Biedermann und Brandstifter

Bericht zu den zunehmenden Aufmärschen von Faschisten in Hamburg.

 

Seit Mitte des Jahres 1999 gibt es eine zunehmende Präsenz der Neofaschisten auf Hamburgs Straßen. Eingeleitet wurde dieser Prozeß mit der Anmeldung eines Aufmarsches durch die Faschisten. Wie zuvor schon bundesweit war die Ausstellung. "Vernichtungskrieg die Verbrechen der Wehrmacht 1941-44" des Hamburger Instituts für Sozialforschung Ziel der Nazipropaganda.

Unter der nationalistischen und militaristischen Losung "der Soldaten Ehre ist auch unsere Ehre Verteidigen wir sie!", riefen der Nationaldemokratische Hochschulbund (NHB) und Freie Kameradschaften für den 5.6.1999 zu einem Aufmarsch an der Hamburger Moorweide auf. Dieser Aufmarsch wurde damals von der Hamburger Polizei bzw. Innenbehörde an der Moorweide verboten. Verboten wurden darüber hinaus alle geplanten Gegendemonstrationen.

Die Polizei begründete ihre Verbotsentscheidungen formal damit, dass aufgrund von geplanten Gegendemonstrationen mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen sei. Darüber hinaus sei aufgrund von Fußball und Stadtfesten nicht genügend Polizeikapazitäten zu diesem Termin in Hamburg vorhanden. Die Faschisten wichen mit ihrem Aufmarsch nach Ludwigslust in der ehemaligen DDR aus.

Daraufhin haben dann dieselben Anmelder der Neofaschisten für den 10.7.1999 erneut einen Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung in Hamburg auf der Moorweide angemeldet (Anmeldedatum 8.6.). Zentrale Figur auf Seiten der Faschisten ist hier bei der in HH-Bergedorf wohnhafte Thomas Wulf (38). Wulf gehört neben Christian Worch, ebenfalls Bergedorfer, zum Kern der bundesdeutschen militanten Faschschistenszene. Beide waren unter anderem in der am 24.12.95 verbotenen "Nationalen Liste " Leitungskader. Darüber hinaus stehen sie in engen Kontakt zur Neo-Nazi Zeitschrift "Hamburger Sturm". Dieses Hetzblatt berichtet über Nazi Skinmusik und ruft zu Aufmärschen und militanten Aktionen der Faschisten auf. Auf der Anti-Antifa-Seite dieses Propagandablattes werden die Daten von Personen bzw. Kultur oder Jugendzentren veröffentlicht die sich durch ein antifaschistisches Politikverständnis definieren. So sind z.B. für Bergedorf die Adressen von dem Stadtteilkulturzentrum Lola, dem Jugendzentrum "Unser Haus" und "Korachstr" sowie Personennamen aufgeführt. Überschrieben sind die Daten mit dem Hinweis "... schaut doch bei den folgenden roten Hütten mal rein!"

Es kann davon ausgegangen werden das der NHB als Anmelder lediglich die Funktion der Reputierlichkeit erfüllen sollte, da er kaum in der Lage ist irgendjemanden in der Faschoszene zu mobilisieren.

Bei dieser zweiten Anmeldung eines Aufmarsches gegen die "Wehrmachtsausstellung" sah die Polizei dann keinen Anlass mehr diesen Aufmarsch nicht in Hamburg stattfinden zu lassen. In Kooperatiosgesprächen mit den Faschisten wurde diese jedoch darauf hingewiesen, dass der Aufmarsch auf der Moorweide unter Aspekten des Sicherheits- und Ornungsgesetzes (SOG) nicht machbar sei. Diese Kooperationsgespräche fanden laut Antwort des Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Lutz Jobst von der Regenbogenfraktion (Abspaltung der GAL) in der Hamburger Bürgerschaft 28.6. und 1.7.1999 statt. An dem Gespräch am 1.7 nahmen seitens der Polizei der zuständige Abteilungsleiter der Direktion Zentrale Aufgaben -DZA- der Landespolizeiinspektion, der Leiter der Versammlungsbehörde und der zuständige Sachbearbeiterteil. In diesem Gespräch wurde laut der Senatsantwort eine alternative Aufmarschrute durch Bergedorf mit den Faschisten zusammen festgelegt.

Am nächsten Tag wurde dann vom NHB schriftlich der Aufmarsch für Hamburg- Bergedorf angemeldet. Dieser Anmeldung wurde dann wie abgesprochen seitens der Polizei entsprochen.

