Das Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ÖTV lehnt die geplante Fusion (die offizielle Bezeichnung lautet jetzt "Verschmelzung") zur Dienstleistungsgewerkschaft ab.
Die geplante Fusion bedeutet weder eine Erhöhung der gewerkschaftlichen Kampfkraft noch eine größere Einheit. Die Gewerkschaftsführung argumentiert, daß auf die neuen Anforderungen der Dienstleistungsgesellschaft reagiert werden müsse. Doch die geplante Fusion ist eine politische Bankrotterklärung der Gewerkschaftsführungen. Sie ist die logische Konsequenz aus der angepaßten Gewerkschaftspolitik der 80/90er Jahre.
Seit den 80er Jahren setzen Kapital und Regierungen auf Deregulierung und Privatisierung. Die neoliberalen Argumente von Regierung und Kapital lauten: marktwirtschaftlich organisierte Betriebe seien effizienter und die Gesellschaft könne sich den "teuren" Öffentlichen Dienst nicht mehr leisten.
Daß öffentliche Leistungen wie z.B. Verkehr und Gesundheitswesen subventioniert werden müssen, wenn sie ihre gesellschaftlich notwendige Aufgabe erfüllen und für alle Teile der Bevölkerung zugänglich sein sollen, wird von Gewerkschaftsseite kaum mehr verteidigt. Mit dem vorgehaltenen Argument der Sanierung der öffentlichen Haushalte wurden Post und Bahn privatisiert und zahlreiche Teile kommunaler öffentlicher Betriebe ausgegliedert und an Private verkauft.
Die Folge ist, daß private Unternehmen sich die gewinnträchtigen Teile herauspicken, um ihre Profite damit zu machen. Für die Beschäftigten bedeutet es Verschlechterung ihrer Löhne und Arbeitsbedingungen. Verbunden damit ist ein massiver Arbeitsplatzabbau.
Anstatt einen konsequenten und gemeinsamen Kampf dagegen zu organisieren, kapitulieren die Gewerkschaftsführungen von DPG, GdED, ÖTV und DAG.
Zahlreiche Privatisierungen sind bereits "über die Bühne gegangen". Einige Gewerkschaftsfunktionäre hatten nicht einmal Skrupel, in die Vorstandsetagen von privatisierten Betrieben überzuwechseln.
Das Hinnehmen von Privatisierung und Ausgliederung steht im Zusammenhang mit der gesamten Politik der Gewerkschaftsführung in den letzten Jahren. Die 90er Jahre waren geprägt vom Zusammenbruch der ehemaligen Ostblockstaaten und davon ausgehend von einer massiven Propagandawelle der neoliberalen Verfechter des Kapitalismus. Unter diesem Druck haben die Gewerkschaftsführungen in allen wichtigen Fragen frühere Positionen aufgegeben. Die Gewerkschaften erheben nicht mehr den Anspruch einer "Gegenmacht" oder gar einer Kampforganisation, sondern die Führung sieht sie als "Gestaltungsmacht".
Das Ziel Kampf für Vollbeschäftigung wurde aufgegeben, inzwischen ist "Beschäftigungssicherung" das höchste der Gefühle. Der Grundsatz, Lohnverzicht schafft keine Arbeitsplätze, wurde über Bord geworfen. Die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich wird inzwischen von der eigenen Gewerkschaftsführung als utopisch abgebügelt. Der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" wurde nicht durch gemeinsame Mobilisierung umgesetzt. Die KollegInnen in Ostdeutschland müssen noch immer für weniger Geld und dafür länger arbeiten.
Diese Spaltung nutzen die Arbeitgeber zunehmend aus, besonders in privatisierten Bereichen. So ist es von Vorteil, einen Call Center in Ostdeutschland zu Osttarifen zu unterhalten. Damit kann man auch gleich die KollegInnen im westdeutschen Call Center massiv unter Druck setzen.
Ausgangspunkt für die Aufstellung von Tarifforderungen sind die wirtschaftlichen Wachstumsraten und nicht die Lage von uns Beschäftigten. Daher wollte sich Herbert Mai der Forderung der IG Metall zur Tarifrunde 1999 von 6,5% nicht anschließen. Sein Argument: in der Metallbranche gebe es Bereiche, die boomten. "Das haben wir nicht." Es gebe zwar auch im Öffentlichen Dienst "Nachholbedarf", aber diese Komponente der Lohnforderung sei "variabel"(siehe FR vom 16.10.98).
