letzte Änderung am 21. Okt. 2002 | |
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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich habe heute, nach intensiven Beratungen auch mit dem Präsidium des Gewerkschaftsrats, meinen Rücktritt als stellvertretender Vorsitzender und Mitglied des Bundesvorstands von ver.di erklärt. Ich werde zum 31.12. d. J. aus dem Bundesvorstand ausscheiden.
Ich bin von Euch - den Delegierten der IG Medien - auf dem letzten außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Medien für dieses Amt vorgeschlagen und gewählt worden und bin euch schon deswegen Rechenschaft und Begründung für diesen Schritt schuldig, der mir nicht leicht gefallen ist.
Die Gründungsmütter und -väter von ver.di haben für den Start in ver.di einen Bundesvorstand beschlossen, der 19 Personen umfassen sollte; neben den 13 Fachbereichsleitern sechs weitere Mitglieder. In der Aufgabenverteilung, die vor der Gründung verhandelt wurde, wurde mir die Zuständigkeit für Recht, Rechtsschutz sowie die Aufgabenbereiche Freie/Selbstständige, Erwerbslose, Migration zugedacht.
Es hat sich in der praktischen Arbeit in ver.di recht schnell herausgestellt, dass die Verteilung der Aufgaben auf 19 Mitglieder - dabei sollten ja möglichst auch die Bundesfachbereichsleiter Querschnittaufgaben übernehmen - zu zahlreichen Doppelzuständigkeiten und ungeklärten Schnittstellen geführt hat.
Der allseits vorhandene gute Wille und auch die gute und kollegiale Zusammenarbeit im Bundesvorstand haben nicht verhindern können, dass es immer wieder zu unkoordiniertem Vorgehen und zu Doppelarbeit an diesen Schnittstellen kommt.
Das hat meinen Aufgabenbereich besonders betroffen. Rechtsfragen treten immer im Zusammenhang mit konkreten politischen Aufgaben oder Fachbereichsproblemen auf, für die es mindestens noch eine jeweils andere Zuständigkeit gibt. Das ändert nichts an der Sinnhaftigkeit einer zentralen Rechtsabteilung mit rechtspolitischer Kompetenz und mit Dienstleistungsfunktion gegenüber anderen Gliederungen der Organisation - aber es wirft doch zunehmend die Frage auf, wie sinnvoll ein eigenes Ressort mit einem Bundesvorstandsmitglied als Leiter dafür ist.
Daran ändert auch nichts die weitere Zuständigkeit für Personengruppen,
bei denen es im übrigen ähnliche Überschneidungen mit anderen
Ressorts gibt.
Mehr noch: Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ein Ressort mit
diesem Zuschnitt einer sinnvollen Neuordnung der Aufgaben in ver.di entgegensteht.
Wir sind uns im Bundesvorstand von ver.di einig, dass es zur Verbesserung unserer Arbeit notwendig ist, Aufgaben neu zu strukturieren und den Bundesvorstand zu verkleinern. Auch der Gewerkschaftsrat hat - zuletzt auf seiner Sitzung am 25./26. 9. beschlossen, den Bundesvorstand so zügig wie möglich und noch vor dem Kongreß 2007 zu verkleinern.
Ich bin an Lebens- und Dienstjahren als hauptamtliches Vorstandsmitglied auch das älteste Bundesvorstandsmitglied. Es liegt nicht ganz fern, auch unter diesem Gesichtspunkt sich selbst zu befragen, wenn über Verkleinerungen nachgedacht wird.
Ver.di hat in diesen anderthalb Jahren seit der Gründung schon vieles erreicht, spielt als politische Kraft eine positive Rolle und hat in der zurückliegenden Tarifrunde Konsequenz und Handlungsfähigkeit im Interesse unserer Mitglieder bewiesen.
Wir haben nicht zuletzt auch deswegen die negative Mitgliederentwicklung der letzten Jahre zwar noch nicht stoppen oder gar umkehren, aber doch immerhin schon merklich verlangsamen können.
Ver.di hat aber auch noch zahlreiche Probleme, wenn es um haupt- und ehrenamtliche Arbeits- und Gremienstrukturen geht. Auch die Budgetierung - mit der wir ein Stück Autonomie der Fachbereiche abgesichert haben - erweist sich als zu undifferenziert und zu unbeweglich gegenüber notwendigen politischen Schwerpunktsetzungen. Das Zusammenwirken von Fachbereichen untereinander und mit den Bezirken und Landesbezirken der Gesamtorganisation ist unbefriedigend und bringt Reibungsverluste.
Deswegen hat der Gewerkschaftsrat eine Strukturkommission eingesetzt, die Vorschläge für ein "Nachsteuern" erarbeiten soll, die auf dem ersten ordentlichen Gewerkschaftstag im kommenden Herbst diskutiert und beschlossen werden sollen.
Anders als in der Gründungsphase gibt es aber keinen grundlegenden Dissens über die Grundsätze der Organisationsstruktur mehr; niemand stellt die Fachbereiche, ihre politische und auch finanzielle Selbstständigkeit mehr grundsätzlich in Frage. Auch die Herkunftsgewerkschaft spielt - schneller als zu erwarten war - in den innergewerkschaftlichen Diskussionen von ver.di keine entscheidende Rolle mehr. Ich bin deswegen auch überzeugt davon, dass ich mein Amt niederlegen kann, ohne die inhaltlichen und organisationspolitischen Positionen, für die und mit denen wir in ver.di gegangen sind, zu schwächen.
Ich werde noch nicht in den Ruhestand treten. Ich will weiter für ver.di das Mandat im Verwaltungsrat des ZDF wahrnehmen und - in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Medien - die medienpolitische Arbeit von ver.di verstärken. Ich werde mich außerdem wieder als Anwalt niederlassen und in Zusammenarbeit mit dem IMU-Institut Beratungstätigkeit für Betriebs- und Personalräte ausüben.
Mir fällt dieser Schritt dennoch nicht leicht. Ich bin aber nach reiflicher Überlegung überzeugt davon, dass er richtig und notwendig ist - und dass ich ihn auch euch gegenüber, die ihr mich nicht nur gewählt, sondern mir damit auch einen Auftrag gegeben habt, verantworten kann. Ich hoffe, ihr habt Verständnis dafür. Für die vielen Jahre der fruchtbaren, manchmal sicher auch schwierigen, aber immer solidarischen Zusammenarbeit möchte ich mich bei euch allen bedanken.
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