Eine Reihe von jüngeren Untersuchungen zum Phänomen Rechtsextremismus unter insbesondere jugendlichen GewerkschafterInnen hat zu einer Revision des Klischees vom typischen Gewerkschaftsmitglied – „sozial", „wählt SPD", „lehnt rechtsextremistische Parolen ab" – geführt. Über die Ergebnisse aus einer Infratest dimap-Studie, der Analysen der Forschungsgruppe Wahlen sowie der Untersuchung von Hans Werner Horn u.a. berichtete Josef Neumann in express 1/99. Offen blieb jedoch die Frage, wieso in den jeweiligen Alters-Vergleichsgruppen vor allem organisierte GewerkschafterInnen eine Präferenz für rechte Parteien äußerten, rechtes Gedankengut vertraten und vor allem, worauf sich die Vereinbarkeit zwischen diesem und ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft gründet.
Klaus Weber, Dozent an der Fachhochschule Frankfurt und Vertrauensdozent der Böckler-Stiftung, kritisiert im folgenden Beitrag die Identifikation des Phänomens „Rechtsextremismus" mit der Frage parteipolitischer Zugehörigkeiten als unzulässige Reduktion des Problems. Er versucht anhand zweier Interviews mit „Kollegen", Elemente des völlig normalen ‘Extremismus aus der Mitte der Gewerkschaften’ herauszuarbeiten.
In seinem express-Beitrag (1/99) über Rassismus und Rechtsextremismus und das Verhältnis der DGB-Gewerkschaften zu diesem Problem geht es Josef Neumann, ÖTV-Sekretär in Solingen, um die Gefahr der „Anfälligkeit" von gewerkschaftlich organisierten KollegInnen für „rechtsextremes Gedankengut". Dabei schlägt er als Ansatzpunkte für einen gewerkschaftlichen Umgang mit diesem Problem folgendes vor:
Abgeleitet werden diese Forderungen aus der zunehmenden Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern, die inzwischen rechte Parteien wählen würden. Doch nicht nur, daß sie dies tun, sei erschreckend: der Anteil organisierter GewerkschafterInnen an den WählerInnen sogenannter rechtsextremer Parteien sei sogar höher als der von Nichtmitgliedern. Außerdem sei in der gewerkschaftlichen Jugendarbeit festzustellen, daß Jugendliche, die sich selbst eher als rechts einordnen würden, aktiv in der gewerkschaftlichen Vertretungsarbeit präsent seien.
Der Autor beschreibt in seinem Beitrag allerdings lediglich Phänomene politischer Veränderungen. Problematisch ist jedoch deren Einordnung und implizite Erklärung:
Die Frage danach, wieso Gewerkschaftsmitglieder völkisch-national denken und handeln, warum sie die ihnen nahegelegten Formen von Rassismus akzeptieren und sich nicht dagegen auflehnen, wird vom Autor des o.g. Beitrags nicht gestellt. „Die Stellung einer Frage ist ihre Beantwortung" übertreibt Karl Marx. Recht hat er aber damit, daß Vorschläge für eine veränderte Politik erst sinnvoll sind, wenn die Gründe für die Notwendigkeit dieser Veränderung analysiert und befragt werden. Im folgenden soll anhand zweier Fallstudien1 vorgestellt werden, wie sich Elemente völkisch-nationaler Politik im Verständnis organisierter Gewerkschaftskollegen äußern. Untersucht wird zum einen die Konstruktion eines WIR, dessen Funktionalität für rassistische und nationalistische Ausgrenzungen darin besteht, daß Identität über eine Negativ-Abgrenzung von „den Fremden" hergestellt wird. Zum anderen geht es um den Bezug auf „Leistung", deren Erfüllung bzw. Nicht-Erfüllung als Anspruchsvoraussetzung und Ausschlußkriterium für die Aufrechterhaltung und Teilhabe an einer patriarchal-kapitalistischen Ordnung fungiert. In beiden Fällen wird – so viel zu den Thesen vorweg – mit Kategorien gearbeitet, die als Norm akzeptiert und in Anspruch genommen werden, deren Bestimmung den Beteiligten aber nur über eine Negativdefinition gelingt. Eben damit werden die bekannten sozialen Abgrenzungs- und Ausschlußmechanismen produziert.
