Integration und Ausgrenzung

Neue Studie bietet neuen Erklärungsansatz für Fremdenfeindlichkeit am Arbeitsplatz

Die Göttinger Sozialwissenschaftlerinnen Ursula Birsl, Svenja Ottens und Katrin Sturhan untersuchten den Umgang deutscher und Beschäftigter mit ausländischer Herkunft im Arbeitsalltag eines PKW-Fertigungswerkes und eines Zulieferers für KFZ-Elektronik. Fast alle der vierhundert Beschäftigten sind Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Im folgenden Beitrag befragt Hubert Zaremba die Autorinnen zum Verhältnis von deutschen und nicht-deutschen Beschäftigten, zur Politik der Gewerkschaft und zum Stellenwert der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft.

In einer Reihe von jüngeren Untersuchungen wurde festgestellt, dass Gewerkschaftsmitglieder, die auch Ihr jetzt wieder befragt habt, überwiegend fremdenfeindlich eingestellt seien. Hat Eure Studie das bestätigt, und welche Rolle spielt hierbei die Konkurrenz oder Angst um Arbeitsplätze?

Unsere Ergebnisse fallen in der Tat etwas anders aus. Repräsentativerhebungen unter der deutschen Wahlbevölkerung ergeben ein fremdenfeindliches Einstellungspotential zwischen 15 und 20 Prozent. Gerade Facharbeiter und Gewerkschafter gelten dabei als eine herausragende Gruppe. In unserer Untersuchung waren nun fast alle Befragten IG Metaller und die Mehrheit Facharbeiter. Dennoch konnten wir bei nur 6 Prozent der deutschen Befragten fremdenfeindliche Einstellungen feststellen. Die Fremdenfeindlichkeit richtet sich fast ausschließlich auf Gruppen, die nicht in der unmittelbaren Lebens- und Arbeitswelt vertreten sind, zu denen also kein alltäglicher Kontakt besteht, wie etwa zu Flüchtlingen und Aussiedlern. Ausländische Kolleginnen und Kollegen aus dem Betrieb bleiben von dieser Fremdenfeindlichkeit verschont. Ihnen gegenüber gibt es eher eine große Bereitschaft zur Integration und zur Toleranz. Beides beschränkt sich allerdings weitgehend auf die Arbeitswelt und den kulturellen Bereich. Eine rechtliche Gleichstellung, etwa im Feld der Bürgerrechte, wird hingegen skeptisch gesehen oder sogar abgelehnt. Aber auch die türkischen Befragten grenzen sich gegenüber anderen Gruppen ab. Es sind Flüchtlinge und Aussiedler, denen sie zum Teil ein ablehnende Haltung entgegenbringen.

Zum zweiten Teil der Frage: Bei den deutschen Befragten spielt in diesem Kontext eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes überhaupt keine Rolle. Interessanterweise wird es von ihnen sogar massiv abgelehnt, zwischen Einwanderung nach Deutschland und Massenarbeitslosigkeit irgendeinen Zusammenhang herzustellen. Bei den türkischen Befragten sieht das etwas anders aus. Sie befürchten, dass durch die zunehmende Einwanderung vor allem von Aussiedlern und durch deren privilegiertere Stellung als Deutsche die türkische Bevölkerung in Deutschland in einen Verdrängungsprozess gerät. Sie empfinden sich nach wie vor als Bürger zweiter Klasse, die nun in ihren Rechten und ihrem Ansehen in die dritte Klasse abzurutschen drohen.

Im Übrigen haben wir einen ganz anderen Ausgrenzungsweg als den über Fremdenfeindlichkeit vorgefunden, und zwar über Leistungskriterien, die indirekt die ausländischen Beschäftigten diskriminieren. Denn diese haben aufgrund ihrer sozialen Lebensverhältnisse und immer noch geringeren Bildungschancen nicht die gleichen Möglichkeiten im Beruf. Sie werden also indirekt nach kultureller Herkunft benachteiligt. So wird eine soziale Hierarchie über scheinbar objektive Kriterien hergestellt, die breit akzeptiert sind. Diese Akzeptanz ist nicht nur bei den deutschen, sondern sogar besonders stark unter den jüngeren türkischen Befragten vorhanden.

Gibt es Unterschiede in der Erwartung an Gewerkschaftspolitik bei unterschiedlicher nationaler oder kultureller Herkunft?

Es gibt Unterschiede, sogar zum Teil recht große: Die türkischen IG Metaller erwarten von der Gewerkschaft eine intensivere Integrationspolitik, am Arbeitsplatz und auch in der sogenannten Ausländerpolitik. Sie werden zunehmend sensibler für ihre Lebenssituation und treten selbstbewusster für ihre Rechte ein. Das gilt vor allem für die Jüngeren der zweiten und dritten Generation, also für die Kinder und Enkel der Einwanderungsgeneration. Für diese ist es zudem ausgesprochen paradox, dass ihre in Deutschland geborenen Kinder nach den Verschärfungen im Ausländerrecht schlechter dastehen als sie selbst oder ihre eigenen Eltern.

