommen wir zu dem Ergebnis: „Ver.di" ist keine bessere Alternative. Die Risiken dieses Weges sind größer als die Chancen.
In der Diskussion zur Dienstleistungsgewerkschaft „Ver.di" wird in HBV immer wieder von fehlenden Alternativen gesprochen. Die Bildung von „Ver.di" erscheint fast als zwangs-
läufig. Wie so oft im Leben gibt es aber auch zur Dienstleistungsgewerkschaft, insbesondere zu „Ver.di", Alternativen. Folgende fünf ausgewählten und realisierbaren Alternativen werden hier kurz beschrieben:
Als selbständige Gewerkschaft hat die HBV eine gewerkschaftliche und politische Perspektive.
Sie kann zwischen vielen Formen der Kooperation mit den anderen Gewerkschaften und dem DGB wählen und die Kooperationen sach- und problemgerecht vor Ort, im Landesbezirk und auf Bundesebene eingehen.
Durch Kooperationen können Kosten auf verschiedenen Ebenen gesenkt werden. Eine selbständige HBV erhält auch die Möglichkeit zur Entwicklung einer Kartellgewerkschaft (z.B. mit NGG). Als selbständige Fachgewerkschaft kann HBV auch die erforderliche gewerkschaftliche Fachlichkeit praktizieren. Und nur eine selbständige HBV kann das bisherige HBV-Profil, die bisherigen HBV-Identitäten, die bisherige innere demokratische HBV-Kultur, die (partei-) politische Unabhängigkeit von HBV erhalten (siehe aktuell die Diskussion zu Lohnleitlinien und zum Bündnis für Arbeit).
In der Diskussion um eine weiterhin selbständige HBV gibt es Fragen bzw. Befürchtungen:
Unsere Antwort: Nein, sonst hätte es HBV und die Entwicklung bei HBV nie gegeben.
Unsere Antwort: Ja, mindestens so wie bisher und mit allen Entwicklungschancen. Dazu gehören auch praktische Formen einer solidarischen Tarifpolitik mit anderen Gewerkschaften.
Unsere Antwort: Bekannt sind solche finanziellen Altlasten nur in dem Umfang, wie sie vom Geschäftsführenden Hauptvorstand dem Gewerkschaftstag, dem Hauptvorstand und dem HBV-Betriebsrat dargestellt werden. Demnach ist HBV finanziell gesund.
Unsere Antwort: Wenn es „Ver.di" gibt und „Ver.di" Organisationsbereiche von HBV für sich beansprucht und keine Abgrenzungen im DGB vorgenommen werden, wird es diese Konkurrenz leider geben, auch mit beidseitiger Abwerbung von Mitgliedern. In der Konkurrenz zur DAG war HBV allerdings bislang die erfolgreichere Gewerkschaft.
Eine Kartellgewerkschaft im DGB, bestehend aus selbständigen Einzelgewerkschaften, beinhaltet vielfältige Möglichkeiten. Beispiele:
Ein Verbund könnte sowohl eine Kooperation bzw. ein Kartell selbständiger Einzelgewerkschaften bedeuten, als auch die Möglichkeit zur Bildung einer Gewerkschaft für den privaten Dienstleistungsbereich beinhalten.
Ein Verbund mit den genannten Gewerkschaften NGG und IG Medien würde auch eine bewußte strukturelle Abgrenzung zur ÖTV, d.h. gegenüber dem Bereich des öffentlichen Dienstes, und eine bewußte politische Abgrenzung zur DAG mit ihrer überwiegend sozialpartnerschaftlichen Orientierung bedeuten. Ein solcher Verbund könnte offen für die DPG sein.
Hier wäre das Verhältnis zu „Ver.di" bzw. zur DAG und ÖTV zu klären.
Denkbar ist eine Neugründung bzw. Fusion entsprechend dem früheren „Zwickel-Vorschlag": Unter Einbeziehung aller DGB-Gewerkschaften und der DAG werden für den öffentlichen und privaten Dienstleistungsbereich je eine selbständige Gewerkschaft gebildet.
Eine gemeinsame Gewerkschaft für den privaten Dienstleistungsbereich entspricht auch der Beschlußlage des HBV-Gewerkschaftstages von 1995.
Eine Gewerkschaft für den privaten Dienstleistungsbereich als Gemeinschaftsprodukt aller Gewerkschaften würde Konkurrenzen zwischen den Gewerkschaften verhindern bzw. verkleinern, die durch „Ver.di" oder den Zuständigkeitsstreit, der sich nach der gemeinsamen Erklärung von IGM, BCE, BAU und NGG andeutet, entstehen.
Anstelle der Fusion in die „Ver.di" gibt es für HBV auch Kooperationsmöglichkeiten mit der IG Metall, bis hin zur Vereinigung.
Es handelt sich hier um eine gewerkschaftliche Neubildung entlang von „Wertschöpfungsketten". Ein solches Bündnis von HBV mit IG Metall könnte gegebenenfalls eine Antwort auf eine „Ver.di"-Gründung ohne bzw. gegen die HBV sein. Politisch bzw. gewerkschaftspolitisch stellt die IGM für HBV eine Alternative dar, gegebenenfalls nach dem Motto: „Eher mit der IG Metall gegen DAG/Ver.di als mit DAG/Ver.di gegen die IG Metall".
Schlußbemerkung: Alle hier kurz beschriebenen Alternativen zu „Ver.di" sind realistisch und politisch zulässig. Sie sind für die Diskussion notwendig, insbesondere weil die Entwicklung hin zu „Ver.di" viel HBV-Substanz kosten wird und die jetzigen HBV-Mitglieder und HBV-Aktiven überwiegend zu „Fusions-Verlierern" sein werden.
Bernhard Franke (HBV Baden-Württemberg), H.G. Lang, Anton Kobel (HBV Mannheim-Heidelberg), Hans Kroha (HBV Hessen), Gerd Vetter (HBV Südbaden) u.a.