Damit soll keineswegs eine Politik der positiven Identifikation mit dem Nationalen in den Mittelpunkt gerückt werden, sondern vielmehr die Problematik dieses Identifikationsprozesses verdeutlicht werden: der Bezug auf die Nation verstellt den Blick auf die sozialökonomisch fundierten Widersprüche unserer gesellschaft.
„Die Neger will man dorthalten, wo sie hingehören" (Horkheimer/Adorno). Kommen sie doch hierher, werden sie erst gar nicht mit dem Anspruch der Integration konfrontiert. Die Differenzen zwischen weißen Mitteleuropäern und Schwarzen werden als so unüberbrückbar konstruiert, daß der Gedanke an eine Vermischung der Grenzen zwischen beiden erst gar nicht möglich ist. Durch die Immigration von Südeuropäern (Italienern, Griechen etc.) in den 60er und 70er Jahren und die anschließende Anwerbung türkischer ArbeitnehmerInnen wurde diese klare Grenze jedoch diffuser – und das Tabu der „Vermischung" unterlaufen. Diese Diffusität scheint Gefahren zu bergen: Weil Fremde, wenn sie denn hierher kommen, die Sicherheit der gekannten, klaren Strukturen von Oben/Unten bzw. Freund/Feind stören, weil sie die Ordnung dieser Welteinteilung in Frage stellen, werden sie zur Gefahr: „Sie bringen das Äußere ins Innere und vergiften die Bequemlichkeiten der Ordnung mit dem Mißtrauen des Chaos" (Bauman 1991, S. 26). Als Gegenpol zum Fremden (im folgenden geht es um Flüchtlinge) taucht in den Interviews mit den „rechten" Kollegen ein WIR auf, das scheinbar klare Konturen hat und assoziativ mit „uns Deutschen", dem „deutschen Volk" oder „unserer Nation" verbunden wird.
„Vier bis fünf Jahre, wenn sich hier wirklich einer etabliert hat, die deutsche Sprache lernt usw., jetzt wird’s schwierig, ihn dann wieder abzuschieben. Das ist auch unmenschlich. Aber, es kann nicht so weitergehen. Hier muß auf die Schnelle entschieden werden, wie es laufen soll. Sicherlich werden da einige Fehlurteile dabei sein, das ist klar, aber das muß man in Kauf nehmen. Wir können nicht die ganze Welt aufnehmen, das geht einfach nicht. Wenn man die Steigerung anschaut von Jahr zu Jahr, wir marschieren jetzt weit über die 200.000 Asylbewerber und, und wenn das so weitergeht, man muß auch einfach daran denken, daß man durch solche Positionen, wenn man jetzt hier die Zügel schleifen läßt, den Ausländerhaß ja schürt".
Die Rede vom „vollen Boot" schwingt mit, wenn der Kollege, ein Kommunalpolitiker aus Bayern, seine Positionen darlegt. Nebenbei taucht die Vernichtungsphantasie als Freudscher Versprecher auf: „Wir marschieren über 200.000 Asylbewerber". Die Tatsache, daß immer mehr Flüchtlinge einen sicheren Ort suchen, kann offenbar nicht als deren aktive Leistung ausgesprochen werden. Das Gegenbild zur Überflutung durch die Flüchtlinge ist die standhafte Truppe Deutschland, die gegen diese Überschwemmung anmarschiert.
Wie konstruiert und konstituiert sich aber nun die deutsche Identität in der Rede dieser Kollegen? Auch wenn es bei der „deutschen Nation" nur um eine vorgestellte, imaginierte politische Gemeinschaft geht, in der „die meisten die anderen niemals kennen, ihnen niemals begegnen oder auch nur von ihnen hören werden" (Anderson 1988, S. 15), so muß es doch etwas an ihr geben, dem ein „rechter" Mann zustimmen kann. Meine Frage an den Kollegen war die „nach der Kultur der Deutschen, von der Sie sprachen. Was ist das für Sie, was bedeutet für Sie deutsch ganz persönlich. Was verbinden Sie damit?"
„Und mit dem Deutschsein (lacht), da kann ich Ihnen sagen, Deutschsein, ein Italiener ist stolz, daß er Italiener ist, ein Türke, daß er Türke ist und ein Deutscher, daß er Deutscher ist".
Unhinterfragt gilt hier, was bei anderen Nationen scheinbar auch gilt. Einem Naturgesetz gleich ist ‘mann’ stolz auf die Nation, auf das Land, dessen Bürger man ist. Die positive Bestimmung des Deutschseins fehlt jedoch. Die Antwort verlangt nach einer eindringlicheren Fragestellung: „Die Frage war konkret, was ist für Sie die deutsche Kultur?"
