30.10.1999 Stuttgarter Nachrichten HINTERGRUND

Neonazis lassen Schweden zittern

Appell zur Gegenwehr

Stockholm - Der Terror von Rechtsextremisten entwickelt sich immer mehr zum beherrschenden Thema in Schweden. Neonazis sind vermutlich verantwortlich für einige Morde und brutale Überfälle. Dennoch sprach sich die Mehrheit des Parlaments gegen ein Parteienverbot aus.

Von unserem Korrespondenten REINER GATERMANN, Stockholm

In Malmö wurden zwei Skinheads wegen Misshandlung eines jüdischen Dirigenten verurteilt, in Linköping verhandelte ein Gericht gegen drei Neonazis wegen Mordes an zwei Polizisten nach einem Bankraub.

Etliche Abgeordnete plädierten für die Kriminalisierung der aktiven Unterstützung rechtsextremer Organisationen. Justizministerin Laila Freivalds sprach kürzlich von "einer neuen Form des Terrorismus". Und Chefredakteure der führenden Zeitungen veröffentlichten einen gemeinsamen Appell zu verstärktem Einsatz von Regierung, Polizei und allen Teilen der Öffentlichkeit gegen die ständig zunehmenden Mord-Aktivitäten.

Gegen ein Parteienverbot spricht allerdings nach Ansicht der meisten Politiker und der Sicherheitspolizei die Tatsache, dass die schwedischen Rechtsextremisten nur locker organisiert sind und ein offizielles Verbot sie noch weiter in den Untergrund treiben würde.

Tatsache ist jedoch, dass sie aggressiver und rücksichtsloser werden. Bei den Passbehörden beantragen sie Passfoto-Kopien, die ihnen aufgrund des schwedischen Öffentlichkeitsprinzips ausgehändigt werden müssen, falls kein Verdacht auf Missbrauch besteht. Ihre Recherchen werden übers Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Zahl der Neonazis und Rassisten angelasteten Delikte hat sich im Jahr 1998 auf mittlerweile 940 Straftaten verdoppelt.

Der Vorsitzende der Zentrumspartei, Lennart Daléus, und andere Parlamentarier widersprachen im Reichstag (Parlament) der Auffassung von Polizei und Justizministerin, wonach "die Lage unter Kontrolle" sein soll. Die Tatsachen gäben einen anderen Eindruck, betonte Daléus und forderte eine "Nulltoleranz" gegenüber der Gewalt von Rechtsradikalen.