Bei den deutschen IG Metallern ist eine "Übersättigung" mit dem Thema "Integration von ausländischen Kolleginnen und Kollegen" sehr deutlich zu spüren. Das muss sehr ernst genommen werden, damit Toleranz nicht in Abwehr umschlägt. Im Vergleich zu anderen Lebensbereichen ist die Integration am Arbeitsplatz relativ weit fortgeschritten, auch weiter als im öffentlichen und politischen Diskurs. Das bedeutet jedoch nicht nur Harmonie: Hier bewegen sich zwei Entwicklungen aufeinander zu, was durchaus zu einer Eskalation führen kann. Für die Betriebsräte, die die ersten Ansprechpartner sind, bedeutet das eine Gratwanderung auf hohem Niveau. Die deutschen Befragten erwarten von der Gewerkschaft in erster Linie die Sicherung von Arbeitsplätzen. Wohlgemerkt: die Sicherung. Die Neuschaffung von Arbeitsplätzen sehen sie als zweitrangig an oder lehnen sie sogar als Ziel gewerkschaftlicher Politik zum Teil vehement ab. Die Gewerkschaft solle sich vor allem um die Arbeitsplatzbesitzer kümmern. Arbeitslosen gegenüber grenzen sie sich eher ab. Ihnen werden genau die Ressentiments entgegengebracht, von denen wir ursprünglich glaubten, dass wir sie gegenüber Ausländerinnen und Ausländern finden würden.

Treten in Bezug auf Lebensentwürfe oder Karrierechancen dennoch herkunftsbedingte Benachteiligungen auf und, wenn ja, wie wird mit solchen Frustrationen umgegangen?

Diese Frage ist sehr kompliziert. Auf den ersten Blick unterliegen auch noch die jüngeren, in Deutschland geborenen oder aufgewachsenen Türken herkunftsbedingten, kulturellen Benachteiligungen im Berufsverlauf. Weiterbildungschancen und Karrierewege sind ihnen häufig versperrt. Das mag in Teilen zutreffen, auf den zweiten Blick offenbart sich noch eine andere Seite der Medaille: Die türkischen Befragten kommen überwiegend aus der Schicht un- und angelernter Arbeiterfamilien; sie unterliegen ähnlich wie deutsche Un- und Angelernte "sozialen Schließungstendenzen", wie es in der Soziologie heißt. Ihre sozialen Chancen sind damit durch ihre soziale Schichtzugehörigkeit beschnitten, und zwar unabhängig von der Staatszugehörigkeit. Hier überschneiden sich also kulturelle und soziale Benachteiligungen, ohne dass genau auseinanderdividiert werden kann, welche überwiegen. Das führt durchaus zu Frustration. Die jüngeren Türken interpretieren dies als Diskriminierung von Ausländern.

Wir haben in diesem Jahr viel Aufregung um die Akzeptanz der sogenannten "doppelten Staatsbürgerschaft" erlebt. Weil sie ja nun überwiegend hier leben und arbeiten, liegt der Lebensmittelpunkt der Türken, die ihr vornehmlich befragt habt, in Deutschland. Wozu brauchen die zwei Staatsbürgerschaften? Als Lohnabhängige sind sie doch erstmal in derselben Situation wie deutsche Beschäftigte?

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in der Tat ein heiß umstrittenes Thema bei den Befragten gewesen. Sie wird von den deutschen Beschäftigten mehrheitlich mit dem Argument abgelehnt, mit doppelter Staatsangehörigkeit sei eine doppelte Privilegierung verbunden. Es wird vermutet, Besitzerinnen und Besitzer eines doppelten Passes könnten sich staatsbürgerlichen Pflichten entziehen, wie etwa dem Wehr- oder Zivildienst. Man müsse sich schon entscheiden, zu welchem Staat man gehören wolle. Gleichzeitig fordern dieselben Befragten, dass für die alten Einwanderungsgruppen, die sogenannte "Gastarbeitergeneration" und ihre Nachfahren, die Einbürgerung zeitlich beschleunigt und insgesamt erleichtert werden solle. Dann hätten diese auch das Recht auf Integration in allen Bereichen. Die vollständige Gleichstellung – auch im Bereich der Bürgerrechte – ist damit an die Staatszugehörigkeit und die staatsbürgerlichen Pflichten gebunden. Um es deutlich zu sagen: Mit diesen Einstellungen ist kein dumpfer Nationalismus verknüpft, sie lassen sogar einen relativ breiten Spielraum erkennen, die doppelte Staatsbürgerschaft neu zu thematisieren, über deren Tragweite und realen Inhalte aufzuklären, um dann dafür mehr Unterstützung zu gewinnen.

Die Studie erschien unter dem Titel "Männlich-weiblich, Türkisch-Deutsch" bei Leske+Budrich, Opladen 1999 (349 S., 58 DM)

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999


LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
Der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken / The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
2000-01-02