„Ja, also, ich, ich denk immer noch so, daß erstens mal die Ausländer immer noch Gäste in unserem Land sind, und daß sie sich mehr oder weniger nach unseren Gepflogenheiten anzupassen haben. Das geht zum Beispiel nicht an, wie es in Rosenheim schon mal passiert ist, daß türkische Familien im Hochhaus auf dem Gang ein Schaf geschlachtet haben. Also irgendwo hört’s einfach auf, das können sie in der Türkei machen, aber nicht bei uns".
Nähme man an, daß die Fremden, in diesem Falle die Türken, abgewertet werden, weil ihr Anderssein mit einer klaren Identität des deutschen Mannes kollidiere, so wird hier deutlich, daß das Gegenteil dieser Anordnung wirksam ist: Die scheinbar sichere kulturelle Basis der Anderen taucht als Grund für deren Ablehnung auf. Aber erneut muß danach gefragt werden, welche Eigenschaften, welche Bilder des Deutschen von sich selbst Grundlage dafür sind, daß den anderen Integrationswillen und Anpassung abverlangt werden. Daß die arbeitenden Migranten keine Gäste sind, ist dem Sprecher selbst klar: Gäste müssen meist nicht arbeiten und sich auch nicht anpassen. Sie können bleiben, wie sie sind, weil sie nach einer bestimmten Zeit wieder abreisen. Ein neues Nachfragen soll endlich die Erklärung bringen, wie ein deutscher Mann deutsche Kultur sieht. Die Antwort:
„Zum Beispiel: Es ist für mich unvorstellbar, aber leider ist es mittlerweile eine Tatsache, daß in Kindergärten eben die Erzieherinnen türkisch können müssen, sollten, je nach dem. Die sollen sich uns anpassen. Wir lernen nicht denen ihre Sprache, die sollen unsere Sprache lernen. Auch meine ich, wenn sie jetzt hier ihre Moscheen, in Augsburg glaube ich mitten in der Stadt, wo sie so eine Moschee installieren mit so vier Minaretten, wo also jede Stunde das Gesängle losgeht. Das meine ich, das kommt für uns nicht in Frage, das können sie in ihrem Land machen, aber nicht bei uns. Ich habe vorher gerade gesagt, daß die Ausländer Gäste sind in unserem Land, und wenn dann die von mir aus unser Kirchengeläute stört und ihnen das nicht paßt, können sie ja gehen".
Wieder gibt es ein homogenes WIR, das an den Ritualen der Religion festgemacht wird und völlig andere Inhalte und Praktiken haben soll als die derjenigen, von denen der Kollege als Türken spricht. Dieses WIR findet aber keinen Inhalt, es wird für den Interviewten zur Qual, daß die Fragen nach einem solchen nicht enden.
„Ich weiß nicht, warum Sie da jetzt so, äh, hartnäckig fragen, ich weiß nicht, auf was Sie hinauswollen." Interviewer: „Es hätte mich nur interessiert, ob es auch was Positives gibt, das Sie mit Deutschsein oder Deutschland verbinden." „Ich kann das nicht sagen. Ich schäme mich nicht, daß ich Deutscher bin. Das ist, das ist mir, was heißt stolz. Ich bin stolz drauf, was meine Eltern geleistet haben, daß sie das wieder so aufgebaut haben. Ja, das wärs eigentlich im Prinzip, und wie gesagt, wir haben zwar eine furchtbare Vergangenheit, aber daß ich da drunter leide, bestimmt nicht."
Die Fragen nach einer positiven Besetzung des Deutsch-Seins bekommen keine Antwort. Ausgewichen wird in Bereiche, die zum Teil selbst nicht mehr gelebt werden oder nicht Teil der eigenen Lebenserfahrung sind. So sind weder die religiösen Rituale des Christentums noch die elterliche Arbeitsmoral die identitätsstiftenden Erfahrungen des „rechten" Mannes. Es hat den Anschein, als bliebe die inhaltliche Seite des WIR eine Leerstelle.