Wieviel wir brauchen, und wieweit der Arbeitsdruck durch Rationalisierung auch im Öffentlichen Dienst gestiegen ist, ist nicht nur den Arbeitgebern egal, es interessiert offenbar auch unsere gut bezahlten Spitzenfunktionäre nur wenig.
Von 1991 bis 1997 sind die Reallöhne um 7,8% gesunken, die Produktivitätssteigerung hat Rekordmaße erreicht. Letztlich haben wir nur draufgezahlt, auch wenn uns jeder Tarifabschluß als Erfolg verkauft wurde. Die ÖTV-Führung übernimmt so auch komplett das Argument der "leeren Kassen", das die Arbeitgeber anführen, um Kürzungen im Öffentlichen Dienst zu rechtfertigen. Doch diese Situation ist durch massive Umverteilung von unten nach oben entstanden, und wir müssen uns das Geld, das sich auf den Konten der Reichen befindet, mit gewerkschaftlicher Aktion für den Erhalt und Ausbau des Öffentlichen Dienstes zurückholen.
Ausverkauf des Öffentlichen Dienstes heißt auch Zersplitterung, wenn es um gewerkschaftliche Auseinandersetzungen geht. Gab es früher noch eine gemeinsame Belegschaft im Bereich der Telekommunikation, nämlich die Beschäftigten der Post, so gibt es jetzt viele verschiedene Unternehmen (zum Beispiel Mannesmann, ...), die wiederum ausgegliederte Tochtergesellschaften im Telekommunikationsbereich betreiben.
In Krankenhäusern oder Verwaltungen wurden Reinigungsdienste an Private übergeben, womit die Beschäftigten vom Rest der Belegschaft getrennt wurde, was die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber erschwert. Dies sind unter anderem die Gründe dafür, daß heute in vielen Betrieben mehrere Gewerkschaften gleichzeitig vertreten sind.
Nachdem die Gewerkschaftsführungen die Verteidigung des Öffentlichen Dienstes aufgegeben haben, suchen sie jetzt nach Wegen, auf die Umstrukturierung im Dienstleistungsbereich, nämlich Zerfaserung in private Unternehmen und privatrechtlich organisierten GmbH`s, zu reagieren. Der eingeschlagene Weg bedeutet eine komplette Anpassung an die Deregulierungspolitik der Regierungen und des Kapitals und würde die Probleme weiter verschärfen.
Verbunden mit der Schaffung der Dienstleistungsgewerkschaft gibt es auch Pläne, die Flächentarife aufzugeben und brachenbezogene bzw. betriebliche Abschlüsse zu machen. Herbert Mai ließ vor der Tarifrunde 1998 verlauten, daß er die Flächentarife öffnen will. "Es soll künftig auf einzelbetrieblicher Stufe über Arbeitszeitverkürzung und Lohnausgleich entschieden werden" (FAZ vom 09.06.97)
Durch massiven Arbeitsplatzabbau und durch die Enttäuschung der Basis wegen Minusrunden und fehlender Gegenwehr hatten die Gewerkschaften massiven Mitgliederrückgang zu verzeichnen. In den vergangenen fünf Jahren verloren die Gewerkschaften fast ein Viertel ihrer Mitgliedschaft.
Daher fehlt das Geld, um die bestehenden Apparate zu finanzieren. Während die oberen Funktionäre ihre Posten sichern, werden wegen des "Synergieeffekts" höchstwahrscheinlich Stellen in den Verwaltungsstellen abgebaut. Weniger GewerkschaftssekretärInnen würden aber auch schlechtere Betreuung der Aktivisten und Mitglieder in den Betrieben bedeuten.
Doch das paßt ebenso in das Konzept der "Dienstleistungsgewerkschaft". Als Hauptaufgabe wird nicht mehr die Organisierung von Gegenwehr gesehen. In der Leitbilddebatte äußerte sich Herbert Mai: "Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der vorhandenen und potentiellen Mitglieder, die wir auch wie Kundinnen und Kunden behandeln." Und der Verantwortliche für die Organisierung der Leitbilddebatte, Frank Steibli aus dem Hauptvorstand spricht von neuer "Unternehmenskultur": "Wir sind gleichermaßen Dienstleister, Versicherung, politische Gestalter, kämpferische Gegenmacht."(beides aus SZ vom 12.10.98). Schaut man sich das ÖTV-Mitglieder-Magazin an, so findet man neuerdings dutzendfach Angebote von Versicherungen, Verbraucherservice etc. Private Unternehmen bezahlen also letztlich der Gewerkschaft Geld für Werbung, um dann mit besonderen Angeboten für Gewerkschaftsmitglieder neue Kunden anzulocken. Auch Mitgliederwerbebroschüren erinnern eher an Buchclubreklame oder ähnliches. Es ist skandalös, daß unsere Mitgliedsbeiträge dafür verwendet werden, um die Gewerkschaften von Arbeitnehmerorganisationen in "Gemischtwarenläden" zu verwandeln. Ein Spagat zwischen "Dienstleistungsunternehmen" auf der einen Seite und Kampforganisation auf der anderen ist nicht machbar.
