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Außerordentlicher Gewerkschaftstag der IG Medien:

Klares Ja für Vier plus Eins

 

Ein bißchen VER.DI gibt's ebenso wenig wie ein bißchen Schwangerschaft. Wer die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft will, der muß zwangsläufig die damit verbundenen Konsequenzen auch akzeptieren: ein (gewerkschafts)politisches Programm, das nicht von fortschrittlichem, sondern von staatstragendem Geist beseelt ist; ein Statut, das auf alle (basis)demokratischen "Sperenzchen" verzichtet und das "Letztentscheidungsrecht in allen wichtigen Fragen der zentralen Leitung zuschreibt; und schließlich eine Finanzpolitik, die - ob auf den Ebenen oder in den Fachbereichen - die hauptamtlich besetzen Gremien "begünstigt". Wer dies (eigentlich) nicht wollte, der oder die hätte sich frühzeitig und nachdrücklich gegen die Verschmelzung von DAG, DPG, HBV, ÖTV und IG Medien aussprechen können und müssen. Denn im mittlerweile fortgeschrittenen Vereinigungsprozeß entscheiden - trotz aller demokratischen Defizite - bekanntlich die Ursprungsorganisationen von VER.DI; und deren Mehrheit bringt bekanntermaßen eher ein sozialpartnerschaftliches, staatstragendes Profil als eine auf Konflikt und Gegenmacht orientierte Gewerkschaftspolitik in die "Ehe" ein.

Angesichts dieser klaren (Macht)Verhältnisse durfte es nicht verwundern, daß der Hauptvorstand der IG Medien die Erwartungen der Delegierten des Außerordentlichen Gewerkschaftstages vom 8. bis 9. September 2000 in Bielefeld schon Monate vor Beginn des Arbeitskongresses auf ein realistisches Maß zurückzuschrauben versuchte: "Es ist nicht vorgesehen, die dann vorliegenden Unterlagen, wie Verschmelzungsvertrag, Budgetierungsgrundsätze u.ä., mit Anträgen aus den Ebenen unserer Organisation, so wie es bei der Diskussion zu den Eckpunkten zum Zielmodell gehandhabt wurde, zu verändern." Der diesjährige Gewerkschaftstag solle lediglich ein "Meinungsbild" zu den von der Mitgliederversammlung der im Dezember 1999 gebildeten VER.DI-Gründungsorganisation (GO) verabschiedeten "grundsätzlichen Dokumenten herstellen und ein Votum für den Weg der IG Medien in VER.DI erreichen".[1] Während der Hauptvorstand der IG Medien "seine" Organisation "auf Linie" zu bringen oder zu halten gedachte, lautete die Parole anderenorts: "Diskussionsphase eröffnet. Gewerkschaft ÖTV debattiert über Satzung und Budgetierung von VER.DI". [2] Mit dem viel beschworenen Konsens der Fusionspartner war es also nicht (mehr) sehr weit her!

Dieses positive Beispiel der ÖTV strahlte auf den Außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Medien nicht aus. Die von ihrem Vorsitzenden Detlef Hensche mit gekonntem Schwung und nicht ohne politischen Biß eröffnete "Generaldebatte" animierte lediglich einen Delegierten zur Diskussion. Auf dem Gewerkschaftstag in Würzburg (Oktober 1998) waren es immerhin 43, auf dem außerordentlichen Kongreß in Kassel (November 1999) aber nur noch 6 Redebeiträge in der zentralen Aussprache gewesen. Vielleicht lag es in Bielefeld daran, daß diesmal die Polarisation von Befürwortern auf der einen und Kritikern wie Gegnern von VER.DI auf der anderen Seite fehlte. Möglicherweise hatten sich die Delegierten aber auch der vom Hauptvorstand seit Würzburg propagierten, angeblich alternativlosen Orientierung auf die Fusion restlos ergeben, so daß ihnen kein anderer Weg mehr realisierbar erschien, als sich "schicksalhaft" an das VER.DI-Projekt zu ketten. Wie dem auch gewesen sein mag, die Diskussion in Bielefeld zeigte in der organisationspolitischen wie in der anschließenden Antragsdebatte nur selten Tiefgang, geschweige denn eine offene Auseinandersetzung mit den schwelenden und aufgebrochenen Problemen des Vereinigungsprozesses. Den Vertretern des Hauptvorstands der IG Medien war hieran augenscheinlich nicht gelegen, den Delegierten fehlte wohl der Mut und/öder die nötigen Hintergrundinformation für eine kritische Einschätzung.