Die in Hamburg angemeldeten Gegendemonstrationen wurden alle bis auf eine Kundgebung am Gänsemarkt verboten. Als bekannt wurde, das Innenbehörde und Polizei in Zusammenarbeit mit den Faschisten eine Aufmarschroute für die Neo-Nazis durch Bergedorf zu sichern begannen, wurden in Bergedorf von dem "Bergedorfer Bündnis gegen Rassismus und Faschismus", welches aus dem Antifaschistischen Bündnis Bergedorf (ABB), der Ortsgruppe der DAG, Friedensini, Regenbogen, DKP und GAL besteht, eine Demonstration gegen diesen Naziaufmarsch vom Bergedorfer Bahnhof zu den Schloßwiesen angemeldet. Auf den Schloßwiesen sollte die Demonstration zu einer Kundgebung, von DGB, SPD und anderen, gegen den Naziaufmarsch stoßen.

Beide Veranstaltungen wurden vom Verwaltungsgericht verboten. Begründet wurde das Verbot mit dem Hinweis auf die Kundgebung am Gänsemarkt sowie der Einschätzung" weiterhin geht das Gericht von einer hohen Gefährdung für Leib und Leben sowie Sachen aus, wenn die Demonstration nicht untersagt wird. Von daher genieße die angemeldete Demonstration. nicht den Schutz des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit), weil der Hauptzweck der Versammlung in der gewaltsamen Verhinderung der Demonstration des Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB) besteht." (Pressemitteilung des Hamburger Oberverwaltungsgerichts vom 9.10.99)

Es wurde mit den Initiatoren der Gegendemonstration bzw. Kundgebung in Bergedorf von Seiten der Polizei in keinster Art und Weise Kooperationsgespräche gesucht. Die Polizei belegte die geplanten "Gewalttätigkeiten" mit nichts außer dem Hinweis auf ein Hamburger Flugblatt das zur Verhinderung des Naziaufmarsches aufriefen.

Die Veranstalter SPD, DGB und andere haben gegen dieses Verbot keine Rechtsmittel eingelegt. Herr Pumm, der Hamburger DGB Chef hat es massiv abgelehnt das Recht auf eine Kundgebung auf der Schloßwiese in Hamburg-Bergedorf auch juristisch durchzusetzen. Das Bergedorfer Bündnis gegen Rassismus und Faschismus legte Widerspruch vor Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht ein. Beide Widersprüche scheiterten.

Das Ergebnis ist bekannt. Während ca. 500 Faschisten, geschützt durch insgesamt 6000 Polizisten durch Bergedorf marschierten, machten Sondereinsatzkommandos jagt auf GegendemonstrantInnen. Selbst kleinste Menschengruppen wurden sofort massiv weggedrängt, in Wohnungen aus denen Transparente hingen wurden Personalien aufgenommen. Nach Aussagen der Polizei würden die Transparente die Neonazis provozieren. Es wurden 95 Gegendemonstranten teilweise willkürlich und brutal festgenommen. Begründet wurden die Festnahmen bzw. Ingewahrsamnahmen mit dem Vorwurf des schweren- und einfachem Landfriedensbruchs.

Die Faschisten wurden von den Polizisten geschützt bzw. wurde von der Polizei nicht gegen die Nazis eingegriffen, obwohl der Aufmarsch teilweise in Uniformen stattfand, obwohl verfassungsfeindliche Zeichen wie die Wolfsangel getragen wurden, obwohl das Horst Wessel Lied gegrölt wurde.

Das Nichtverfolgen der Möglichkeit die Kundgebung auf der Schloßwiese juristisch durchzusetzen führte in der folgenden Zeit innergewerkschaftlich wie auch auf Bezirkspolitikebene und in den SPD-Gremien in Bergedorf zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. Die SPD sah sich, da sie nicht alles getan hätten den Naziaufmarsch zu verhindern, einer wachsenden Kritik aus den eigenen Reihen gegenüber,. Die Hamburger SPD wurde für ihr Verhalten "Bergedorf als polizeitaktisch günstiges " Naziaufmarschgebiet zu etablieren kritisiert.

Als direkte Folge dieses Aufmarsches gab es am 4.9.99 eine "Kundgebung gegen Faschismus und Krieg" des Bergedorfer Bündnisses gegen Rassismus und Faschismus. Zentrale Forderung hier "keine Naziaufmärsche in Bergedorf und anderswo" und "keine Einschränkung des Demonstrationsrechtes".

Diese Kundgebung nahmen die Faschisten zum Anlass am selben Tag einen Aufmarsch mit ca. 50 Faschisten durchzuführen. Dieser Aufmarsch wurde polizeilich genehmigt und von den Faschisten unter dem Motto" wir gehen auf die Straße, wenn sich links was rührt". Der Aufmarsch wurde von ca. 600 Polizisten geschützt.