Das Vorgehen der Führung, um die Dienstleistungsgewerkschaft zu schaffen, ist undemokratisch. Wieder einmal wird sich nicht an Beschlüsse des Gewerkschaftstages gehalten. Im Oktober 1996 wurde auf dem Gewerkschaftstag der ÖTV ein Antrag mit der Überschrift "Gewerkschaften an der Schwelle des 21.Jahrhunderts" mit Mehrheit abgestimmt, in dem es heißt:"Die Gewerkschaften werden mitgliederstark und durchsetzungsfähig bleiben, wenn sie als konsequente Interessenvertretung für Arbeitnehemer/innen erfahrbar sind... Neugliederungen , Ausgründungen und Auslagerungen von Verwaltungs- und Produktionsbereichen werfen Fragen nach einer gemeinsamen Interessenvertretung, nach Gültigkeit von Tarifverträgen und deren Reichweite auf. Vor allem durch Neu- und Ausgründungen versuchen Arbeitgeber ihrer bisherigen Tarifbindung zu entgehen. Darüberhinaus führt der Strukturwandel von Produktion, Dienstleistung und öffentlicher Verwaltung in wachsender Zahl zu Abgrenzungskonflikten über die satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereiche der DGB-Gewerkschaften. Es besteht die Gefahr der Bildung tariffreier Räume und des Entstehens von Unterbietungskonkurrenz. Die Bildung von Großgewerkschaften ist keine Antwort auf diese Entwicklung, da diese die bereits vorhandenen heterogenen Mitgliederstrukturen noch verstärken.
Sinnvoll ist vielmehr eine DGB-Organisationsreform, die flexibel auf veränderte und sich künftig noch weiter entwickelnde Branchenstrukturen unter Wahrung des Grundsatzes "Ein Betrieb - eine Gewerkschaft" zu reagieren vermag ...."(Antrag B001, Beschlüsse, S.42)
Die Fusionsgespräche wurden begonnen, ohne vorher Diskussionen in der Mitgliedschaft zu führen und ohne einen Beschluß des Gewerkschaftstages. So wird die Basis nur im nachhinein gefragt und vor vollendete Tatsachen gestellt. Und Herbert Mai möchte auch so schnell wie möglich zum Ende kommen: "Je länger man wartet und mit Bedenkenträgern diskutiert, desto schwieriger wird der Veränderungsprozeß."
Eine große Dienstleistungsgewerkschaft würde bedeuten, daß die Interessen der Mitglieder in kleineren Bereichen noch weniger berücksichtigt würden. Insgesamt wären in der neuen Megagewerkschaft 900 bis 1000 Berufe und 18 Branchen vertreten.
Aus diesem Grund hat sich auch die GEW bereits aus den Fusionsgesprächen verabschiedet. In der IG Medien gibt es auch viele kritische Stimmen, die gegen einen Zusammenschluß sind.
Der viel beschworene Abbau der Konkurrenz unter den Gewerkschaften durch die Fusion funktioniert so nicht. So sind viele Gewerkschaften nicht bei der Fusion dabei, obwohl sie auch in vielen Betrieben vertreten sind, wo sie dann neben der Dienstleistungsgewerkschaft vertreten wären. Dies gilt zum Beispiel für die NGG, die seit Ausgründungen oder Privatisierungen Reinigungs- und Küchenpersonal in Krankenhäusern vertritt. Im Call Center von Otelo (Telekommunikation) sind gleichzeitig ÖTV, IGBCE und IG Metall vertreten.
Auch die Frage der DAG muß aus anders beantwortet werden. Die DAG wurde von bürgerlichen Kräften als "gelbe Gewerkschaft" gegründet. Es war ein Versuch, die Arbeiterbewegung zu spalten, indem man sich auf eine "privilegiertere" Schicht von Angestellten stützen wollte. Dies ist ein spalterisches Konzept.