Doch soll dieser Mangel nicht dazu verleiten, den Kollegen als unreflektiert abzutun. Die Dichonomie zwischen der Selbstverständlichkeit des Wissens um die Verschiedenheit von Deutschen/Ausländern einerseits und der Leere, die uns begegnet, wenn es um die Konkretion der eigenen Seite dieser Verschiedenheit geht, ist selbst funktional für den Rassismus. Die aggressiven Töne verweisen dabei nicht nur auf die allgemein erlaubte und betriebene Hetze gegen Fremde. Der einzelne versichert sich dadurch auch seines Selbstbewußtseins: „Wenn ich von innen her weiß, wo die Grenze verläuft, brauche ich sie nach außen nicht demonstrativ immer neu zu ziehen. Anders gesagt: Wenn ich mir selber nicht sicher bin, wer ich eigentlich bin, dann werde ich – vorausgesetzt, ich will »einer sein« – dazu neigen, dauernd mir und aller Welt zu demonstrieren, wer ich jedenfalls nicht bin" (Reemtsma 1993, S. 56). Dieser Prozeß findet kein Ende, weil einerseits an einer Norm des Deutschseins festgehalten wird, von deren Erfüllung man sich die Teilhabe an der Nation, an der Ganzheit Deutschland verspricht, die andererseits jedoch nicht expliziert werden kann, da die eigenen Erfahrungen gar nicht oder nur widersprüchlich mit dem, was dieses Deutschsein sein soll, zusammenhängen. Es bleibt bei der Negativ-Abgrenzung, die nur Leerstellen produziert.
Es soll nun ein aktiver Kollege vorgestellt werden, von dem ich einiges über sein Verhältnis zu Frauen und zur Frauenbewegung erfahren wollte: Kollege A. hat zunächst keine Probleme in seiner Familie, keine Schwierigkeiten an seinem Arbeitsplatz und ist mit seinem politischen Engagement für die „Republikaner" sehr zufrieden. Die Tochter geht auf eine höhere Schule, Frau A. arbeitet im öffentlichen Dienst, und er selbst hat inzwischen eine höhere Stellung in der Betriebshierarchie. Mehrmals betont er, daß er absolut keine Probleme in seinem Leben habe: „Nein, privat eigentlich nicht, ich muß sagen, ich bin Betriebsleiter in einer Firma." Sehen wir uns genauer an, wie er die Möglichkeit, private Probleme zu haben, aus seiner Erklärung ausschließt. Die als Zwang ausgesprochene Erwähnung der hohen Position an erster Stelle der Antwort („Ich muß sagen, ich bin Betriebsleiter in der Firma...") verweist auf die Position, von der aus Kollege A. spricht: Er steht über den Dingen und damit den Problemen, weil er der Chef ist. Chefpositionen sind üblicherweise von Männern besetzt. An anderer Stelle des Gesprächs wird dieser Zusammenhang deutlicher:
„Also ich arbeite in einem reinen Frauenbetrieb, und da ist es halt so, daß eigentlich die Leistung, die die Frauen im Beruf bringen, doch einmal von der Gesellschaft anerkannt gehörte. Von mir muß sie nicht anerkannt werden, ich bin mit ihr verheiratet".
Die Frage zielte nicht darauf, ob er seine Frau in ihrer Berufstätigkeit anerkenne, sondern ob es gesellschaftliche Bereiche gebe, in denen er die Arbeit der Frauenbewegung schätzen würde. Der unbewußte Versprecher des Kollegen zeigt die Richtung, in der die Antwort über die Problemlosigkeit seines Privatlebens in Verbindung mit dem Arbeitsleben steht: Herr A. ist nicht mit einer Frau verheiratet, sondern mit deren Leistung, die von der Gesellschaft akzeptiert werden müßte. Die Leistung der eigenen Frau in deren Beruf ist wiederum nur dadurch anerkannt, daß Herr A. sie geheiratet hat. Versuchen wir diesem Zusammenhang auf die Spur zu kommen, indem wir den Satz negieren: Solange (m)eine Frau nicht verheiratet war oder ist, kann ihre Arbeitstätigkeit nicht als Leistung bezeichnet werden. Daß die „Leerstelle des Wortes Leistung" (Haug 1991, S. 707) funktional für die Aufrechterhaltung männlicher Dominanz ist, wird spätestens dann offensichtlich, wenn die konkret-praktischen Tätigkeiten der Frauen in den Blick kommen. Im Betrieb des Herrn A. arbeiten sie an Maschinen und schweißen. Doch noch hier bewahrheitet sich, daß die weibliche Arbeitsleistung nur dann gilt, wenn sie von einem Mann begutachtet, vorgemacht und kontrolliert wird:
„Wenn es mich nicht freut, sitze ich nicht am Schreibtisch, dann geh ich in die Produktion raus und stell’ mich an die Maschine und schweiß selber irgendwo immer ein paar Stunden, damit die Frauen einmal sehen, daß auch ein Betriebsleiter schweißen kann. Ja, man muß ja mit gutem Beispiel vorangehen".