Auch der DGB rührte sich jetzt. Das DGB Ortskartell Bergedorf lud am 16.12.99 zu einer Podiumsdiskussion mit Innensenator Wrocklage und Polizeipräsident Justus Woyd in das Lohbrügger (Teil von Bergedorf) Kulturzentrum LOLA ein. Beide werden dort von Bergedorfer BürgerInnen massiv kritisiert. Nur der SPD Kreisvorsitzende Christoph Krupp vertritt neben Wrocklage und Woyd die Position man müsse auf Grund des Demonstartionsrechts die faschistischen Aufmärsche erlauben. Alle drei versicherten, wie unangenehm das sei, dass sie diese Aufmärsche auch ganz schrecklich fänden. Diese Veranstaltung wurde von ca. 50 Polizisten außerhalb des Saales und von 20 Zivis im Saal "geschützt". Das pikante hieran war, dass ca. 20 Minuten nach Beginn der Veranstaltung fünf Faschisten den Saal betraten um ihr "Recht auf Meinungsfreiheit" einklagen zu wollen. Die Polizei hatte sie passieren lassen, obwohl die Polizisten darauf hingewiesen wurden, dass Faschisten den Saal betreten und zwei davon Hausverbot hätten. Die Faschisten wurden dann jedoch sehr schnell durch das entschlossene Vorgehen einiger AntifaschistInnen aus dem Saal gedrängt.

Diesen Anlass sie zum Vorwand erneut einen Aufmarsch zum 8.1.2000 durch Bergedorf/Lohbrügge anzumelden. Auch dieser Aufmarsch wird von der Polizei bzw. Innenbehörde genehmigt. Während des Aufmarsches verteilen die Faschisten Flugblätter mit der Forderung "keine öffentliche Diskussion über Neonazis - ohne Neonazis". Herausgeber des Flugblattes ist eine "Initiative für das Recht auf freie Meinungsäußerung". An dem Aufmarsch nehmen ca. 80 Faschisten teil.

Aufgrund der vorherigen Debatten meldete der DGB eine Gegenkundgebung zum selben Termin vor dem Kulturzentrum LOLA an. Motto: Aufsteh´n. Dem Bergedorfer Bündnis gegen Rassismus und Faschismus wurde seitens des DGB deutlich gemacht, das bei der Anmeldung einer zusätzlichen Demonstration sowohl die Kundgebung, als auch die Demo verboten würden - dies hätte die Polizei dem DGB signalisiert. Das Bündnis sah daraufhin vom Anmelden einer eigenen Demo ab. Die antifaschistische Gegenkundgebung wurde dann von einem breiten Bündnis über DGB, SPD, Regenbogen, IG Medien, HBV, IG Metall DAG VVN, GAL und dem Antifaschistischem Bündnis Bergedorf unterstützt. Allen Gruppen wurde das Rederecht auf dieser Veranstaltung zugesprochen. An der Gegenkundgebung nahmen ca. 150 Menschen Teil. Darüber hinaus erlaubte die Polizei dann doch eine Spontandemonstration von 250 unabhängigen AntifaschistInnen. Der Versuch der Demonstranten zu den Faschisten vorzudringen, wurde von der Polizei verhindert. Es gab hierbei keine Verhaftungen. Offensichtlich hatte die Polizei zu diesem Zeitpunkt ihr Verhalten gegenüber den aktiven Gegendemonstranten geändert.

Auch wenn die antifaschistische Kundgebung und das Durchsetzen der Spontandemo ein Erfolg war, der offensichtlich aufgrund des aufgebauten öffentlich Drucks realisiert werden konnte, bleibt festzustellen, die Faschisten konnten geschützt durch die Polizei auch diesen Aufmarsch durchführen.

Diese Situation ist für Hamburg neu. Es war bisher undenkbar, dass faschistische Aufmärsche in Hamburg stattfinden konnten. Bisher war es denn Faschisten nicht möglich durch Hamburg zu marschieren, da sie von aktiven Antifaschisten noch jedesmal von der Straße geholt wurden.

Die aktuelle Politik des rot-grünen Senats hat diese Situation dramatisch verändert. Jetzt benutzen die Faschisten die Polizei um ihre Auftritte zu realisieren. In seinem Vorgehen unterscheidet sich der rot-grüne Senat Hamburgs damit in keinster Weise von anderen Bundesländern.