Die Gewerkschaftsbewegung braucht eine Einheit von allen ArbeitnehmerInnen. Neben dem Angebot der DGB-Gewerkschaften, gemeinsame Kämpfe zu führen, müßte dafür argumentiert werden, die DAG in die jeweiligen DGB-Gewerkschaften zu überführen.
Die Bildung einer Megagewerkschaft schränkt die Beteiligung der Basis weiter ein. Bei Gewerkschaftstagen und in beschlußfassenden Gremien würde die Zahl der Delegierten viel kleiner sein. Die Möglichkeiten, Einfluß zu nehmen auf die Politik der Führung wird also geringer. In diesen Zusammenhang paßt auch, daß in der Politischen Plattform und in der Ideenskizze nicht mehr von den Vertrauensleute-Strukturen gesprochen wird. Bisher wurden diese als die wichtigsten "Multiplikatoren" der Gewerkschaft in den Betrieben betrachtet, nun werden sie bei der Diskussion um Neustrukturierung nicht erwähnt.
Wenn wir über organisatorische Veränderungen in den Gewerkschaften diskutieren, müssen wir vor allem eine Demokratisierung anstreben. Dafür ist mehr Transparenz notwendig.
Geheimverhandlungen mit den Arbeitgebern ohne Absprache mit Basisgremien, öffentliche Äußerungen (wie die von Herbert Mai zum Beispiel zu Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich Anfang 97) ohne vorherige Beschlüsse, Umsetzung von Dingen, zu denen es keine oder sogar anderslautende Beschlüsse gegeben hat (wie im Fall der Fusionsverhandlugen) - all das ist undemokratisch und muß geändert werden.
Zusammen mit der Begrenzung der Funktionärsgehälter auf das durchschnittliche Einkommen der Mitglieder wollen wir eine Rechenschaftspflicht und jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Funktionäre auf allen Ebenen.
Mit der Aussicht einer Wirtschaftskrise sind noch härtere Angriffe auf unseren Lebensstandard und weiterer Stellenabbau zu erwarten. In dieser Zeit brauchen wir eine kampf- und streikfähige Gewerkschaft. Das bedeutet auch, daß unsere Mitgliedsbeiträge dafür verwendet werden müssen, uns auf solche Kämpfe vorzubereiten. Daher ist eine Finanzreform in der Gewerkschaft dringend notwendig. Anstatt Spitzengehälter für die oberen FunktionärInnen und Tagungen in teuren Hotels, fordern wir eine Umschichtung der Gelder zugunsten dem Erhalt der unteren Sekretärsstellen, der Schulung von ehrenamtlichen FunktionärInnen und für die Vertrauenensleutearbeit.
Um die Durchsetzungsmöglichkeiten zu erhöhen, ist der gemeinsame Kampf mit den anderen DGB-Gewerkschaften unabdingbar. Wir brauchen eine Stärkung des DGB und die Organisierung von gemeinsamen Kämpfen und Streiks. Eine Organisationsreform des DGB, mit der die unnötige Konkurrenz unter den Einzelgewerkschaften abgeschafft wird, ist notwendig. Innerhalb des DGB muß geklärt werden, welche Einzelgewerkschaft für welchen Betrieb zuständig ist und das Prinzip "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" muß umgesetzt werden, beziehungsweise wo dies nicht möglich ist, eine einheitliches Vorgehen und Bündelung der Kräfte.
Als Mitglieder der ÖTV setzen wir uns dafür ein, daß die Gewerkschaft wieder zu einer kampffähigen Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen wird. Das heißt: Verteidigung des Öffentlichen Dienstes, konsequenter Kampf gegen Arbeitsplatz- und Lohnabbau, Verteidigung unserer Rechte. Würde die ÖTV wieder als kämpferische Interessenvertretung gesehen, so wäre damit auch ein Mitgliederzuwachs verbunden. Das zeigen die Erfahrungen zum Beispiel beim Streik 1992, wo in den ersten Tagen ca. 30.000 KollegInnen in die ÖTV eingetreten sind.
Bei Bund, Ländern und Kommunen sind noch immer 3,8 Millionen ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtInnen beschäftigt. Nur 1,8 Millionen sind Mitglied der ÖTV. In Zeiten verstärkter Angriffe auf den Öffentlichen Dienst und bei wachsender Unzufriedenheit unter den Beschäftigten ist es notwendig und möglich, mit einer kämpferischen Politik weitere Mitglieder zu gewinnen.