Derjenige, der im Beruf keine Leistung bringt, ist für Herrn A. „kein allgemein akzeptiertes Mitglied dieser Gesellschaft im Sinne umfassender männlicher Normalität" (ebd.) und muß mit staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Leistung gebracht werden.
„Eine gesunde Volksmeinung ist das, wenn ich heute sagen muß, wenn einer heute 17 oder 18 Jahre alt ist und nicht in die Arbeit geht, daß das nicht richtig sein kann. Dann muß ich halt einmal schauen, daß ich in irgendeinem Beruf eine Leistung bringe, und das muß man durchsetzen als Staat, und es geht nicht, daß uns die Leute auf der Tasche liegen".
Zurück zur spezifischen Verknüpfung des Leistungsgedankens mit dem Geschlechterverhältnis beim Kollegen: Festzustellen ist, daß seine Frau in der Antwort auf eventuelle private Probleme nicht vorkommt. Insofern ist es verständlich und gleichzeitig paradox, wenn der Interviewte in das Feld wechselt, in dem er natürlich keine familiäre Probleme haben kann, das aber gleichzeitig konkurrenzhaft durch seine Frau bedroht ist: den Produktionsbereich. Die abstrakte Anerkennung spezifisch „weiblicher" Leistung korrespondiert mit der Nichtanerkennung der Berufstätigkeit der eigenen Frau und steht unvermittelt neben der allgemeinen Anerkennung, die über Leistung im Berufsleben definiert ist. Gleichzeitig wird allen Frauen unterstellt, daß sie aus Zwang im Produktionsbereich arbeiten würden:
„Bloß, was haben wir geschaffen, wir haben die Frauen in die Fabriken getrieben, weil sie den ganzen Tag arbeiten müssen."
Zu Hause bei den Kindern würden die Frauen Menschen bleiben, weil aber der männliche Verdienst nicht ausreicht, werden sie wie Tiere in die Produktionsstätten „getrieben". In der Unklarheit dieses Satzes liegt die ganze Widersprüchlichkeit einer patriarchal-kapitalistischen Ordnung: Es ist nicht klar, ob Kollege A. sich in dem abstrakten „wir" einschließt, dann aber auch die Verhältnisse meinen muß, die den ‘Zwang zur Fabrikarbeit’ bedeuten; ob er selbst nicht auch die finanzielle Unabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit der ‘ganzen Arbeit zu hause’ und der Nichtanerkennung dieser ‘weiblichen Leistung’ vorziehen würde.
Der Widerspruch zwischen der Anerkennung der Leistung erwerbstätiger, selbstbestimmter Frauen auf der einen und seinem Wunsch nach männlicher Dominanz und Aufrechterhaltung des dualistischen Leistungsbegriffs auf der anderen Seite zeigt sich in der melancholischen und hilflosen Rede über die Verfassung der patriarchalen Gesellschaft:
„Die [Emanzen; K.W.] wollen sich halt einfach selbst verwirklichen und ich meine, das Patriarchat mag zwar schlecht sein, es ist auch nicht gut, man soll eine Partnerschaft pflegen, aber das Matriarchat ist auch nicht besser. Ich habe sehr viele Bücher über die Thematik gelesen und muß sagen, daß sie das irgendwann einmal abgeschafft haben, weil’s nicht funktioniert hat. Und das Patriarchat hat trotzdem jetzt ein paar tausend Jahre überdauert, aber momentan ist es in Auflösung, weil’s auch nicht ganz das Gelbe vom Ei ist."
Auf der Suche nach Bestätigung gegen das Gefühl, daß die männliche Rolle nicht überflüssig geworden ist, bieten der Männerbund Gewerkschaft ebenso wie andere Männerbünde scheinbar Schutz und bilden ein Residuum vor der imaginierten Gefährlichkeit der Frauenbewegung und deren Eindringen in den Produktionsbereich – der angestammten Sphäre des Männlichen.