In allen Städten, in denen Faschisten versuchten im Zusammenhang mit der Wehrmachtsausstellung aufzumarschieren, gab es massiven Widerstand von AntifaschistInnen. Eine Behinderung bzw. sogar Verhinderung der, durch massives Polizeiaufgebot geschützten Aufmärsche war jedoch in den seltensten Fällen möglich. Statt dessen wurde seitens der Staatsmacht der Widerstand gegen die Aufmärsche behindert. Es wurden Gegendemonstrationen verboten oder wie in Bonn ca. 1500 Faschisten durch die Stadt geleitet während gleichzeitig über 600 AntifaschistInnen in einem Kessel festsetzt wurden.

Das Recht auf Versammlung wurde den Faschisten zugestanden, dem Widerstand dagegen wurde es verboten. Die Hamburger Innenbehörde und Polizei haben damit zum erstenmal dem Faschismus in dieser Form öffentlichkeitswirksam Raum gegeben.. Der rot-grüne Senat läßt Faschisten auf der Straße zur "Normaltät" werden, er läßt die faschistische Ideologie in Konkurrenz zu bürgerlichen Modellen der Gestaltung von Gesellschaft Artikulationsraum, er praktiziert eine mit formalen Argumenten (die Nazis dürfen demonstrieren, weil sie den Aufmarsch vor den angemeldeten Gegendemonstrationen) Gleichbehandlung von Faschisten und antifaschistischem Widerstand.

Normalität nach dem Ende der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West artikuliert sich in dem Abbau ehemaliger gesellschaftlicher Tabus. So herrscht offenbar nicht nur bei den Eliten der deutschen Politik die Vorstellung, das die besondere, historische bedingte, Verantwortung der Deutschen in bezug auf Faschismus und Rassismus abgearbeitet ist. Die alte Erkenntnis, das, wer Deutschland denkt auch Auschwitz denken muß, wird nur noch vereinzelt geteilt.

Walsers Forderung zum normalen Umgang mit der eigenen deutschen Geschichte zurückzukehren und endlich diese moralische Keule des ständigen Erinnerns an Auschwitz, zur Seite zu legen, ist nur die eine Seite der Medaille. Das was in Bergedorf stattfand und stattfindet ist die andere Seite der Normalität. Wenn es keine besondere Verantwortung mehr gibt, allem faschistischen entschlossen entgegenzutreten, gibt es auch keinen Anlass mehr Aufmärsche nicht in Absprachen mit den Faschisten zu gewährleisten. So wird der alte Demospruch "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten" zur allgegenwärtigen Routine. Nicht das die Polizei früher nicht ähnlich mit Antifaschistischen Demonstrationen verfahren währe - nur heute ist Walsers Paulskirchennormalität die Normaltät des "normalen" Deutschlands auch in öffentlichen Verlautbarungen geworden.

Der rot-grüne Senat hat dies umgesetzt und damit einer weiteren Akzeptanz der faschistischen Ideologie Vorschub geleistet. Der Biedermann wird unter dem Vorwand, auch den Nazis das grundrechtlich verbriefte Recht auf "Demonstrationen" bzw. Aufmärsche zu sichern, zum geschichtslosen Brandstifter.

Für die Zukunft wird es wichtig sein, die bestehenden Bündnisstrukturen zu etablieren und über Basisarbeit die Mitglieder Sozialdemokraten, der Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Multiplikatoren für das Problem mehr zu sensibilisieren. Bisher bilden bei allen antifaschistischen Aktionen die unabhängig organisierten AntifaschistInnen die weitaus größte Zahl der zu mobilisierenden Menschen. Notwendig ist die Organisation einer breiteren Basis des Widerstandes gegen diesen faschistischen Terror, gegen diesen Versuch ein Klima der Verunsicherung, ein Klima der Einschüchterung zu schaffen.

Erste Schritte dazu sind in HH-Bergedorf inzwischen realisiert. Die Sozialdemokraten sitzen inzwischen auch mit unabhängigen Antifaschisten, Gewerkschaften und anderen Interessierten an einem Tisch zusammen um das weitere Vorgehen gemeinsam zu überdenken. Bei allen diesen gemeinsamen Überlegungen muss eine Stoßrichtung im antifaschistischem Kampf klar sein. Dort wo die Faschisten marschieren ist der Ort sich in den Weg zu stellen. Das Ziel dieses sich in den Weg stellen muss die Verhinderung dieser Aufmärsche sein. Es kann nicht angehen, dass die Polizei die Faschisten schützt. Hier muß gesellschaftlicher Druck entfacht werden, der diesen "Normalisierungstendenzen" entgegenwirkt, der klar macht: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Harald Holzmann

 

 


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