Deshalb wurde der Leitantrag des Hauptvorstandes "Die Gründung von VER.DI weiter vorantreiben!" ohne nennenswerte Kontroverse bei nur wenigen Gegenstimmen verabschiedet. Er appelliert an "Kompromißfähigkeit und Reformwillen", verwirft "eine zeitliche Verschiebung" der Verschmelzung und bekennt sich zum Beschluß der Mitgliederversammlung der VER.DI-GO vom August 2000, "auch Vorsorge zu treffen, für den Fall, daß eine der beteiligten Gewerkschaften im 1. Schritt, also im März 2001, die satzungsrechtlich erforderliche Mehrheit nicht erreicht". Das bedeute "die Bildung von VER.DI" nötigenfalls "auch in der Form eines Zwischenschritts durch den Zusammenschluß von vier Gewerkschaften" und der Einbindung der fünften durch einen möglichst engen Kooperationsvertrag. Alle Bedenken, eine solche Vorgehensweise könne die Konkurrenz unter den DGB-Gewerkschaften verschärfen, falls DAG, DPG, HBV und IG Medien vorerst ohne ÖTV fusionierten, wurden strikt zurückgewiesen. "Ohne die ÖTV gibt es auch keine Zwischenlösung", meinte Detlef Hensche. Doch selbst das 4+1 -Modell sei "keine Dauerlösung".

Die darauf folgende Diskussion der dreißig Änderungsanträge zu den Entwürfen der Satzung, des Fachbereichsstatuts und der Budgetierungsrichtlinien von VER.DI offenbarte die Kuriosität des Kongresses. Alle hierzu gefaßten Beschlüsse besitzen eigentlich keine besondere Bedeutung. Denn eine Korrektur der Dokumente setzt die Zustimmung aller Fusionsgewerkschaften voraus, so daß die Änderungsanträge des höchsten Gremiums der IG Medien letztlich nur den Charakter von Appellen tragen, allerhöchstens aber mehr oder weniger verbindliche Verhandlungsaufträge für die an der VER.DI-GO beteiligten Funktionäre darstellen. Der über diese Beschneidung der demokratischen Rechte und der Souveränität des Gewerkschaftstages geäußerte Unmut einiger Delegierter verhallte faktisch unbeachtet in den beschwichtigenden Beteuerungen des geschäftsführenden Hauptvorstandes. So sorgte einerseits die Ignoranz der (immer noch) vorhandenen Vorbehalte und Probleme in altbekannter Weise für einen weitgehend reibungslosen Verlauf der Debatte. Andererseits war diese bei vielen Delegierten auch nicht frei von - selbst erzeugten oder freimütig übernommenen - Illusionen über die angeblichen Chancen, wesentliche (organisations)politische Grundzüge der IG Medien könnten unbeschadet in den von ihr gebildeten Fachbereich der VER.DI hinübergerettet werden. Spätestens nach dem Zusammenschluß im März 2001 wird die Entwicklung zeigen, daß jeder Fusionspartner, also auch die IG Medien, seinen bisherigen Organisationsegoismus nicht weiter kultivieren darf, wenn VER.DI nicht schon in der Startphase daran scheitern soll. Bei aller Kritik an seiner Vorgehensweise bleibt es ein Verdienst von Detlef Hensche, dies immer wieder betont zu haben.

Quelle: Impuls - Informationen für Aktive der IG Medien Bezirk Wiesbaden, Nr. 86 / 15. September 2000

Anmerkungen:

1) Brief des HV der IG Medien an Bezirke und Ortsvereine vom 4.4.2000

2) ÖTV Extra. Informationen zum VER.DI Prozeß, Nn 8/Juli 2000


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