Diese Frauenbilder sogenannter rechter Männer sind keinesfalls extreme Randerscheinungen, sondern eine Umsetzung des eigenen ambivalenten Erlebens einer Auflösung tradierter Rollenbeziehungen. Die Festschreibung dieser gebrochenen Bilder als „Feindlichkeit gegenüber Frauen" läßt außer acht, daß das Potential dafür nicht in perversen oder extremen Ideologien der Neuen Rechten liegt, sondern im Zentrum einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft. Die Besonderheit der interviewten Männer liegt lediglich darin begründet, daß sie diese gesellschaftliche Bewegung deutlich zum Ausdruck bringen. „Die Sorte Männer, die Gegenstand dieser Untersuchung ist, soll keineswegs prinzipiell von den übrigen Männern isoliert werden. Sie bilden vielmehr so etwas wie die Spitze eines Eisberges von Patriarchalität; was unter der Oberfläche liegt, macht die Gewässer aber insgesamt kalt" (Theweleit 1977, S. 216).
Die beiden Beispiele sollen zeigen, daß gewerkschaftliche Bildungsarbeit, die sich zum Ziel setzt, Kollegen (seltener: Kolleginnen) für „rechtsextremes Gedankengut" nicht „anfällig" werden zu lassen, sich nicht auf die „Gefahr" des Rechtsextremismus beschränken darf. Der Blick auf die auffälligen Formen völkisch-nationaler und patriarchaler (männerbündlerischer) Politik verstellt die Analysemöglichkeiten der zentralen gesellschaftlichen Widersprüche. Arbeit gegen „rechts" hat keinen Erfolg, wenn lediglich die Symptomatik begriffen und behandelt wird. Rassistische Diskriminierung als „Mobbing" zu verstehen und dies im betrieblichen Rahmen mit Trainings zu sozialer Kompetenz und Konfliktfähigkeit verhindern zu wollen, wie es Kollege Neumann in seinem express-Beitrag darstellt, übersieht, daß Rassismus und Sexismus eine gesellschaftliche Ausschließungsstruktur zur Aufrechterhaltung des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital ist. Die Individualisierung sozialökonomisch bedingter Widersprüche und ihre Bearbeitung in der Persönlichkeit der KollegInnen führt dazu, daß die Frage nach den Tätern und Opfern auf der subjektiven Seite verbleibt, während die verursachenden Zusammenhänge für Migrationsbewegungen und deren Folgen ungenannt bleiben. Sowohl die neoliberale Kolonisierung und die Ausbeutung neuer Ressourcen als auch Strategien gegen diese Politik geraten so aus dem Blickfeld gewerkschaftlicher Arbeit.
Gleichzeitig kann eine antirassistische und antifaschistische Bildungsarbeit nicht davon absehen, daß die Formen rassistischen und völkisch-nationalen Handelns und Denkens geschlechtsspezifisch vermittelt sind. Insofern muß auch danach gefragt werden, welchen subjektiven Gewinn und Nachteil Männer und Frauen jeweils davon haben, sich rassistischer Strukturen zu bedie-nen. Erst wenn diese Begründungszusammenhänge in gemeinsamen Lernanstrengungen verstanden sind, kann eine Strategie entwickelt werden, wie die zentralen Widersprüche von Arbeit und Leben in einer kapitalistischen Gesellschaft so verarbeitet werden, daß langfristig die Verfügungsmacht über die Produktions- und Reproduktionsbedingungen all denen, die davon profitieren, aus den Händen genommen werden kann.
1) Die Untersuchungen fanden im Rahmen einer von der Hans Böckler Stiftung geförderten Dissertation statt. Weber, Klaus (1997): Was ein rechter Mann ist. Subjektive Konstruktionen rechter Männer. Pfaffenweiler (Centaurus Verlag)
Literatur
Anderson, Benedict (1988): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts. Frankfurt/Main: Campus.
Bauman, Zygmunt (1992): Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg: Junius.
Haug, Frigga (1991): Leistung muß sich wieder lohnen. Das Argument 189, S. 695-708.
Horkheimer, M. / Adorno, T.W. (1980): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main: Fischer.
Reemtsma, Jan Philipp (1993): Die Stunde der Sozialwissenschaftler? Mittelweg 36, S. 53-59.
Theweleit, Klaus (1977): Männerphantasien, Bd. 1. Frankfurt/Main: Roter Stern