Gegen die schleichende Einführung neuer Niedriglohngruppen für Frauen haben sich die Frauengremien der ver.di-Gewerkschaften auf ihrer ersten gemeinsamen Tagung in Magdeburg ausgesprochen. In einer Pressekonferenz wandten sich die fuer Frauenpolitik zustaendigen Vorstandsmitglieder Ursula Derwein (OETV), Margret Moenig-Raane (HBV), Monika Papke (IG Medien), Marita Stein (DPG) und die DAG-Bundesfrauensekretaerin Ilona Schulz-Mueller gegen die Plaene zur Ausweitung des Niedriglohnsektors, wie sie von Kanzleramtsminister Hombach propagiert werden. "Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor schafft keine neuen Arbeitsplaetze. Vielmehr sind massive Mitnahme- und Verdraengungseffekte zu erwarten: Besser bezahlte Jobs werden durch schlechter bezahlte ersetzt", so die Gewerkschafterinnen. Diese Entwicklung wuerden vor allem Frauenarbeitsplaetze im Dienstleistungssektor treffen.
Niedrige Loehne seien "alles andere als ein Garant fuer neue Arbeitsplaetze", unterstrichen die Frauenpolitikerinnen. Die HBV-Vorsitzende Margret Moenig-Raane fuehrte als Beispiel die Tarifgehaelter im Einzelhandel an, die im Vergleich aller Branchen im unteren Segment liegen. So liege das Einstiegs-gehalt fuer eine ungelernte Kassiererin in Nieder-sachsen bei brutto 1.788 Mark, in Bremen bei 1.821 Mark und im Hochlohnland Bayern bei 2.078 Mark. Trotz dieser Niedrigloehne seien im Einzelhandel seit 1994 220.000 Vollzeitarbeitsplaetze vernichtet worden. Und selbst diese "Entgelt-Tiefstaende" wollen die Einzelhandelsarbeitgeber "im Windschatten der Niedriglohn-debatte" noch weiter absenken, so die HBV-Chefin: Das Niveau der unteren Tarifgruppen solle weiter gekappt werden: Bruttostundenloehne von 10 bis 12 Mark seien das Ziel der Arbeitgeber.
Auch bei den neuen Briefdiensten seien nicht-existenzsichernde Mini-Jobs die Regel, ergaenzte DPG-Vorstandsmitglied Marita Stein. Durch subventionierte Niedrigloehne wuerde diese Entwicklung noch weiter angeheizt. Sie kritisierte, dass die Regulierungsbehoerde fuer Post und Telekommunikation die im Postgesetz festgelegten sozialen Mindeststandards nicht umsetze und damit Sozialdumping Vorschub leiste. Die Folgen wuerden vor allem Frauen treffen, die in den Postdiensten den ueberwiegenden Anteil der Beschaef-tigten stellen.
Eine eigenstaendige Existenzsicherung sei mit Mini-Loehnen und -Gehaeltern wie diesen nicht mehr moeglich, unterstrichen die Gewerkschafterinnen. Es treffe wieder einmal vor allem bereits jetzt schlecht bezahlte Frauenarbeitsplaetze - wie etwa im Einzelhandel. "Das ist eine verkappte Neu-einfuehrung von Leichtlohngruppen fuer Frauen. Dahinter steht das traditionalistische Leitbild der dazuverdienenden Ehefrau mit gutverdiendendem Gatten, die allein fuer die Urlaubskasse arbeitet." Mit der Wirklichkeit habe das jedoch nicht viel zu tun.
In diesem Zusammenhang begruessten die fuenf Gewerkschafterinnen ausdrueck- lich die Neuregelung der 630-Mark-Jobs, die zu mehr sozialer Sicherheit der geringfuegig Beschaeftigten fuehre. Die Forderung der Wirtschaftsver-baende nach Korrektur des Gesetzes wiesen die Frauenvertreterinnen ent-schieden zurueck. Das neue Gesetz stoppe den Trend, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplaetze in 630-Mark-Jobs aufzusplitten, unterstrich die DAG-Bundesfrauensekretaerin Ilona Schulz-Mueller. Das "Geschrei der Wirtschaftsvertreter" belege, dass dieses Hauptziel der Neuregelung erreicht worden sei. Das bestaetigten auch die Berichte der Betriebsraete auf der ersten bundesweiten IG-Medien-Kongress fuer Zeitungszustellerinnen und -zusteller am 21. Mai 1999, berichtete IG-Medien-Vorstandsmitglied Monika Papke. Die Betriebsraete forderten den Gesetzgeber auf, fuer diese Branche keine Ausnahmen zuzulassen. Die IG Medien forderten sie auf, Tarifvertraege abzuschliessen, die neben Regelungen zu Arbeitsbedingungen und Entgelt auch einen Ausgleich fuer die Betroffenen in 630-Mark-Jobs beinhalten muss.
Die Zusammenkunft in Magdeburg war das erste Treffen der ver.di-Frauengremien. Die Gewerkschaften DAG, DPG, HBV, IG Medien und OETV sind auf dem Weg zu einer neuen Gewerkschaft, die den Namen "ver.di - Vereinte Dienstleistungs-gewerkschaft" tragen soll. Im Vorfeld der ausserordentlichen Gewerkschaftstage aller fuenf Organisationen im November 1999 diskutierten die Frauen ueber die Rolle der Frauen- und Gleichstellungspolitik in der neuen Gewerkschaft. Die neue Dienstleistungsgewerkschaft "ver.di" wird Branchen mit einem sehr hohen Beschaeftungsanteil an Frauen umfassen. Das spiegelt auch die Mitgliederstruktur wider: Bereits jetzt stellen Frauen mit 1,7 Millionen fast 50 Prozent der Mitgliedschaft aller ver.di-Gewerkschaften. Vor diesem Hintergrund muesse die Frauen- und Gleichstellungspolitik ein zentrales Politikfeld der neuen Organisation sein, so die einhellige Forderung der ersten ver.di-Frauentagung. Zudem votierten die Frauen fuer die Einfuehrung einer Quotierung, die mindestens dem Mitgliederanteil der Frauen in den Einzel-Branchen entspricht: Damit soll sichergestellt werden, dass Frauen in allen Gremien der ver.di-Gewerkschaft angemessen an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden.
Darueber hinaus sprachen sich die ver.di-Frauen fuer die sofortige Beendigung der NATO-Luftangriffe in Jugoslawien und den sofortigen Stop der Vertrei-bung der Menschen aus dem Kosovo aus. In einer Resolution erklaerten die Frauen-Gremien aller fuenf Gewerkschaften, nur gewaltfreie Loesungen koennten auf Dauer Frieden garantieren. Die "maennliche Kriegslogik" muesse endlich durchbrochen werden. Die Gewerkschafterinnen forderten die Aushandlung eines Friedensplanes unter der Regie der Vereinten Nationen. Zivile Konfliktloesungsstrategien seien nur unter UN-Führung denkbar.
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